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Letzte Bibliotheken

Reflexe eines schwindenden Zeitalters

AutorKonrad Heyde
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783743146099
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Plötzlich ist klar: Ein Goldenes Zeitalter der Bibliotheken, wie es ehrgeizigen Bibliothekaren und optimistischen Bildungs- und Kulturpolitikern manchmal vor Augen stand, wird nicht kommen. Der bescheidene Fortschritt der Bibliotheksentwicklung ist schier unbemerkt in Rückschritt übergegangen. Gelegentliche Berichte über neu eröffnete Bibliotheken täuschen darüber hinweg; sie beschreiben euphorisch die herausragende Architektur und berauschen sich an Bildschirmarbeitsplätzen, Selbstverbuchungsanlagen, Mediensortiergeräten und elektronischen Leitsystemen, von Büchern ist keine Rede. Unter Bibliothekaren verbreitet sich eine Ablehnung des Buchs. Sie wollen Bibliotheken in Treffpunkte, Veranstaltungszentren und Erlebnisorte verwandeln. Die Tendenz, dass Bibliothekare nichts mehr mit Büchern und Bibliotheken zu tun haben wollen, wird immer offensichtlicher. Das dürftige Zeitalter der Bibliotheken läuft aus. Gerade im Niedergang entdeckt Konrad Heyde Aspekte, die bisher kaum beachtet wurden, aber deutlich machen, dass Bibliotheken, auch wenn sie dem Ende entgegengehen, immer noch interessante Einrichtungen sind.

Konrad Heyde, geboren 1940, Diplom-Bibliothekar, 1982-2003 Leiter der Staatlichen Fachstelle für das öffentliche Bibliothekswesen Freiburg.

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Leseprobe

Mitbringsel: Bibliotheksbeispiele der europäischen Nachbarn

▶ Das Buch in portugiesischer Sprache (den Titel erinnere ich nicht), das den Architekten Maximilian Lixa vorstellt, ein typisches Architekturbuch (mehr Raum für Abbildungen als für Texte) und wohl eher eine Selbstdarstellung des Architekten, der, um das zu kaschieren, einen Freund als Autor oder Herausgeber gewinnen konnte – ein in der Branche verbreitetes Publikationsverfahren. Unter den vorgestellten Planungen war auch ein besonderes Bibliotheksprojekt: die Überbauung der 1900 Jahre alten, bestens erhaltenen großen römischen Brücke im Zentrum des nordportugiesischen Städtchens Chaves mit einer Bibliothek in Glas (hervorragend verschattet). Der Kontrast könnte nicht extremer sein: die wuchtige Schwere der massiven Steinbrücke, die leichte, zerbrechliche, fast hingehauchte Bibliothek (dargestellt durch Fotos von einem Architekturmodell vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Stadt). – Maximilian Lixa präsentierte sein Buch in der einzigen Buchhandlung in Chaves, gleich bei der Brücke. Da ich wegen der Brückenbibliothek das Buch kaufte und mit ihm ins Gespräch kam (er hat zwei Semester in Aachen studiert), hat er die Widmung hineingeschrieben: »Für die Bibliotheksplaner in Freiburg. Max Lixa.« – (Von Lixa gibt es einen weiteren, ebenfalls nicht umgesetzten Entwurf für eine Brückenbibliothek. Auf dem Gelände der Weltausstellung 2008 in Saragossa befindet sich herausragende Architektur von internationalen Stararchitekten, darunter das als Brückengebäude spektakulär über den Ebro gelegte Kongresszentrum Pabellón Puente von Zaha Hadid, in dem ihr eigentümlichen Design: »Hochgeschwindigkeitsarchitektur«. Mit seinem Entwurf beteiligte sich Lixa 2011 an einem Wettbewerb zur Umnutzung dieses Bauwerks in eine Bibliothek; er enthält u. a. farbige Zeichnungen auf großformatigen, leicht überbelichteten und darum aufgehellten Schwarz-Weiß-Fotos.) – Das ist wohl oft das Schicksal von Ausstellungsarchitektur: Wenn sie nicht gleich abgerissen wird, weil sie einfach zu interessant ist und dann keine angemessene Nutzung findet, dämmert sie immer schäbigerem Ende entgegen. Das trifft auch auf Zaha Hadids 1999 auf dem Gelände der Landesgartenschau in Weil am Rhein errichteten, »Beschleunigen und Abheben« darstellenden Landespavillon Baden-Württemberg zu, in dem damals die Fachstelle die Ausstellung »Literaturland Baden-Württemberg« präsentierte und das heute zur Vorbeugung gegen Vandalismus mit Pressspanplatten zugeschraubt ist.

