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E-Book

Muster der Sinnlichkeit

Die Zyklen weiblicher Sexualität

AutorElizabeth Davis
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783105613894
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Elizabeth Davis betrachtet die Sexualität der Frau aus einem Blickwinkel, der über Technik und Rollenverhalten hinausgeht: Alter und soziale und psychische Befindlichkeit beeinflussen in einem hohen Maße die Muster weiblicher Sexualität, die in bestimmten Zyklen abzulaufen scheinen. Die Autorin gibt einen Überblick über die weibliche Sexualität - hormonelle Einflüsse, natürliche Schwankungen der Lust während der Schwangerschaft und danach, die Auswirkungen der Wechseljahre und den Einfluß von Streß, Kummer und Beziehungsveränderungen. Elizabeth Davis ermutigt Frauen, ihre Sexualität zu ergründen, zu leben und auf ihren ureigenen Rhythmus zu vertrauen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Elizabeth Davis hat langjährig Erfahrung als Hebamme und Gesundheitsberaterin. Mit Unterstützung der amerikanischen Gesundheitsbehörde führte sie eine Untersuchung über Verhütungsmittel für Frauen durch. Seit 1980 berät sie Frauen in Fragen der gynäkologischen Gesundheit und Empfängnisverhütung. Elizabeth Davis ist mehrfache Mutter.

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Leseprobe

Kapitel 1 Frauen, Sexualität und Kultur


Wenn Ihre sexuellen Stimmungsschwankungen, Ihre Launen, Phantasien und Abneigungen manchmal ein Rätsel für Sie sind, dann ist dies ein Buch für Sie! Die Frauen in hochzivilisierten Gesellschaften verlieren zunehmend die Verbindung zu ihren natürlichen Rhythmen des sexuellen Begehrens, insbesondere weil diese Kulturen von männlichen Werten und Einstellungen beherrscht werden. Wir denken üblicherweise praktisch nur zu einem einzigen Zeitpunkt an die weiblichen sexuellen Rhythmen, und das auch nur negativ: Die menstruierende Frau ist etwas Unerwünschtes. Mit diesem und mit anderen Tabus, die sich um Schwangerschaft, die Wechseljahre und Sexualität im Alter ranken, werden wir uns später ausführlich befassen. Nehmen wir zunächst das vorliegende Problem wieder auf: Was ist das eigentlich – die Sexualität der Frau, ihre sexuelle Kraft?

Bevor wir diese Frage beantworten können, müssen wir betrachten, wie unsere Kultur unsere Ansichten über Sexualität im allgemeinen geprägt hat. Wir neigen dazu, alles in Schwarz-Weiß-Kategorien zu sehen, Schattierungen mögen wir nicht. Dies geht letztlich auf religiöse Grundvorstellungen zurück, nach denen es nur Gut oder Böse, Himmel oder Hölle, Gott oder den Teufel gibt. Diese vereinfachenden Glaubensvorstellungen setzen sich in unserer Gesellschaft und unseren Institutionen fort. Man braucht sich nur vor den Fernseher zu setzen und sieht, insbesondere in den Serien, nur Gute und Böse und kaum etwas dazwischen. Jahrelang haben amerikanische Filme heroische Gestalten verherrlicht, die sich vor allem durch einen Mangel an differenzierten Regungen auszeichneten. Das hat sich etwas geändert, insbesondere seitdem Frauen Drehbücher schreiben und Produzentinnen werden. Um unserer gewöhnlichen, zweidimensionalen Realität zu entfliehen, müssen wir die offenen und verdeckten sexuellen Botschaften, die täglich auf uns einprasseln, sorgfältig untersuchen.

Denken Sie einmal über die Märchen nach, die man Ihnen in Ihrer Kindheit eingetrichtert hat, besonders wenn Sie zur Nachkriegsgeneration gehören. Frauen sind tugendhaft, »die Männer sind alle Verbrecher«. Frauen wollen nicht soviel Sex wie die Männer, doch sie geben schließlich aus unterschiedlichen Gründen nach. Die Frau hat die Aufgabe, den Mann zu zähmen und zu unterwerfen, im allgemeinen durch Lug und Trug. Der Mann hat die Aufgabe, die Verantwortung zu tragen, und er allein hat den Spaß und das Sagen, so lächerlich und unvernünftig er sich auch aufführen mag.

