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Zauberpflanze Alraune

Die Magische Mandragora: Aphrodisiakum - Liebesapfel - Galgenmännlein

AutorChristian Rätsch, Claudia Müller-Ebeling
VerlagNachtschatten Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl170 Seiten
ISBN9783037882153
Altersgruppe18 – 
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Schon wieder ein Buch über die Alraune! Gibt es davon nicht schon genug? - Nein! Sonst könnte man dieses Buch nicht in den Händen halten. Es ist kein Abklatsch der allgemein bekannten Geschichten um die Zauberpflanze Alraune (Mandragora), sondern verbindet zwei wesentliche Aspekte, die auf neuen Forschungen beruhen miteinander. Dadurch entsteht ein weiteres, neues Bild des magischen Nachtschattengewächses in seiner herausragenden Stellung in der Kutlurgeschichte und der Zauberbotanik. Kaum eine Pflanze erlangte größere legendäre Bedeutung als die Alraune (Mandragora officinarum), eine berühmte Vertreterin der Nachtschattenfamilie! Seit dem griechisch-römischen Altertum bis in die frühe Neuzeit wurde die Mandragora als Allheilmittel gerühmt, als Zauberpflanze hoch bezahlt, als magische Zutat von Hexen gefürchtet und unwiderstehliches Liebesmittel gepriesen. Die alkaloidreiche Alraune, deren Zubereitungen in der Antike bei chirurgischen Eingriffen zur lokalen Betäubung verwendet und deren betörend duftende Früchte in der Bibel als 'Liebesäpfel' besungen wurden, galt als 'Königin der Zauberkräuter'. Die im heißen Mittelmeerraum und vorderen Orient heimische Pflanze mit der Blätterkrone und langen, verzweigten Wurzel wurde als menschenähnlich betrachtet und spielte unter unzähligen Namen eine bedeutende Rolle in der Menschheitsgeschichte. Als 'Menschenwurzel',Galgenmännle', 'Adamshaupt' und 'Lebensspender' geistert sie durch Legenden und Mythen. Ihre sagenumwobene und legendenbehaftete Geschichte berauschte die Phantasie früher Geschichtsschreiber, Naturkundler - bis hin zu Romanschriftstellern, Comiczeichnern und Filmemachern. All dies breiten die Autoren auf rund 170 Seiten in Wort und Bild aus. Sie erkunden ihre Pharmakologie, ihren Stellenwert in der Antike und ihre Rolle in Magie und Kunst und liefern in Anhängen unter anderem eine kommentierte Bibliographie.

Christian Rätsch geboren 1957, Ethnopharmakologe, Referent und Autor, studierte Altamerikanistik, Ethnologie und Volkskunde. Seit über dreissig Jahren erforscht er weltweit schamanische Kulturen und deren Gebrauch psychoaktiver Pflanzen. Autor zahlreicher in viele Sprachen übersetzter Bücher, darunter 'Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen', 'Lexikon der Liebesmittel' und 'Räucherstoffe' uvm. Dr. phil. Claudia Müller-Ebeling ist spezialisiert auf visionäre Kunst, Schamanismus und die Erforschung veränderter Bewusstseinszustände.

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Leseprobe

Die Alraune in der Antike

Die Alraune hatte in der Antike eine enorme Bedeutung als Ritualpflanze, Rausch- und Heilmittel und wurde von den Ärzten als Lokalanästhetikum eingesetzt (siehe »Die Alraune als Medizin im antiken Griechenland«, Seite 68ff.).

Das in der griechischen Literatur gebräuchliche Wort Mandrágora ist nicht griechisch, sondern geht vielleicht auf eine pelasgische Sprache zurück, auf das altpersische mardum-gia, »Menschenkraut« (RAHNER 1957: 198) oder das assyrische namtargira (THOMPSON 1949: 217). Alles deutet daraufhin, dass das kulturelle Wissen und die Verwendung der Alraune aus dem Orient und aus Ägypten nach Griechenland gelangte (vgl. GOLTZ 1974).22

Die Alraune wurde im antiken Hellas zum Symbol der Pharmakologie und Arzneikunde. Eine Illustration in einem griechischen Manuskript aus dem 6. Jahrhundert nach Christus macht die zentrale Bedeutung der Wurzel deutlich. Heuresis, die griechische Göttin der Erfindung, Inspiration und Wissenschaft, händigt die anthropomorphe Wurzel Dioskurides aus. Dieser im 1. Jahrhundert nach Christus wirkende Arzt gilt als »Vater der Medizin« und verfasste eine Arzneimittellehre in fünf Büchern, die noch im Mittelalter nachwirkte.