▶ Ein weiteres Mitbringsel: Das riesige Plakat (etwa 9 Meter breit und 3,5 Meter hoch) zur Eröffnung des Neubaus der Stadtbibliothek in Olhão, einer portugiesischen Kleinstadt (15.000 Einwohner, der größte Fischereihafen an der Algarve), zeigt einen Teil der neuen Bibliotheksfassade über die die Zeile gelegt ist (auf Deutsch etwa): »Die neue Bibliothek wird eröffnet: am 15. Mai«. Das Plakat war bereits monatelang vor der Eröffnung an mehreren Stellen, die den Charakter von Eingängen zur Stadt hatten, auf eigens errichteten Plakatwänden zu sehen, an einem verkehrsreichen Kreisverkehr, auf dem Bahnhofsplatz, im Hafen bei den beiden Markthallen etc. Und in der Bibliothek konnte es gekauft werden, seine sechs Teile gefaltet im Pappschuber.

▶ Noch ein Mitbringsel: Die Eröffnungsbroschüre der neuen Stadtbibliothek von Mariehamn (knapp 10.000 Einwohner), dem Hauptort der Ålandinseln (insgesamt 28.000 Einwohner), einem Archipel mit 7000 Inseln und Schären (nur die paar größten bewohnt) auf einer Fläche von 100 x 100 km am Eingang zum Bottnischen Meerbusen zwischen dem finnischen Festland und Schweden gelegen, eine finnische Provinz, schwedischsprachig. Verteilt über zwölf Jahre war ich acht Mal zu einem je vierwöchigen Urlaub mit Faltboot und Zelt dort: von Mariehamn aus aufs Meer und in die Wildnis und nach vier Wochen wieder zurück in die Zivilisation nach Mariehamn. Durch die Paddelurlaube konnte die Entwicklung der Stadtbibliothek verfolgt werden, die zuerst in einem Hotelfoyer untergebracht war und dann einen repräsentativen Neubau (1800 m2) in bester Lage erhielt. Von den beeindruckenden Daten, die in der Broschüre über die Bibliothek mitgeteilt wurden, sind mir nur noch die Öffnungszeiten präsent: 54 Stunden in der Woche (im Winterhalbjahr zusätzlich 4 Stunden am Sonntag) und darüber hinaus die Zeitschriftenabteilung mit weiteren sechs Stunden. Die Zeitschriftenabteilung war nach Rückkehr von der Paddeltour stets Anlaufstelle; denn hier gab es nicht nur 300 laufend gehaltene internationale Zeitschriften, sondern auch 25 Tageszeitungen, darunter drei deutsche, mit denen die vierwöchige Informationsabstinenz wieder einigermaßen aufzuholen war. – Es ist nicht weiter verwunderlich, dass in einem Bericht über eine Bibliotheksreise durch Finnland der Autor diese Bibliothek nicht als kommunale Einrichtung erkennt und das schwedische Wort »Stadsbibliotek« nicht mit »Stadtbibliothek« übersetzt, sondern, aus seiner Kenntnis deutscher Bibliotheksverhältnisse heraus, sie als »Staatsbibliothek« interpretiert.

