Jimmys Geschichte
In meiner Schulzeit war ich immer „der Dicke“ in der Klasse. Bei sportlichen Aktivitäten war ich stets der Letzte, der in ein Team gewählt wurde, und wegen meines Gewichts wurde ich gnadenlos gehänselt. Fast jeder sah in mir einen Streber und Freak. Ich fühlte mich aus der Gemeinschaft ausgestoßen und musste Wege finden, mit dieser Ablehnung umzugehen. Ironischerweise glaubte ich, Essen könnte mein Leid lindern. Und so aß ich mehr und immer mehr. Meine Mutter war während des größten Teils meiner Kindheit alleinerziehend und wie viele Frauen in ihrer Lage immer knapp bei Kasse. Um den Magen ihrer beiden heranwachsenden Söhne und ihrer kleinen Tochter zu füllen, musste sie beim Einkaufen von Nahrungsmitteln auf jeden Cent achten – und dies bedeutete: kohlenhydratreiche, industriell bearbeitete Kost.
Hamburger, Pommes, Nudeln mit fetten Saucen, Schmelzkäse, billige Süßigkeiten und Knabbereien, Cola-Getränke und andere derart ungesunde Nahrung gehörten für uns Kinder zum Alltag. Es klingt wie ein Witz, wenn ich erzähle, dass meine Mutter damals versuchte, mit einer fettarmen Diät abzunehmen. Während wir Kinder dieses Junkfood futterten, knabberte sie an Reiskeksen, verzehrte Salate mit fettfreiem Dressing und fettfreie Eiscreme. Wir gaben ein wahrhaft merkwürdiges Bild ab, das ich aus heutiger Sicht nur zu gerne in einem Video festgehalten hätte.
Mit zunehmendem Alter konnte ich dann meine eigene Wahl in Sachen Ernährung treffen. Doch ich änderte nichts an dem Essverhalten, das ich von klein auf gelernt hatte. Darüber sollte sich niemand wundern. Manche Leute meinen, als Erwachsener müsse man doch wissen, was eine gesunde Ernährung ist. Das ist lächerlich, solche Erkenntnisse fallen nicht vom Himmel. Man isst einfach so weiter, wie man es von Kindesbeinen an kennt. In meinem Fall hieß das: weiterhin jede Menge Fastfood und anderes Zeug, das sich keineswegs als gesunde Nahrung bezeichnen lässt. Es ist fast schon überflüssig zu erwähnen, dass ich während meiner Studienzeit und bis Ende zwanzig immer dicker und dicker wurde und mein Stoffwechsel immer schlechter und schlechter.
Über Jahre versuchte ich, mein Gewicht zu reduzieren und gesund zu leben. Dabei setzte ich auf eine kalorien- und fettarme Diät und sportliches Ausdauertraining. Mein Versuch, auf diese Weise mein Übergewicht und meine gesundheitlichen Probleme in den Griff zu bekommen, hatte nur einen Haken: Weder meine Gelüste noch mein Hunger wurden befriedigt, ich blieb immer mit der Lust auf mehr zurück. Schließlich probierte ich alles aus, von Formula-Diäten über Abnehmpillen bis hin zu einer extrem fettarmen Diät, die ich machte, als mein ebenfalls übergewichtiger Bruder Kevin 1999 mit 32 Jahren innerhalb einer Woche mehrere Herzinfarkte erlitt, die ihn fast umbrachten. Als der nur vier Jahre Jüngere wusste ich damals, was die Glocke geschlagen hat: Um nicht das gleiche Schicksal wie mein Bruder zu erleiden, musste sich bei mir irgendetwas drastisch ändern. Aber was und wie?
