3. Kapitel.
Die weltliche Macht des Papstes.
Man hat früher einmal die Fabel in Umlauf zu setzen versucht, der Bischof Sylvester I. hätte von Kaiser Konstantin, den er taufte, im Gegenzug ganz Italien und noch eine ziemliche Portion vom übrigen Abendland in einem geheimen Handel geschenkt bekommen. Der Blödsinn dieser Lüge ist aber längst selbst von den ersten und raffiniertesten Verteidigern des Papsttums zugegeben worden, denn Kaiser Konstantin und seine Nachfolger hielten an ihrer Herrschaft über Italien mit derselben Zähigkeit fest, wie nur irgendein Monarch an seinem Königtum. Auch betrachteten und behandelten sie den römischen Bischof nur als einen «geistlichen Hirten», nie aber als einen «weltlichen Herrn» oder gar als einen mit den Rechten eines weltlichen Fürsten Begabten! Dagegen ist es eine unbestrittene Tatsache, dass die erste christliche Kirche, welche Konstantin in Rom baute, von ihm mit vielen Ländereien beschenkt wurde, deren Verwaltung natürlich dem Bischof von Rom zustand. Auch andere Gotteshäuser, welche den ersten nachfolgten, wurden mit Ländereien dotiert und bald war es allgemeine Sitte, die Güter, welche ehemals zu den heidnischen Tempeln gehört hatten, den neuen Christenkirchen zuzuweisen. Dazu kamen noch die «Erbvermachungen» der Reichen und Großen, welchen die frommen Geistlichen keine Ruhe ließen, bis die betreffenden Testamente so ausfielen, wie sie sich dieselben wünschten. Kurz, das Grundeigentum der verschiedenen Kirchen vermehrte sich schon im 4. Jahrhundert so außerordentlich, dass man es in jener Zeit auf mindestens ein Zehntel des gesamten italienischen Grund und Bodens schätzte. Zudem wurde der Klerus vom Laientum vollständig unabhängig, weil er in finanzieller Beziehung selbstständig geworden war. Als der Reichste unter den Reichsten galt übrigens der Bischof von Rom, denn die unter seiner Verwaltung (Patrimonium)28 stehenden Güter umfassten zu Anfang des achten Jahrhunderts bereits einen bedeutenden Komplex und erstreckten sich weit über Rom und dessen nächste Umgebung hinaus, bis nach Unter- und Oberitalien, ja bis nach Sizilien und Korsika, und sogar bis nach Dalmatien, Gallien und den Küstenstrichen von Afrika. Sahen doch Kaiser Konstantin und seine unmittelbaren Nachfolger ihren Vorteil darin, die Macht des Christentums und seiner Träger zu heben, um dadurch die Macht des Heidentums auf das sich alle Gegenkaiser stützten, zu vernichten! Aus denselben Gründen beschenkte der fränkische König Chlodwig, nachdem er zum Christentum übergetreten war, den Bischof von Rom mit Liegenschaften und sogar mit einer goldenen, mit Edelsteinen besetzten Krone, die den Wert einer Königskrone hatte! Und die Herren Oberpriester von Rom wussten, wenn es mit dem Erwerb eines Gutes auf gewöhnliche Art (durch Schenkung, Legat usw.) nicht ging, auch andere Hebel in Bewegung zu setzen und z. B. durch falsche Besitztitel oder unterschobene Testamente (wie so einige Prozesse und Klagen jener Zeit beweisen) sich die Ländereien anzueignen, nach denen sich ihr Herz sehnte!29 Obwohl aber diese Güter sehr bedeutend gewesen sein mussten30, hatten sie nur den Charakter von «Privateigentum». Überdies waren die Päpste nicht einmal die Grundbesitzer, sondern sie durften sich nur am Ertrags dieser Güter, welche den Kirchen gehörten, erfreuen, und von einer Gerichtsbarkeit, von einer weltlichen Souveränität, war keineswegs die Rede. Diese blieb vielmehr, was die italienischen Güter anbelangt, dem Kaiser, und in Bezug auf die in Gallien gelegenen Patrimonien den fränkischen Königen, wie man aus den Briefen Papstes Gregor des Großen, sowie aus anderen zeitgenössischen Dokumenten ersehen kann.
Jedoch sollte es durch die Klugheit der römischen Bischöfe, welche die Zeitumstände zu nutzen verstanden, bald anders kommen. Im Jahre 330 unter Kaiser Konstantin wurde das alte Byzanz unter dem Namen Konstantinopel zur zweiten Hauptstadt des Reichs erhoben und das römische Kaisertum spaltete sich später in zwei Kaiserreiche, das abendländische und das morgenländische, von denen das erstere (mit dem Sitz zu Rom) unter dem letzten Kaiser Romulus Augustulus zugrunde ging. Von dieser Zeit an war Italien in verschiedene Herrschaften zersplittert und gerade die Päpste sorgten dafür, dass es zersplittert blieb! Denn ihre Politik – der Fluch Italiens – zielte von Anfang an darauf ab, jenes schöne Land durch die Zerteilung in verschiedene, aufeinander eifersüchtige und miteinander in Zwietracht lebende Herrschaften in steter Ohnmacht zu erhalten, damit sie selbst in Bezug auf ihre weltlichen Interessen umso leichtere und reichere Beute machen könnten!
