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E-Book

Halten Sie Ihr Huhn fest!

Hundeleben auf dem Land

AutorKatharina von der Leyen
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783440153536
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Locker, sehr komisch und pointiert erzählt Katharina von der Leyen vom Leben ihrer Hunde auf dem Land. Sie genießt Wald und Wild so weit das Auge reicht. Aber sie muss feststellen, dass das Hundeleben zwischen Schafskötteln als Delikatesse und nervösem Federvieh beim Bauern nebenan so manche Herausforderung zu bieten hat. Ein Hundebuch zum Lachen, Schmunzeln und ein bisschen auch zum Weinen - für alle, die Hunde lieben.

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Leseprobe

2


Der absolute Tiefpunkt meines Daseins als Stadthundemensch begab sich in einer nieselregnerischen Nacht gegen halb zwölf. Ich wartete müde darauf, dass Fritz sich als letzter meiner Vierer-Truppe endlich löste. Er drehte und wendete sich, versuchte es an anderer Stelle, drehte, krümmte und wendete sich wieder. Ich bückte mich schließlich, um genauer nachzusehen, was sein Problem war. Von den Straßenlaternen erleuchtet sah ich etwas weißes, schnurähnliches aus seinem Hinterteil ragen. Ich zog mir einen der Kotbeutel, die man in jeder meiner Jacken-und Manteltaschen, jeder Hand- und sogar jeder Abendtasche findet, nach Art eines medizinischen Handschuhs über die Hand und zog. Das Weiße war lang und gab irgendwie nach, und am anderen Ende war ein rundes kleines Metallstück. Als ich – zu Fritzens unbändiger Freude und Erlösung – endlich das ganze Ding in der Hand hielt, erkannte ich, was es war: Der Träger eines vormals weißen BHs.

In meiner Nähe stand eine Gruppe Teenager, die sich gleichzeitig bogen vor Lachen und schüttelten vor Ekel. „Boah ey, voll eklig!“ quietschte es zwischen Kicher-Gejapse und Gegeneinanderfallen.

Ich versuchte, würdevoll und kultiviert auszusehen, was völlig unmöglich ist, während man einen BH-Träger unbekannten Ursprungs in nicht mehr einwandfreiem Zustand in einer kotbeutelbehandschuhten Hand hält.

Weil man mit Hunden zwangsläufig einen Großteil seines Lebens auf der Straße, im Park oder im Wald verbringt, wird man mit ihnen automatisch zu einer Art öffentlicher Person. Man wird ansprechbar, Fremde bewerten einen anhand des sich gerade mal gut oder schlecht benehmenden Hundes am anderen Ende der Leine. Man wird ständig angesprochen, belehrt, befragt, beurteilt. Wenn man mit Hunden zusammenlebt, begreift man plötzlich, wie es sein muss, mit einem Prominenten verheiratet zu sein: Überall lauern Papparazzi, und (natürlich völlig unwahre) Schlagzeilen wie „Außer Rand und Band: Harry macht, was er will – bekommt Katharina ihn wieder in den Griff?“ sind die Kommentare der Umwelt.

Während ich so da stand mit dem BH-Träger in der Hand und einem Windspiel, dass sich vor Erleichterung über seinen befreiten Darm kaum einkriegte vor Freude, wuchs in mir das akute Bedürfnis nach mehr Privatsphäre. Nach einer Welt ohne Schulbrote, Scherben, Sperrmüll und BH-Träger am Straßenrand (oder wo zum Teufel hatte Fritz das Ding her? Und wer verlor überhaupt irgendwo einen einzelnen BH-Träger auf der Straße oder im Park? Und wie wurde ich dieses Kopfkino jetzt wieder los?).