Mit 27 Jahren verzehrte ich so gut wie kein Fett, naschte nur noch Marshmallows, weil dieses Schaumzuckerzeug kein Fett enthält. Ich griff damals nur noch zu Produkten, die sich als „fettarm“ oder „fettlos“ präsentierten, ohne zu wissen, ob das wirklich stimmte. Seit der fettarmen Diät meiner Mutter in den 1980er-Jahren war ich an den Gedanken gewöhnt: Fett ist dein größter Feind, für dein Gewicht und deine Gesundheit. In dieser Null-Fett-Phase nahm ich tatsächlich ab, aber eines verdammte mich immer wieder zum Scheitern: der Hunger.
Meine Frau Christine kann Ihnen ein Lied davon singen, dass ich nicht gerade der sympathischste Partner war, wenn mein Magen knurrte und ich einfach etwas essen musste. Wenn man jegliches Fett aus der Ernährung streicht, stellt sich der Hunger unweigerlich ein. Ich dachte, ich werde wahnsinnig. Heute weiß ich, dass mein Gehirn mich förmlich anschrie: Nimm Fett zu dir, sonst funktioniere ich nicht! Stattdessen unterdrückte ich dieses Verlangen und blieb eigensinnig bei der fettarmen Kost, die mir als die fast einzige Lösung für mein Gewichtsproblem erschien. Während ich tatsächlich etliche Pfunde an Gewicht verlor, verkümmerten die nicht in Zahlen messbaren Faktoren, die für den nachhaltigen Erfolg so wichtig sind: das Sättigungsgefühl, ein stabiles Gemüt, ein klarer Kopf sowie die geistige und körperliche Energie.
Nachdem ich mich neun Monate durch meine fettarme Diät gehangelt hatte, kam der Anfang vom Ende: Meine Frau Christine bat mich, ihr einen Hamburger aus einem Schnellrestaurant zu besorgen. Nach dem Motto „Einmal ist keinmal“ gönnte ich mir selbst eines der üppigen Exemplare. Nach den Monaten der Fettentbehrung konnte ich meinen Heißhunger einfach nicht mehr bezwingen. Den Rest der Geschichte muss ich Ihnen eigentlich gar nicht erzählen. Bei diesem einen Mal blieb es natürlich nicht. Im Lauf der darauffolgenden fünf Monate nahm meine Rebellion gegen die fettarme Diät Fahrt auf und ich verzehrte alles, was mir unter die Finger kam, ohne Rücksicht auf irgendeinen Nährwert. Wie vorherzusehen war, nahm ich jedes Gramm, das ich verloren hatte, wieder zu und es sattelten sich noch einige Kilos obendrauf. Die ganzen Anstrengungen waren für die Katz und ich stand wieder genau da, wo ich angefangen hatte.
Im Herbst 2003, kurz vor meinem 32. Geburtstag (in dem Alter hatte mein Bruder seine schweren Herzattacken), brachte ich das höchste Körpergewicht meines bisherigen Lebens auf die Waage: 150 Kilogramm. Mit meiner Größe von 1,91 Meter kam ich mit diesem Gewicht ganz gut zurecht, aber mit meiner Gesundheit ging es abwärts. Mein Arzt verschrieb mir Mittel gegen zu hohes Cholesterin, Bluthochdruck und Atembeschwerden. Ich saß ganz schön in der gesundheitlichen Klemme. Christine versuchte ständig, mich zu einer erneuten Diät zu überreden. Doch nach meinen Erfahrungen mit Diäten kam ich zu dem ernüchternden Ergebnis: Wenn Abnehmen und gesundheitliches Wohlbefinden fast ausschließlich Hunger, Entbehrungen und Frust bedeuten, bleibe ich doch lieber fett und glücklich und esse weiterhin, was ich will. Damit schlich sich eine höchst gefährliche Einstellung in meinen Kopf ein, die allerdings sehr viele Menschen haben, wenn es um eine gesunde Lebensweise geht.