Kein sehr angenehmes sozio-sexuelles Erbe, oder? Diese Unterstellungen sind unmenschlich und entwürdigend für beide Geschlechter. Sie vertiefen die kulturelle Geschlechtertrennung durch eine Definition von Sexualität, in der Mann und Frau sich wechselseitig ausschließende Gegensätze sind. Die Werbung hat stets vermittelt, daß Sex ein Kriegsschauplatz ist. Männer siegen durch Unterwerfung, Frauen durch Verführung und Unterwerfung. Natürlich dürfen Frauen auch ab und zu wütend werden oder sich verteidigen, doch ihre Stärke und Intelligenz darf die der Männer nicht in den Schatten stellen.

Unsere sozialen Normen hinsichtlich Sexualität drücken sich in unserer Sprache aus. Viele unserer »schmutzigen« Wörter für den Sexualakt sind Frauen eindeutig unangenehm, weil sie Sex als männlichen Aggressionsakt gegen die Frau darstellen. Darüber hinaus implizieren diese Wörter allesamt, daß Sex gleich Penetration sei, und demnach, daß der Penis und die Vagina die Hauptsexualorgane seien. Es gibt nur wenige umgangssprachliche Wörter für die weiblichen Sexualorgane und überhaupt kein allgemein gebräuchliches für die Klitoris. Dieses für die weibliche sexuelle Lust und Reaktionsfähigkeit zentrale Organ wird in anatomischen Darstellungen häufig weggelassen oder nicht bezeichnet; Frauen lernen das Wort »Klitoris« viel später als ein Junge das Wort für seinen Penis. Und bei den sexuellen Aktivitäten ist die männliche Reaktion die Norm, an der die weibliche gemessen und beurteilt wird. Wenn der Penis blutgefüllt ist, nennen wir ihn »erigiert«, die Klitoris jedoch »schwillt an«. Der Ausdruck »Vagina« kommt von dem lateinischen Wort für Schwertscheide oder für Hülse, wird also als wartendes und passives Behältnis für den Penis gedacht. Sheila Kitzinger, eine Autorität in Fragen von Geburt und weiblicher Sexualität, bemerkt dazu scharfsinnig, daß die Sprache zum Körper und zur Sexualität der Frau entweder schweige oder sie verdamme.[2]

Und all dies trotz der sexuellen Revolution. Worum ging es da eigentlich? Fragen der Technik hatten ein starkes Gewicht; die Pille schuf neue Möglichkeiten des sexuellen Experimentierens, unterstützt durch billigere und einfachere Abtreibungsmöglichkeiten. Nie zuvor in der Geschichte beherrschten junge Leute den Verbrauchermarkt so deutlich wie in den 60er Jahren. Sie waren eine Generation des Optimismus, der Zuversicht und der Hoffnungen, unbeeinträchtigt von Erinnerungen an Krieg oder Wirtschaftskrise. Die sexuelle Revolution schien anfangs vielversprechend, doch letzten Endes wirkte sie sich auf die beiden Geschlechter völlig unterschiedlich aus. Den Frauen eröffneten sich mehr Möglichkeiten des sexuellen Ausdrucks, doch zugleich hatten sie keine legitime Möglichkeit mehr, »nein« zu sagen. Die Männer dagegen bekamen endlich die Gelegenheit, sich nach Herzenslust sexuell zu betätigen, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Im Endeffekt hatten die Frauen (und die Beziehungen) eine noch größere Bürde zu tragen. Heute wissen wir, daß Sex nicht unbedingt Intimität erzeugt. Wenn wir die sexuellen Aktivitäten zu früh oder mangelhaft aufgeklärt beginnen, können sie sogar eine positive Entwicklung behindern. Die sexuelle Revolution hat den Frauen die Freiheit gegeben, eine selbstbestimmte Sexualität zu leben, doch wenn sie lieber ohne Sex leben wollten, wurden sie als komplexbehaftet oder sogar frigide abgestempelt. Die sozialen Normen männlicher Überlegenheit und männlichen Vorrechts blieben unverändert, so daß sich viele Frauen durch ihre Sexualität eher noch unterdrückter als befreiter fühlten.

