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Wo ist mein Weg? Oder: Warum will ich leiden?

AutorDoris Bernatek
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl164 Seiten
ISBN9783743157620
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,49 EUR
Doris Bernatek wurde 1955 in Witten an der Ruhr geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Steinau an der Straße. In ihren letzten Lebensjahren verfasste sie dieses Buch, welches Ihre Lebensgeschichte wiederspiegelt und von ihrer großen Liebe zu ihrem Mann zeugt. Sie floh immer wieder aus dieser krankmachenden Beziehung, die von Suchtkrankheiten, wie Alkohol-, Spiel- oder auch Sexsucht geprägt war, um dann doch immer wieder zu ihm zurückzukehren. Die Autorin durchlitt mehrere Phasen schwerer Depressionen und auch weitere bedrohliche Krankheiten, bis sie ihren Weg aus diesem ständigen Leiden herausfand. Doris Bernatek möchte mit diesem Buch anderen Frauen Mut machen, sich aus unguten Beziehungen zu lösen und den eigenen, nicht immer einfachen Weg, zu beschreiten.

Doris Bernatek wurde 1955 in Witten an der Ruhr geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Steinau an der Straße. Sie hat 4 Geschwister und hat den Beruf der Zahnarzthelferin erlernt. Sie hat 3 Kinder.

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Leseprobe

Das Kennenlernen


Drei Monate nach meiner Konfirmation, ich war 14 und noch komplett unerfahren und in keinster Weise aufgeklärt (Sex und alles was damit zusammenhing, war ein Tabuthema bei uns zu Hause), bin ich Dieter zum ersten Mal begegnet. Er muss wohl gerade frisch aus dem Gefängnis gekommen sein, denn ich hatte ihn bis dahin noch nie in unserer kleinen Stadt gesehen.

Ich war in der Abenddämmerung auf dem Weg nach Hause und er kam mir entgegen. Als wir auf gleicher Höhe waren, schnipste er mir seine Zigarettenkippe vor die Füße, lachte mich an und sagte so was wie: „Hallo Kleine!“. Seitdem ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Noch heute wird mir ganz warm, wenn ich daran zurückdenke.

Wir hatten eine Eisdiele in unserer Stadt, in der ich mich oft mit Freunden traf. Eines Tages sah ich ihn dort wieder.

Er saß mir schräg gegenüber und ich merkte, wie er mich beobachtete.

Ich schaute immer öfter neugierig und fasziniert zu ihm hinüber. Meine Freunde sagten: „Der schaut dich immer an, der will was von dir!“

Irgendwann spielten wir zusammen Tischfußball und er drückte auf der Musikbox immer wieder das gleiche Lied. Als ich an diesem Abend nach Hause ging wusste ich, ich bin verliebt. Nach ein paar Tagen fragte er mich: „Willst du mit mir gehen?“ Ich weiß heute noch ganz genau, wie ich mich damals fühlte; tausend Schmetterlinge flatterten durch meinen Bauch. Ich dachte, was will dieser Kerl ausgerechnet von mir?

Und ich dachte an meine Eltern!!!!!

Ich wusste gleich, wenn ich ja sage, kommen Probleme auf mich zu. Aber es war schon zu spät!

Ich war damals sehr schüchtern und ohne Selbstbewusstsein (daran hat sich übrigens bis heute nicht viel geändert), außerdem zierte man sich damals als Mädchen noch etwas und so sagte ich ihm, ich überlege es mir. Einige Tage später trafen wir uns zufällig in der Stadt. Mein Herz klopfte so wild. Er kam auf mich zu und fragte: „Wie hast du dich entschieden?“

Wenn ich heute darüber nachdenke, war es damals schon genau wie heute. Mein Verstand sagte NEIN, aber mein Gefühl rief ganz laut JAAA. Also sagte ich nur ein Wort: positiv. Er schaute mich an, wir wechselten ein paar Worte und er ging weiter.

Später hat er mir etwas verschämt gestanden, das er nicht wusste was positiv bedeutet und sich erst mal schlau gemacht habe. Da ist zum ersten Mal ein Teil von seiner coolen Fassade abgebröckelt und es kam etwas von einem sehr liebenswerten, verletzlichen Menschen zum Vorschein. Von da an waren wir zusammen.

