Rohstoff „Wissen“ als Chefsache – ein selbstverständlicher Begriff, der so selbstverständlich nicht ist
Der General Manager hatte sich seine Auszeit irgendwie anders, erholsamer vorgestellt. Es war nicht zum ersten Mal, dass er eine Phase beruflicher und nervlicher Überforderung zu verdauen hatte. Er wusste, dass dies ein Gefühl der inneren Leere erzeugen konnte, obwohl ansonsten jeder Tag und das ganze Leben randvoll und überquellend scheinen mochte. Er aber wurde leer von Erschöpfung. Leer, weil er glaubte, sich in einem Hamsterrad zu drehen. Und keine Gelegenheit fand, den Akku aufzuladen. Alles verschwamm ohne Perspektive. Nichts war mehr wie vorher. Hinter ihm klatschte das Wasser müde gegen die Molen, und manchmal schabten die Fender der vertäuten Fischkutter leise gegen das Holz der Anlegestelle. Der Tag war heiß und vollkommen windstill. Es roch nach Meerwasser, Schlick und Algen. In der Nähe von Wasser hatte er noch nie eine so klare Abgrenzung einzelner Gerüche erlebt. Und wenn der Wind vom Wasser herein strich, mischte sich alles wieder durcheinander. Eine schläfrige Mittagsstimmung machte sich breit. Er musterte die Spielhalle, mit der zur Straße hin weit geöffneten Glasfront. An der Bar hingen ein paar Leute herum und waren das Aufblinken der zahlenlosen roten, grünen oder blauen Lichter an den Automaten vertieft. Die ihnen einen Gewinn zumindest für einen nächsten Drink zu versprechen schienen.
Dem Manager wurde immer bewusster, dass es nur jegliche Form von Wissen ist, was das Gedächtnis seines Unternehmens ausmacht. Wissen ist das Wertvollste, was ein Unternehmen besitzt. Wissen ist der einzige Rohstoff, der sich durch Gebrauch vermehren lässt. Wissen ist in den Köpfen der Mitarbeiter gespeichert. Wissen ermöglicht durch Transfer Multiplikatoreffekte. Wissen muss geschützt und gesichert werden. Wissen muss identifiziert werden. Wissen muss bewertet werden. Wissensmanagement ist Chefsache. Was nicht gespeichert ist, hat nicht stattgefunden, ist demnach kein Wissen. Wissen wird über Datenwolken an Dritte ausgelagert. Google verfügt über die größte Wissenssammlung der Welt. Wissen, das im Internet frei verfügbar gemacht wurde, hat damit seinen Wert verloren. Information ist nicht gleich Wissen.
Wie jeden Freitagnachmittag um drei tagte im Konferenzraum der Chefetage -in einem eher unscheinbaren Gebäude der Bürostadt- das Managementteam der Firma, um sich über die wichtigsten Projekte der nächsten Zeit abzustimmen, Aktivitäten zu koordinieren und falls erforderlich, zielführenden Maßnahmen zu beschließen. Ein Projekt „Wissen“ hatte es so bisher noch nicht gegeben. Auch nicht in ähnlicher Form. Jedenfalls konnte sich niemand im Raum daran erinnern. Der Projektmanager Wissensbilanz wollte daher zunächst einiges Grundsätzliches zum Projektmanagement vortragen und eröffnete die Gesprächsrunde mit Ausführungen zu Projektzielen und Projektphasen: „Der erste Schritt bei der Lösung eines Geschäftsproblems besteht in der Modellierung eines adäquaten Lösungspfades. Denn unser geplantes Projekt kann erst zur Lösung beitragen, wenn ein Geschäftsproblem auf Beschreibungs- oder Vorhersageproblemen beruht. Zur weiteren Vorgehensweise gehört ein Phasenkonzept, das meistens eine oder mehrere Prototypstufen umfasst. Diese Prototyping Vorgehensweise ermöglicht uns, kurzfristig ein überschaubares (Teil-) System produktiv einzusetzen, um damit auch die Akzeptanz, den Datentransfer oder die praktischen Anwendungsoptionen real testen zu können. Die dabei gewonnenen Erfahrungen können beim anschließend realisierten Zielsystem berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen ist nicht nur erheblich kostengünstiger, sondern ermöglicht auch kürzere Einführungszeiten als die konventionelle Vorgehensweise.“
Der Controller dringt darauf, vor allem den Nutzen des Projektes zu bewerten. In seinem perfekt geschnittenen Anzug, elegant und in gedeckten Farben, gibt er nichts von sich preis. Ziemlich aalglatt, genau die Sorte, die man sich in diesem Job erwartet. Als ob man versuchen würde, den blauen Dunst mit Händen zu greifen. Unter seinen buschigen Brauen hervor beäugte er kritisch die Runde. Und fordert energisch: „Für jede der alternativ in Frage kommenden Lösungen werden kriterienbezogene Punkte vergeben. Dabei werden die Punkte auf einer beliebigen Punkteskala, beispielsweise von 0-5 oder von 0-10, je nach dem Grad der Erfüllung des jeweiligen Beurteilungskriteriums durch die Software vergeben (0 = Kriterium nicht erfüllt, 5 oder 10 = bestmögliche Erfüllung des Kriteriums). Bei