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E-Book

Gebrauchsanweisung für Österreich

AutorHeinrich Steinfest
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783492965538
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Wiener Schnitzel und Schwedenbombe, dramatische Bergkulissen und pompöse Architekturen, Zwölftonmusik und Alpenjodler, Burgtheater und Kasperltheater - Österreich hat viele Seiten, und Heinrich Steinfest kennt sie alle. Der preisgekrönte Autor und leidenschaftliche Österreicher geht auf Tauchfahrt in die kakanische Seele, ergründet die Riten der Einheimischen, führt uns zum Heurigen und weiht uns ein in das dunkle Geheimnis des österreichischen Fußballs. In einem Feldversuch entwirft er ein eigenwilliges Landschafts- und Sittenbild seiner Heimat; er fragt sich, wieso die Kunstform der Operette endgültig das gesamte Staatswesen erobert hat und wie viele Kilos man in sieben Tagen Österreich zunehmen kann. Oder abnehmen. Ein Vademekum für jede Reise auf die abgründige »Insel der Seligen«.

Heinrich Steinfest wurde 1961 geboren. Albury, Wien, Stuttgart - das sind die Lebensstationen des erklärten Nesthockers und preisgekrönten Autors, welcher den einarmigen Detektiv Cheng erfand. Er wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, erhielt 2009 den Stuttgarter Krimipreis und den Heimito-von-Doderer-Literaturpreis. Bereits zweimal wurde Heinrich Steinfest für den Deutschen Buchpreis nominiert: 2006 mit »Ein dickes Fell«; 2014 stand er mit »Der Allesforscher« auf der Shortlist. 2016 erhielt er den Bayerischen Buchpreis für »Das Leben und Sterben der Flugzeuge«, 2018 wurde »Die Büglerin« für den Österreichischen Buchpreis nominiert.

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Leseprobe

Wie spreche ich einen Österreicher an, um ihn nicht zu beleidigen?
Wie spreche ich einen Österreicher an, um ihn
richtig zu beleidigen?

Der famoseste unter allen österreichischen Nestbeschmutzern, Thomas Bernhard, läßt in seinem als Komödie titulierten Prosawerk Alte Meister seine Hauptfigur Reger einen bemerkenswerten Satz aussprechen: »Der Österreicher ist tatsächlich der interessanteste Mensch von allen europäischen Menschen, denn er hat von allen anderen europäischen Menschen alles und seine Charakterschwäche dazu.« Und gleich darauf heißt es: »… die ganze Welt hat sozusagen immer einen Narren gefressen an ihm, eben weil er der interessanteste europäische Mensch ist, gleichzeitig ist er aber doch immer auch der gefährlichste. Der Österreicher ist mit großer Wahrscheinlichkeit der gefährlichste Mensch überhaupt …«

Dies ist natürlich in erster Linie in einem politischen und historischen Kontext zu verstehen, sollte aber auch prinzipiell und en détail so gesehen werden. Im Umgang mit Österreichern empfiehlt es sich, ob deren »Schönheit« nicht deren »Giftigkeit« zu übersehen. Diese Warnung gilt vor allem für den deutschen Reisenden, der sich nicht selten eine Artverwandtschaft einredet, mitunter sogar eine Blutsverwandtschaft, und sich darum eine Nähe und Vertraulichkeit erlaubt, die unvernünftig ist. Man würde ja auch nicht mit einer hochgiftigen Staatsqualle in Berührung treten, nur weil man selbst zufälligerweise ebenfalls zum Stamm der Hohltiere zählt.

Nein, Vorsicht ist eine gute Basis, um in Kontakt zu einem Österreicher zu treten, der zwar ständig zum Fraternisieren einlädt, es aber nicht wirklich schätzt, wenn man diesen Einladungen auch folgt. Ausschlagen sollte man die Einladungen natürlich ebensowenig, sondern dem Österreicher signalisieren, daß man an ihm interessiert ist, ganz in der Art, wie man zu einer Frau oder einem Mann sagt: »Sie gefallen mir, aber ich bin schon verheiratet.« Flirten darf man ja trotzdem. (Der Unterschied zwischen Flirten und Fraternisieren ist der, daß bei ersterem die Grenze erhalten bleibt, bei zweiterem nicht.)

