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E-Book

Welt im Zwiespalt

Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts

AutorEdgar Wolfrum
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl447 Seiten
ISBN9783608100921
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Meisterhaft schildert Edgar Wolfrum das außergewöhnlichste Jahrhundert der Weltgeschichte und bietet zugleich eine neue Interpretation des ganzen Zeitalters unter länderübergreifender Perspektive. Ein beeindruckendes, großes Panorama des 20. Jahrhunderts, dessen ungelöste Probleme unsere Gegenwart bis heute bestimmen. Das 20. Jahrhundert war durchfurcht von Kriegen, Ideologien, Krisen und Terror. Doch es war auch eine Epoche der Durchbrüche zur Freiheit und der Ausbildung globaler Kulturen und des Welthandels. Aus unterschiedlichen Perspektiven porträtiert Edgar Wolfrum ein zutiefst widersprüchliches Zeitalter mit all seinen dunklen und hellen Seiten. Dabei berücksichtigt er viele Ausprägungen menschlichen Daseins in Zeit, Raum und Kultur: Krieg und Frieden, Demokratie und Diktatur, Liebesglück und Geschlechterungleichheit, Wohlstand und Hunger, Säkularisierung und Rückkehr der Religionen ... Die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und militärischen Ereignisse kommen dabei ebenso zur Sprache wie die kulturellen und mentalen Entwicklungen. Ein beeindruckend argumentierendes und umfassendes Geschichtspanorama für alle, die das 20. Jahrhundert und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verstehen wollen. »Edgar Wolfrum ist ein Glücksfall für den Leser. Nichts ist dem Historiker aus Heidelberg oberflächlich, nichts langweilig geraten.« Marcus Sander, Stuttgarter Zeitung

Edgar Wolfrum, geb. 1960, ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg. Studium der Geschichte, Politikwissenschaft, Germanistik und des Spanischen. Promotion 1990. 1991-1994 Leiter des Förderungsreferats für Geschichte bei der Volkswagenstiftung, 1999 Habilitation.

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Leseprobe

1. 


Krieg und Frieden


Infernalische Zeiten, versöhnliche Zeiten

Abgeordnete, Männer des Deutschen Reichstags! Seit Monaten leiden wir alle unter der Qual eines Problems, das uns einst das Versailler Diktat beschert hat und das nunmehr in seiner Ausartung und Entartung unerträglich geworden war. (…) Polen hat nun heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen!

Adolf Hitler vor dem Deutschen Reichstag, Berlin 1. September 19391

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Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit.

Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, 19422

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Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können?

Joseph Goebbels, »Sportpalastrede«, Berlin 18. Februar 19433

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Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: 1. Den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen.

Auszug aus der Charta der Vereinten Nationen, Kapitel 1, Artikel 1, 26. Juni 19454

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Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welt.

Robert Oppenheimer, nach dem ersten erfolgreichen Atombombentest der USA am 16. Juli 19455

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Wenn die Vernichtung des Lebens Aller auf dem Spiel steht, ist jeder künftige Krieg sinnwidrig geworden, so lange er ein Ziel in dieser Welt haben soll.

Karl Jaspers, Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, 19626

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Sozialismus oder der Tod

Fidel Castro, 1961 und immer wieder7

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Langsam, aber, wie ich meine, sicher entwickelt sich eine internationale Norm gegen die gewaltsame Repression von Minderheiten, die Vorrang über die ›Sorgen‹ der Souveränität nehmen wird und muss. (…) Es ist wahrhaft tragisch, dass die Diplomatie versagt hat, aber es gibt Zeiten, wo die Anwendung von Gewalt zur Erreichung des Friedens gerechtfertigt sein kann.

UN-Generalsekretär Kofi Annan, 9. April 1999, anlässlich des 50. Jahrestages der Erklärung der Menschenrechte8

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Guten Abend, heute sind unsere Bürger, unsere Lebensweise, ja, unsere Freiheit mit einer Serie von mutwilligen und tödlichen Terroranschlägen attackiert worden. Es gab Opfer in Flugzeugen und in Büros: Sekretärinnen und Geschäftsleute, Mitarbeiter des Militärs und der Bundesbehörden, Mütter und Väter, Freunde und Nachbarn. Tausende Menschenleben wurden plötzlich ausgelöscht von bösen niederträchtigen Terrorakten.

