1.WIE ALLES BEGANN
Wenn ich ganz ehrlich bin, erinnere ich mich nicht mehr genau, wie alles begann. Es war ein schleichender Prozess, irgendwie kam vieles zusammen, und im Frühling 2010 erwachte der Wunsch in mir, endlich mit dem Nörgeln aufzuhören. Es hatte eine Zeit lang gedauert, bis der Entschluss gereift war. Doch dann hatte ich ein Aha-Erlebnis, woraufhin ich entschied: Jetzt ist Schluss! Und so kam es, dass ich mich in dieses außergewöhnliche Abenteuer stürzte. Sie sind jetzt sicher neugierig, was genau dieses Aha-Erlebnis war. Dazu komme ich gleich. Zuvor möchte ich aber, dass Sie mich noch ein wenig besser kennenlernen.
ICH NÖRGLERIN
Eigentlich bin ich ein positiver Mensch. Doch irgendwann bemerkte ich, dass ich mich viel zu oft in Situationen wiederfand, in denen ich frustriert oder genervt war, in denen ich mich als Opfer fühlte – und mich ärgerte. Abends fühlte ich mich kaputt und ausgelaugt von all dem, was ich im Laufe des Tages »erlitten« hatte. Jeder Tag schien mir wie ein unablässiger Kampf: Kinder für die Schule fertig machen, im eigenen Unternehmen schuften, pünktlich sein, Haushalt und Job irgendwie unter einen Hut bekommen. Beim Einschlafen fragte ich mich, ob ich tagsüber irgendeinen schönen Moment erlebt hatte. Und meistens fiel mir nichts ein – obwohl die Tage in der Regel ganz gewöhnlich verlaufen waren, ohne größere Katastrophen. Alltag halt.
Das brachte mich ins Grübeln: Was hielt mich davon ab, meinen Alltag zu genießen? Ein grauer Tag folgte dem nächsten, und ich redete mir ein, später würde alles besser – wenn meine drei Kinder erst mal groß sind, wenn die Firma besser läuft, wenn ich wieder mehr Zeit für mich habe, wenn ich Urlaub machen kann, wenn die Kinder im Sommer bei Oma und Opa sind usw. Kurz: Das schöne Leben musste noch ein bisschen warten. Bis ich mich zu fragen begann: Warum soll ich bis morgen warten? Was hält mich davon ab, alles ein bisschen lockerer zu sehen und schon heute glücklich zu sein? Schließlich besteht das Leben doch hauptsächlich aus Alltag. »Gestern ist vorbei, morgen noch nicht da – es gibt nur das Heute.« Die Worte eines Weisen. Ich kannte den Ausspruch, doch erst 2010 machte ich mich daran, ihn umzusetzen.
Ich bin Unternehmerin, Ehefrau und Mutter, und meine Tage spielen sich ab im Spannungsfeld von Job, drei Kindern auf drei verschiedenen Schulen, ihren Freizeitaktivitäten wie Schwimmbad, Gitarre, Klavier usw. und einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Vorstand des Coaching-Verbands Los Angeles. All das in Los Angeles, einer verrückten, gewaltigen Metropole! Und zu allem Überfluss lebt meine Verwandtschaft 10.000 km weit weg.
Eines Abends lag ich im Bett und überlegte, wie ich wieder Lockerheit und Zufriedenheit in meinen chaotischen Alltag bringen könnte. Wir alle kennen besonders glückliche und freudige Zeiten: Wochenenden, Ferien, Festtage, Abendessen mit Freunden, bei denen man sich kaputtlacht, Freizeit mit geliebten Menschen, Reisen – eigentlich eine doch recht lange Liste. Zusätzlich gibt es in jedem Leben kleine Augenblicke des Glücks: ein Spaziergang am ersten schönen Frühlingstag, ein Kaffee in der Sonne oder ein herzhaftes Kinderlachen. Diese Momente der Erfüllung lassen uns kurz aus dem täglichen Hamsterrad entfliehen. Doch sie währen nicht lange und hängen von seltenen, wenn nicht gar außergewöhnlichen äußeren Umständen ab.
Und was ist mit dem Rest unseres Lebens? Dem gewöhnlichen Alltag, in dem wir mit unseren zahllosen Aufgaben jonglieren? Was für eine gewaltige Verschwendung, all diese »normalen« Stunden des Lebens verstreichen zu lassen oder lediglich zu erdulden, ohne ihnen irgendetwas abzugewinnen! An jenem Abend im Bett erkannte ich: Ich wollte das Glück täglich spüren, denn irgendwann würde ich sterben. Jede Minute ist extrem wertvoll. Mein Leben ist ein Geschenk, und ich war fest entschlossen, es bis zur letzten Sekunde auszukosten. Ich merkte: Am stärksten zermürbten mich die Situationen, in denen ich mich laut ärgerte. Schimpfend vor sich hin arbeiten, den Computer verfluchen, über andere Autofahrer motzen, über andere Leute herziehen, sich über die Kinder beschweren, seufzen, murren, quengeln, nörgeln – all das vergällte mir das Leben. Und, sehen wir es doch ein: Schimpfen bringt gar nichts.
Im Bett liegend sah ich nach oben und erforschte mein Leben. Eigentlich gehöre ich zu dem Typ Mensch, der stets sagt: »Das Leben ist schön.« Was meckerte ich eigentlich? Ich war nicht depressiv, sondern fröhlich und positiv, gesund, glücklich verheiratet, vernarrt in meine Kinder, begeistert von meinem Beruf. Und doch konnte ich mich immer über irgendetwas ärgern, sodass ich jeden Abend erschöpft, frustriert und kaputt zu Bett ging.
