2. -Strategie: Bringen Sie sich auf Kurs
Das Thema Beschwerdemanagement ist in der Betriebswirtschaft nicht neu. Nach wie vor bleibt jedoch der Eindruck, dass auf dieser Ebene in den meisten Unternehmen im besten Fall experimentiert wird. Somit bleiben nicht nur wiederholt gemachte Erfahrungen für Verbesserungsthemen ungenutzt, sondern auch die Frühwarnindikatoren zur Unternehmungssteuerung sind noch weitestgehend unerkannt. Doch ein gutes Beschwerdemanagement bietet strategische Argumente und wirkt sich auf Aspekte aus, die die Unternehmungsführung aufhorchen lassen. Durch diese zukunftsweisende Rolle gewinnt das Beschwerdemanagement an Führungsattention. Zwischen Beschwerdemanagement und folgenden strategischen Handlungsfeldern besteht eine Wechselwirkung.
1. Compliance Ihrer Prozesse
Compliance bedeutet die Einhaltung der geplanten Prozesse, die sich wiederum auf geltende gesetzliche Vorschriften und interne Regelungen stützen. Die Führung unterliegt der Pflicht, das Unternehmen so zu organisieren, dass Prozesse eingehalten und damit Abweichungen und gesetzliche Verstöße vermieden werden. Es müssen außerdem Prozesse eingeführt werden, um Missbräuche und Verstöße nach Möglichkeit auszuschließen und Risiken einer Haftbarkeit bzw. Strafbarkeit zu vermeiden.
Das Beschwerdemanagement kann Ihnen in spezifischen Kundenrückmeldungen Hinweise auf regelwidriges Verhalten geben. Ein »Sonder-Prozess« sollte sicherstellen, dass diese Fälle unmittelbar nach der Erfassung an den Process Owner und den Compliance-Manager zur Weiterbearbeitung weitergeleitet werden.
Kundenrelevante Beschwerden:
Servicebereitschaft (Erreichbarkeit)
Produkte (Eignung, Konditionen, Qualität, Sicherheit)
Abbildung 5: Erfolgskette der Kundenorientierung, Brun, 2009
Kundenberatung, Information
Vertragsabwicklung
Compliance-relevant:
Persönliche Interessenkonflikte
Verletzung des Verhaltenskodex
Verletzung von Kunden- oder Geschäftspartnerrechten
Verletzung von Sicherheitsbestimmungen
Möglicherweise strafbare oder bußgeldbedrohte Vorgänge
Mögliches Interesse von Aufsichtsbehörden
Sonstige Rechtsverstöße
Außerdem ist ein systematisches Beschwerdemanagement eine sinnvolle Basis für nachweisbares Kundenzufriedenheitsmanagement. Dieses Unternehmungsziel wird in verschiedensten Regularien auf seine Erfüllung und Konformität auditiert.
2. Effektive Servicequalität für den Kunden
Gehäufte Beschwerden sind ein Indikator zur Analyse von Qualitätsproblemen und deren Ursachen. Sind diese einmal identifiziert, sind systematische Verbesserungen der internen Prozesse einzuleiten.
Beschwerdemanagement erhöht somit die Qualität der Kundenbeziehung, stellt Beschwerdezufriedenheit her und bindet Kunden mit gekonnter Gesprächsführung, indem die Wirkung beim Kunden auf der emotionalen Ebene erfolgt.
3. Effiziente und kostengünstige Bearbeitung
Nicht nur der Aufwand für die Bearbeitung von Beschwerden, die Kosten für die Wiedergutmachung und die Folgekosten von Eskalationen werden reduziert.
Die strukturierte Vorgabe von Kategorien für Beschwerdegründe und deren Ursachen ist ein wirkungsvoller Hebel für die Effizienz. Selbst wenn die Lösung individueller Beschwerden sich nicht standardisieren lässt, wirken bestimmte Vorgaben und Handlungsspielräume für den Sachbearbeiter beschleunigend und verringern die Zahl der Beschwerden, die intern eskaliert werden müssen.
4. Wissen um die eigenen Kunden und Innovationen
Das Beschwerdemanagement liefert außerdem wertvolle Informationen über die Kundenerwartungen und die Markthaltung zum Produkt oder zur Dienstleistung. Nicht nur Prozesse können dadurch verbessert werden, es ist ein Innovationsindikator und eine Alternative zu Aktivitäten zur Kundenbindung. Denn das Zeitalter der Digitalisierung von Geschäftsmodellen ist angebrochen und Ihr Mitbewerber ist nur einen Mausklick entfernt. Da dürfte die Suche nach alternativer Kundenzufriedenheit und Kundenbindung – nebst denen aus dem klassischen Customer Relationship Management – und das Beschwerdemanagement wieder an Interesse gewinnen. Denn beides sind psychologische Variablen für den wirtschaftlichen Erfolg.
