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In diesem Kapitel
Grundlagen zum richtigen Stehen und Bewegen in der Selbstverteidigung
Der Aufbau einer Schutzhaltung
Einführung in die Idee einer »Flatrate«
Einführung in einfache, aber effektive Techniken für die Selbstverteidigung
Ein Überblick über Ziele am menschlichen Körper
In meinen Kursen werde ich immer mal wieder nach der »einen Technik« gefragt. Die Teilnehmer meinen damit die eine Technik, die jeden Angriff abwehren und jeden Kampf entscheiden kann. Kurz, sie meinen die eine Technik, die ihnen Sicherheit gibt.
Leider gibt es diese eine Technik nicht. Jede Situation ist anders und jeder Mensch ist anders. Da an einem Kampf mindestens zwei Personen beteiligt sind, verkompliziert sich die Situation noch.
Was ich Ihnen in diesem Kapitel anbieten möchte, ist eine Auswahl sehr einfacher, aber sehr effektiver Techniken. Probieren Sie diese Techniken aus und üben Sie diese. Verstehen Sie dabei diese Anleitung nicht als der Weisheit letzten Schluss, sondern vielmehr als Ausgangspunkt Ihrer persönlichen Reise. Sollten Sie im Rahmen Ihrer Übungen feststellen, dass bestimmte Techniken für Sie besser funktionieren als andere, dann üben und verwenden Sie diese.
Die Techniken selbst sind so gewählt, dass sie ein komplettes System ergeben. Sollten Sie mit einer Technik aber individuelle Probleme haben und feststellen, dass sie einfach nichts für Sie ist, dann suchen Sie nach einer Alternative. In Kapitel 3 bis 5 finden Sie die gezeigten Techniken in Anwendung und Variationen und auch Ideen für Alternativen.
Bevor ich Ihnen jetzt irgendwelche Schlag- oder Tritttechniken zeige, möchte ich Ihnen das wohl Wichtigste in der Selbstverteidigung nahebringen: einen vernünftigen Stand und die Fähigkeit, sich sicher zu bewegen.
Wie bei jeder körperlichen Betätigung gibt es auch in der Selbstverteidigung und deren Training gewisse Regeln, die Sie beachten sollten.
Grundsätzlich sollten Sie sich vor einem Training der hier gezeigten Techniken ausreichend aufwärmen.
Die Techniken selbst sind – durch ihre Natur bedingt – nicht ungefährlich. Sie können sich selbst und andere mit diesen Techniken verletzen. Üben Sie diese Techniken also immer mit dem nötigen Sicherheitsbewusstsein.
Beachten Sie beim Erlernen der Techniken zumindest folgende Grundsätze:
Vom Einfachen zum Speziellen
Vom Leichten zum Komplizierten
Vom Langsamen zum Schnellen
Gerade durch die langsame Ausübung von Techniken können Sie diese besonders gut erlernen. Denken Sie daran: Langsam ist geschmeidig und geschmeidig ist schnell!
Ob Sie die Übungen in der Luft üben, an einem Sandsack oder gar an einem Partner, bleibt Ihnen überlassen.
Meine Empfehlung ist in der Luft – also ohne Widerstand – zu üben, um die Technik zu verfeinern.
Mit Partner können Sie dann – natürlich ohne Kontakt – üben, diese Techniken zu verschiedenen Zielen auszuführen.
Abschließend können Sie die Techniken dann – mit Widerstand – an einem Sandsack oder wie auf unseren Bildern an einem Dummy trainieren.
Hier stehe ich…
Ein stabiler Stand ist die Grundvoraussetzung für jede effektive Selbstverteidigung. Dies hat drei Gründe:
Ihr Körper kann Treffer besser »wegstecken«.
Ihre Techniken sind stärker und damit effektiver.
Die Wahrscheinlichkeit, am Boden zu landen, verringert sich drastisch (vergleiche Kapitel 5).
Es gibt viele Stellungen, die in einem Kampf Sinn machen können. Ich konzentriere mich hier auf die einfachsten und effektivsten.
Neutrale Stellung
Die neutrale Stellung sollte Ihrer Haltung entsprechen, wenn Sie entspannt und unvorbereitet sind. Für das Training heißt das, dass die Füße etwa schulterbreit auseinander stehen und die Arme locker an den Seiten hängen.
Um einen möglichst stabilen Stand zu erreichen und entsprechend den Empfehlungen in Kapitel 1 zur Körperhaltung, sollten Sie auf Folgendes achten:
Oberkörper gerade
Schultern leicht zurückziehen
Blick geradeaus oder leicht ansteigend
Beide Füße sind komplett aufgestellt
Knie leicht anwinkeln
Füße sind dabei parallel oder minimal nach innen zeigend (Fußaußenkanten parallel)
Füße etwa hüftbreit auseinander
Körpergewicht ist zwischen beiden Beinen gleich verteilt
Diese Haltung sollten Sie im Training aus drei Gründen üben:
1. Sie werden in dieser oder einer vergleichbaren Stellung sein, wenn Sie überraschend angegriffen werden.
2. Sie werden feststellen, dass Angriffe aus der (sehr) nahen Distanz in dieser Stellung nicht mehr abzuwehren sind, und dadurch Ihr Gefahrenradar verbessern.
