1. Der Nutzer steht im Mittelpunkt
Kein erfolgreiches Immobiliengeschäft ohne sinnvolle Nutzung.
Es muss Klarheit herrschen, welcher Nutzer eine Fläche an welchem Standort und für welche Aktivitäten benötigt. Die Fläche muss zum Nutzer passen. Für jede Immobilieninvestition ist das der Schlüssel zum Erfolg, denn erst die Nutzung macht eine Immobilie wertvoll.
Es ist schon ein merkwürdiges Phänomen, mit dem die deutsche Immobilienwirtschaft Tag für Tag konfrontiert wird. Das Dach über dem Kopf befriedigt ähnlich wie Essen und Trinken ein elementares Grundbedürfnis des Menschen. Und doch ist das Verhältnis der Immobilienbranche, die schließlich das Dach über dem Kopf bereitstellt, zu ihrer Kundschaft und damit der breiten Öffentlichkeit von Vorurteilen und Missverständnissen geprägt. Für die Situation und die Bedürfnisse der jeweils anderen Seite Verständnis aufzubringen, ist eher die Ausnahme als die Regel.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Wahrnehmung des Nutzers von seiner Fläche, von dem Raum, der sie umgibt, ist immer subjektiv. Er sieht nur, wie er darin zurechtkommt, ob dort alles seinen Bedürfnissen und Ansprüchen entspricht. Stimmen die Lage und die Bauqualität? Lassen sich mit dem Zuschnitt und der Ausstattung der Fläche die ursprünglich beabsichtigten Vorstellungen und Aktivitäten umsetzen? Und dann noch die ganzen Detailfragen, dieses Klein-Klein des Alltags: Funktioniert die Heizung? Warum läuft das Wasser mit so wenig Druck? Was riecht hier eigentlich so komisch? Die grundsätzlichen und die alltäglichen Fragen können einen Nutzer schon auf Trab halten – egal, ob das Gebäude, in dem er sich befindet, ihm selbst gehört oder nur gemietet ist.
Kein Wunder also, dass der Gesamtzusammenhang, in dem diese einzelne Immobilie steht, den Nutzer im Normalfall überhaupt nicht interessiert. Es interessiert ihn nicht, wie der Immobilienmarkt funktioniert und wer die treibenden Kräfte in ihm sind. Er sieht, ob die Mieten oder Preise steigen oder fallen. Er sieht, dass die Hausverwaltung besser oder schlechter erreichbar ist. Gelegentlich sieht er als interessierter Zeitgenosse noch, dass man in diesem Geschäft offenbar viel Geld verdienen – und natürlich auch viel Geld verlieren kann. Doch schon die Kenntnis, dass es eine Unterscheidung zwischen Wohnimmobilien und Gewerbeimmobilien gibt, dass Wohnimmobilien und Gewerbeimmobilien als unterschiedliche Märkte zum Beispiel unterschiedlich stark gesetzlich reguliert sind, ist für den überwiegenden Teil der Bevölkerung nicht selbstverständlich.
Es ist vielleicht dieses Desinteresse an ihrem Tun, das wiederum die Akteure in der Immobilienbranche dazu verführt, dass sie in ihrem hektischen Geschäft den Nutzer zuweilen aus den Augen verlieren. Allerdings hat die Immobilienwirtschaft auch über Jahrzehnte auf einer Butterblumenwiese agiert, auf der sie es sich bequem machen und getrost über die Wünsche ihrer Kunden, die gelegentlich vorbeischauten, hinweggehen konnte. Nach 1945 herrschte überall Flächenknappheit im Lande. Egal, was man gebaut hat, es wurde vermietet. Erst in den späten 80er Jahren änderte sich dies. Seither muss die Branche viele Lehren ziehen, die andere Branchen schon früher hatten ziehen müssen. Sie muss sich insgesamt professionalisieren, ihre Mitarbeiter qualifizieren, ihre Prozesse automatisieren und alle Beteiligten besser informieren. Diese Umstellung ist bis heute nicht abgeschlossen.
Immobilien verlangen Improvisationstalent
Die Gefahr, den Nutzer mit seinen Bedürfnissen nicht genügend zu beachten, ist allerdings auch systembedingt. Es gibt wahrscheinlich keine andere Branche, in der so viel Improvisationstalent, so viel rasche Auffassungsgabe und so viel Empathie gefragt ist – alles Dinge, die sich nicht standardisieren lassen. Immobilien zu bauen, zu vermarkten und zu betreiben, bedeutet zuallererst, jeden Tag aufzustehen und neue Probleme lösen zu müssen; Probleme, die noch am Vorabend nicht einmal in Ansätzen zu erkennen waren.
Dies liegt nicht an mangelhaften Prozessen oder unfähigen Akteuren, sondern es lässt sich zu großen Teilen auf die Eigenschaften von Immobilien und ihrer Märkte zurückführen: Jede Immobilie ist ein einzigartiges Objekt. Sie steht für sich – kein Gebäude gleicht dem anderen. Klar mögen manche ähnlich aussehen. Doch allein schon Lage, Ausstattung und Bauqualität sorgen gleich zu Beginn für die ersten Differenzierungen. Über den Lebenszyklus weiten sich diese Unterschiede immer mehr aus. Wenn jedes Objekt besonders ist, lässt sich auch nicht alles standardisieren. Es gibt also ständig neue Probleme, für die neue Lösungen gefunden werden müssen.
