Immunologie
Was passiert denn nun im Pferd?
Wir wissen, dass es sich beim Sommerekzem um ein allergisches Geschehen handelt. Allergien sind Überreaktionen unseres Immunsystems auf Allergene. Im Fall des Sommerekzems handelt es sich um eine Allergie gegen Inhaltsstoffe des Speichels von Culicoides-Mücken. Es ist eine Allergie vom Typ-1, die mit besonders starkem Juckreiz einhergehen kann. Eine Beteiligung am Sommerekzem kann auch bei einer Allergie vom Typ 4 möglich sein. Da es jedoch meist um eine Typ 1-Immunreaktion geht – und das allein ist auch schon kompliziert genug –, beschränken wir uns darauf, diese Mechanismen zu erklären.
Zum Sommerekzem hat fast jeder etwas zu sagen, eine Idee oder sogar die Lösung (verkäuflich) zu bieten. Mein Anliegen ist es, Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. Dichtung sind dubiose Allergietests, die mit freien Antikörpern arbeiten, die auch noch unzureichend charakterisiert sind; Dichtung sind ebenso alle bisherigen Versprechen, die Allergie ursächlich zu behandeln oder gar zu löschen. Dichtung ist leider bisher jedes Heilungsversprechen. Wahrheit sind die täglich zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dieser Allergie.
Die Sensibilisierung
Wichtig ist zu unterscheiden zwischen vorhandener Sensibilisierung und klinischer Ausprägung. Ohne Sensibilisierung gegen Insektenantigene kann kein Sommerekzem entstehen. Ist eine Sensibilisierung auf der Ebene des Immunsystems einmal entstanden, so ist die wichtigste Voraussetzung zur Entwicklung der Sommerekzem-Symptome erfüllt. Ein Pferd mit Sensibilisierung kann ein klinisches Sommerekzem entwickeln, muss dies aber nicht. Die Sensibilisierung kann sich zwar verändern, aber sie kann bisher nicht kontrolliert oder dauerhaft abgeschaltet werden. Auch bei Pferden, die wegen eines Ekzems ans Meer gestellt wurden und dort keine Symptome zeigen, ist die Sensibilität nach Jahren noch vorhanden.
Alle therapeutischen Möglichkeiten setzen bisher in dem Rahmen zwischen Sensibilität und klinischer Ausprägung an. Ziel der Forschung kann und wird ein Verstehen des Reaktionsmechanismus, eine genaue Kenntnis der Immunglobuline des Pferdes und schließlich eine Beeinflussung der Erkrankung durch gezielte Immunmodulation sein.
An der Tierärztlichen Hochschule in Hannover gibt es eine Arbeitsgruppe, die weltweit führend ist in der Untersuchung von Immunsystem und Allergien beim Pferd. In Zusammenarbeit mit der Tierklinik Austerlands (Island), der Abteilung Allergologie des Paul Ehrlich Institutes und Wissenschaftlern in den USA gibt es ständig neue Erkenntnisse und Veröffentlichungen über diese sehr komplizierte Materie. Die Wissenschaftler arbeiten, soweit es die finanziellen Mittel erlauben, auf Hochtouren. Dank der Unterstützung vieler aufgeschlossener Pferdebesitzer haben sie Erfolg.
Das Sommerekzem ist eine Allergie vom Typ 1, die mit extremem Juckreiz einhergeht – wie man immer wieder bei den betroffenen Pferden sieht. (Foto: Hoppe)
Die Immunabwehr
Jeder Organismus muss sich permanent gegen Angriffe von außen wehren. Mithilfe von Eindringbarrieren muss er in der Lage sein, sich zu schützen, und er muss gegen dennoch eingedrungene „Feinde“ gezielt vorgehen (Immunabwehr). Der für uns im Zusammenhang mit dem Sommerekzem interessante Teil ist die Immunabwehr. Der Organismus muss zwischen „körpereigen“ und „körperfremd“ unterscheiden, Fremdes erkennen, festhalten und bekämpfen. In der Haut, in die der Speichel der Mücke eindringt, befinden sich „Wächterzellen“, die aktiviert werden, wenn sie den fremden Stoff erkennen. Diese Wächter rufen dann durch Botenstoffe andere Zellen zu Hilfe, die sich an der Vernichtung des eingedrungenen Fremden beteiligen. Diese Reaktion ist im Prinzip erwünscht und notwendig. Das eindringende Fremde heißt bei normalen Immunreaktionen Antigen, bei überschießenden Immunreaktionen nennt man es Allergen. Diese Bezeichnung ist nicht vom Stoff selbst abhängig, sondern von der (Über-)Reaktion des Organismus. Die überschießende Immunreaktion und ihre spürbaren Folgen ist die von uns beobachtete Allergie.