Wenn ich mir die Lieblingspopsongs meiner Tochter anhöre, so vermitteln sie Botschaften wie die Erwartung, sexuell »alles auf die Reihe zu kriegen«, das heißt zügelloses und unverantwortliches Verhalten ihres Partners und ihre eigenen emotionalen Reaktionen zu kontrollieren. Für mich klingt das nicht gerade nach Befreiung! Auch bleiben Probleme wie Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaft und, sollte dieser Fall eintreten, wirtschaftliche Abhängigkeit an ihr hängen. Kein Wunder, daß heutzutage immer mehr Frauen sich sexuell stärker zurückhalten und die Entscheidung, mit einem Mann intim zu werden, sehr viel ernster nehmen.

Dem immer noch bestehenden Gegensatz zwischen den Geschlechtern liegt die Disharmonie männlicher und weiblicher Energien in uns zugrunde. Wir alle verfügen über Eigenschaften wie Kraft, Aggressivität und nüchternes, analytisches Denken, die traditionell als männlich gelten, ebenso über Verletzlichkeit, Sensibilität und Spontaneität, Eigenschaften, die traditionell als weiblich betrachtet werden. Auch dann, wenn wir beide Seiten unseres Wesens akzeptieren wollen, müssen wir fragen, was für Männer und Frauen spezifisch ist.

In dieser Hinsicht waren die Untersuchungen von Masters und Johnson 1966 eine Pionierarbeit; zum ersten Mal wurde die Orgasmusfähigkeit der Frau und die Bedeutung der Klitorisstimulation nachgewiesen. »Vorspiel« wurde ein feststehender Begriff. Obwohl viele Frauen finden, daß sie immer noch nicht genug bekommen, müssen sie zumindest ihren Partnern nicht mehr erklären, was das ist. Manche Fachleute nehmen jetzt sogar Anstoß an dem Ausdruck selbst, da er bedeute, daß alles, was nicht Penetration ist, nur einleitend sei und daher weniger wichtig. Daß Frauen ein Vorspiel brauchen und wünschen, kann jedoch als Ansatzpunkt dienen, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern genauer zu untersuchen. Jede Frau wird sagen, daß ihr das Vorspiel zwar körperlich wichtig ist, daß aber das Gefühl, begehrt und geliebt zu werden, mehr bedeutet. Wenn das Vorspiel sich in einer Atmosphäre von Liebe und Zärtlichkeit entfaltet, fördert es die körperliche Entspannung und Konzentration. Ohne die emotionale Komponente ist das Vorspiel möglicherweise kaum mehr als ein Aufreizen. Hier besteht also ein geradezu klassischer Gegensatz zwischen Männern und Frauen: Männer müssen Sex haben, um Nähe spüren zu können, Frauen müssen Nähe spüren, um Sex haben zu können.

Wieviel davon ist kulturell, wieviel biologisch bedingt? Gewiß, als diejenigen, die in erster Linie für den Nachwuchs und damit das Fortbestehen der Gesellschaft sorgen, brauchen Frauen Unterstützung, insbesondere bei der Versorgung der Kinder. In unserer Gesellschaft ist es traditionell die Aufgabe der Männer, für Sicherheit zu sorgen. Doch zu anderen Zeiten, in matriarchalen Kulturen sorgten die Frauen als Gruppe füreinander und die Kinder. Obwohl die Männer für das System wichtige Leistungen erbrachten, waren die Frauen nicht von ihnen abhängig. Es handelte sich um Agrargesellschaften, das Land war Gemeinbesitz und wurde gemeinschaftlich bestellt. Die Frauen bildeten den Mittelpunkt dieser Aktivitäten, ebenso der Kinderversorgung und -erziehung, und sie waren vor allem auf die Unterstützung anderer Frauen angewiesen. Die Männer spielten eine untergeordnete Rolle, es herrschte Polyandrie, die Vielmännerei, und die Frauen wußten nicht unbedingt, wer die Väter ihrer Kinder waren. In vielen dieser Kulturen war nicht einmal bekannt, daß die Männer für eine Empfängnis unabdingbar waren; sie vollzog...

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