Doch bei aller geistiger Beweglichkeit, die von den Immobilienmarktakteuren verlangt wird, gibt es eine Orientierungsgröße, die niemals aus dem Blick verloren werden darf: Die Nutzung einer Fläche – und damit deren Nutzer – ist der entscheidende Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg einer Immobilieninvestition. Völlig egal, ob die Fläche selbst genutzt oder vermietet ist, ob sie zum Wohnen oder zum Arbeiten genutzt wird. Ist die Nutzung der Fläche sinnvoll, entspricht sie den Vorstellungen des Nutzers, erfüllt sie einen Zweck – dann spricht nichts gegen einen wirtschaftlichen Erfolg des jeweiligen Objekts. Weder eine herausragende Bauqualität, noch eine besonders attraktive Architektur, noch besonders innovative Gebäudestrukturen sind Garanten für wirtschaftlichen Erfolg, sondern einzig und allein die Tatsache, dass ein Nutzer genau für diese Aspekte bereit ist, hinreichend zu bezahlen. Teure Objekte in den besten Lagen können sich einer genauso großen Nachfrage erfreuen wie günstige Objekte in den Randlagen.
Am besten zu verstehen ist dieses Grundprinzip bei einem Blick auf das Gegenteil eines Erfolgsmodells – der sogenannten Schrottimmobilie. Die Schrottimmobilie ist in den vergangenen Jahren zu einem geflügelten Wort geworden. Es wird immer dann genutzt, wenn sich ein Geldanlagemodell für Privatanleger als Fehlinvestition entpuppt. Wer dann erstmals vor einer solchen Schrottimmobilie steht, wird sich zunächst wundern, warum diese eigentlich auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich aussieht. Denn die Bezeichnung Schrott bezieht sich nicht auf die Bauqualität des erworbenen Eigentums. Es ist vielmehr so, dass die vorgesehene Nutzung des Objekts überhaupt nicht darstellbar ist.
Das können Wohnungen sein, die sich in Regionen befinden, die unter einer schrumpfenden Bevölkerungszahl leiden. Das können Büroimmobilien an Standorten sein, die durch hohe Arbeitslosigkeit und geringe wirtschaftliche Aktivitäten geprägt sind. Das kann ein Einzelhandelsobjekt in der Einöde oder ein Hotel direkt neben einer Hochgeschwindigkeitsstrecke der Bahn sein. Der gemeinsame Nenner von Schrottimmobilien besteht also darin, dass die vorgesehene Nutzung nicht zum Umfeld passt. Die Fläche ist fehlkonzipiert und steht folgerichtig leer – und der Eigentümer muss sich mit den ausbleibenden Einnahmen und den daraus resultierenden Verlusten herumschlagen.
Der uneingeschränkte Blick auf den Nutzer und seine Bedürfnisse hilft erfolgreichen Immobilienmarktakteuren dabei, auch in gelegentlich unübersichtlichen Momenten des Alltagsgeschäfts die Orientierung zu behalten. Das kommt nicht von ungefähr: Der Nutzer bezahlt schließlich den ganzen Spaß. Er bestimmt, welcher Preis letztlich gezahlt wird, wenn er ein Gebäude kauft – das ist dann der sogenannte Selbstnutzer. Oder er ist Mieter und bestimmt über seine regelmäßigen Zahlungen den Wert eines Gebäudes.
Es ist so ähnlich wie auf dem Aktienmarkt, wo der nachhaltig erzielbare Gewinn eines Unternehmens die entscheidende Orientierungsgröße ist. Er zeigt professionellen Marktakteuren an, ob der Kurs der jeweiligen Aktie aktuell eher günstig oder eher übertrieben ist. Wo auch immer die Marktstimmung die Aktienkurse gerade hintreibt, es ist der tatsächlich erwirtschaftete Gewinn eines Unternehmens, der den Wert des Anteilsscheins ausmacht – der Kurs kann sich davon gelegentlich entkoppeln, aber das wird immer ein vorübergehendes Phänomen bleiben. Der Überschuss ist das Geld, das zur Verteilung ansteht. Steigt der Unternehmensgewinn, hat der Aktienkurs ein belastbares Fundament, um ebenfalls zu steigen. Alles andere ist Spekulation.
So wie diese Zielgröße gelegentlich aus den Augen verloren wird – wenn sich etwa manche Börsianer hoffnungslos verrennen und Luftnummern, wie es viele Internetaktien zur Jahrtausendwende waren, als substanzielle Größe ansehen –, so gerät auch die entscheidende Zielgröße Flächennutzer auf dem Immobilienmarkt in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen aus dem Blick. Steigen etwa die Mieten dank einer robusten Nachfrage nach den jeweiligen Flächen und parallel die Immobilienpreise, so ist alles in bester Ordnung. Steigen aber nur die Preise und die Mieten indes nicht, beziehungsweise wird einfach mal auf Mietwachstum in der Zukunft spekuliert und in die Ankaufskalkulationen eingepreist, dann wird es im Immobiliengeschäft über kurz oder lang holprig.
Die Zuteilungsmentalität wirkt nach
Doch warum wird das immer mal wieder vergessen? Zunächst einmal ist die Vergesslichkeit historisch bedingt. Begleiterscheinungen der Industrialisierung hierzulande waren Urbanisierung und Bevölkerungswachstum. So wurden mehrere Generationen durch eine chronische Flächenknappheit geprägt, die sich mit den verheerenden Schäden des Zweiten Weltkriegs noch einmal zusätzlich verschärfte. Der Nutzer musste mit dem...