Nahezu jede Erscheinung der Gesellschaft kann Teil soziologischer Untersuchung werden. Aber kein Thema ist vollkommen neu. In der ersten explorativen Phase wurde aufgrund dessen ein Überblick über den bisherigen Forschungsstand erstellt, vorhandenes Material, das verschiedene zentrale Aspekte des Forschungsgegenstandes tangiert, zusammengetragen und akkumuliert, um so dem Thema der Untersuchung einen Rahmen zu verleihen.[305] So wurde das „theoretische Fundament“[306] der Arbeit definiert. Die vorliegende Arbeit soll auf dieser Grundlage Formen der Integration von Muslimen in Deutschland vor allem im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest aufdecken. Bereits vorhandene Lektüre und sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse, die die Integration von Muslimen in Deutschland zum Gegenstand haben, weisen dahingehend jedoch Lücken auf. Eher selten stehen subjektive Meinungen und Erfahrungen von Migranten selbst im Fokus migrationssoziologischer Untersuchungen. Dies betrifft auch Erfahrungen von Muslimen mit einem so zentralen Ereignis wie dem jährlichen Weihnachtsfest. Dieser Aspekt der Integration bildet das Zentrum der weiteren Arbeit.[307]
Die vorliegende Arbeit greift auf Techniken der qualitativen Methode zurück. Qualitative Forschung empfiehlt sich immer dann, wenn es „um die Erschließung eines bislang wenig erforschten Wirklichkeitsbereichs («Felderkundung»)“[308] geht. Mithilfe von qualitativer Forschung wird Zugang zu empirischem Material geschaffen, was auch als „methodisch kontrolliertes Fremdverstehen“[309] verstanden wird. Im Gegensatz zu quantitativen Forschungen (große Fallzahlen) ist qualitative Forschung durch geringe Fallzahlen „näher [am untersuchten Forschungsgegenstand; L.F.] dran“.[310] Vor allem das Neue und Unbekannte hat qualitative Forschung zum Gegenstand. Sie ist dementsprechend offen für individuelle Lebenswelten, da mithilfe des qualitativen Forschungsansatzes Zugänge zu subjektiven Sichtweisen geschaffen werden. Diese stehen im Vordergrund der Untersuchung.[311] Qualitative Forschung versucht die soziale Wirklichkeit („kollektive, also allgemein gesellschaftliche Verhaltensmuster“[312]) zu rekonstruieren[313] und greift dafür auf (thematisch betroffene) Personen als „Informationsquelle“ zurück.[314]
Mithilfe einer gewählten Stichprobe geht es bei qualitativer Forschung nicht darum repräsentative, auf die Grundgesamtheit verallgemeinerbare Ergebnisse zu erlangen. Vielmehr ist es von Bedeutung „die Typik des untersuchten Gegenstandes zu bestimmen“.[315] Die gewählte Stichprobe sollte den Forschungsgegenstand inhaltlich repräsentieren.[316] Die ausgewählten Fälle müssen „für eine bestimmte Population, Grundgesamtheit oder einen bestimmten (kollektiven oder allgemeinen) Sachverhalt stehen.“[317] Es können verschiedene Formen des Samplings genutzt werden, wobei sich diese Arbeit am sogenannten „Schneeballprinzip“ orientiert. Interviewpartner haben weitere – für die Untersuchung relevante Personen – im Feld empfohlen. Generell birgt das die Gefahr in ein und demselben Netzwerk verhaftet zu bleiben und wenige verschiedene Perspektiven auf den Fall zu erhalten.[318] Dem wurde versucht entgegen zu wirken, indem das Feld über verschiedene regionale, persönliche Zugänge und Kontakte erschlossen wurde. Für studentische qualitativ ausgerichtete Abschlussarbeiten gelten etwa sechs Interviews als ausreichend.[319] Damit ist es bereits möglich, gegensätzliche aber auch übereinstimmende Erkenntnisse in Erfahrung zu bringen. Wichtiger als eine hohe Fallzahl ist in der qualitativen Forschung somit die „theoretische Sättigung“.[320]