Heute weiß ich, damals mit 14 Jahren habe ich mein Leben aufgegeben noch bevor es richtig begonnen hat. Ich habe meine Seele verkauft für diesen Mann.

Und heute, 30 Jahre später, wird mir schmerzlich bewusst, dass ich gar nicht weiß wer ich bin.

Wenn man immer nur für andere lebt, nimmt man sich selbst irgendwann gar nicht mehr wahr, bis man irgendwann ganz verschwunden ist. Ab und zu hat mein Körper ganz massiv versucht auf sich aufmerksam zu machen, bis hin zu lebensbedrohlichen Dingen. Aber ich habe alles sehr konsequent ignoriert.

Wir waren jetzt also ganz offiziell zusammen. Das heißt, dass wir auch händchenhaltend durch die Straßen liefen. Man kann sich denken, dass es von Anfang an keine unbeschwerte Jugendliebe war. Und als uns zum ersten Mal eine Frau entgegenkam, die Mitglied im Kirchenchor meines Vaters war, wusste ich, jetzt hat der Kampf begonnen! Es dauerte auch nicht lange bis mich meine Eltern darauf ansprachen. Ich weiß nicht, ob mein Vater sich mehr Sorgen um mich oder um seinen „guten Ruf“ machte. Meine Eltern versuchten jedenfalls (was ich heute als Mutter sehr gut nachvollziehen kann), mir diese Freundschaft auszureden, doch als das nichts nützte, haben sie mir den Umgang mit diesem Mann verboten. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie jemals versucht hätten, mit mir vernünftig darüber zu reden, oder gar Dieter zu einem Gespräch einzuladen. Es kamen immer nur Vorwürfe, Verbote oder die hilflosen Versuche, mich mit Hausarrest und dergleichen zur Vernunft zu bringen. Ich kann mich erinnern, dass einmal sogar eine Frau vom Jugendamt da war um mit mir zu reden. Aber es hat alles nicht geholfen. Im Gegenteil – je mehr alle dagegen waren, umso mehr habe ich gedacht: Euch zeig ich´s und umso größer wurde meine Liebe.

Wir hatten keine Freunde. Dadurch, dass ich nur auf diesen Mann fixiert war, war mir natürlich die Möglichkeit genommen einen vernünftigen Freundeskreis mit Gleichaltrigen aufzubauen. Und Dieter hatte auch keine Freunde. Nur ein paar wilde Typen, die immer um ihn herum waren. Das wurde dann mein Umgang und da habe ich mich eigentlich auch ganz wohl und dazugehörig gefühlt. Aber ich habe immer in zwei Welten gelebt und das hat mich sehr belastet, auch wenn es mir damals nicht so bewusst war. Ein paar Wochen nach unserem Kennenlernen war ich mit der Schule fertig und es stellte sich die Frage nach meiner beruflichen Zukunft. Ich wollte Kinderkrankenschwester werden.

Da ich aber noch 14 Jahre alt war und diese Ausbildung erst mit 18 beginnen konnte, musste ich vier Jahre überbrücken. Was sollte ich tun? Das war ein Thema, über das ich mit Dieter nicht reden konnte. Eigentlich konnte ich mit ihm über gar kein Thema reden. Schon gar nicht über mich persönlich, weil er sich im Grunde gar nicht für mich und mein Wohlergehen interessierte. Für ihn war nur wichtig, dass ich mich so benahm und so lebte, dass er keinen Nachteil davon hatte. Sein Ego, seine verkümmerte Seele und sein Körper wollten befriedigt werden. Wenn das gegeben war, war es ihm im Grunde egal, wie es mir ging und was ich fühlte. Aber das alles habe ich – wie bereits gesagt – damals noch nicht so wahrgenommen.

