Einleitung
»Es gereicht uns zu hohem Troste, daß wir die Überzeugung im Herzen tragen dürfen, in unserer bedrängten Lage und dem wahrhaft männlichen Geiste E.k.k.H.1 diejenige Stütze zu finden zu haben, die uns aufrecht erhält und hoffen läßt, welche uns der Drang der Zeitumstände gebieterisch vorschreibt.« So schrieb der Stellvertreter des Banus2 von Kroatien im Juli 1848 an Erzherzogin Sophie, als dieser für seine durch die Revolution erschütterte Provinz eine Million Gulden benötigte.
Im Juni 1848 berichtete Graf Bombelles, Franz Josephs Erzieher, aus Innsbruck an den exilierten Fürsten Metternich: »Ihre Briefe und Ihre Denkschriften, mein Fürst, enthalten die wertvollsten Ratschläge. Ich habe mich beeilt, sie der Erzherzogin Sophie mitzuteilen. Sie und unsere engelsgleiche Kaiserin sind eigentlich die einzigen mannhaften Wesen.«3 Erzherzogin Sophie ist eine Persönlichkeit, die aufgrund ihrer Bedeutung aus der österreichischen Geschichte nicht wegzudenken ist. Welche Eigenschaften waren für Sophie charakteristisch? Lässt sich ihr Wesen tatsächlich aus den eingangs angeführten Aussagen von Zeitgenossen ablesen? War sie wirklich der einzige Mann am Wiener Hof oder die heimliche Kaiserin, wie viele Historiker sie apostrophierten? Hat man bei ihrer oft harschen Beurteilung zu sehr das liebliche Bild der Kaiserin Elisabeth (1837–1898), ihrer Schwiegertochter und Nichte, die sich nicht um die eigene hohe Stellung kümmerte, mit Sophies Charakter kontrastiert und Sophie damit zur bösen Frau und Schwiegermutter gestempelt, die angeblich Sisis Leben und deren Ehe mit Franz Joseph zerstörte? – Sophies Persönlichkeit ist sehr schwer objektiv zu fassen, weil die Quellenlage zu ihrem Leben trotz ihres umfangreichen schriftlichen Nachlasses Probleme aufwirft.
Manches muss daher durch die Bemerkungen Außenstehender über Sophie erschlossen werden. Auch die vorhandenen Briefe sind zu relativieren, da man sich den allgemeinen Tratsch sehr gern schrieb – so wie man in diesen Kreisen gern Konversation machte. Überdies waren Personen des Hochadels, aber auch Angehörige des Kaiserhauses beim Briefeschreiben gewissen Konventionen verpflichtet. Noch dazu fürchtete man die Zensur des Metternichschen Systems, die Sophie bewusst war, und besprach heikle Themen – wenn möglich – mündlich. Im Mai 1830 ergab sich eine Gelegenheit für Sophie, dem Prinzen Wallenstein, der nach München fuhr, einen Brief an ihre Mutter mitzugeben: »… ich nütze diese gute Gelegenheit, um Ihnen offen zu schreiben …«, lautete die Einleitung des Briefes.4 Zum ersten Mal konnte sich Sophie ungeschminkt brieflich über den katastrophalen Gesundheitszustand ihres Schwagers, des Kronprinzen, äußern (Kaiser Franz wollte Sophie verbieten, ihn zu sehen und sein entstelltes, verzerrtes Gesicht zu bemerken; denn er fürchtete schlimme Folgen für Sophies fortgeschrittene Schwangerschaft5). Selbst Sophies dreizehnjähriger Sohn war schließlich über die Bespitzelungen bei Hof gut informiert: »Der junge Erzherzog Franz Joseph sagte, daß es in allen Ständen geheime Policey gebe; auch bei Hofe seien Leiblakaien dieser Kategorie. Die höchsten Herrschaften selbst seien genau überwacht; ihre Briefe werden eröffnet. Als ich ihn fragte, wer ihm dies gesagt hatte antwortete er: Die Mama.«6
Von großer Bedeutung für die Beurteilung Sophies sind die Briefe von Therese Landgräfin zu Fürstenberg (1839–1920) an ihre Schwestern, die 1865 mehr nolens als volens die Stelle als Hofdame bei der Erzherzogin annahm. Sie erlebte das Schicksal so mancher Tochter aus adeligem Hause, die zwar Heiratsanwärter hatten, deren Väter aber nicht über die ausreichenden Mittel verfügten, um sie mit einer entsprechenden Mitgift zu versehen. Für solche Mädchen gab es nur diese Möglichkeit oder den Weg ins Kloster. Obwohl Therese Sophie mit der Zeit schätzen lernte, war die Landgräfin doch sehr unglücklich in diesem Dienst, denn sie vermisste ihre Familie: »Ihr wißt, dß. ich nur dem Körper nach hier bin. Doch darüber will ich nichts mehr sagen, es ist geschehen! und allein das Bewußtsein erfüllter Pflicht könnte einem entschädigen, wenn auch nicht ersetzen, was man lassen mußte … Gott, wie gern wäre ich mit Mama davongelaufen! als sie weg war fühlte ich mich so schrecklich allein!«7
Interessant ist, was Gräfin Helene Erdödy über die Erzherzogin in ihren Erinnerungen schrieb – schließlich stammte auch sie aus Bayern8, und sie und ihre Familie waren dem bayerischen Königshaus immer nahe gewesen: »Klug, ja das ist das Wort, das so recht auf diese seltene Frau mit der imposanten Erscheinung und dem schlichten, herzlichen Wesen paßte! Verständig und vernünftig war jedes ihrer Worte … In unseren Gesprächen mit der Erzherzogin wurde so manches Thema, wie gemeinsame Jugenderinnerungen, Reisen, Kunst-, Mode- und Erziehungsfragen berührt – sehr interessante und auf Verstand, Auffassungsgabe und Charakter der hohen Frau nur günstige Rückschlüsse gestattende Unterhaltungsstunden! Politischen Themen wich sie aber aus, wo es nur anging und wußte es wohl, warum! … Nie in ihrem Leben, sagte sie, habe sie den Menschen Übles gewollt oder zugefügt, nie in ihrem ganzen Leben, und sich auch niemals in Dinge gemischt, die sie nichts angegangen. Um Rat oder ihre Meinung gefragt hätte sie wohl … nicht die Antwort verweigert …«9 Obwohl die Gräfin 1867 Palastdame von Kaiserin Elisabeth wurde, bewahrte sie sich offenbar trotz der charmanten neuen Herrin ihre Urteilsfähigkeit.
