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E-Book

Robert Bosch

Unternehmer im Zeitalter der Extreme

AutorPeter Theiner
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl505 Seiten
ISBN9783406705540
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Robert Bosch (1861 - 1942) war einer der erfolgreichsten deutschen Unternehmer des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig ein Pionier der sozialen Marktwirtschaft. Mit diesem Buch liegt die umfassende Biographie eines Visionärs vor, der wie kaum ein anderer über seine Zeit hinaus gedacht hat. Robert Bosch eröffnete1886 in einem Stuttgarter Hinterhaus die Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik, die heutige Robert Bosch GmbH. Hier entwickelte er bahnbrechende Innovationen für das Kraftfahrzeug und konnte als industrieller Unternehmer schon bald international große Erfolge verzeichnen. Sein Name steht heute exemplarisch für die Motorisierung des Verkehrs und die Elektrifizierung des Haushalts. Darüber hinaus wirkte er mit ausgeprägtem politischem Profil als sozial verantwortungsbewusster Stifter und Mäzen. In einer Zeit der Kriege und Umbrüche, in einem Zeitalter der Extreme, positionierte sich Bosch als überzeugter Demokrat, der die deutsche Geschichte gegen den Strich bürstete. Peter Theiner begibt sich in seiner eindrucksvollen Biographie auf die Spurensuche dieser faszinierenden Persönlichkeit - eines Wegbereiters der Moderne, der eines der ersten Weltunternehmen gründete.

Peter Theiner ist promovierter Historiker und Direktor für den Bereich "Geschichte der Philanthropie" der Robert Bosch Stiftung.

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Leseprobe

Kapitel 2

Der Große Krieg


Der bayerische Militärbevollmächtigte in der Hauptstadt, Karl Ritter von Wenninger, sah «überall strahlende Gesichter», als er sich am 31. Juli 1914 ins preußische Kriegsministerium begab, und notierte weiter: «Händeschütteln auf den Gängen; man gratuliert sich, daß man über den Graben ist.»[1] Was der Generalleutnant hier beobachtete, war die Erleichterung der Militärs über die Generalmobilmachung des Deutschen Reiches, die der Kaiser als Antwort auf die am gleichen Tage in Berlin eingetroffene Nachricht von der russischen Generalmobilmachung verkündet hatte. Damit war die Phase quälenden Wartens für die Offiziere beendet, der Erste Weltkrieg hatte begonnen. Und der Grund für die Erleichterung der Militärs war wohl weniger frivole Vorfreude auf einen Angriffskrieg. Erleichterung machte sich vielmehr breit, weil das Räderwerk der militärischen Planungen für den kommenden Zweifrontenkrieg gerade noch rechtzeitig in Gang gesetzt werden konnte, den die Militärs jetzt ohnehin für unabwendbar hielten.

Mobilmachung und Augusterlebnis


Robert Bosch, zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Bilde über die russische Generalmobilmachung, kommentierte das dramatische Geschehen auf der internationalen Bühne in einem Brief an seine Frau: «Ich gebe an und für sich die Hoffnung noch nicht auf, dass es nicht zum Kriege kommt, wenngleich ich auch nicht verstehen kann, dass es nicht möglich gewesen sein soll, innerhalb der verflossenen 8 Tage Klarheit darüber zu schaffen, ob Österreich sich verpflichtet hat, keine Gebietserweiterung vorzunehmen, und Russland dazu zu bringen zu erklären, dass es nicht eingreife, wenn Ö. die Selbständigkeit Serbiens nicht vernichtet. Dass das nicht möglich war, ist gewiss bedenklich, und man kann wohl annehmen, d.h. es ist nicht ausgeschlossen, dass weder Ö. noch R. bestimmte Erklärungen abgeben, was natürlich ein bedenkliches Zeichen ist. Wenn Russland immer weiter mobilisiert, so muss sich Deutschland im eigenen Interesse schliesslich auf den Standpunkt stellen zu sagen, entweder ihr stellt ein oder wir fangen an.»[2]

