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E-Book

Aufbruch aus Europa

Die Schweiz im asiatischen Zeitalter

AutorUrs Schoettli
VerlagNZZ Libro
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783038100812
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,90 EUR
Die Gewichte in der Weltwirtschaft verlagern sich allmählich in Richtung Asien, und die Beziehungen des Westens mit den asiatischen Volkswirtschaften unterliegen einem Prozess der qualitativen Veränderung. Der Asienkenner Urs Schoettli legt hier eine kritische Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen und Kooperationen der Schweiz mit den wichtigsten asiatischen Ländern vor. Er zeigt, wie die ungeheure Vielfalt Asiens als Chance und Herausforderung genutzt werden kann, weist auf Optionen und Risiken hin, die sich der Schweiz kurz- und mittelfristig bieten, und regt an, wie das Land seinen Eurozentrismus überwinden und vom kommenden asiatischen Zeit alter profitieren kann. Im Vordergrund stehen die wirtschaftlichen Aspekte der Positionierung der Schweizer Dienst leistungs- und Industrieunter nehmen, doch geht es auch um «soft factors» wie Kultur, Bildung, Forschung, die im Beziehungsgeflecht eine wichtige Rolle spielen.

Urs Schoettli studierte Philosophie an der Universität Basel. Von 1978 bis 1991 war er in führender Funktion in der Liberalen Internationalen in London tätig. 1983-1989 Südasienkorrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung» in Delhi. 1996-2009 Korrespondent der NZZ in Hongkong, Peking und Tokio. Seit 2009 ist er Kolumnist der NZZ und Asienberater bei Schweizer Unternehmen.

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Leseprobe

Länderspezifische Chancen und Risiken

In den folgenden Kapiteln sollen länderspezifisch die Risiken und Chancen des Auf- und Ausbruchs nach Asien ermittelt werden. Dabei wird für jedes Land beziehungsweise jede Region ein Schwerpunktbereich gewählt, der für einen schweizerisch-asiatischen Austausch besonders fruchtbar und für beide Seiten einträglich zu sein verspricht. Natürlich gibt es weitere Optionen, die aus einer anderen Perspektive als erstrebenswert scheinen mögen. Der Leser, insbesondere wenn er über eigene Asienerfahrung verfügt, kann da leicht seine eigenen Prioritäten setzen.

Der Aufbruch und Ausbruch nach Asien kann nur erfolgreich sein, wenn die bei einem Kleinstaat wie der Schweiz ohnehin beschränkten Mittel gebündelt werden. Vor allem ist es wichtig, dass man sich nicht in unnötigen und schädlichen Rivalitäten aufreibt. Grabenkämpfe, ob an der Heimfront oder im Ausland, absorbieren viel Energie. Besonders ärgerlich ist es, wenn sie in der Innenpolitik noch verschärft werden. Natürlich gilt auch für die Schweizer Politiker die Maxime «All politics is local», doch sollte man stets bedenken, welche Folgen Gesetzes- und Regulierungsmassnahmen für die globale Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz haben. Es wurde dargestellt, dass in Asien die Kleinstaatlichkeit der Schweiz geschätzt wird. Diese Wertschätzung kann allerdings stark geschmälert werden, wenn aus innenpolitischen Gründen oder wegen eines vermeintlich notwendigen Kotaus vor Brüssel oder Washington die Schweiz ihre eigenen Standortvorteile riskiert oder gar reduziert.