Da der Österreicher sehr stark im Bewußtsein jener von Thomas Bernhard definierten Besonderheit lebt, eben der Interessanteste und der Gefährlichste von allen zu sein, schätzt er es natürlich gar nicht, auf seine Kleinstaatlichkeit heruntergestuft zu werden. Auf seine geographische Schrumpfform. Vielmehr sieht er sich als »Kulturmensch«, ja als der Kulturmensch. Und weil sein Selbstbewußtsein in bezug auf die Kultur enorm ist, widerstrebt es ihm, genaue Definitionen vorzunehmen. Sowenig ein Engel erklärt, warum er ein Engel ist. Engel wird man einfach. Jedenfalls ist der Kulturbegriff der Österreicher sehr viel weniger konkret, als man das bei anderen Europäern erlebt. Für den Österreicher ist praktisch alles Kultur. Und alles ist sein eigenes Verdienst. Selbst die Natur. Der Österreicher hält die Natur in seiner Umgebung für einen Ausdruck der eigenen Kulturleistung. Jedes Blatt, jeder Zweig, jedes Vogelzwitschern, jeder schmackhafte Pilz stellt ein aus dem Wollen und dem Denken heraus geborenes hiesiges Produkt dar.

Das erkannte bereits Adalbert Stifter, der in seiner Erzählung Bergkristall über die Erhebung nahe einer Ortschaft schreibt: »Dieser Berg ist auch der Stolz des Dorfes, als hätten sie ihn selber gemacht, und es ist nicht so ganz entschieden, wenn man auch die Biederkeit und Wahrheitsliebe der Talbewohner hoch anschlägt, ob sie nicht zuweilen zur Ehre und zum Ruhme des Berges lügen.«

Für einen Berg lügen, das ist dem Österreicher ganz selbstverständlich. Überhaupt das Lügen, obgleich man es natürlich so nicht ausdrücken würde. Man lügt nicht im Bewußtsein einer Verfälschung der Fakten, sondern ganz im Gegenteil, man lügt, um einer Sache gerecht zu werden, die Wahrheit in die richtige Richtung zu verbiegen. Wie sich das bei schöpferischen Menschen gehört oder Menschen, die sich für schöpferisch halten. Sie lügen nicht, sie erfinden.

Die Dinge, die natürlichen wie die künstlichen, sind dem Österreicher so vertraut und naturgemäß, daß er etwa mit Leichtigkeit über Bücher redet, die er nie gelesen hat. Das hat nichts zu tun mit dem Improvisieren anderswo. Der Österreicher denkt ja, auf eine gewisse Weise dieses bestimmte Buch tatsächlich gelesen zu haben, es quasi von innen heraus gelesen zu haben. Er ist derart überzeugt davon, daß er mit Leichtigkeit stundenlang über Nestroy und Schnitzler und Musil, vor allem aber über Haßfiguren wie Handke, Jelinek und eben Thomas Bernhard reden kann, ohne je ein Wort davon gelesen zu haben. Und es wäre weder höflich noch ratsam, als der Gast, der Sie sind, zu versuchen, genau diesen Umstand ruchbar werden zu lassen. Sie dürfen ruhig kritisch sein, das ist kein Problem, Sie können auf Widersprüche hinweisen, Ihre eigene Meinung zum besten geben, heftig debattieren, aber kommen Sie bitte nicht auf die Idee, dem Österreicher vorzuwerfen, er könne besagtes Buch doch gar nicht gelesen haben. Der Österreicher würde sich nämlich nicht ertappt, sondern völlig zu Unrecht beschuldigt fühlen. Noch dazu als der Kulturmensch, der er nun mal – höchstwahrscheinlich gottgegeben – seit jeher ist.

