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E-Book

Führungswelten

AutorHarry Wiener
VerlagNZZ Libro
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl182 Seiten
ISBN9783038239932
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,90 EUR
Fünf unterhaltsame Geschichten nehmen den Leser mit auf eine Zeitreise durch das letzte Jahrhundert. Sie erzählen vom Wandel der Unternehmenskultur, geprägt durch die jeweilig aktuellen Vorstellungen von Führung. Ausgehend von realen Beispielen stellen sie die Merkmale folgender Führungstypen vor: der Autoritäre, der Bürokrat, der Fürsorgliche, der Turnschuh-Manager und der emanzipierte Manager des neuen Jahrtausends. Unter den Gesichtspunkten von Kommunikation, Beziehungsgestaltung und Wertvorstellungen werden die Auswirkungen der jeweiligen Führungsvorstellungen auf die Unternehmenskultur und auf die Leistung des Unternehmens geschildert. Dabei steht der Paradigmenwechsel im Mittelpunkt. Zu jeder der fünf Führungspersönlichkeiten werden Fragen zur Selbstref lexion eingefügt: Wie agiere ich, wie führe ich bzw. wie werde ich geführt, welche Unternehmenskultur unterstütze ich durch mein Verhalten?

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Leseprobe

1. Akt: Das Fernweh nach den Wandervögeln oder Warum Arbeit nicht frei macht

Dieter Wolff, der Abteilungsleiter, hat Montagslaune, als er an einem trüben Winter-Montagmorgen im Jahre 1958 um 6.50 Uhr am Pförtnerhäuschen der Hartmann Metallbau AG vorbei zur Arbeit geht. Ein kurzes «Tach!» kommt gepresst über seine Lippen. Der Morgengruss wird, wie jeden Montag, vom ebenso mürrischen Pförtner Hans Kriwet nicht erwidert. Kriwet, der noch vom inzwischen verstorbenen Hartmann senior eingestellt wurde, sitzt seit über zehn Jahren an dieser Pforte. Ein Mann mit Berufsstolz, dieser Kriwet. Den hat ihm seinerzeit noch der Senior eingeimpft. Keiner kommt bei Hartmann auf das Werksareal, ohne von Kriwet genau gemustert worden zu sein. Hin und wieder fordert er auch von Bekannten den Personalausweis. Wäre ja gelacht, wenn man am Kriwet einfach so vorbeispazieren könnte! Er ist bekannt dafür, dass er mitunter auch Kunden mit seiner schroffen Art brüskiert und sogar richtig schneidend werden kann, wenn einer seinen Wagen falsch parkiert oder das Fahrrad nicht im dafür markierten Sektor abgestellt hat. Kriwet beugt sich nur vor Gott und dem Chef, und er hat deswegen noch nie Probleme bekommen. Seit dem Tod des Gründers ist neuerdings Thomas Hartmann Direktor, und wenn dieser an seinem Pförtnerhäuschen vorbeistolziert, ertönt von drinnen ein zackiges, gut hörbares «Grüss Gott, Herr Direktor!». Kriwet weiss, wie das mit dem jungen Hartmann läuft: Der neue Chef thront ganz weit oben, und die da unten müssen dem da oben die Reverenz erweisen.

Dieter Wolff hat ein anstrengendes, aber glückliches Wochenende hinter sich. Am Samstag gegen Mittag, nach der wöchentlichen Revision der Walzstrasse in der Firma Hartmann, ging er schnurstracks ins nahe gelegene Waldviertel und traf sich dort mit seinen Vorstandskollegen von den Duisburger Wandervögeln e. V. Es ging um Wichtiges an diesem Tag, denn die bevorstehende Frühjahrstour war zu organisieren. Seine Frau Helene sieht es überhaupt nicht gern, wenn er an Wochenenden zusammen mit den Kumpels seinem Hobby frönt. Er könne sich, meint Helene, um die drei Kinder kümmern. Sind schliesslich auch seine! Oder ihr beim Einkauf zur Hand gehen. Aber eben. Dem Gatten liegen seine Wandervögel näher am Herzen. Da ist Wolff stur. Er habe doch auch ein Recht auf ein bisschen Spass im Leben, meint der gewöhnlich durchaus umgängliche Ehemann. Ganz offensichtlich vermisst er im Job etwas, nämlich Spass an der Arbeit!