Unser Glück oder Unglück hängt selten von der tatsächlichen Lage ab, sondern von unserer Wahrnehmung einer Situation, von unserer Fähigkeit, uns mit dem zufriedenzugeben, was wir haben.
Dalai Lama
Ich überlegte: Und wenn ich mich einfach nicht mehr ärgern würde? Nun, das ist leicht dahingesagt, denn sich nicht zu ärgern ist überhaupt nicht einfach, das weiß ich heute. Doch letztlich stand ich vor der Wahl: Will ich über das Glück philosophieren, zig Bücher zum Thema lesen und auf Seminare gehen – oder fange ich einfach heute damit an, alles mir Mögliche zu tun, um glücklicher zu leben? Ich nahm mir vor, mich 21 Tage hintereinander nicht ein einziges Mal laut zu ärgern, und wollte sehen, was passiert.
In den USA, wo ich seit zehn Jahren lebe, ist die Methode, sich in 21 Tagen etwas wie das Rauchen oder übermäßiges Essen abzugewöhnen oder etwas wie Meditieren oder Dankbarkeit anzugewöhnen, sehr verbreitet. Ich sagte mir: »So, jetzt muss es sein, ich ziehe das jetzt durch, für mich, mein Leben, meine Familie!« Im dritten Teil des Buchs erkläre ich genauer, was während dieser 21 Tage im Kopf passiert.
Als ich mein Experiment startete, war mir überhaupt nicht bewusst, wie oft ich laut schimpfte. Ich erlebte einen echten Schock, als mir das klar wurde! Und ebenso wenig ahnte ich, wie unglaublich schön es war, sich nicht mehr zu ärgern. Natürlich ist es utopisch zu glauben, man könnte es schaffen, sich nie wieder zu ärgern. Aber darum geht es auch nicht in diesem Experiment. Es geht darum, sich nicht laut zu ärgern, seinem Gemecker nicht ständig Luft zu verschaffen und das automatische Genörgel aus seinem Alltag zu verbannen.
ICH UND DIE NÖRGLER
Gibt es in Ihrem Leben Nörgler? Wie fühlen Sie sich, wenn Sie ihr Gemecker hören? Als ich mit meinem Experiment begann, fiel mir abgesehen von meiner eigenen Schimpferei auf, wie sehr mir die Nörgler in meinem Umfeld Energie raubten. Wenn ich im Alltag einem Nörgler begegne – in der Stadt, bei der Arbeit oder zu Hause –, kostet mich das Kraft. Ich bin sehr empfänglich für die negativen Schwingungen, die von solchen Menschen ausgehen. Sie können mir den ganzen Tag verderben. Entweder störe ich mich an ihrer Wut, oder ich leide mit ihnen. Manchmal fühle ich mich sogar schuldig, und ich überlege: »Liegt es an mir, dass sie sich ärgern?«
Da fiel bei mir der Groschen. Meine allergische Reaktion gegen das Geschimpfe der anderen zeigte mir, wie wichtig es war, selbst weniger zu nörgeln, zum Wohl meines gesamten Umfelds inklusive Ehemann, Kindern, Freunden, Kollegen und Kunden. Wenn ich selbst so empfindlich auf das Gemecker anderer reagiere, dann muss ich mich auch selbst ändern.
MEIN AHA-ERLEBNIS
Ich erinnere mich genau an den Tag meiner Erleuchtung, an dem ich beschloss, jetzt wirklich ernst zu machen. Mein abendliches Gedankenspiel lag zwar schon ein paar Wochen zurück, doch ich hatte noch nicht den Mut aufgebracht, das Experiment wirklich zu wagen. 21 Tage ohne Nörgeln – das schien mir eine gewaltige Herausforderung. Ich hatte mir unzählige Ausreden zurechtgelegt: nicht die richtige Lebensphase, nicht der richtige Augenblick, keine Lust auf eine weitere Einschränkung in meinem Leben und so weiter und so fort.
Doch dann kam das Abendessen bei Sabine. Gemeinsam mit ein paar lieben Freunden genossen wir unseren Sonntagsbraten, umgeben von einer Horde herumtollender Kinder. Beim Espresso regten wir uns gemeinsam über Menschen auf, die an allem herumnörgelten. Wir stimmten alle überein: Es kostete ungeheuer Kraft, von Nörglern umgeben zu sein. Und ich hörte mich sagen: »Diese Querulanten vergeuden doch nur ihre Zeit. Meckern bringt doch nichts!« In dieser Sekunde schoss mir die Erkenntnis durch den Kopf: Ich nörgelte gerade über Nörgler!
Nach diesem Aha-Erlebnis rang ich mich endlich durch, etwas zu unternehmen. Ich musste etwas tun, um dieser schlimmen Spirale zu entkommen, um diese Angewohnheit abzulegen, die mir so gar nicht behagte. So entstand mein Vorsatz »Ich höre auf, mich zu ärgern!«. Ich drehte ein Video und postete es in einem eigens dafür angelegten Blog (www.jarretederaler.com), den ich über die sozialen Medien verlinkte. Die Neuigkeit sprach sich schnell herum, und schon nach wenigen Tagen schrieben einige bekannte Blogger darüber. Dann wurde ich von dem französischen Hörfunksender Radio Monte Carlo zu einem Gespräch eingeladen. Einige Wochen später erschienen in einer Zeitschrift für Psychologie und in einem Nachrichtenmagazin Artikel über meinen Blog. Offenkundig hatte ich da einen Nerv getroffen! Und so setzte ich bei meinem Selbstversuch weiterhin auf Öffentlichkeit. Mit dem Blog wollte ich meine Erfahrungen teilen, aller Welt erzählen, wie es mir erging. Das sollte mir eine Stütze sein. Und für mich wirkte diese Methode. Der Blog erlaubte mir, täglich Bilanz zu ziehen, mich mit meinen Lesern...