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E-Book

Hanf als Heilmittel

Ethnomedizin, Anwendungen und Rezepte

AutorChristian Rätsch
VerlagNachtschatten Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783037885116
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Seit mindestens 6000 Jahren wird Hanf als Faserlieferant, als Nahrung und Genussmittel kulturell genutzt, aber auch seine vielseitigen medizinischen Qualitäten wurden früh entdeckt. Er hatte seinen festen Platz in der pharaonischen, der assyrischen, der antiken, der islamischen und der mittelalterlichen Medizin. In der chinesischen und tibetischen Medizin werden seine euphorisierenden, antidepressiven Eigenschaften geschätzt, im Ayurveda wird er als Allheilmittel und Aphrodisiakum gepriesen. Doch auch unsere germanisch-keltischen Ahnen haben die Pflanze medizinisch genutzt. Hildegard von Bingen gebrauchte sie genauso wie Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie. In der modernen medizinischen und pharmakologischen Forschung werden nun die früheren und die ethnobotanischen Anwendungen der Hanfpflanze getestet und grösstenteils bestätigt. Dieses Buch zeichnet die Geschichte und die Bedeutung des Hanfs in den verschiedenen medizinischen Systemen und Lehren nach und gibt eine Fülle von praktischen Anwendungen und Rezepten. Mit einem Vorwort von Dr. med. Franjo Grotenhermen.

Christian Rätsch geboren 1957, Ethnopharmakologe, Referent und Autor, studierte Altamerikanistik, Ethnologie und Volkskunde. Seit über dreissig Jahren erforscht er weltweit schamanische Kulturen und deren Gebrauch psychoaktiver Pflanzen. Autor zahlreicher in viele Sprachen übersetzter Bücher, darunter 'Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen', 'Lexikon der Liebesmittel' und 'Räucherstoffe' uvm.

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Leseprobe

Bum Shankar!


Am Anfang waren die Schamanen


»Der Schamane verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft und erschafft daraus die Gegenwart.«

AMÉLIE SCHENK

Die berühmte Höhlenmalerei des »Zauberers« mit Hirschgeweih von Les Trois Frères in den französischen Pyrenäen deuten Archäologen als künstlerisches Produkt einer psychedelischen Trance. Dass steinzeitliche Schamanen tatsächlich Hirschmasken getragen haben, wurde durch prähistorische Funde bei Hohen Viecheln, Kreis Wismar, bestätigt. Die heute im Museum Schwerin ausgestellte Hirschschädelmaske stammt genauso wie der älteste Hanffund aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. und weist auf einen neolithischen »Hirsch-Hanf-Schamanen«-Komplex hin. Der Alchemist Agrippa von Nettesheim (1486–1535) schreibt: »Der Hirsch heilt die Verrückten und Wahnsinnigen.« (Die magischen Werke II, 37)

»Der Schamane bewegt sich zwischen den beiden Wirklichkeiten aus freien Stücken und mit ernster Absicht hin und her. Ganz gleich, welche die Wirklichkeit ist, der Schamane denkt und handelt auf die entsprechende Art und hat als Ziel die Meisterung sowohl seiner nichtalltäglichen als auch seiner alltäglichen Aktivitäten. Nur wer seinen Einsatz in beiden Gebieten erfolgreich meistert, ist ein Meisterschamane.«

MICHAEL J. HARNER

(1994: 76f.*)

Schamanismus oder Schamanentum ist keine Religion, sondern eine an besondere Individuen geknüpfte Bewusstseinstechnik, die besonders in polytheistischen, naturverehrenden Religionen, wie Animismus, Taoismus, Shintoismus, Hinduismus und Buddhismus (Lamaismus), funktioniert (SCHARFETTER 1985, GOTTWALD und RÄTSCH 1998).

Schamanen sind Personen, die aufgrund der Berufung durch Götter, Geister, Dämonen oder Ahnen und ihrer besonderen Begabung, in Trance und Ekstase zu fallen, immer kulturelle und gesellschaftliche Sonderstellungen einnehmen (ELIADE 1975*, HALIFAX 1983). Schamanen können die gesellschaftlichen Funktionen von Ärzten, Priestern, Orakeln, Wahrsagern, Zauberern, Hexern, Hebammen, Kräuterkundigen, Naturwissenschaftlern, Mysterienschauspielern, Rhapsoden und Bewahrern der oralen Traditionen erfüllen (LOMMEL 1980).