Entwicklung und Wahl der Beschwerdestrategie
Die Wahl der Beschwerdestrategie ist komplex in den Überlegungen. Es lohnt sich aber, diese Überlegungen initial zu machen. Denn diese dürften sich, solange Sie Ihre Unternehmungsstrategie nicht grundsätzlich neu schreiben, so schnell nicht ändern. Und ich darf auch daran erinnern, dass das der Masterplan ist, sollte es Ihrem Unternehmen einmal nicht gelungen sein, die Kundenzufriedenheit zu erreichen.
Als ersten Schritt beantworten Sie die Frage, welches primäre Ziel Sie mit dem Beschwerdemanagement verfolgen möchten.
Abbildung 6: Strategischer Bezug des Beschwerdemanagements
Ist es die Kundenbindung, die Sie damit anstreben (Fokus auf Kunde und Kulanzhandlungen als Standard), oder
eine kosteneffiziente Abwicklung (Fokus auf Effizienz)?
Als Nächstes überlegen Sie sich, wie die Umsetzung bezüglich Priorität und Gewichtung künftig erfolgen soll.
Liegt der Fokus auf dem Umgang mit Kunden (Fokus extern) oder
auf den internen Prozessen (Fokus intern)?
Daraus ergibt sich die Basisstrategie mit folgenden Optionen:
1. Beschwerdefabrik
2. Beziehungsverstärker
3. Qualitätssicherer
4. Zufriedenheitslabor
Möchten Sie sich nicht nur auf je einen internen und externen Strategietyp beschränken und ziehen Sie es vor, aus jeweils einer extern und einer intern ausgerichteten Strategie zu wählen, benötigen Sie eine sogenannte hybride Strategie.
Die hybride Strategie besteht aus vier Teilen. Sie können die beiden Basisstrategien mit externem Fokus jeweils mit den beiden intern fokussierten Basisstrategien verbinden. Da aber, über das Gesamte betrachtet, ein durchgängiges Strategieziel angestrebt werden soll, empfehle ich, der Einfachheit halber die Wahl entweder auf die effizienzorientierte oder die kundenorientierte Strategie zu beschränken.
Abbildung 7: Strategietypen des Beschwerdemanagements nach Bernd Stauss und Wolfgang Seidl
Abbildung 8: Hybride Strategietypen des Beschwerdemanagements nach Bernd Stauss und Wolfgang Seidl
Efficiency-First-Strategie
Entscheiden Sie sich für die effizienzorientierte Strategie, legen Sie den Fokus Ihrer Strategie folgendermaßen:
Sie betreiben kosteneffizientes Abwickeln von Beschwerden mit einer auf die Qualitätssicherung begrenzten Informationsnutzung.
Problemlösungs- und Informationsdienstleistungen werden in minimaler Form mit möglichst wenig Aufwand und Kosten betrieben.
Customer-First-Strategie
Entscheiden Sie sich für die kundenorientierte Strategie, legen Sie den Fokus Ihrer Strategie folgendermaßen:
Sie erklären Kundenzufriedenheit zur grundlegenden Zielgröße. Dafür sorgt einerseits die Wiederherstellung der Kundenzufriedenheit aus dem direkten Beschwerdemanagementprozess.
Andererseits möchten Sie wesentliche Impulse für eine kundenorientierte Ausrichtung Ihres Unternehmens aus den Beschwerdeinformationen erhalten und das Unternehmen danach ausrichten.
Das Beschwerdemanagement muss
in einen größeren Unternehmungskontext
eingegliedert werden.
Nun, da Sie wissen, welche Kriterien für die Wahl Ihrer Strategieform infrage kommen, gleichen Sie diese mit der übergeordneten Unternehmungsstrategie ebenfalls ab. Dafür können Sie die Umfeldanalyse und/oder die Unternehmungsanalyse als Grundlage heranziehen. Diese geben wertvolle Informationen im Abgleich mit Ihrer getroffen Wahl für die Beschwerdemanagementstrategie.
Dies ist nun der letzte Schritt vor Ihrer finalen Wahl der Beschwerdestrategie. Sie lernten die verschiedenen Basisstrategien kennen und dürfen nun prüfen, ob Ihre aktuelle Wahl die aktuellen und künftigen zu erwartenden Anforderungen erfüllen kann bzw. nirgends entgegengesetzt verläuft.
Nicht selten erlebe ich in Strategieworkshops mit Führungskräften, dass durch den gewonnenen Schwung eine Wahl für das Beschwerdemanagement getroffen wird, die die übergeordnete Unternehmungsstrategie nicht durchgängig mitträgt. Falls sie dies nicht tut, dann müssen Sie Ihre Beschwerdestrategie überdenken. Denn die Unternehmungsstrategie ist der Anker für...