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E-Book

Theodor Fontane

AutorHelmuth Nürnberger
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783644400900
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Theodor Fontane (1819-1898) war einer der vielseitigsten deutschsprachigen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts: Seine Theater- und Literaturkritiken, seine Balladen und Gedichte, seine Reisebriefe und Reportagen gelten als Meilensteine der jeweiligen Gattung. Meisterhaft aber sind vor allem seine Romane, die zu den Höhepunkten der gesellschaftskritischen europäischen Literatur seiner Zeit zählen. Mit «Irrungen, Wirrungen» und «Frau Jenny Treibel», «Effi Briest» und dem «Stechlin» gelangen Fontane Werke, die zum Kanon der Weltliteratur gehören. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Helmuth Nürnberger, Univ.-Prof., Dr. phil., geb. 1930 in Brüx in Böhmen, Studium der Philologie und Geschichte in Münster und Hamburg, lehrte neuere deutsche Literaturwissenschaft an den Universitäten Flensburg und Hamburg. Vorsitzender der 1990 in Potsdam gegründeten Theodor-Fontane-Gesellschaft. Buchveröffentlichungen: Hg. (mit W. Keitel) der «Werke, Schriften und Briefe» Theodor Fontanes (1962-1997); «Fontanes Welt» (1997). Veröffentlichungen zur deutschen und österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Für «rowohlts monographien» schrieb er die Bände über Theodor Fontane, Johannes XXIII. und - zusammen mit Karen Baasch - Oswald von Wolkenstein.

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Leseprobe

Selbstbildnis und Legende


Mit der einzigen absoluten Promptheit seines Lebens, der briefschreiberischen[5], hat Fontane Tausende von Briefen geschrieben. Zeitweilig fürchtete er kolossale Überschüsse. Dabei war er der Mann der langen Briefe, der Heines Frage «Lieber Dumas, Sie haben gut schreiben, aber wer soll es lesen?»[6] zitierte, sich aber über die Mahnung, die sie enthielt, hinwegsetzte, weil es ohne die Nebensachen, die er gewissenhaft ausmalte, keine Hauptsache gab; zuweilen erzählte er von dieser erst spät und in unauffälliger Weise. Eine große Zahl seiner Briefe ist bereits gedruckt (viele freilich nur ad usum delphini, gekürzt vor allem um zeitkritische und politische Auslassungen), die Veröffentlichung zahlreicher anderer steht bevor, und noch immer kommen neue ans Licht. Sie sind voller origineller Urteile, voller Witz und Laune; Beobachtungskraft und Mitteilungsfreude zeichnen sie gleichermaßen aus. Überschüsse gab es auch: überraschende Treffer in gesellschaftliches Neuland, wohin der Blick gerade jener Zeitgenossen gemeinhin nicht reichte, die Fontane in seinen Romanen beschrieb und für die er diese schrieb; von meinen Worten möcht ich gelegentlich sagen: sie haben mich[7], heißt es bereits 1854 gegenüber Storm. Es gibt viele frühe Briefe, die wie eine schriftstellerische Übung anmuten, und allmählich vollzog sich die Umkehrung: nun hatte er die Worte. Nicht mehr Übung, ein Teil seines Werkes war die Korrespondenz zuletzt. Als 1954, 100 Jahre nach dem zitierten Brief an Storm, Fontanes Briefe an den schlesischen Amtsgerichtsrat Dr. Georg Friedlaender in einer vorzüglichen Ausgabe, besorgt von Kurt Schreinert, aus dem Nachlass erschienen, war dies ein literarisches Ereignis, nicht nur für Germanisten: ein Kritiker, der, wenngleich nur im Rahmen einer privaten Korrespondenz, die Provokation suchte, ein Aufklärer, entschiedener, als man ihn zu kennen geglaubt hatte, trat hervor. Die Sorgfalt, die Fontane auf seine Briefe verwandt hatte, ist nicht umsonst gewesen. Abgesehen nun von dem unbezweifelbaren künstlerischen Rang: in den Briefen ist, wie nirgends sonst, sein Leben aufgezeichnet.