Man kann annehmen, dass die Erzherzogin bei ihren jährlichen Treffen mit ihrer Mutter bis 1830 auch über die Zustände am Wiener Hof bzw. über ihre neuen Verwandten sprach. Überdies gibt es noch Material zu Erzherzogin Sophie im Geheimen Hausarchiv in München, in den Archiven in Dresden und Berlin. Von besonderer Bedeutung sind jedoch die Geheimen Notizen des Paters Joseph Columbus10, die dieser zwischen 1843 und 1848 niedergeschrieben hat, sowie die Tagebücher der Erzieher der ersten drei Söhne.11 Sie geben ungeschminkt Aufschluss über die Probleme in der erzherzoglichen Familie mit den pubertierenden Söhnen, über die Konflikte und Intrigen ihrer Erzieher, über Sophies politische Ansichten, über ihr Zögern einzugreifen sowie über die absolute Untätigkeit ihres Gatten. Aufschluss über diese problematischen Jahre geben zusätzlich die Tagebücher des Grafen Coronini-Cronberg, in denen vor allem die Konflikte unter den Erziehern sowie deren Ablehnung Bombelles’ immer wieder zur Sprache kommen, ebenso wie die unentschlossene Haltung von Erzherzogin Sophie, die offenbar ganz unter dem Einfluss des »Franzoß« stand.12
Was hat insbesondere Sophie zur kaiserlichen Unperson abgestempelt? Es waren vor allem die Erinnerungen von Marie Gräfin Festetics (1839–1923), die ab Dezember 1870 Hofdame Kaiserin Elisabeths war. Sie erzählte dem Historiker Heinrich Friedjung (1851–1920) über ihre Jahre bei der Kaiserin und sparte nicht mit Kritik an Erzherzogin Sophie. Allerdings ist hier klar festzustellen, dass die Gräfin alles Negative an Sophie nur aus dem Mund der Kaiserin gehört haben konnte – denn sie selbst hatte die Erzherzogin kaum gekannt, die bereits im Frühjahr 1872 verstarb. Treu ihrer charmanten Herrin ergeben, nahm Gräfin Festetics alles für bare Münze, was ihr Sisi erzählte. Zahlreiche dieser Vorurteile werden im Folgenden widerlegt. Als Beispiel sei hier angeführt, dass Sophie ihrer Schwiegertochter immer wieder deren Liebe zum Zirkus angekreidet hätte. Doch die kaiserliche Familie liebte diese Unterhaltungen, auch die Brüder des Kaisers und Sophie gingen dorthin – und sogar der Kaiser selbst: »Der Kaiser, der im Zirkus gewesen ist.«13 Später berichtete Sophie immer wieder in ihren Tagebüchern, Franz Joseph hätte Sisi in den Zirkus geführt.
Sophies Einfluss auf Franz Joseph und die Politik vor 1848 ist aufgrund ihrer Aufzeichnungen schwer nachvollziehbar. Sie hatte engen Kontakt mit Erzherzog Ludwig (1784–1864), der mit Fürst Metternich (1773–1859) und Kolowrat14 den Staatsrat bildete. Der Staatsrat hatte auf Wunsch von Kaiser Franz II. (I., 1768–1835) die Regierungsgeschäfte für seinen Sohn Ferdinand I. (1793–1875) zu führen. In den Dreißigerjahren war Sophie vor allem um das Wohl und Wehe ihrer heiß ersehnten Kinder besorgt; solange der alte Kaiser lebte, gab es für sie ja keinen Grund, sich mit Politik zu beschäftigen. Der Geburt ihres Erstgeborenen Franz Joseph (1830–1916) waren zahlreiche Fehlgeburten vorangegangen, die die junge Erzherzogin an ihrer Hauptaufgabe – gesunde Söhne zu gebären – beinahe schon hatten verzweifeln lassen. Die...