▶ Und ein letztes Mitbringsel: die Eröffnungsbroschüre der neuen Bibliothek in Anglet, einem Ort mit über 30.000 Einwohnern, an der Côte d’Argent zwischen Biarritz und Bayonne. Zum Gemeindegebiet gehören 5 km Strand vom Feinsten; und darum hat der Ort in den Sommerferien 130.000 Einwohner. Die Besonderheit der Bibliothek ist eine in der Ferienzeit betriebene Zweigstelle am Strand. Über diese Strandbibliothek lag der Eröffnungsbroschüre eine kleine Scheibe mit einem vierminütigen Film bei. Der Film ging so: erste Minute: ein ganz langsamer Schwenk der Kamera über den weiten leeren Strand, man hört den Wind und in der Ferne die Brandung; die beiden nächsten Minuten: hektische Aktivität in Zeitraffer, unterlegt mit schneller, aufgeregter Musik, man sieht, wie mit großer Anstrengung auf dem Strand vier Eisbuden zusammengeschoben werden, eilig werden Bücher aus Regalen genommen, in Kisten gepackt, auf Sackkarren weggeschoben, in einen Geländewagen verladen, der rast zum Strand und über den Strand, die Kisten landen in den Eisbuden, über die wird ein Schild genagelt: »Bibliothéque des plages«; letzte Minute: ein ganz langsamer Schwenk der Kamera über den weiten Strand, voller Menschen, Geräusche von Badebetrieb und Strandleben, die Kamera fängt die Strandbibliothek ein und dann eine fröhliche Warteschlange mit hunderten Menschen, die sich in der Bibliothek versorgen wollen. – Der Film hat die Leiterin der Stadtbibliothek Radolfzell angeregt, im Sommer im städtischen Strandbad eine Zweigstelle zu betreiben, darüber hat sie berichtet und das hat dann weitere Bibliothekssommeraktivitäten verursacht: Bibliotheksentwicklung durch anschauliches Beispiel.

▶ Die CD mit dem Spielfilm Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek des französischen Regisseurs Eric Rohmer aus dem Jahr 1992. Es ist symptomatisch für die rasante Entwicklung der Bibliotheken in Frankreich, dass ein berühmter Regisseur die Mediathek als begehrenswertes Ziel eines renommiersüchtigen Bürgermeisters behandelt.

▶ Die CD mit den zwei Kurzfilmen (Nocturnes) des argentinischen Regisseurs Antonio Lucca nach den Erzählungen Das Sandbuch und Tlön, Uqbar, Orbis Tertius von Jorge Luis Borges (produziert Ende der 70er-Jahre): phantastisch, düster, manieristisch, kafkaesk, Vorbild könnte Das Cabinet des Dr. Caligari gewesen sein. (Geschenk einer argentinischen Bibliothekarin, die im Rahmen einer vom Deutschen Bibliotheksinstitut organisierten Informationsreise die Fachstelle in Freiburg besuchte).

Denkanstöße

▶ Der chronologische Abriss der deutschen Literaturgeschichte Daten deutscher Dichtung von Herbert A. Frenzel und Elisabeth Frenzel, ein Standardbuch jeder Bibliothek, besonders von Schülern wegen der Kurzcharakteristika literarischer Werke gern genutzt, und die Reflektion der dazu völlig konträren und umso erfrischenderen Sicht im Essay Die kurze Geschichte der deutschen Literatur von Heinz Schlaffer, Pflichtlektüre für jeden Bibliothekar.

▶ Der von Friedrich Karl Gottlob Hirsching 1786-1791 veröffentlichte Reiseführer Versuch einer Beschreibung sehenswürdiger Bibliotheken Teutschlands nach alphabetischer Ordnung der Städte als Nachdruck des Jahres 1971. Der Autor beschreibt die Zustände von Bibliotheken, die er selbst besucht hat, nach Größe, Aktualität, Zusammensetzung der Bestände, finanziellen Möglichkeiten, personeller Besetzung, Unterbringung, Zugänglichkeit, Nutzung, Katalogen, Erwerbungen, Entwicklung usw. In der ausführlichen Beschreibung der Bibliotheken in Freiburg im Breisgau kann man über die Universitätsbibliothek lesen: »Diese Bibliothek hatte schon mancherley Schicksale, ward viele Jahre hindurch oft aus Betrügerey neu eingerichtet, und zerstückt, bis sie endlich alle ihre Schätze, die sie hatte, verlor. Gelehrte Diebe raubten da...

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