Nach solch entspannten Tagen mit den Wandervögeln steigt abgrundtiefe Frustration in Wolff hoch, wenn er montags bei Hartmann wieder in die berufliche Zwangsjacke steigen muss. Spätestens am Pförtnerhäuschen hat ihn seine mürrische Laune wieder fest im Griff. Im Kreise seiner Wanderfreunde ist alles ganz anders. Gemeinsam werden Routen geplant, es wird Informationsmaterial für die bald 70 Mitglieder verfasst, das Budget bereinigt oder einfach ein geselliger Unterhaltungsabend zusammen verbracht. Wolff und seine Wandervögel: Das ist das Leben!

Bei Hartmann sind er und seine Meinung höchstens gefragt, wenn es um Technisches, um die Wartung und Instandhaltung von Maschinen geht. Da ist Dieter Wolff, so weit er zurückdenken kann, ein unangefochtener Experte. Nach seinem Studium am Technikum in Kassel war er bereits in jungen Jahren bei Krupp Stahl für den Maschinenunterhalt in einer Werkstatt verantwortlich gewesen, bevor er dann in das kleine Familienunternehmen Hartmann Metallverarbeitung AG als Abteilungsleiter eintrat. Vater Hartmann, ein begnadeter Konstrukteur, hatte 1950 ein Stelleninserat in der Duisburger Morgenpost aufgegeben, welches Wolff sofort ansprach. Ein exzellenter Maschinenbauingenieur war gesucht für eine gut bezahlte und herausfordernde Stelle als Abteilungsleiter. Viel Verantwortung, die Führung von fünf Mitarbeitern, all das roch nach einer attraktiven Karriere. Wie zugeschnitten für einen wie Dieter Wolff. Bei seinem Vorstellungsgespräch bei Hartmann senior und junior waren sich die Parteien jedenfalls rasch handelseinig.

Schon damals, beim Vorstellungsgespräch, erinnert sich Wolff, war der Pförtner am Werkstor mürrisch. «Gehört wohl zu dieser Berufsgattung», hatte sich Wolff bei jenem ersten Besuch in der Firma gesagt. Aber da gab es noch dieses Fräulein Holbein, Hermine Holbein, die damalige Vorzimmerdame des Seniorchefs. Diese Frau mit femininer Ausstrahlung, die ein betörendes Parfüm zu tragen pflegt! Wolff streckt seine Nase in die Luft, als wollte er den Duft von einst noch einmal riechen, um damit seine üble Laune an diesem Morgen zu verscheuchen. Doch die schlechte Laune bleibt hartnäckig hocken auf Wolffs Gemüt. Das lässt darauf schliessen, dass bei Hartmann nichts mehr ist wie damals.

2. Akt: Parkplätze nur für die Direktion oder Warum das Parfüm der Sekretärin nicht mehr betörend wirkt

Kurz nach 7 Uhr an diesem Morgen fährt auch Hartmann junior, der Chef, mit seinem Opel Olympia auf das Werksgelände und parkiert seinen Wagen direkt neben dem Eingang des Hauptgebäudes. Dort sind zwei Parkfelder markiert. Darauf steht: «Parkplätze nur für die Direktion! Parkverbot für Unbefugte.» Seit Hartmann senior verstarb, ist einer der beiden Plätze leer. Das soll so bleiben. Mitarbeiter haben ihre Fortbewegungsmittel im hinteren Teil des Werkhofs abzustellen.

Heute ist auf 8 Uhr eine wichtige Sitzung einberufen. Dieter Wolff grübelt: Was kann das bedeuten? Thomas Hartmann, der Chef, rauscht beschwingt an ihm vorüber in sein Büro. Für den, denkt sich Wolff, scheint heute ein guter Tag zu sein. Wohl weil er weiss, was die Sitzung bringen wird. Hermine Holbein, die Vorzimmerdame, lässt sich von der demonstrativ guten Laune des jungen Hartmann nicht anstecken. Oft ertappt sie sich dabei, wie sie mit Sehnsucht an ihren alten Chef zurückdenkt. Der war noch ein richtig galanter Herr Direktor, einer, der auch mal zum Scherzen aufgelegt war oder ein paar private Worte zugelassen hatte.