Eine zweite Quelle von kaum geringerem Reiz, allerdings von unsicherer faktischer Zuverlässigkeit, bilden die autobiographischen Bücher und Entwürfe. Ihr besonderer Wert liegt darin, daß sie uns mit einigen grundlegenden Erfahrungen Fontanes vertraut machen, die wir aus der Korrespondenz nicht genügend kennen. Es sei nur an die Gestalt des Vaters erinnert, wie sie uns in Meine Kinderjahre begegnet, und an die Selbstinterpretation des alten Dichters, die sich damit verbindet. Im Einzelnen voller treffender Urteile und durch die Hellsicht hoher Lebensreife legitimiert, sind die autobiographischen Schriften freilich durchgehend von einer harmonisierenden Tendenz bestimmt, die geeignet ist, zu vollständigen Fehlschlüssen zu verleiten. Für etwaige Zweifler also sei es Roman!, schreibt Fontane, der nicht auf die Echtheitsfrage hin interpelliert werden möchte[8], im Vorwort der Kinderjahre; ähnlich vielsagend heißt es über eine Partie in Von Zwanzig bis Dreißig im Tagebuch: Zum Glück hatte ich nur Gutes geschrieben, so daß mir die üblichen Zurechtweisungen erspart blieben.[9] Älteren Veröffentlichungen über Fontane, zum Beispiel der seinerzeit vielbeachteten Monographie Conrad Wandreys, ist anzumerken, dass die Jugendbriefe, die das beste Korrektiv zur Autobiographie darstellen, damals noch nicht bekannt waren. Wo im Folgenden Fontane zu Worte kommt, ist stets besonders zu beachten, von wann die Äußerung stammt. Obwohl nur gleichzeitige Äußerungen für die behandelten Jahre vollen Quellenwert haben können, darf auch auf die Autobiographie nicht verzichtet werden. Sie enthält, was dem Autor aus dem Abstand der Jahrzehnte erzählenswert schien, und damit das Bild, das er von sich selbst zu geben wünschte.

Die Tagebücher (8 Bände mit rund 2200 Seiten gelangten 1933 zur Versteigerung und danach in Privathand) sind erst zum kleineren Teil im Druck erschienen. (Was von den ungedruckten Beständen den Krieg überdauert hat, konnte 1993 vom Fontane-Archiv in Potsdam erworben werden und ist dadurch wissenschaftlicher Erschließung zugänglich geworden.) Fontane hat fleißig und gewissenhaft Tagebuch geführt, doch stellte es für ihn kein Instrument ausgebreiteter Reflexion und keine selbständige literarische Form dar. Seine Tagebücher sind im Regelfall Alltagsbücher. Die Aufzeichnungen über die erste Reise nach England, die unter der Bezeichnung «Tagebuch» veröffentlicht wurden, nähern sich dem novellistischen Reisebericht. Einige spätere Blätter von dort sind von vornherein für den Vater bzw. für einen Vorgesetzten bestimmt und verzeichnen daher sorgfältig die Bemühungen um Existenzgründung und um dienstliche Vorgänge. Die Papiere aus den letzten Lebensjahren, die zuerst Ernst Heilborn 1921 veröffentlichte, enthalten Elemente einer Selbstdarstellung und -stilisierung unter dem Gesichtspunkt des Künstlers. Gemessen an den genannten Aufzeichnungen erscheinen die für Fontane wirklich charakteristischen weniger interessant und blieben daher unpubliziert. In ihnen wurden vorwiegend die täglichen Vorkommnisse des äußeren Lebens verzeichnet, während zur Niederschrift literarischer Pläne, für Exzerpte aus Quellen und für erste Entwürfe rund 70 Notizbücher dienten. Für die Chronologie macht gerade diese Trockenheit die Tagebücher besonders ergiebig (Hermann Fricke konnte für seine «Chronik»[10], die daher ein unentbehrliches Hilfsmittel bleibt, noch aus ihnen schöpfen), während sich aus den Notizbüchern diffizile künstlerische Überlegungen erschließen lassen.