Der Österreicher gibt viel auf das Gottgegebene. Aber als der spezielle Katholik, als der er sich fühlt, ein an Missionierungen und Weltrettungen desinteressierter Barockmensch, versucht er nicht, aus den göttlichen Entscheidungen weltliche Rechtfertigungen herauszufiltern. So überzeugt er davon ist, daß Gott sich bei allem etwas gedacht hat, so wenig spekuliert er darüber, was Gott sich gedacht hat. Der Österreicher ist ein untheologischer Mensch, der mehr auf die Macht des Rituals hört als auf die Stimmen aus dem Himmel. In dieser Hinsicht ist er ein äußerst weltlicher Charakter, der sich selbst von einem Wunder nicht wirklich beeindrucken lassen würde. Weil er nämlich auch das Wunder als Ornament erkennt, als eine Schmückung, nicht als einen Fingerzeig. Was wiederum auf eine gewisse Unbelehrbarkeit hindeutet. Und das ist ja sicherlich der Fall. – Glauben Sie bitte nicht, der Österreicher würde sich von der Stichhaltigkeit eines Arguments beeindrucken lassen. Er ist kein Formelmensch, allerdings auch kein Bauchmensch, sondern eben ein Kulturmensch, für den die Art, wie ein Argument vorgetragen wird, mehr zählt als das Argument selbst. Wenn Sie ihn überzeugen wollen, dann achten Sie also auf Ihre Fabulierkunst, bemühen Sie sich um Witz und Charme und Eleganz, und vernachlässigen Sie das Prinzip exakter Wissenschaft. Lieber ein schöner falscher Satz als ein richtiger Satz, der den Verdacht nährt, Sie seien fade, kleinmütig und phantasielos. Das aus der experimentellen Mathematik bekannte Prinzip, nach dem einfache Lösungen die schönsten sind, gilt dem Österreicher wenig. Man kann sagen, er ist ein Meister des Umständlichen, ein Meister der Umwege und der Verwicklungen. Wenn man etwas kompliziert sagen kann, wieso einfach?

Es ist darum auch ganz bezeichnend, daß einer der bekanntesten österreichischen Maler, der Spiral- und Zwiebelturmvirtuose Friedensreich Hundertwasser, die gerade Linie als »gottlos« einstufte. Die gerade Linie ist die logische Verbindung zwischen zwei Punkten. Der Österreicher widersetzt sich dieser Logik, geht dahin und dorthin, entdeckt neue Aussichten, produziert im Stile einer Schnecke kurvige Schleimspuren, verliert sich, gelangt aber dennoch irgendwann – ein Meisterwerk gekonnter Verirrungen hinter sich lassend – zu Punkt B, freilich mit einiger Verspätung. Woraus sich für Sie, lieber Reisender, zwei wichtige Aspekte ergeben:

Erstens: Wenn Sie einen Österreicher nach dem Weg fragen, wundern Sie sich nicht über die Weitschweifigkeit seiner Ausführungen (er ist schließlich kein Navigationssystem, sondern ein literarisch begabtes Wesen), und genießen Sie die Orte, an welche diese Ausführungen Sie bringen werden (man weiß sowieso nicht, ob es nicht eh besser war, nicht gleich dort anzukommen, wo man hinwollte).

Zweitens: Gehen Sie davon aus, daß, wenn Sie sich mit einem Österreicher verabreden, er mit großer Wahrscheinlichkeit zu spät kommt. Nehmen Sie es nicht persönlich. Und seien Sie nicht so vermessen zu meinen, der Österreicher könnte doch ausnahmsweise – dem Gast zuliebe – pünktlich sein, ausnahmsweise den direkten Weg zwischen zwei Punkten nehmen. Das wird er nicht tun, besagter »Gottlosigkeit« wegen.

Daraus resultiert der Irrtum, Österreicher seien besonders langsame und träge Menschen. Das stimmt nicht. Eher ist der Österreicher hochaktiv, ja hyperaktiv. Wo ein Deutscher zwei Schritte macht, macht er vier, von denen aber einer zur Seite und einer nach hinten führt. Auch in dieser Hinsicht besteht wieder die so überaus prägende Liebe zum Ornament. Das Ornament unterstreicht die Bedeutung der Dinge. Man geht oder fährt lieber einen bestimmten Umweg, wenn dieser dem Charakter des Ziels eher entspricht. Und das hat ja etwas für sich. Darum auch werden hohe Berge über schwierige, gefährliche Routen erklommen. Ginge es allein um das Erreichen des Gipfels, würde der Wanderweg auf der windgeschützten Rückseite ja völlig ausreichen. Der Österreicher ist ein verrückter Alpinist, selbst wenn er sich in Eisenstadt oder Graz befindet und ein Kaffeehaus aufsucht. Der Wert des Kaffeehauses erhöht sich mit der Umständlichkeit der Anfahrt.

Österreicher wollen natürlich, wie fast alle Menschen, nicht nur gelobt und...

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