Irene Somà
Gender Studies und Geschichtswissenschaften in den Untersuchungen zu Frauen in der klassischen Antike. Der Beitrag der Epigraphik
Altertumswissenschaften waren bis zu den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts „reine Männersache“:40 Die wichtigsten Gelehrten, die sich damit beschäftigten, waren Männer, und sie interessierten sich grundsätzlich für politisch-institutionelle oder militärische Themen, in denen Frauen kaum einen Platz fanden.41 Diese wurden lediglich in Studien über das ‚Privatleben‘ (beziehungsweise in juristisch ausgerichteten Forschungen über Familie und Ehe) thematisiert; eine solche Tendenz zeigt sich deutlich in den monumentalen Werken des 19. Jahrhunderts,42 wobei es die damalige deutsche Forschung war, die die Kerngedanken im Raum der Altertumswissenschaften formulierte. Die Wirkmacht dieser großen Tradition blieb lange ungebrochen und auch die AutorInnen der neuesten Studien setzten sich zuerst mit Nachschlagewerken wie der 1837 von August Friedrich Pauly gegründeten „Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft“ (RE)43 auseinander.
Mein Beitrag will zunächst einen zusammenfassenden Überblick über die Herangehensweisen und die Ergebnisse der wichtigsten Publikationen in Bezug auf Frauen in der klassischen Antike geben, ohne jedoch den Anspruch zu erheben, die Bibliographie zu einem so breiten Thema vollständig abzubilden. Der Abriss fokussiert, in chronologischer Anordnung, auf die Veränderungen der aufeinanderfolgenden Perspektiven und die Methoden der Forschungsarbeiten, mit dem Ziel, die jeweils vorherrschende wissenschaftliche Richtung herauszuarbeiten. Der zweite Teil des Aufsatzes konzentriert sich dann auf die wichtige Rolle der epigraphischen Quellen, die in den Studien über antike Frauen immer öfter als grundlegend betrachtet werden. Nach einer kurzen Ausführung zur Vielfalt der aus den Inschriften zu gewinnenden Informationen werden einige spezifische Beispiele von epigraphischen Quellen über die römischen Kaiserfrauen präsentiert, die ich für meine Dissertation „Die Augustae im städtischen Alltag zwischen dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr.“ zusammengestellt habe.44 Diese basiert auf den griechischen und lateinischen epigraphischen Quellen über die Kaiserfrauen von Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.) bis zur Severerzeit (193–235 n. Chr.).45
Der Fokus auf die epigraphischen Zeugnisse entsprach dem Ziel, das oft stereotypisierte Porträt dieser Frauenfiguren, das die literarischen oder numismatischen Quellen zeichnen, zu ergänzen oder sogar zu verändern. Im Mittelpunkt der Fragestellung standen die Absichten, mit denen die StifterInnen ein beschriftetes Denkmal einer Frau des Kaiserhauses widmeten: Es wurden in den Inschriften Indizien für eine besondere Beziehung zwischen Kaiserfrauen und UntertanInnen gesucht. Dabei wurde vor allem auf den Kontext und den Grund der Weihungen Augenmerk gelegt, falls diese rekonstruierbar waren. Leider haben sich auch die meisten epigraphischen Dokumente über die Augustae sowohl in der Formulierung als auch im Inhalt als standardisiert ergeben; manche prägnanten Inschriftentypen widerspiegeln jedoch die hervorragende Rolle und die Popularität einiger Kaiserfrauen im öffentlichen, manchmal auch im privaten Raum. Dank dieser Belege werden das Leben und Wirken von Frauen der wissenschaftlichen Forschung unter einem neuen Licht zugänglich und überhaupt erst sichtbar. Daher verstehen sich solche epigraphisch fokussierten Auseinandersetzungen als ein notwendiger Schritt, um die Grundlagenforschung im Bereich der althistorischen Frauen- und Geschlechterforschung voranzutreiben.
Frauen als Forschungsobjekte in den Altertumswissenschaften: ein Überblick
Grundlegend für eine kritische Reflexion über die Stellung der Frauen innerhalb der Alten Geschichte war das Werk „Das Mutterrecht“ des Juristen und Historikers Johann Jakob Bachofen, 1861 in Stuttgart publiziert. Obwohl die Theorie des ursprünglichen Matriarchats überholt ist, muss ihm der Verdienst zuerkannt werden, zum ersten Mal über Macht und Herrschaft in Bezug auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern gearbeitet zu haben. Aus seinem reichhaltigen Werk konnten die nachkommenden Denker die verschiedensten Anhaltspunkte für ihre eigenen Vorstellungen finden: Die marxistische Historiographie setzte den Akzent auf das Matriarchat als alternatives Modell in Bezug auf die bürgerliche Familie, während politisch rechts orientierte Kritiker den endgültigen Sieg der Männerherrschaft unterstrichen.46
Nur einzelne und exzeptionelle Frauenfiguren des Mythos, der Literatur oder der Geschichte genossen eine dauerhafte Beachtung in Kunst und Literatur und wurden schon früh eigens untersucht. Den betreffenden AutorInnen fiel es jedoch schwer, sich von stereotypen Porträts sowie von einer anekdotenhaften Darstellungsweise zu befreien.47 Das Thema ‚große Frauen‘ ist noch heute bei einem breiten Publikum beliebt: Auch freie SchriftstellerInnen setzen sich mit den Biographien der Kaiserfrauen auseinander, wie beispielsweise Jasper Burns48 mit seinem Werk „Great Women of Imperial Rome: Mothers and Wives of the Caesars“.49
Erst in den 1960ern und 70ern rückte das Interesse in den Vordergrund, auch die antiken Frauen der ‚niederen‘ Gesellschaftsschichten zu erforschen und ihren Alltag zu rekonstruieren. Diese Anliegen wurden einerseits von der ‚methodischen Revolution‘ motiviert, welche die Annales-Schule50 seit den 1930er-Jahren in die Geschichtswissenschaft eingeführt hatte, mit ihrem Fokus auf Umwelt, soziale Kontexte und Mentalitäten. Die Forschungen wurden durch eine enge Zusammenarbeit mit Nachbardisziplinen wie der Soziologie und der Anthropologie durchgeführt und deren Ergebnis war eine Abwendung von Ereignisgeschichte, von Politik-, Diplomatie- und Militärgeschichte.