Das war eine bis heute gültige Analyse der Lage und der verhängnisvollerweise unterlassenen Schritte zu einer Entspannung der explosiven Situation – und sie klang alles andere als kriegsbegeistert. Die vage Hoffnung, Österreich-Ungarn würde nach dem Attentat von Sarajevo allenfalls gegenüber Serbien, wo der Ursprung des Mordplans gesehen wurde, ein militärisches Exempel ohne weitergehende territoriale Ansprüche statuieren und damit ein militärisches Eingreifen Russlands vermeiden, diese Wunschvorstellung von einem «Halt in Belgrad» war bis hinauf zum Kaiser durchaus verbreitet. Selbst der österreichische Botschafter in London durchschaute die Absichten seiner Regierung nicht, die auf erhebliche territoriale Veränderungen auf dem Balkan nach einem Sieg über Serbien hinausliefen – zwar nicht direkt zugunsten der Doppelmonarchie selbst, wohl aber durch die Überlassung serbischer Gebiete an die südosteuropäischen Rivalen, um damit großserbischen Ambitionen den Garaus zu machen.[3] Dieses Kalkül ignorierte, dass Russland als Schutzmacht Serbiens ebenso wenig wie sein französischer Bündnispartner eine wie auch immer geartete «Zermalmung» des Balkanstaates zulassen würde. Damit würde ein großer Krieg unabwendbar, eine Entwicklung, die Robert Bosch sehr klar voraussah, ebenso wie die Möglichkeit, dass England dann in den Konflikt eingreifen und Deutschland sich folglich im Krieg gegen drei Großmächte befinden würde. Ihm blieb allerdings verborgen, dass die Reichsregierung das Vorgehen der Doppelmonarchie von Anfang an begünstigte, ja sogar beflügelte und erst im denkbar spätesten Abschnitt der Julikrise eher halbherzig zu dämpfen versuchte. Dahinter stand das ebenso machiavellistische wie von Fatalismus geprägte Kalkül, die neuerliche Balkankrise gleichsam als regionale Angelegenheit zu behandeln, sie zu «lokalisieren», dabei den letzten verbliebenen Bündnispartner zu stützen, den russischen Kriegswillen zu testen und im optimalen Falle die gegnerische Bündniskonstellation aufzusprengen. Diese Überlegungen der politischen Führung in Berlin, durch ein diplomatisches Spiel mit höchstem Risiko eine Neuformierung der europäischen Mächtekonstellation zu erzwingen – oder aber bei diesem «Sprung ins Dunkle» die militärische Konfrontation in Kauf zu nehmen – ist für die Zeitgenossen weithin hinter einem Schleier aus Desinformation verborgen geblieben.

Auf alle Fälle hätte Robert Bosch eine deutsche «Strategie des kalkulierten Risikos»[4] in der Julikrise 1914 nicht befürwortet, dazu dachte er zu ausgeprägt in Kategorien der grenzüberschreitenden Interessenverflechtung – wenngleich flüchtige Spuren der in den Führungsschichten tief verankerten Bedrohungsängste wegen der ungebremsten russischen Rüstungsanstrengungen auch in seinen Überlegungen nicht zu übersehen sind.

Wer Meinungsklima und Mentalitäten in Robert Boschs Lebenswelt im Europa der Vorkriegsjahre beschreiben will, stößt auf ein höchst ambivalentes Bild. Viele Militärs, insbesondere in den oberen Rängen der deutschen Streitkräfte, hielten einen kommenden Krieg nicht nur für unvermeidlich, sondern zum Teil auch für wünschenswert im Sinne einer «Reinigung» vermeintlich unübersichtlicher Verhältnisse, sodann zur Konservierung der bestehenden Ordnung, zur Mehrung des eigenen Prestiges und, gestützt auf sozialdarwinistische Ideen, zur moralischen und physischen Ertüchtigung der Nation. Doch diese Sicht war gemischt mit der Angst, dass ein großer europäischer Krieg alle Schrecken bisheriger Konfrontationen in den Schatten stellen und das Ende der monarchischen Ordnung herbeiführen würde. Stimmen aus dem Lager der Militärs erkannten jedoch hellsichtig und auch mit gewisser Enttäuschung, dass Bankiers und Unternehmer aus Vernunftgründen und rationalem Geschäftsgeist sich kaum für einen Krieg würden gewinnen lassen. Damit waren auch weltmarktorientierte Unternehmer wie Robert Bosch gemeint.[5] Außenpolitische Fragen von existentieller Bedeutung, die Frage «Krieg oder Frieden?», hatten ihn bisher nur am Rande berührt. Aber seine Grundhaltung war unzweideutig. Im Dezember 1912, vor dem Hintergrund einer neuerlichen Balkankrise, als Kriegsgerüchte in der Luft lagen, antwortete er einem Freund auf die Frage «Dann sind Sie also nicht für einen Krieg?»: «Ich bezahle lieber 10 Millionen Mark, wenn ich dadurch einen Krieg vermeiden kann.» Im Rückblick ging er noch weiter: «In Wirklichkeit schätze ich das, was ich durch den Krieg verloren, Absatz- und Entwicklungsmöglichkeiten, für mich wertvoller, als mein ganzes Vermögen betrug.»[6]