Um die subjektive Lebenswelt von betroffenen Personen rekonstruieren zu können, kommt eines der zentralsten Forschungsinstrumente – das Interview – zum Einsatz. Für die qualitative Forschung gibt es eine Vielzahl möglicher Interviewformen.[321] Um Zugang zu Lebenswelten verschiedener Personen zu erhalten, greift diese Arbeit auf biografische Interviews zurück, welche jedoch stärker problemzentriert ausgerichtet sind und nicht als narrative Interviews[322] geführt wurden.[323] So „sollen […] [subjektive] Aussagen über einen bestimmten [Herv. L.F.] Lebensbereich eingefangen werden,“[324] da ein konkretes Thema im Vordergrund steht, das es zu beantworten gilt.[325] Für eine thematisch eindeutig eingegrenzte Arbeit bietet sich folglich das problemzentrierte, leitfadengestütztes Interview als geeignete Interviewmethode an.[326] Das leitfadengestützte Interview bildet zugleich die „gängigste [wenn auch nicht klassische; L.F.[327]] Form qualitativer Befragungen.“[328] Ein vorab klar definierter Gesprächsgegenstand dient als Grundlage für einen Gesprächsleitfaden.[329] Auch die Erhebungen dieser Arbeit erfolgte mit leitfadengestützten und damit teilstandardisierten Interviews.[330] Der Leitfaden orientiert sich an thematischen Vorarbeiten und daraus entstandenen Fragestellungen. Er dient schlussendlich als Orientierungshilfe während des Gesprächs. Die Fragen werden offen formuliert und zwingen nicht zu einer leitfadengetreuen Abfolge, so dass der Leitfaden situationsspezifisch verändert werden kann.[331] Zwar gibt es i.d.R. konkret und eindeutig formulierte Fragen[332] (eine Orientierungshilfe im Gespräch als „roter Faden“), gleichzeitig können jedoch auch Fragen und Themen einbezogen werden, die plötzlich – aus der Gesprächssituation heraus – interessant und relevant erscheinen, die bisher nicht im Leitfaden vorgesehen waren.[333] Diese Eigenschaft erwies sich auch bei den durchgeführten Interviews als äußerst vorteilhaft, da sich bei mancher Befragung erst im Gespräch herausstellte, dass die betreffende Person Weihnachten nicht selbst zu Hause feiert, sodass eine Abwandlung der vorgefertigten Fragen erfolgen musste. Darüber hinaus dient der Leitfaden aber nicht nur als Orientierungshilfe während des Gesprächs, sondern ebenso auch für die anschließende Auswertung. Er gibt mögliche „Etappen für den Prozeß [sic!] der Auswertung vor.“[334]
Bei der qualitativen Inhaltsanalyse liegt das wesentliche Augenmerk darauf Kommunikationsmaterial systematisch zu bearbeiten.[335] Dabei bildet vorrangig das verbale Material des Interviews[336] den Gegenstand der Auswertung.[337] Die Qualitative Inhaltsanalyse ist ein verstehender Ansatz, der sich an Einzelfällen orientiert.[338] Quantifizierungen (Häufigkeits-bzw. Frequenzanalysen) gilt es zu vermeiden. Die Analyse des Inhalts basiert weniger auf zählbaren Unterschieden, sondern vielmehr auf sprachlichen (nominalskalierten[339]) Unterschieden.[340] Die qualitative Inhaltsanalyse greift somit auf Texte als Grundlage zurück.
Um Kommunikationsmaterial überhaupt analysieren zu können, muss dieses also festgehalten, protokolliert,[341] möglichst wie im Fall dieser Arbeit transkribiert sein, sodass die Daten des Interviews als Textgrundlage vorliegen.[342] Anhand des Leitfadens ergeben sich wesentliche Kriterien, die der Inhaltsanalyse eine Struktur vorgeben. So werden mithilfe der strukturierenden Inhaltsanalyse wesentliche Aspekte aus dem vorhanden Kommunikationsmaterial herausgearbeitet, um einen Querschnitt durch das Material ziehen zu können. Gleichzeitig wird in Form der explizierenden Inhaltsanalyse weiteres Material herangezogen, um die Ergebnisse gegebenenfalls präzisieren zu können.[343] Diese Arbeit bezieht über die qualitativ erhobenen Interviews hinaus hilfreiche Lektüre als auch Zeitungsartikel in die Auswertung mit ein.
Insgesamt wurden in diese Arbeit sechs Ergebnisse qualitativer Interviews integriert.[344] Um der Gefahr entgegen zu wirken, nur Muslime aus einem Netzwerk zu befragen, wurden Muslime aus unterschiedlichen Regionen Sachsen-Anhalts und Sachsens befragt. Viele der bereits vorliegenden Forschungen über Muslime in Deutschland beschränken sich auf türkischstämmige Muslime.[345] Die im Rahmen dieser Arbeit befragten Personen stammten dagegen aus Tunesien, dem ehemaligen Jugoslawien, aus Pakistan, dem Libanon und dem Irak.
Es wurden insgesamt drei männliche und drei weibliche Personen befragt, um ein Gleichgewicht...