Andererseits stand eine grundlegende Wende in der Perspektive der althistorischen Studien über Frauen mit dem Feminismus der 1960er- und 70er-Jahre im Zusammenhang. Aus diesem Anliegen heraus entstand das Pionierwerk von Sarah B. Pomeroy, „Goddesses, Whores, Wives, and Slaves: Women in Classical Antiquity“,51 während die französische Studientradition mit der Lehre von Louis Gernet fortgeschritten ist. Zwei Jahre nach seinem Tod widmete ihm sein Schüler Jean-Pierre Vernant in Paris das „Centre Louis-Gernet“, das seit 1964 bis heute eines der wichtigsten Institute für Altertumskunde ist.
Von ForscherInnen, die sich Frauen in der Antike zum Gegenstand gemacht hatten, wurden aber schon seit Langem die Gefahren einer feministisch geprägten Analyse betont: Altertum kann nicht mit modernen Ansprüchen und Deutungsmethoden studiert werden,52 ohne die Konsequenz zu ziehen, dass Frauen nur Außenseiterinnen oder aber immerhin unterdrückte Mitläuferinnen in den antiken Gesellschaften waren.53 Die ‚Emanzipation‘, die ein beliebter Begriff der damaligen Historiographie war,54 wurde in der Tat im Altertum nie erreicht. Wie Michelle Perrot feststellte, wurde die Geschichte der antiken Frauen hauptsächlich auf eine „historie […] du malheur féminin“ reduziert.55
Die Fehler einer modernistischen Deutung der Antike waren grundsätzlich zwei: das verführerische Postulat einer Kontinuität der Situation von Frauen von der Antike bis heute und ein Werturteil als integraler Bestandteil der Frauenforschung, die je nach persönlicher Ansicht des/der jeweiligen HistorikerIn sogar zu widersprüchlichen Schlussfolgerungen führen konnten. Der in der griechischen Mythologie beschriebene Selbstmord der Alkestis zugunsten ihres Mannes wurde zum Beispiel sehr unterschiedlich beurteilt: als Beweis ihrer Treue und als ethisches Modell, als Ausdruck der Liebesehe oder, im Gegenteil, einfach als Ausdruck von weiblicher Einfalt.56
Die Perspektivenverschiebung von Frauengeschichte zur Geschlechtergeschichte in den 1980er-Jahren brachte unter anderem ein gewisses Gleichgewicht zwischen Frauen und Männern sowohl als Studienobjekte als auch als agierende Subjekte der Geschichte hervor; außerdem wurden deren gesellschaftliche Rollen und relative Positionierungen differenzierter beleuchtet. So wurde ein besseres Bild der antiken Gesellschaften erreicht und die Dynamik von sozialen Verhältnissen (darunter auch von den Beziehungen zwischen Männern und Frauen) geklärt. Dadurch ergab sich deutlich, dass die im Fach der Alten Geschichte ‚traditionelle‘ Gleichsetzung von Frauen und ‚Privatem‘ beziehungsweise Männern und ‚Politischem‘ nicht ausreichte, um die komplexe Situation der Frauen im Altertum zu erklären.57
Die Debatte war aber nicht abgeschlossen und führte in den letzten Jahrzehnten zu zwei verschiedenen Untersuchungsmethoden in Bezug auf das klassische Altertum: die eine, poststrukturalistisch orientiert, konzentriert sich auf die Prozesse, durch die eine kulturelle Definition der Geschlechter entsteht; die andere, welche im deutschsprachigen Raum besonders beliebt ist, wendet sich der Rekonstruktion von historischen Realitäten durch eine philologisch-historische Analyse der Quellen zu.58
In beiden Fällen muss eine Dominanz von literarischen Zeugnissen als Forschungsbasis festgestellt werden, welche mehr oder weniger durch Bemerkungen über ikonographische Quellen ergänzt wurden. Das hat meines Erachtens zwei Gründe: Einerseits ist es einfacher, in den antiken literarischen Werken die Mechanismen der gender construction und eventuell auch wiederkehrende Schemen und Topoi zu erkennen und nachzuzeichnen. Andererseits speist sich die Dominanz literarischer...