Die Bilder von Flugzeugen, die in Gebäude fliegen, von lodernden Flammen, von riesigen Gebäudestrukturen, die kollabieren, haben uns mit Fassungslosigkeit erfüllt, mit schrecklicher Trauer und mit einem stillen, unnachgiebigen Groll. Dieser Massenmord sollte dazu dienen, unsere Nation einzuschüchtern und in Chaos und Resignation zu treiben. Dies ist nicht gelungen. Unser Land ist stark. Ein großes Volk ist dazu angespornt worden, eine große Nation zu verteidigen. Terroristische Anschläge können zwar die Fundamente unserer größten Gebäude erschüttern, aber nicht das Fundament Amerikas. Sie können Eisen und Stahl zerbersten lassen, aber sie können der eisernen Entschlossenheit Amerikas nichts anhaben. Amerika wurde zum Angriffsziel, weil wir in der Welt die strahlendste Fackel der Freiheit und der Selbstverwirklichung sind. Und niemand wird den Glanz dieses Lichtes auslöschen. (…) Niemand von uns wird diesen Tag jemals vergessen, dennoch schreiten wir voran, um unsere Freiheit zu verteidigen und alles, was in unserer Welt gut und gerecht ist. Danke. Gute Nacht und Gott segne Amerika.

Fernsehansprache des US-Präsidenten George W. Bush, 11. September 20019

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Flug über das mörderische Jahrhundert


Die Geschichte der Gewalt prägte das 20. Jahrhundert zutiefst, und Eric Hobsbawm bezeichnete es zu Recht als das »mörderischste Jahrhundert von allen«. Es war mehr als alle Jahrhunderte zuvor eine Zeit mit Kriegszügen von bis dahin nie gekannten Ausmaßen, sowohl in der Heftigkeit, der Häufigkeit, als auch in der Dauer.10 Das »tragische« und »katastrophische« Narrativ,11 zu dem dieses Jahrhundert mit all seinem unermesslichen Leid uns verurteilt, darf in keiner Weise bestritten werden. Es trifft allerdings vor allem für seine erste Hälfte zu, für die zweite Hälfte weit weniger. Der Erste Weltkrieg seit 1914 bildete den Auftakt eines Jahrhunderts, durch das sich eine breite Blutspur grausamer Kriege zog und das sich durch zügellose Gewalt ins Gedächtnis gebrannt hat. Gleichzeitig jedoch war das 20. Jahrhundert, besonders nach 1945, stärker als jemals zuvor von Bemühungen geprägt, mit neuen Instrumenten Frieden zu sichern oder Krieg einzuhegen. So oder so: Krieg und Frieden sind die Signa eines Zeitalters der Extreme, und beide durchliefen in dieser Epoche vielgestaltige Strukturwandlungen.

Bereits der Erste Weltkrieg, die »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«,12 barg den Keim des neuen, des totalen Krieges in sich. Dazu gehörten Massenmobilisierung, eine totale Kriegsführung, überspannte Kriegsziele, der Einsatz neuer Waffen wie Maschinengewehre, Panzer, Flugzeuge, Giftgas und zudem Ideologien und Propaganda. Viele dieser Elemente wiesen schon auf den Zweiten Weltkrieg voraus. Das 20. Jahrhundert ohne die Weltkriege zu beschreiben, erscheint im Grunde unmöglich. Erster und Zweiter Weltkrieg bleiben für die Nachgeborenen die Grundkategorien dieses radikalen Säkulums. Die Zeiten davor wurden deshalb häufig zur Vorkriegs-, die Zeiten dazwischen zur Zwischenkriegszeit erklärt, was indessen deren Eigenständigkeit verleugnet und die Möglichkeiten oder gar Alternativen gering achtet. Darüber hinaus definierten die beiden Weltkriege auch die Zeit danach mit aller Konsequenz: Die beständige große Angst vor einem Weltkrieg Nummer drei war bezeichnend für die Epoche des Kalten Krieges. Doch nicht zuletzt die Vorstellungen eines »dritten Weltkrieges«, der angesichts von Atomwaffen zu einer Vernichtung der Menschheit geführt hätte, haben den Kalten Krieg zwischen den Supermächten davor bewahrt, »heiß« zu werden, obwohl man ein um andere Male in den Abgrund blickte und es zahlreiche Kriege unterhalb der Schwelle eines Atomkrieges gab.

Ging im Ersten Weltkrieg das alte Europa zugrunde, so war der Zweite Weltkrieg nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor 1941 und dem Kriegseintritt der USA noch viel stärker ein weltumspannender, ein globaler Krieg. Die gesamte Welt stand in Waffen. Der Ausdruck »Weltkrieg« ist natürlich in beiden Fällen berechtigt, doch auch dazu angetan, regionale Differenzen in diesem Zeitraum zu verschleiern. Denn man muss sich zumindest eine Auffälligkeit klar machen: Im Ersten Weltkrieg war der Einfluss Asiens marginal, Japan war zu Beginn aktiv, China am Schluss, aber es war kein asiatischer Konflikt. Im Zweiten Weltkrieg hingegen waren der Krieg und...

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