Wenn man die innenpolitischen Entwicklungen in der Schweiz aus der Ferne beobachtet, fällt auf, dass bei wichtigen politischen Entscheiden die Stimmen, welche die Aussenwirkung von zu beschliessenden Regularien und Gesetzen berücksichtigen, in der Regel nur sehr schwach und häufig auch noch widersprüchlich sind. Aus der Ferne erscheint es beispielsweise unverständlich, dass im Interesse des Industriestandorts Schweiz bei Anliegen, welche die Rahmenbedingungen der Exportindustrie betreffen, die bürgerlichen und sozialdemokratischen Kräfte im Parlament zu keinem Schulterschluss finden. Schliesslich nehmen ja beide Lager für sich in Anspruch, dass Vollbeschäftigung ein erstrebenswertes politisches Ziel ist und die Standortqualität, welche die Schweiz anzubieten bereit und fähig ist, wirkt sich nun einmal auch auf dem Arbeitsmarkt aus. Selbstverständlich ist der aus dem Pluralismus der Interessen erwachsende Streit, wenn es um innenpolitische und binnenwirtschaftliche Themen geht, natürlich und erwünscht. Überall dort, wo aber die unternehmerischen Rahmenbedingungen nicht von der Schweiz, sondern von fremden Instanzen festgelegt werden, sollte man kleinliche Parteiquerelen und die selbstsüchtige Bedienung von Klientelen in den Hintergrund drängen. Dies ist von besonderer Relevanz in Bezug auf Asien, wo die meisten politischen Systeme keinen oder nur einen sehr begrenzten Pluralismus zulassen und der Einsatz für nationale Interessen besonders energisch und virulent zu sein pflegt. Es ist ein grundlegender Unterschied, ob die Schweiz mit Deutschland und den Niederlanden oder mit Thailand und China konkurriert. Das müssen die Schweizer Politiker verinnerlichen, wenn sie sich mit Themen wie Zuwanderung, EU-Politik oder Steuerpolitik befassen und dabei die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz draussen in der weiten Welt zu bedenken haben.

Der Ruf nach der Bündelung von knappen Ressourcen betrifft auch die Überseeaktivitäten von Schweizer Institutionen, ob sie nun in der Schweiz oder vor Ort in den asiatischen Ländern angesiedelt sind. Dabei ist an Switzerland Global Enterprise, Standortförderungsprogramme und Städtepartnerschaften ebenso zu denken wie an die Schweizerischen Handelskammern und Schweizervereine vor Ort. Auch hier war wiederholt zu beobachten, wie kleinliche Rivalitäten und unnötige Sensitivitäten die Fokussierung auf gemeinsame Ziele vereitelten. Zu bedenken ist dabei insbesondere, dass wichtige Konkurrenten der Schweiz über sehr viel grössere Mittel verfügen, um ihre Auslandpräsenz zu markieren und ihre Ausseninteressen nachhaltig zu verteidigen. Populisten sind nur allzu schnell dabei, alles was mit Diplomatie, Aussenpolitik und Aus-senpräsenz der Schweiz zu tun hat, als Luxus abzutun. Sie nutzen dabei unterschwellig stets vorhandene Ressentiments gegenüber denjenigen aus, welche die Luft der grossen Welt atmen dürfen. Selbstbescheidung ist eine gute eidgenössische Tugend, aber auf der Weltbühne ist sie nicht immer der Weisheit letzter Schluss, insbesondere wenn man sich gegenüber Konkurrenten zu behaupten hat, die sich selbst keine Zurückhaltung auferlegen.

Positiv zu bewerten ist sicherlich die Mischung aus staatlichen und privaten, vollamtlichen und ehrenamtlichen Institutionen und Initiativen, die so typisch für die Schweizer Bürgergesellschaft sind. Da hat die Eidgenossenschaft in der Tat einen grossen Vorteil. Vielleicht sollte man sich gerade in den aufstrebenden asiatischen Ländern nicht zu schade sein, die Bürgergesellschaft und das Milizsystem als wichtigen Teil der Schweizer Identität zu präsentieren. Für die Schweizer selbst ist das so normal, dass sie oft vergessen, wie einzigartig dieser Einbezug der Bürger in die verschiedensten Gemeinschaftsaufgaben ist. In Asien haben zivilgesellschaftliche Institutionen nur in Japan und Singapur einen ähnlichen Stellenwert. Sicherlich kann es bei der Vielfalt der Akteure in der Schweiz wie auch vor Ort in Asien noch eine bessere Nutzung von Synergien und eine effizientere Abstimmung der Aktivitäten geben, als dies häufig der Fall ist. Doch sollte nicht vergessen werden, dass der Mix von staatlich und privat vor allem in den asiatischen Ländern mit ihrem hoch entwickelten Nationalstolz besonders nützlich ist. Da Länder ohne gut entwickelte Zivilgesellschaft und ohne milizartige Institutionen auf nationalstaatliche Instrumente zurückgreifen müssen, kann leicht der Vorwurf der «fremden Einmischung» auf den Tisch kommen und in solchen Momenten können viel Goodwill und oft auch Zugänglichkeit auf der asiatischen Seite verwirkt werden.