Das entsprach mentalitätsgeschichtlich den Grundhaltungen, wie sie der exzellent redigierte linksliberale «März» propagierte, eine politisch-literarische Wochenschrift, die der Unternehmer förderte, in deren Haltungen zu Fragen der inneren und äußeren Politik er sich wiedererkennen konnte. Conrad Haußmann, der führende, analytisch und rhetorisch überaus begabte linksliberale Reichstagsabgeordnete aus Stuttgart, hatte den jungen Theodor Heuss zum Redakteur des «März» gemacht. Der «März» war dem für seine Karikaturen bekannten «Simplicissimus» verwandt, sollte aber zurückhaltender, sachlicher auftreten. Ursprünglich sollte das Blatt unter dem Titel «Süddeutschland» herauskommen, eine deutliche Spitze zugunsten einer eigenständigen, nicht preußisch geprägten politischen Kultur. 1906 hatte Ludwig Thoma das Programm des «März» skizziert: «Wir haben keine kleinen Ziele und Absichten. Wir wollen in Politik, Literatur, Kunst und Wissenschaft alles sammeln, was in Süddeutschland etwas weiß und kann. Süddeutschland – nicht so wie man es in Berlin abgrenzt, sondern die alten süddeutschen Kulturländer, also Österreich und Schweiz […] wieder in Deutschland einbegriffen. Tendenz: Nur Positives bringen und freiheitlich sein. Politisch keiner Partei dienen, aber ungefähr die Stimmung der guten 48er halten […] Wir wollen alle süddeutschen Kräfte sammeln und zeigen, dass wir Kerle sind.»[7]

Eine Anzeige im «Simplicissimus» warb für den «März», der mit seinem Namen an die Revolution von 1848 erinnern sollte. Die Zeitschrift sollte darlegen, «was Deutschland nottut in dieser Zeit des Übergangs vom persönlichen Regiment zu gesicherten politischen Zuständen»[8]. Der «März» schrieb gegen alles an, was im Innern und nach außen konfliktverschärfend erschien. Als Förderer befand sich Robert Bosch im Schulterschluss mit dem Verband für internationale...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Über das Buch505
Über den Autor505
Impressum4
Inhalt5
Vorwort9
Zitat11
I Herkunft und Aufstieg13
Württemberg vor der Industrialisierung13
Familienleben und politische Kultur15
Lernen und Lebenswelt20
Reisen und Reformen29
Take off, Firmengründung und «Gewürge»39
Erfolge, Expansion und Internationalisierung46
Modernisierung und Gesellschaftspolitik56
Sozialpolitik bei Bosch64
Bürgerstolz und Mäzenatentum69
Reformstau, Taylorismus und ein Streik76
Keine politische Konversion und eine liberale Enzyklopädie82
II Der große Krieg92
Mobilmachung und Augusterlebnis92
Wut und Mäßigung97
Die große Not und das Stiften106
Der Sinn und die Ziele des Krieges127
Der Deutsche Nationalausschuss138
«Mitteleuropa»141
Friedensresolution und Kanzlersturz147
Eine Denkschrift vor der letzten Offensive154
Über den Krieg hinausdenken: Die Deutsche Hochschule für Politik155
Das Platzen der «Seifenblase»158
III In der Weimarer Republik164
Kein Systemwechsel ohne freie Wahlen165
Der Demokratische Volksbund169
Räte, Sozialisierung und Betriebsverfassung173
Das Unternehmen und die Kriegsfolgen187
Weichenstellungen für die Unternehmensverfassung190
Neuansatz in der Unternehmenskommunikation193
Sozialpolitik in der Firma200
Auf der Suche nach dem Frieden203
Wandel durch Annäherung und europäische Integration212
Für ein Ende des «Dauerfranzosen»224
Krise, Erneuerung und Zukunftssicherung im Unternehmen230
Für die Republik und die Völkerverständigung240
IV Diktatur und Widerstand257
Die Machtübertragung257
Ein «Schutzwall» vor dem Unternehmen263
«Gleichschaltung» und Illusionen269
Rüstungsboom und Vorbehalte277
Motive für den Widerstand292
Das Ende der freien Erwachsenenbildung und der freien Medien293
Das Unternehmen und die «Nazi-Welle», ein Jubiläum und der Bosch-Zünder297
Eine neue Klinik307
Bosch und die jüdischen Mitbürger310
Im Strudel der Kriegsökonomie321
Noch immer für Frieden und Zusammenarbeit334
Die Verbindung Bosch – Goerdeler343
Getarnte Geschäftsreisen, Anläufe und Paradoxien des Widerstandes354
Ein Staatsbegräbnis für den Unternehmer391
Epilog395
Zwangsarbeit bei Bosch und späte Entschädigung der Opfer395
Verschwörung, Scheitern und späte Ehrung402
Entscheidung für die Robert Bosch Stiftung410
Anhang413
Dank415
Anmerkungen416
Abkürzungsverzeichnis473
Archive475
Zeitungen und Zeitschriften476
Gedruckte Quellen und Literatur477
Personenregister500

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