Schon kurz nachdem wir zusammenkamen, gab er mir zu verstehen, dass wenn man zusammengeht, auch miteinander schläft. Ich war wahnsinnig verliebt in ihn und auch ein bisschen neugierig auf das, was da wohl kommt, denn ich war ja noch unerfahren. Außer ein bisschen knutschen und fummeln mit anderen Jungs war da noch nichts. Ich wusste auch nur aus der „BRAVO“ etwas über die Anatomie des Mannes. Und selbst die „BRAVO“ musste ich heimlich lesen. Für meinen Vater war das eine Schundzeitschrift, die er uns Kindern verboten hatte. Aber andererseits war ich noch gar nicht soweit, mit einem festen Freund richtigen Sex zu haben. Ich merkte, dass ich dazu noch zu jung und noch nicht bereit war. Ich hatte viel eher das Bedürfnis andere Dinge mit ihm zu erleben und vor allem mehr mit ihm zu reden, um ihn besser kennenzulernen. Im Stillen habe ich wohl auch gehofft, dass er sich mal mit der Situation in meinem Elternhaus auseinandersetzt und mit mir darüber redet, wie es mir dabei geht. Aber ich wollte ihn auch nicht enttäuschen oder gar verlieren. Und so sagte ich nicht Nein, sondern bat ihn um etwas Zeit. „Wie lange?“ fragte er.

Ich überlegte kurz wie viel Zeit wohl angemessen war, um nicht als verdorben zu wirken und entschied mich dann für drei Monate. Ihn muss diese Zeitangabe wohl sehr geschockt haben, denn er hat mich entsetzt und ungläubig angeschaut.

Ich ließ mich erst mal nicht davon abbringen. Natürlich hat es dann bis zum ersten Mal keine drei Monate gedauert. Denn – wie schon gesagt – seine Bedürfnisse waren wichtiger als meine. Unser erstes Mal fand in seinem Zimmer statt und war eine einzige Katastrophe. Ich war bis dahin zwei- bis dreimal bei ihm zu Hause gewesen. Die Diskrepanz zwischen unseren beiden Familien war riesig. Was sich in dieser kleinen, schmuddeligen Wohnung und in dieser Familie so alles abspielte, wusste ich damals noch nicht. Ich spürte nur, diese Menschen können nicht glücklich sein. Aber davon später…

Zurück zu unserem ersten Mal. Ich weiß noch, ich war sehr unsicher, total verklemmt und wusste überhaupt nicht was ich jetzt eigentlich machen sollte. Ich habe mich fast zu Tode geschämt. Aber Dieter hat sich – zumindest in dieser Beziehung – als sehr vorsichtig, sensibel und einfühlsam bewiesen. Er hat das Zimmer abgedunkelt, Musik angestellt und war sehr zärtlich und vorsichtig. Für mich war es einfach nur schrecklich. Kein Mensch hat mich auf das vorbereitet was dann kam. Ich habe die ganze Zeit bewegungslos dagelegen und als ich irgendwann etwas Feuchtes zwischen meinen Beinen spürte, wäre ich vor Scham fast im Erdboden versunken. Aber so ganz falsch kann es nicht gewesen sein, denn es kam keine Kritik. Nur ein zärtliches „Ich liebe Dich.“ Ich hätte gerne mal irgendwann mit ihm darüber geredet, aber ich habe nie gelernt über irgendetwas zu reden. In meiner Familie wurde entweder kritisiert oder totgeschwiegen. Man redete über Geld, Schule, Beruf oder Hausarbeit, aber niemals über Gefühle, Bedürfnisse oder Sex, zumindest nicht in der Gegenwart von uns Kindern.

Mein Mann hatte sowieso selten das Bedürfnis über irgendetwas zu sprechen, es sein denn, um sich Vorteile zu verschaffen. Dann konnte er mit seinen Worten Steine zum Schmelzen bringen.

Auch Verhütung war nie ein Thema. In dieser Zeit habe ich meinen Schutzengel sehr überstrapaziert. Viele Jahre ungeschützten Sex, ohne dass etwas passiert ist.

Doch…. einmal mit 15 hatte ich eine Fehlgeburt. Allerdings wusste ich das damals nicht und es hat mir auch nie jemand erklärt. Ich weiß noch, dass der Arzt im Krankenhaus meine Mutter damals lauthals als verantwortungslos beschimpft hatte und sie genauso laut zurückgebrüllt hatte, aber ich wusste nicht um was es ging. Erst viel später wurde mir klar, was damals mit mir los war, aber wie gesagt, hat niemand mit mir darüber geredet.

Auch danach hat keiner mit mir über Verhütung gesprochen, nach dem Motto: Das nicht sein kann, was nicht sein darf!

Wenn ich heute so...

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