Japan – Vorbildhafte Innovationskraft

2014 feierten die Schweiz und Japan 150 Jahre bilaterale Beziehungen. Die Eidgenossenschaft war eines der ersten europäischen Länder, das mit dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich in einem monumentalen Aufbruch befindende Nippon offizielle Kontakte etablierte. Rasch folgten Schweizer Pioniere der ersten von Bern entsandten Delegation auf den Fuss. Seither haben sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und Japan positiv entwickelt. Als neutraler Kleinstaat war die Schweiz nicht in die beiden Weltkriege verwickelt, deren Schatten noch heute auf einer Reihe von bilateralen Beziehungen Tokios lasten. Der rasante Aufstieg Chinas während der vergangenen drei Jahrzehnte hat natürlich auch in der Schweiz die Menschen, insbesondere die Wirtschaftsexponenten beeindruckt und häufig auch begeistert. Darüber wurde Japan, das noch in den 1980er-Jahren als künftige Supermacht gepriesen oder gefürchtet wurde, in den Hintergrund gedrängt. Auch in der Schweiz sind Verkaufsseminare und Vorträge zu China weitaus besser besucht als zu Japan, und in Diskussionen über die wirtschaftlichen, politischen und geopolitischen Entwicklungen in Ostasien figuriert China als Schwergewicht, während Japan kaum zur Sprache kommt.

Zunächst scheint das erheblich geringere Interesse, das Japan in der Schweiz im Vergleich zu China zu erringen vermag, die Folge einer allgemeinen, auch in anderen Ländern zu beobachtenden Ambivalenz gegenüber dem Land der aufgehenden Sonne zu sein. Bis zum Platzen der Spekulationsblase im Jahre 1989 war Euphorie angesagt und, nachdem Japan über zwei Jahrzehnte hinweg nur moderates Wirtschaftswachstum und Stagnation zu vermelden hatte, griff tiefster Pessimismus um sich. Beide Haltungen waren natürlich überzogen und bedürfen der Korrektur. Für Firmen und insbesondere für mittelständische Unternehmen, die ihre knappen Mittel sorgsam bündeln müssen, ist es schwierig, in Asien gleich an mehreren Orten präsent zu sein. Japan ist zudem auch für grosse auswärtige Investoren und multinationale Unternehmen kein einfaches Pflaster. Als Inselnation hat es hohe Schranken gegen die Internationalisierung seiner Wirtschaft errichtet, ein Sachverhalt, der auch von anderen Ländern als der Schweiz wahrgenommen und kritisiert wird. Wer nicht Mittel im Überfluss hat, wird somit logischerweise beschliessen müssen, sein Augenmerk dorthin zu richten, wo die Früchte (vermeintlich) tiefer an den Bäumen hängen.

Dieses Buch plädiert für eine pluralistische Asienstrategie mit vielen Zielen in möglichst allen Regionen des Riesenkontinents. Deshalb wird hier auch dem Stand- und Zielort Japan das Wort geredet. Obschon die Japaner sich selbst nicht als Asiaten, sondern als Zivilisation sui generis betrachten, sollte das Land in keiner längerfristigen und umfassenden Asienstrategie fehlen. Die wechselseitigen Benefizien sind zu gross, als dass man dieses Inselreich beiseitelassen sollte. Ohne Zweifel wird Japan seit den 1990er-Jahren von den Schweizer Firmen stiefmütterlich behandelt. Ähnliches gilt auch für wichtige EU-Mitglieder, die ebenfalls dem China-Enthusiasmus und Japan-Skeptizismus verfallen sind. Vertreter europäischer Firmen in Japan beklagen sich häufig darüber, dass man in der Zentrale daheim kaum mehr Gehör finde, obschon die Geschäfte in Japan gut liefen und mit Sicherheit in den meisten Fällen höhere Erträge realisiert würden, als dies beim häufig defizitären Chinageschäft der Fall sei. Auffällig war und ist in der Tat, wie viel westliche Investoren und Manager im...

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