Alraune als Pseudonym für den heiligen Pilz

John M. Allegro (1923-1988), der durch sein Buch Der Geheimkult des heiligen Pilzes: Rauschgift als Ursprung unserer Religion (1971) berühmt gewordene Altphilologe, vertrat in seinem folgenden daran anknüpfenden Werk Lost Gods (1977) die These, dass die im antiken Schrifttum erwähnten »Alraunen« nicht das Nachtschattengewächs bezeichneten, sondern ein Deckname für den »Heiligen Pilz«, den hypothetischen »Jesus-Pilz« oder den als »Christus« personifizierten Fliegenpilz (Amanita muscaria) gewesen sei (ALLEGRO 1977: 89ff.).

Die Menschenwurzel der Parsen

Jede Pflanze bezieht aus der Wurzel ihre Kraft. Blätter, Früchte und Blüten können geerntet werden, ohne der jeweiligen Pflanze ihre Lebenskraft zu nehmen. Wurzeln jedoch sind unersetzbar und entscheiden über das Gedeihen und Verderben jeder einzelnen Pflanze. Wegen ihrer nicht regenerierbaren Einmaligkeit wurden heilkräftige Wurzeln von Heilkundigen und Patienten daher schon immer besonders geschätzt. Aus diesem Grunde liegt der Beginn der pharmakologischen Heilkunde bei den Wurzelgräbern, die später von den Griechen Rhizotomen genannt wurden.

Schon früh wurde in der Alraunenwurzel ein menschengestaltiges Geistwesen gesehen. PYTHAGORAS (6. Jahrhundert vor Christus) oder die Pythagoräer nannten die Pflanze deshalb Anthropomorphon, die »Menschengestaltige«. Daher stammt das Adjektiv anthropomorph, »in menschlicher Gestalt«.

Im Altpersischen hießen Pflanzen mit anthropomorphen Wurzeln merdomgia, »menschenartige Wurzel«. Es hat sich eingebürgert, darin auch einen Namen der Alraune zu erkennen. Möglicherweise war das Wort aber ein Sammelbegriff für viele Pflanzen. Es werden noch weitere Namen für die »Menschen-Wurzel« angegeben, die auf die Identität mit der Alraune verweisen: segken, »vom Hund gegraben«, istereng (= asterenk), »leuchtend« (?) und ebrewi ssanam, »das Gesicht eines Idols« (TERCINET 1950; THOMPSON 1968: 20). In einer frühmittelalterlichen persischen Handschrift, die vermutlich auf sehr viel ältere Vorlagen zurückgeht, wird die Mandragora neben Opium, Datura metel und Hanf (Cannabis indica) als einschläferndes Mittel angeführt (BERENDES 1891: 43).

Die Menschenwurzel (Nach: HYSLOP und RATCLIFFE 1989: 20)

Die Parsen kannten desgleichen eine haoma genannte heilige Pflanze mit berauschenden oder entheogenen Qualitäten, die in der altpersischen Schrift Awesta oft genannt wird (siehe dazu Mandragora turcomanica).

Die Alraune im alten Orient

»Der eigentliche Mandragoras ist der ›Baum der Erkenntnis‹,
und die aus seinem Genuß aufbrennende Liebe
ist der Ursprung des menschlichen Geschlechts.«
Hugo RAHNER (1957: 221)

Im heutigen Israel gehören Alraunen zu den häufigen Pflanzen. Seit biblischer Zeit gelten die Wurzeln als Aphrodisiaka und Fruchtbarkeitsamulette.

Die vermutlich frühesten schriftlichen Erwähnungen der Alraune finden sich in den Keilschrifttafeln der Assyrer und im Alten Testament. Sie beziehen sich hauptsächlich auf das Gebiet von Babylon.