Schließlich enthalten die Gedichte, die Reise- und Wanderbücher, die Theaterkritiken, die zahlreichen literaturkritischen Arbeiten und die Aufzeichnungen zur Lektüre, die im Nachlass gefunden wurden, eine Fülle von Äußerungen, in denen Fontane sich, nicht ohne Ironie, selbst ins Spiel bringt. Ja, er mag nicht einmal in seinen politischen Korrespondenzen darauf verzichten, und er hat noch als erfahrener Journalist den Tadel einer Redaktion einstecken müssen, dass er zu «gemütlich» werde.[11] Die Prosa seiner Romane ist auf den «Fontane-Ton» – wie Felix Poppenberg ihn zuerst genannt hat – gestimmt, ein eigenwilliges und unverwechselbares Parlando, in dem der Autor fast allgegenwärtig scheint. Mit einigen seiner Gestalten – es sei nur an Lewin von Vitzewitz und an Dubslav von Stechlin erinnert – hat sich Fontane darüber hinaus in kaum verschlüsselter Weise identifiziert.

Eine überreiche Fülle von «Zeugnissen»; man muss auswählen, was nicht ausgewählt sein will, weil es auf ein Anderes, oft auf ein Gegenteiliges bezogen ist. Die hübschen Breviere, die Fontanes Namen tragen, in Ehren: aber aufschlussreicher wäre eine Synopse gewesen.[12] Heilborn hat es mit der «Natur» Fontanes erklärt, dass dieser seine Meinung so oft änderte. «Bei ihm ist’s Wesensart, daß er sich vielfach widerspricht und des kein Arg hat. Er urteilt immer und sorglos aus der Stimmung heraus. Um Ja und Nein sind bei ihm nur die Kreise der fontaneschen Persönlichkeitsauswirkung gezogen, die sich aber schneiden.»[13] Die Verbindlichkeit, mit der Fontane sich äußerte, war sehr gestuft, und Dubslavs Zurechtweisung der Domina Über solche Dinge spaß’ ich überhaupt nicht[14] – als diese sich unsicher zeigte, ob die Äußerungen ihres Bruders über Keuschheit ernst gemeint seien – steht ziemlich allein. Es gilt jedoch, die zunehmende Bewusstheit zu berücksichtigen, mit der Fontane der Eigenart seiner Natur genügte. Die Sinneswandlungen seiner aufgewühlten Jugend mag man mit starker Impulsivität zureichend erklären. Je älter Fontane aber wurde, desto mehr wurde die Lust an der Paradoxie und an der Polyperspektive zu einem Teil der künstlerischen Willensbildung. Ein ehemals starkes Bedürfnis nach Taten und Abenteuern, nach Freiheit und Veränderung rumorte im Untergrund der kritischen Schau und ließ das erkennende Subjekt wie auf einem Vulkan leben. Ruhelos wurde das Erkannte differenziert. Insofern sorgte sich Fontane auch später nicht darum, ob er sich unversehens selbst widersprach. «Sorglos» waren diese Urteile darum nicht, sondern Ausdruck einer erregbaren und leidensfähigen Natur. Die gewagten Anschauungen, mit denen Fontane in den Gesprächen und Briefen seiner Romane ebenso wie in privaten Briefen an geeignete Empfänger bewusst exzellierte, sind Dokumente seiner «verantwortungsvollen Ungebundenheit» (Thomas Mann), der «Verbindlichkeit des Unverbindlichen» (Brinkmann). Immer mehr musste zudem im Werk des Greises das «Wie» für das «Was» eintreten. Alles Plauderei, Dialog, in dem sich die Charaktere geben, und mit ihnen die Geschichte. Natürlich halte ich dies nicht nur für die richtige, sondern sogar für die gebotene Art, einen Zeitroman zu schreiben […].[15] Es ist Fontanes eigene, aus Wissen und Artistik geformte Überzeugung, die Dubslav sagen lässt: Was ich da gesagt habe … Wenn ich das Gegenteil gesagt hätte, wäre es ebenso richtig.[16] Worte eines Causeurs, gewiss, aber mehr noch die eines unabhängigen Geistes, der sich vor Schulmeinungen hütete.

Fontane wünschte zu verhüllen, indem er darstellte, darzustellen, indem er verhüllte. Ihm gerecht zu werden wird daher niemals leicht sein. Seine krisenreiche...

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