Einige Ereignisse veranlassten mich 2003, doch noch einmal mein Gewicht und damit meine Gesundheit in Angriff zu nehmen. Damals gab ich als Aushilfslehrer Englischunterricht in einer Mittelschule. Während ich das Thema der Stunde an die Tafel schrieb, rief ein Junge laut in den Raum: „Mannomann, Herr Moore ist echt fett!“ Natürlich brach die ganze Klasse voller angehender Teenager in Lachen aus. Ich drehte mich um und lachte mit – nur um nicht zu weinen. Die unverblümte, schonungslose Bemerkung des Kindes traf ja den Nagel auf Kopf. Ich war wirklich fett, aber was noch viel schlimmer war: Mit einem so hohen Risiko für einen Herzinfarkt, wie mein Bruder ihn hatte, befand mich auf dem besten Weg, meine Gesundheit völlig zu ruinieren. Wenn ich mich nicht selbst frühzeitig ins Grab bringen wollte, musste ich etwas an meiner Lebensweise ändern.
Ein anderes Ereignis führte mir meine schlechte körperliche Verfassung drastisch vor Augen: Beim jährlichen Herbstfest unserer Kirchengemeinde vergnügten sich Kinder und Erwachsene an einer Kletterwand. Geschickt kletterten sie rauf und runter und ich sagte mir: „Das schaffst du mit links.“ Als ich an der Reihe war, legte man mir einen Sicherheitsgurt um und siegesgewiss machte ich mich an den Aufstieg. Doch meine Sternstunde an der Kletterwand war nur von kurzer Dauer. Schon nach zwei Schritten rutschte ich ab und verstauchte mir den Knöchel. Diese Niederlage vor den Augen so vieler Menschen gehört zu den peinlichsten Momenten meines Lebens. „Was ist bloß los mit dir, dass du noch nicht mal so eine kinderleichte Kletterwand packst?“, dachte ich beschämt.
Immer mehr Details beeinträchtigten meine Lebensqualität: Die Nähte meiner Hosen rissen auf. Um aus einem Sessel aufzustehen, brauchte ich Hilfe. Eine Reise mit dem Flugzeug oder ein Kinobesuch waren mir ein Graus, weil mein Hinterteil nicht in die Sitze passte, was mir missbilligende Blicke von wildfremden Menschen bescherte. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich dieses Mal eine Gewichtsabnahme bewerkstelligen könnte. Nach den schlechten Erfahrungen kam eine fettarme Diät nicht mehr infrage. Was könnte ich machen, um glücklich und zufrieden mein Essen zu genießen, abzunehmen und darüber hinaus etwas Gutes für meine Gesundheit zu tun? Solch eine Diät musste es doch geben!
Wie es der Zufall so wollte, schenkte mir meine liebe Schwiegermutter Libby an Weihnachten 2003 einen Diätratgeber, genau in dem Moment, als ich wegen meiner ernsthaften Probleme mehr denn je nach Lösungen suchte. Seit meiner Heirat mit Christine beglückte mich ihre Mutter an jedem Weihnachtsfest mit so einem Buch. Doch in diesem Jahr brachte das Geschenk einen Knalleffekt mit sich. Das Buch unterschied sich von allen anderen Ernährungsratgebern, die ich bis dahin gelesen hatte – und änderte mein Leben für alle Zeiten. Sein Titel lautete Diät-Revolution. Gut essen, sich wohlfühlen und abnehmen und der Autor war Dr. Robert C. Atkins!
Manches ist schon merkwürdig. Als ich 1999 während meiner nahezu Null-Fett-Diät abgenommen hatte, fragten mich viele Leute, ob ich die Atkins-Methode anwendete. Meine Antwort lautete immer: „Nein, das ist eine der ungesündesten Methoden zum Abnehmen. So eine Low-Carb-Diät würde ich nie machen.“ Nur knapp fünf Jahre später las ich Atkins’ Buch und fand heraus, worum es bei dieser Diätmethode eigentlich geht. Ehrlich gesagt, ausgehend von meinem Wissen...