Im Assyrischen hieß die Alraune Nam-Tar-Gir(a) [isnam-tar-*gir12]23. Dabei war Nam Tar der »Gott der Plagen«; (g)ira bedeutet »männlich«. Die alten Assyrer benutzten die Alraune als Schmerz- und Betäubungsmittel. Unter anderem wurde der pulverisierte Wurzelauszug in Bier bei Zahnschmerzen, Geburtskomplikationen, Hämorrhoiden und Magenbeschwerden verwendet. Im Sinne des Exorzismus sollte die geräucherte Wurzel »Gift aus dem Fleisch« treiben (THOMPSON 1949: 218f). In einem ugaritischen Keilschrifttext aus Ras Schamra (15./14. Jahrhundert vor Christus) scheint der Text »Pflanze Mandragoras in die Erde ...« (SCHMIDBAUER 1968: 276) auf ein entsprechendes Ritual hinzudeuten. In den mesopotamischen Keilschriften wird öfter ein »Rindsauge« genannter Wein angeführt. Es soll ein Mischwein mit Alraunen gewesen sein. »Die Wirkung des Alrauns auf die Pupille wäre demnach der Anlaß für die merkwürdige Bezeichnung ›Rindsauge‹ gewesen« (HIRSCHFELD und LINSERT 1930: 162). Archäologische Überreste von Alraunen sind meines Wissens im Orient nicht entdeckt worden (vgl. JACOB 1993: 39).

Die wichtigste Quelle zur orientalischen Verwendung der Alraune ist jedoch das Alte Testament. Darin werden die Liebesäpfel unter dem althebräischen Namen dûdâ’îm mehrfach genannt, und zwar als Aphrodisiaka (die Identifizierung mit der Mandragora wird nicht von allen Bibelinterpreten anerkannt)24.

»Der einzige Beleg, der dudaim mit Mandragora gleichsetzt ist die aramäische Übersetzung des 1. Buches Mose und die Wiedergabe in der Mischna mit yavruhim, das die Araber einiger Mittelmeerländer für Mandragora verwenden« (ZOHARY 1986: 188).

In der Septuaginta, der ersten griechischen Übersetzung der Torah, wird das hebräische Wort dûdâ’îm mit meela mandragoron, »Äpfel der Alraune« wiedergegeben (FLEISHER und FLEISHER 1994: 245, RAHNER 1957: 200). In der Spätantike war es üblich, dûdâ’îm mit Mandragora zu identifizieren. Heute ist die Identifizierung von dûdâ’îm mit der Alraune allgemein akzeptiert.25 Es gibt verschiedene Etymologien für dûdâ’îm. Das Wort soll sich von der Wurzel Dod oder David ableiten und »Leidenschaft« oder »körperliche Liebe« bedeuten. Möglich ist auch die Kontraktion von dod als »Liebe« und ayim als »Furcht«. Es wurde auch die Ableitung aus du, »Zwei« und daim, »in der Luft fliegen« vorgeschlagen (FLEISHER und FLEISHER 1994: 246). Nach Rabbi Jacob ben Asher (1269-1343) ist der Name dûdâ’îm aus der Zahlenmagie zu verstehen. Der numerische Wert des Wortes ist mit dem hebräischen Wort ke’adam, »wie ein Mensch« identisch und deutet auf die anthropomorphe Gestalt (ROSNER 1993: 8). Somit könnte die Alraune ein kabbalistisches Geheimmittel gewesen sein.

Duftende Liebesäpfel

Im Heiligen Land war die Alraune, die in der Bibel dûdâ’îm heißt, vor allem als Aphrodisiakum und fruchtbarkeitsförderndes Mittel bekannt (FRAZER 1917; ROSNER 1980). Dabei wurde die aphrodisische Qualität in erster Linie dem Duft der reifen goldgelben Früchte zugeschrieben (FLEISHER und FLEISHER 1994). Die überlieferten Quellen beziehen sich nicht nur auf die betörende Wirkung ihres Duftes, sondern ebenso auf magische Liebesrituale, die sich im Laufe der Zeit auch außerhalb des mythischen Morgenlandes großer Popularität erfreuten.

Doch zurück zm Kernland der Bibel. In der Genesis (30: 14-16) heißt es von der aphrodisischen Qualität der »Liebesäpfel«:

»Ruben [= Reuben] ging aus zur Zeit der Weizenernte [Mai] und fand Liebesäpfel [dûdâ’îm] auf dem Felde26 und brachte sie heim zu seiner Mutter Lea. Da sprach Rahel zu [ihrer Schwester] Lea: Gib mir von den...

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