Ohne Sensibilisierung kein Ekzem: Ein Pferd, das noch nie mit den auslösenden Mücken in Kontakt gekommen ist, zeigt keine Symptome, auch wenn die Neigung vorhanden ist. (Foto: Hoppe)
Damit von den „Wächterzellen“ etwas Fremdes überhaupt erkannt werden kann, benötigen sie sogenannte Antikörper. Antikörper sind sozusagen Schablonen, in die Fremdes eingepasst wird, um so spezifisch erkannt zu werden. Antikörper werden bei Bedarf vom Organismus produziert und befinden sich zuerst frei im Blut. Freie Antikörper werden produziert, tun ihre Arbeit (oder auch nicht) und verschwinden wieder. Bei erneutem Kontakt mit demselben Fremden können sie eventuell schneller hergestellt werden. Einige Antikörper können sich an unsere Wächterzellen andocken, weil diese mit geeigneten Aufnahmemolekülen ausgestattet sind. Man nennt sie dann membranständige Antikörper. Diese geben den Wächterzellen die Möglichkeit, ein Antigen (oder ein Allergen) spezifisch zu erkennen. Die Reaktion der Wächterzelle in Form der Ausschüttung von (unter anderem Juckreiz auslösenden) Botenstoffen findet nur statt, wenn die Wächterzellen genug sensibilisierende Antikörper an ihrer Oberfläche besitzen, um das Fremde spezifisch zu erkennen. Die einzelnen membranständigen Antikörper werden dabei zum Teil vernetzt (Bridging). Auf diesem Prinzip beruhen die später beschriebenen In Vitro-Tests (siehe Seite 31). Freie Antikörper können ebenso wenig eine Allergie auslösen wie Wächterzellen ohne sensibilisierende membranständige Antikörper.
Die ausgeschütteten Botenstoffe führen unter anderem zu einer Erweiterung der kleinen Blutgefäße der Haut. Aus den Blutgefäßen tritt Flüssigkeit in das umgebende Gewebe, ein entzündliches Ödem entsteht. An den freien Enden sensibler Nerven entsteht eine Reaktion, die als Juckreiz wahrgenommen wird. Alle Symptome des Sommerekzems entstehen sekundär dadurch, dass das betroffene Pferd diesem Juckreiz nachgibt und sich kratzt.
Der Mechanismus einer Allergie vom Typ 1
Der Mechanismus einer Typ-1-Allergie zeigt Folgendes: Zuerst gelangt das Allergen im Körper in sogenannte Fresszellen. Diese zerlegen diese Allergene in Bruchstücke und zeigen die Bruchstücke anderen Immunzellen (Angeber!). Die anderen Immunzellen (T-Lymphozyten) sehen das und machen ordentlich Alarm (schütten Botenstoffe aus), sodass noch mehr und noch andere Immunzellen (B-Lymphozyten) vorbeikommen, um sich das anzuschauen. Sie bilden dann Antikörper und lassen diese frei, damit sie sich an die Oberfläche noch anderer Immunzellen binden können. So sind membranständige Antikörper entstanden, die den so bewaffneten Zellen erlauben, ein Allergen spezifisch zu erkennen. Ob Pferde solche funktionellen Antikörper überhaupt haben, also generell sensibilisiert sind, kann man messen.
Bei einer Allergie wie dem Sommerekzem setzen die Wächterzellen Botenstoffe frei, die an den Nervenenden der Haut den Juckreiz auslösen – mit den bekannten Folgen. (Foto: Slawik)
Bei Jungpferden bildet sich eine generelle Sensibilisierung schon in den ersten Lebensmonaten. Das zurzeit bei der Überprüfung der speziellen Sensibilisierung gegen die Mücke verwendete Antiserum kann nicht alle funktionellen Antikörper erkennen, die die allergische Reaktion auslösen. Die Vermutung liegt nahe, dass es noch (mindestens) einen bisher unbekannten Immunglobulin-Isotyp gibt, der hier beteiligt ist.
Die spezifische Reaktionsbereitschaft lässt sich bei erwachsenen Pferden mit Sommerekzemsymptomatik mit dem Test FIT (siehe Seite 31) ganzjährig messen. Allerdings reagieren einige Pferde im Test positiv, die keine Symptome zeigen. Auch das hat seine Ursache darin, dass wir noch nicht alle Immunglobulin-Isotypen kennen.
Interessant ist auch Struktur und Vorkommen dieser Antikörper oder Immunglobuline. Beim Menschen vermitteln vor allem Immunglobuline vom Typ E (IgE) eine Allergie, aber auch bestimmte Immunglobuline vom Typ G (IgG) sind wichtig. Hier gibt es meist nur Tests, die auf allergenspezifisches IgE beschränkt sind. Beim Pferd spielen neben IgE auch IgA und IgM eine Rolle, wie beim Menschen und bei anderen Tieren. Zudem bildet das Pferd, wie die Forscher an der Tierärztlichen Hochschule herausfanden, wahrscheinlich sechs Typen von IgG. Es ist wahrscheinlich, dass außer IgE noch andere Immunglobuline an der Allergievermittlung beim Sommerekzem beteiligt sind, doch wissenschaftlich belegbar ist das bis heute nicht. Anders als beim Menschen kennt man Struktur und Funktion der einzelnen Immunglobulintypen des Pferdes bis heute nur sehr unzureichend. Der Hannoverschen Forschungsgruppe ist es gelungen, erstmals reines Pferde-IgE zu entwickeln und dessen Struktur und Funktion zu erforschen. Auch IgG1 und IgG4 sind bereits aus Pferdeserum erkennbar und isolierbar. Erst wenn alle Immunglobuline des Pferdes erforscht sind, kann auch ihre Bedeutung bei der Entstehung des Sommerekzems erkannt werden.
Man kann natürlich auch das Allergen, den Mückenspeichel (oder die Mücke als Ganzes?), noch weiter erforschen. Was genau löst...