Es gab diese Gefühle in meinem Leben schon häufiger. Mein Leben lang war ich hin- und hergerissen zwischen den Vorteilen der Stadt – erreichbare Restaurants, sich mal eben mit irgendjemandem im Café um die Ecke verabreden, mal kurz eine Ausstellung ansehen zwischen zwei Terminen – und der Ruhe auf dem Land, Vogelgezwitscher statt Polizeisirenen bei offenem Fenster, Hundespaziergänge, die gleich an der Haustür begannen, ein Kopf, der durch den Spaziergang mit Hund frei und leicht wurde – und nicht auf dem kurzen Weg von meiner Wohnung zum Viktoriapark völlig überladen von Bildern, die mich den ganzen Tag beschäftigten, von dem alten Mann, der zwei Häuser weiter wohnte und immer wieder mit nassen Hosen herumlief, einem Junkie, der vor einer Bäckerei an einen Baum gelehnt auf die Erde rutschte, oder jugendlichen Touristen, denen vor meinen Füßen die Bierflasche aus der Hand rutschte und in tausend Scherben zerbrach, sodass ich nicht mehr wusste, wohin ich mit meinen Hunden treten sollte. „Oh sorry“, sagte der Junge mit betroffenem Gesicht. Das half mir in diesem Moment auch nicht weiter. Und die Typen auf den Schimmeln, die einem die Hand reichen und einen aufs Pferd ziehen, kommen leider nie dann vorbei, wenn man sie wirklich braucht.

Der Traum vom Landleben wurde immer mehr zum Tagtraum, je mehr irrisnnig angespannte Tai-Chi-Ausübende und schnaufende Marathonläufer die Parks für sich beanspruchten. Oder Kampfradfahrer, die pfeilschnell über die Gehwege fegten und für die jedes Bremsen das Eingestehen einer Charakterschwäche war und Hunde Freiwild bedeuteten. Oder jene Sorte humorbefreiter Mütter, die mit ihren technisch hochgerüsteten Kinderwägen mit ihren gleichartig ausgestatteten Freundinnen auf dem Weg zum nächsten Latte Macchiato wie eine Kampfgeschwader-Formation den ganzen Bürgersteig einnehmen und Hundebesitzer als eine Mischung aus bakterienverbreitenden Untermenschen und Kleinkriminellen betrachten. Sollte das Kind wider ihrer ausdrücklich entgegengesetzter Erziehung Interesse an einem fremden Hund bekunden, werfen sie sich vor den Buggy, weil sie offenbar in jedem zitternden Italienischen Windspiel eine reißende Bestie vermuten, während sie gleichzeitig das ohrenbetäubende Gekreisch ihrer empörten Brut für einen Engelschor halten („Ich will den Hund streicheln! ICH WILLICHWILLICHWILL!“).

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich habe ­Kinder wirklich gerne. Ich habe nur mit manchen Müttern meine Probleme.

Irgendwann ging ich in Kreuzberg, wo ich wohnte, nachts nochmal mit den Hunden auf die Straße für die letzte Runde. Es war halb eins, ich hatte den ganzen Tag geschrieben und war todmüde. Neben meiner Haustür standen zwei Jungs so um die siebzehn. „Guck’ mal, scheiß Pudel“, sagte der eine. „Voll zum Kotzen, die Viecher. Aber guck’ dir die Tussi dazu an. Ey du, was kosten deine Pudel?“ (Ich versichere Ihnen: Meine Pudel sahen niemals aus wie Karikaturen ihrer Art, und ich selber würde so wenig als Mitglied der Jakob-Sisters durchgehen, wie man mir abnehmen würde, die Schwester von Daniela Katzenberger zu sein.) Aber möglicherweise war das der ausschlaggebende Moment, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ich weiß es nicht mehr genau.