Es gibt männliche und weibliche Schamanen. Alle Schamanen teilen ein Weltbild, in dem es möglich ist, in verschiedene Welten oder andere Wirklichkeiten zu reisen. Diese gewöhnlich nicht sichtbaren Wirklichkeiten werden Himmel, Paradies, Unterwelt, Hölle, Geisterwelt, Schattenreich, Blaue Zone, unsichtbare Welt, wahre Wirklichkeit usw. genannt. In diesen Welten leben Götter, Geister, Ahnen, Dämonen, Ungeheuer, Monster, Tier- und Pflanzenseelen. Mit diesen unsichtbaren Wesen kommuniziert der Schamane. Von ihnen erfährt er die Geheimnisse des Universums, erlangt genaue Kenntnisse über die Anwendung von Heilpflanzen und gewinnt die Macht zu heilen oder Schaden anzurichten.

Im schamanischen Universum werden Krankheiten meist als Verlust der Seele, von verschiedenen Seelenteilen oder des Bewusstseins definiert. Die Seele eines Kranken wird manchmal, aus verschiedenen Gründen (Hexerei, Tabubruch, Vergehen), von negativen Wesen in die unsichtbare Welt verschleppt. Dort wird die Seele von Ungeheuern und Monstern malträtiert, gefoltert und gefangen gehalten: Liegt ein derartiger Krankheitsfall vor, so muss der Schamane in jene Welt reisen und die gestohlene Seele befreien. Oft reist der Schamane in der Gestalt eines Tieres, eines Adlers, Tigers oder Jaguars, seltener als Schnecke oder Glühwürmchen.

Um in die unsichtbare Welt reisen zu können, muss der Schamane in Trance fallen und die gewöhnliche Welt verlassen. Zur Induktion dieser notwendigen Trance benutzen die meisten Schamanen verschiedene psychoaktive Drogen (FURST 1990, HARNER 1973, ROSENBOHM 1991). Dabei macht aber nicht die Droge einen Menschen zum Schamanen. Der Schamane benutzt die Droge als Katalysator, um seine eigenen Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen und zu nutzen. Die meisten Schamanen gebrauchen Trommeln oder Rasseln als »Reittiere«. Ihr monotoner Rhythmus wird zur Brücke in die andere Wirklichkeit. Der Schamane trägt oft als äußeres Zeichen seiner inneren Wirklichkeit Tierkostüme, Masken und Umhänge.

Der Schamanismus ist sehr alt. Es gibt Hinweise, dass er bereits dem Menschen im Paläozoikum, der Altsteinzeit, bekannt war. Viele Höhlenmalereien zeigen Menschen in Tierkostümen; vielleicht Portraits von Steinzeitschamanen (BIEDERMANN 1984: 69–89). Viele europäische Höhlenmalereien werden inzwischen als Darstellungen von Schamanen, schamanischen Bewusstseinszuständen und entsprechenden Mythen interpretiert (CLOTTES und LEWIS-WILLIAMS 1997, DEVEREUX 1997). Der Schamanismus ist aber keine skurrile Erscheinung von gestern, er ist auch heute noch, besonders in Südostasien, lebendig (HEINZE 1991); er hat gerade im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts eine besondere Faszination und Anziehungskraft (ZINSER 1991).

»Wir Schamanen stammen aus der Zeit vor der Religion. Religionen sind für die, die nicht sehen können.«

INDRA B. GURUNG

(8/98)

Seit alters her ist auch der Hanf eine Schamanendroge (ELIADE 1975: 376ff.*, dazu besonders FURST 1990: 212f.; KNOLL-GREILING 1950, SEEBODE und PFEIFFER 1988: 16). Die Entdeckung pharmakologisch wirksamer Pflanzen wird im Allgemeinen den Schamanen zugeschrieben, so auch die Entdeckung des Hanfes und dessen multipler Verwertbarkeit (MERLIN 1972*). Er wurde schon im Neolithikum in Zentral- und Ostasien benutzt. Von dort stammt auch unser Wort »Schamane«. In der tungusischen Sprache bezeichnet shaman den heilenden und prophezeienden Bewusstseinskünstler (SEBODE und PFEIFFER 1988: 7). Der früheste literarische bzw. ethnohistorische Beleg für Hanf findet sich in schamanistischen Texten aus dem alten China (LI 1974). Dort gibt es zahlreiche prähistorische Darstellungen von Schamanen:

»Die Dramatik des Eintritts in die transzendenten geistig-göttlichen Himmelssphären mit dem nichtkörperlichen Teil der eigenen Person führte die derart initiierten saman in einen Zustand tiefster Seligkeit oder Ergriffenheit. Die menschlichen Grenzen und gewöhnlichen Maßstäbe überwindend, rangen sie nach der Rückkehr von ihren visionären Reisen um adäquaten Ausdruck für den unbeschreiblichen Eindruck. Neben den Skulpturen und Höhlenmalereien entstanden, meist an hochgelegenen Kultplätzen, zahlreiche Petroglyphen, Gravuren und Ritzungen in Felsgestein, die in ihrer Schlichtheit eine oftmals beeindruckend klare Sprache sprechen. So zeigt eine bronzezeitliche Petroglyphe aus den Gebirgsregionen Südostkasachstans die wahre Herkunft und Heimat eines Irdischen: der Mensch in der Plazenta der Gestirne.« (ADRIAN 1994: 76)

Der älteste archäologische Beleg für die kulturelle Verwendung von Hanf deutet ebenfalls auf einen schamanischen Gebrauch. In den neolithischen Bandkeramik-(LBK)-Schichten von Eisenberg in Thüringen (Deutschland) wurden Hanfsamen, die als Cannabis sativa bestimmt werden konnten, gefunden (RENFREW 1973: 163, WILLERDING 1970: 358). Die Schichten werden auf zirka 5500 v. Chr. datiert. Hanfsamen wurden auch bei den Ausgrabungen anderer, etwas jüngerer neolithischer Schichten entdeckt, so in Thainigen (Schweiz), in Voslau (Österreich) und in Frumusica (Rumänien) (RENFREW 1973: 163). Diese Funde stammen aus einer Zeit friedlicher, ackerbauender, vorindogermanischer Kulturen, die besonders die Göttin verehrten (GIMBUTAS 1989) und sehr wahrscheinlich den Schamanismus kannten (PROBST 1991: 239). Die Bandkeramik, die dieser steinzeitlichen Kulturepoche den Namen verlieh, ist mit graphischen Zeichen verziert, die archetypische Motive und Muster halluzinatorischer oder psychedelischer Themen wiedergeben (STAHL 1989). Überhaupt gibt es viele Hinweise auf einen neolithischen Gebrauch psychoaktiver Substanzen in ganz Europa (SHERRATT 1991).

In Bayern wurden bereits vor 3500 Jahren Hanfprodukte, möglicherweise zusammen mit Schlafmohn oder Opium (Papaver somniferum), geraucht, wie prähistorische Funde von Tonpfeifenköpfen mit hölzernen Saugrohren bei Ausgrabungen der Hügelgräber von Bad Abbach-Heidfeld belegen (PROBST 1996: 174).

In Nepal, dem traditionsreichen hinduistischen Königreich inmitten des Himalayagebirges, ist der Schamanismus immer noch von großer Bedeutung für viele einheimische Völker, die noch recht wenig mit der westlichen Medizin in Berührung gekommen sind. Bei den meisten Völkern Nepals herrscht eine Mischreligion vor. Elemente aus dem Bön, aus dem tibetischen Lamaismus (vajrayana) und verschiedenen hinduistischen Ausrichtungen sind hier zu einer harmonischen Einheit verschmolzen. Schamanen gibt es in fast jedem Dorf. Meist werden sie jakri genannt; das Wort hat die Bedeutung »Zauberer« oder »Zauberin«. Diese Schamanen leben in einem polytheistischen Kosmos, in dem Buddha genauso zuhause ist wie die alten Bön-Dämonen sowie die vedischen und hinduistischen Götter. Von...

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