3. Für die meisten Menschen ist die neutrale Stellung nicht entspannt einzunehmen. Gerade die Schultern hängen meist. Durch die Verwendung der Stellung im Training betreiben Sie Körperschule und gewöhnen sich an, diese Stellung in entspannten Situationen automatisch einzunehmen.
Schrittstellung
Ein Zwischenschritt zwischen der neutralen Stellung und einer aktiven Verteidigungsstellung ist die Schrittstellung.
Die Schrittstellung unterscheidet sich nur durch die Position der Beine von der neutralen Stellung. Konkret ist ein Bein vorgestellt. Bei Rechtshändern wird dies meist das linke Bein sein, bei Linkshändern das rechte.
Bei der Schrittstellung beachten Sie bitte zusätzlich zu den Punkten bei der neutralen Stellung, dass:
Sie den vorderen Fuß in Richtung des Ziels ausrichten, in der Regel nach vorne.
Sie den hinteren Fuß grundsätzlich auch nach vorne ausrichten, er darf dabei aber leicht nach außen zeigen.
Sie die Distanz zwischen den Oberschenkeln nicht zu groß werden lassen (Trittgefahr).
Rechnen Sie mit einem Angriff oder sind Sie wie in Kapitel 1 beschrieben in einem Zustand der gespannten Aufmerksamkeit, sollten Sie diese Stellungen so anpassen, dass Sie die Arme hochnehmen. Wie Sie dies am besten tun, erfahren Sie im nächsten Abschnitt.
Ihr Schutzschild: Arme hoch
Die Verteidigung gegen Angriffe erfolgt im Wesentlichen mit Ihren Armen und Beinen. Angriffe unter der Gürtellinie wehren Sie dabei bevorzugt mit den Beinen ab, Angriffe über der Gürtellinie mit den Armen.
Der wichtigste Körperteil, den Sie dabei schützen müssen, ist Ihr Kopf mit Ihrem wichtigsten Organ, dem Gehirn. Damit sind Ihre wichtigsten Schutzschilde Ihre Arme.
In einer Selbstverteidigungssituation wird Ihr Angreifer häufig die nahe Distanz suchen, um Ihre Verteidigungsmöglichkeiten einzuschränken. Wie in Kapitel 1 beschrieben kann dies etwa dadurch erfolgen, dass der Angreifer ein Gespräch mit Ihnen sucht und sich an Sie »heranredet«. In anderen Fällen – etwa bei Festivitäten mit großen Menschenmengen – kann diese Nähe auch anders entstehen, zum Beispiel durch Antanzen.
In der nahen und sehr nahen Distanz ist eine Verteidigung nur noch sehr schwer umzusetzen. Ihre Reaktion wird immer langsamer sein als die Aktion eines Angreifers. Dies gilt insbesondere, wenn Sie den Angriff erst über die Augen wahrnehmen müssen. Sind Ihre Arme sogar noch unten – wie in der neutralen Stellung –, ist eine Verteidigung in dieser Distanz kaum mehr möglich.
Um Ihre Chancen auch in der nahen Distanz zu verbessern, sollten Sie daher die Hände möglichst nach oben bringen. Dies hat gleich mehrere Vorteile:
Die Strecke, die die Arme zurücklegen müssen, um Ihren Kopf zu schützen, verkürzt sich.
Bei korrekter Haltung sind die Arme auch ohne Bewegung im Weg eines Angriffs zum Kopf und bieten einen gewissen Schutz.
Bei einer Abwehr nach unten kommt Ihnen die Schwerkraft und Biomechanik zu Hilfe.
Gibt es einen Kontakt zwischen dem Angriff des Gegners und Ihren Schutzschilden, dann können Sie sich der taktilen Wahrnehmung bedienen, Sie spüren also den Angriff; dies funktioniert – mit einiger Übung – schneller und besser als über das Sehen.
Also Arme nach oben bringen, aber wie?
Ich möchte Ihnen vier Möglichkeiten vorstellen:
1. Die versteckte Schutzhaltung
2. Die normale Schutzhaltung
3. Die Schutzhaltung bei »Waffen«
4. Die Notfallschutzhaltung
Die versteckte Schutzhaltung
Natürlich können – und sollten – Sie nicht immer direkt in eine Kampfstellung gehen, nur weil sich ein anderer Mensch in Ihre...