Tatsache war: Mir wurde die Stadt zu eng – obwohl die beklagte Stadt Berlin war, die so groß ist, dass man von einem Stadtteil in einen anderen durchaus mehr als eine Stunde braucht. Der Verkehr wurde immer wahnsinniger, die Menschen immer gestresster. Ich hatte meine Schwierigkeiten mit den Umgangsformen: Wenn einen auf dem Bürgersteig eine Radfahrerin so laut von hinten anklingelte, dass ich mitsamt meinen Hunden vor Schreck einen Satz ins nächste Gebüsch machte, mir das Ganze aber als rücksichtsvolle Maßnahme verkauft wurde und ich solle mich gefälligst nicht so erschrecken, fiel es mir irgendwie schwer, den fürsorglichen Gedanken dahinter zu entdecken. Ich konnte mich lange nicht entscheiden, ob es der Stress oder die berühmte „Berliner Schnauze“ war, die daran schuld war, dass man dauernd so flegelhaft angeschnauzt wurde. Was ist eigentlich aus dem allerschlichtesten Imperativ der Weltanschauung geworden: „Seid nett zueinander!“? Man kommt sich vor wie ein veralteter Ur-Sozi, wenn man sich nach solchen Utopien sehnt.

Der Dreck in den Straßen Berlins wurde immer mehr. Berlin ist fest davon überzeugt, dass es an einem Hundekot-Problem leidet, aber ich startete einmal für eine große Sonntagszeitung den Gegenbeweis und hielt genau fest, was da so alles am Straßenrand lag: Glauben Sie mir, die Hundehaufen waren das allerkleinste Problem. Noch dazu wohnte ich in Kreuzberg um die Ecke von gefühlten siebenundzwanzig Jugendherbergen. Das bedeutete, dass vor allem nach heißen Berliner Sommernächten die Gehwege übersät waren von Flaschenscherben, denn Touristen kommen vor allem deshalb nach Berlin, um die dortigen Abgründe zu erleben (was wahrscheinlich ganz im Sinne des damaligen Bürgermeisters war, der seinerseits vor allem als Partymeister von sich reden machte). Ganze Rotten aus jungen internationalen Touristen veranstalteten alkoholgestützte Wanderungen durch Kreuzberg (Motto: „Drinking in the streets of Berlin!“), sodass die Teilnehmer angetrunken und entspannt grölend durch die nächtlichen Straßen zogen, in die malerischen Haueingänge pinkelten und ihre Flaschen klirrend fallen ließen. „Oops, sorry!“ lallten sie, wenn das genau vor meinen und den Füßen meiner vier Hunde geschah, sodass ich mit den Pudeln und den Windspielen weder vor, noch zurück konnte und ich schlicht nicht über die Kapazitäten verfügte, zwei Großpudel und zwei Windspiele gleichzeitig über die Scherben zu tragen. Bin ich Jesus? Wenn ich mich recht erinnere, konnte der auch nur über Wasser laufen.

Der Traum vom Leben auf dem Land erschien mir immer mehr als echte Alternative: Nachts mit meinen Hunden vor die Tür gehen zu können, ohne Gehirn und Mundwerk im permanenten Stand-by auf Retourkutschenbereitschaft zu halten. Einfach mal vor sich hinlatschen zu können, ohne rechts und links nach Gefahren auf dem Bürgersteig Ausschau halten zu müssen.

Ich gebe zu: Meine Landlust hatte etwas von „Unsere kleine Farm“; ich stellte mir meine Hunde vor, die vergnügt und leinenfrei durch Gräser hopsten und ich entspannt hinterher (wenn auch ohne Zöpfe und Rüschenkleid), wie sie im Garten chillten oder sich amüsierten, während ich langweilige Stunden am Computer hockte. Und obwohl ich der Meinung bin, dass man Hunde zum Allgemeinwohl gerade in der Stadt braucht, weil sie Natur in die Stadt bringen und damit die Stadt menschlicher machen, machte ich mich davon.

Gleich vor Berlin beginnt nämlich ein landschaftliches Paradies. Um Berlin herum gab es überall geradezu jungfräulich-unberührte Natur; Landwirtschaft hatte hier nur unwesentlich stattgefunden, und weil die Berliner jahrzehntelang nicht über die Mauer hinaus gekommen waren, konnte auch von Zersiedelung keine Rede sein. Wenn man in Ruhe mit seinen Hunden laufen und/oder trainieren wollte, musste man nur eine halbe Stunde über den Prenzlauer Berg hinaus fahren,...

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