der Anwendung einer gewichteten Nutzwertanalyse kann nach dem von ihm vorgegebenen Ablaufschema vorgegangen werden. Bestimmung der Ziele bzw. Kriterien: Zunächst werden die für die Bewertung heranziehbaren Kriterien möglichst umfassend aufgeschrieben und auf eventuell vorhandene Überschneidungen hin untersucht. Gewichtung der Ziele: Die Bedeutung der einzelnen Bewertungsziele wird durch eine im Allgemeinen prozentuale Gewichtung festgelegt (dieser Schritt ist wegen der Gefahr zu starker subjektiver Wertvorstellungen seitens der beteiligten Personen besonders problematisch). Wahl der geeigneten Skalierung: Für die Zuordnung von Erfüllungsgraden der Zielkriterien und für die Zusammenfassung der unterschiedlichen Teilnutzen ist eine geeignete Skalierung erforderlich, beispielsweise eine Schulnotenskala von 1 bis 6 für sehr gut bis ungenügend oder eine Skalierung von 1 bis 10. Festlegung und Bewertung der Entscheidungsalternativen: Um eine möglichst unbeeinflusste Auswahl und Gewichtung der Ziele sicherzustellen, werden erst in dieser Phase die in Frage kommenden Alternativen festgelegt. Danach schließt sich ihre Bewertung an, d.h. die Festlegung des Grades (Zielwert), mit dem die geforderte Eigenschaft durch die jeweilige Alternative erfüllt wird. Ermittlung der Nutzwerte: Der Gesamtnutzen einer Alternative ergibt sich aus der Addition der gewichteten Zielwerte (= Nutzwertbeiträge). Durch den so ermittelten Gesamtnutzen lassen sich die einzelnen Alternativen in eine Rangfolge bringen. Die vorher festgelegten Beurteilungskriterien werden mit einer Gewichtungskennziffer versehen, die dem Anforderungsprofil entsprechend festgelegt wird. Durch die Multiplikation der entsprechenden Gewichtskennziffer mit Punktzahlen wird für die jeweiligen Bewertungskriterien des Projektes jeweils eine nunmehr gewichtete Bewertungsziffer errechnet. Die Lösung mit der höchsten Gesamt-Bewertungszahl ist die jeweils am besten geeignete. Die ursprüngliche Rangfolge kann sich aufgrund Einbeziehung zusätzlicher Gewichtungsfaktoren noch ändern“.
Der Assistent der Geschäftsleitung, noch relativ neu in diesem Kreis, rutscht seit geraumer Zeit schon unruhig auf seinem Sitz hin und her und meldet sich jetzt auch zu Wort: „Werden für die Bewertung eine Vielzahl von Einzelkriterien innerhalb von Kriteriengruppen benotet und gewichtet, könnte sich durch die reine Addition der hieraus errechneten Bewertungsziffern aber ein Ungleichgewicht ergeben. Unter Umständen besteht die Möglichkeit, dass nicht die optimale Lösung ermittelt wird. Es sollte daher noch eine zweite Beurteilungsstufe durchlaufen werden, bei der die Kriteriengruppen als Ganzes gewichtet und mit den relativierten Gruppenbewertungsziffern multipliziert werden. Die Addition dieser Werte ergibt eine Gesamtbewertungsziffer mit höherer Aussagekraft.“
Währenddessen träumt der Informationsmanager vor sich hin: „Beim Googeln käme an einem Abend so viel an Energie frei, dass man damit im Winter sein Zimmer heizen könnte. Allerdings wird diese Energie in den Google-Centern frei. Denn Mikrochips absorbieren mit ihrem Energiehunger diverser Internetserver etwa zwei Prozent des Energiebedarfs der Menschheit. Die damit einhergehende Abwärme ist enorm.“ Doch dann konzentriert er sich schnell wieder auf das eigentliche Thema und weist auf notwendige Bearbeitungsschritte hin: “Datenauswahl-Phase: Identifikation aktueller und potentieller Daten für das Projekt. Dabei wird definiert, welche Daten idealerweise zur Verfügung stehen müssten, um anstehende Geschäftsprobleme angemessen lösen zu können. Für fehlende Datenbestände muss überlegt werden, ob diese extern beschafft werden können. Datentransformation-Phase: Generierung von Tabellen und Bearbeitung der Input-Daten, beispielsweise fehlende Werte eliminieren oder durch statistische Schätzwerte ersetzen. Datenexploration-Phase: den Endbenutzer vor der Mustererzeugung mit den zugrunde liegenden Daten vertraut machen. Generierung von Mustern, wobei die einzelnen Schritte im Wesentlichen von der benutzten Software abhängig sind. Es besteht die Wahlmöglichkeit zwischen automatischem und interaktivem Wissensmanagement. Im interaktiven Programm könnten verschiedene Einstellungen verändert werden (z.B. für Verzweigungskriterien, Darstellung der Ergebnisse). Phase der Ergebnisinterpretation: bevor Ergebnisse im Rahmen des Problemlösungsprozesses verwendet werden können, müssen sie validiert und interpretiert werden. Beispielsweise muss ausgeschlossen werden, ob sie vielleicht auf Fehlern bei der Datentransformation...