In Oberitalien hatten sich, nachdem verschiedene germanische Völkerschaften während der Völkerwanderung Italien besucht hatten, im Verlauf des sechsten Jahrhunderts die Langobarden bleibend festgesetzt und die Stadt Pavia zu ihrem Königssitz erhoben. Mittelitalien nebst Neapel und Kalabrien, sowie auch die große Insel Sizilien, ehe diese den Sarazenen anheimfiel, gehörte den byzantinischen Kaisern (die Generale Belisar und Narses hatten das Land wieder erobert), welche einen Statthalter oder «Exarchen» in Ravenna sitzen hatten.31 Ravenna wurde nämlich zur Hauptstadt des dem Kaiser von Konstantinopel angehörenden Teiles von Italien erkoren und man nannte das Land um Ravenna herum (die jetzige Romagna) das Exarchat, weil es von den Exarchen persönlich verwaltet wurde. Untergouverneure saßen zu Rom, zu Neapel, zu Gaeta, zu Amalfi usw., und da sie den offiziellen Namen «Duces» (Herzoge) führten, so hießen die von ihnen verwalteten Provinzen Ducate. Nur allein die fünf Küstenstädte Ancona, Sinigaglia, Fano, Pesaro und Rimini nebst den dazugehörenden Landen erhielten die Bezeichnung Pentapolis oder «der Fünfstädtebezirk», wurden aber ebenfalls von einem Unterstatthalter im Namen des Exarchen regiert. All dieses Land, also bei weitem der größere Teil Italiens, gehörte den morgenländischen oder griechischen Kaisern, während nur der kleinere obere Teil der Halbinsel im Besitz der Langobarden war; aber diese Kaiser waren meist schwächliche Herrscher, wie denn das griechische Kaisertum selbst langsam dahinsiechte, um am Ende total zu verfaulen. Somit hatten die Exarchen in Ravenna, weil sie von Konstantinopel keine oder nur wenig Hilfe bekamen, einen sehr schweren Standpunkt gegen die stets ruhelosen und eroberungssüchtigen Langobarden und mussten die Verteidigung des Landes sozusagen dem Land selbst, d. h. seinen Bewohnern und Grundbesitzern überlassen. Nun war aber der Bischof zu Rom einer der größten, wenn nicht der größte Grundbesitzer im kaiserlichen Italien und musste also schon aus diesem Grund sein Möglichstes zur Abwehr der grausamen Räuber und Zerstörer, als welche sich die Langobarden erwiesen, beitragen. Dazu kam noch ein besonderer Grund. So lange nämlich Rom von einem Dux unter dem Exarchen von Ravenna regiert wurde, konnte sich der römische Bischof viel herausnehmen und sich in manchem eine Gewalt anmaßen, die ihm nicht gebührte. Der Exarch brauchte ja seine Hilfe gegen die Langobarden und der in Konstantinopel residierende Kaiser war zu weit entfernt und zu machtlos, um alle und jede päpstliche Übergriffe ahnden lassen zu wollen oder zu können! Wenn es aber dem Langobardenkönig gelang, ganz Italien sich zu unterwerfen, so musste natürlich die Abhängigkeit von diesem ganz in der Nähe residierenden Monarchen eine völlig andere und weit drückendere sein, als die vom Exarchen zu Ravenna, und von einem weltlichen Herrschertum, dessen Keime in den Päpsten eben zu wuchern begannen, wäre da nie und nimmer die Rede gewesen. Der Einigung Italiens unter den Langobarden musste also um jeden Preis vorgebeugt werden, und somit taten dir römischen Bischöfe oder Päpste alles, was sie konnten, um deren Weitervordringen zu verhindern. Ja, sie opferten sogar bedeutende Summen, um auf eigene Faust Soldaten zu werben oder die kaiserlich-griechischen Truppen zu besolden, und als besonders eifrig hierin kann Gregor der Große (590-604) bezeichnet werden, auf dessen hohe geistige Gaben und unbeugsame Willenskraft, durch welche er die Idee des Papsttums auf die außerordentlichste Weise förderte, wir in einem späteren Kapitel zurückkommen werden. Freilich – umsonst tat er es nicht, sondern er verlangte, dass ihm für seine guten Dienste die weltliche Gerichtsbarkeit über seine Grundholden und die Befugnis, die weltlichen Ämter in den Landstrichen, in welchen der Bischof von Rom Patrimonien eignete, zu besetzen, vom Kaiser eingeräumt würden. Überdies gewöhnte er durch seinen kräftigen Widerstand gegen die Langobarden die Römer und Mittelitaliener daran, sich in weltlichen Nöten lieber an ihn, als an den Exarchen oder gar den Kaiser von Konstantinopel zu wenden, von denen sie doch keine Hilfe erhielten.
Nun trat noch ein weiteres Ereignis ein, welches die Zwecke der römischen Bischöfe ungemein förderte. Unter dem Pontifikat Gregors II. (715-731) nämlich brach der berüchtigte...