Beim Junior herrschen andere Sitten. Der Umgangston ist unpersönlich und schroff, seine Stimme monoton und kalt. Galanterie ist nicht sein Ding, stattdessen ist er aggressiv. Manchmal gipfeln die spitzen Bemerkungen des Chefs gegen die Vorzimmerdame darin, dass er sich triumphierend vor Hermine Holbein aufbaut und mit schneidendem Ton verkündet: «Die alten Zeiten und der Schlendrian sind bei Hartmann nun vorbei.» Bei diesen Gelegenheiten duckt sich die gut aussehende Mittdreissigerin, die drei Sprachen fliessend spricht und in Stenografie fast schneller schreibt, als der Chef spricht. Gegen den Redeschwall des Chefs ist sie jedoch machtlos und entlädt ihre Frustrationen anderswo. Immer öfter verwendet Hermine Holbein Angestellten gegenüber, wenn diese in ihrem Büro ein Anliegen vorbringen, einen schroffen Ton. Manch einer hört den Chef aus ihr heraus und nicht mehr die Vorzimmerdame. Deshalb wird Holbein hinter vorgehaltener Hand immer öfter Vorzimmerdrachen genannt.

Es gibt aber noch andere Veränderungen in ihrer Persönlichkeit: Holbein klagt vermehrt über Migräne und andere Beschwerden. Früher war sie nie krank. Jetzt aber fehlt sie oft am Arbeitsplatz – sehr zum Ärger des Chefs. «Diese jungen Weiber sind heute überhaupt nicht mehr belastbar», sagt Hartmann, «statt die Zähne zusammenzubeissen, liegen die faulen Dinger im Bett und machen es sich gemütlich.»

3. Akt: Der Chef fletscht die Zähne oder Warum es keinen Morgenkaffee mehr gibt

Acht Uhr. Sitzungsbeginn. Alle Abteilungsleiter der Hartmann Metallbau AG haben sich im Sitzungszimmer eingefunden. Hermine Holbein hat einen Stoss Papier vor sich liegen, dazu einen Stenoblock und drei gespitzte Bleistifte – die Bedeutung des Kommenden ist unübersehbar. Es gibt keinen Kaffee, denn der ist abgeschafft, seit der alte Chef nicht mehr da ist. «Ist schliesslich kein Kaffeekränzchen hier», pflegt der neue Chef zu sagen.

Überhaupt findet Hartmann der Zweite, dass sein Vater in Sachen Führung viel zu lasch gewesen sei. «Disziplin und Gehorsam», pflegt er zu verkünden, «das sind die Tugenden von Untergebenen.» Diese Bemerkung entfuhr ihm neulich sogar an der Betriebsversammlung. Bei den Sympathiewerten hat er mit dieser Äusserung bestimmt nicht gepunktet. Dass die Arbeiter bei seinen regelmässigen Kontrollgängen durch die Werkshallen verstummen, sobald er näherkommt, interpretiert Thomas Hartmann als Zeichen seiner Autorität. Dass dieses Verhalten Ablehnung bedeuten könnte und die Arbeiter längst in der Unauffälligkeit Schutz suchen, dämmert dem Chef nicht. Dort, wo früher private Fotos oder Kinderzeichnungen an den Wänden hingen, ist nur noch kahle Mauer zu sehen. Ganz nach dem Motto: Nur nicht auffallen, dann kannst du auch nicht reinfallen!

An diesem Montagmorgen ist die Begrüssung durch Thomas Hartmann kurz. Die Zeiger stehen inzwischen auf 8.08 Uhr. Nun lässt der Chef die Bombe platzen. Mit unverhohlenem Stolz und vor Aufregung schriller Stimme verkündet er: «Ich habe die Mayer-Strüppenhaupt Blechverarbeitungs-GmbH in Gütersloh gekauft.»

Im Raum herrscht baffes Erstaunen. «Mayer-Strüppenhaupt? Das is ’n Ding!», entfährt es einem Abteilungsleiter. Mayer-Strüppenhaupt ist ein Hauptkonkurrent von Hartmann mit 280 Mitarbeitern, ein grosser Laden also. Und Hartmann hat den geschluckt.

Thomas Hartmanns Stimme überschlägt sich förmlich, als er die Zukunft seiner nun stark vergrösserten Firma skizziert. Er sieht nur noch rosa, zumindest für sich und die steigenden Gewinne seiner Firma. Ein leicht drohender Unterton macht sich bemerkbar, als er auf die Mitarbeiter zu sprechen kommt. Von gewissen...

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