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Was bedeutet Kulturwandel?
Besitzt Ihr Unternehmen, dem Sie vorstehen oder in dem Sie als Führungskraft arbeiten, eine definierte Unternehmenskultur? Also Leitlinien und Werte, an denen sich alle Mitarbeiter im Kontakt mit Kunden, Lieferanten und Kollegen orientieren sollten? Auch weiter gefasste Rahmenbedingungen, wie Firmen ihren Umgang mit der Umwelt verstehen, welche ethischen Ansätze sie fordern – als Beispiel sei hier Fair Trade genannt – und vieles mehr finden sich in solcherart selbst auferlegten Werten, die Konzerne wie mittelständische Unternehmen weltweit definieren.
Definition schön und gut, doch was folgt nun? Was meinen Sie, wie weit werden diese Werte in Ihrem Betrieb auch gelebt?
Nach meiner Erfahrung in beinahe dreißig Jahren als Trainer für Führungskräfte müssen wir uns an dieser Stelle einem ziemlich ernüchternden Ergebnis stellen: Nur in den wenigsten Firmen wird die gewünschte Unternehmenskultur tatsächlich in der täglichen Praxis gelebt. Meist sind diese Leitsätze das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Leider.
Obwohl die Kommunikation einer neu verfassten Unternehmenskultur häufig von höchster Stelle, oftmals vom CEO persönlich, nach »unten« getragen wird, setzt bereits die nächste Managementlinie diese neuen Werte bestenfalls nur halbherzig um.
Ein Teilnehmer erzählte mir vor kurzem von der Einführung der neuen Unternehmenskultur in seinem Unternehmen, ein Konzern mit etwa 3000 Mitarbeitern weltweit. Jeder Angestellte erhielt einen persönlichen Brief des CEO, also nicht nur eine profane E-Mail, in dem diese Unternehmenskultur, bestehend aus neun Punkten, vorgestellt und im Detail beschrieben wurde. Außerdem bekamen die Mitarbeiter eine kleine Plastikkarte im Scheckkarten-Format mit den Werten des Unternehmens. Wenige Tage, nachdem die Personalabteilung das Schreiben und die Karten weltweit verteilte, führte der Konzern zusätzlich einen Onlinetest durch. Dabei mussten alle Mitarbeiter einen Multiple-Choice-Test durchführen, in dem die neun Punkte zur frisch entwickelten Firmenkultur hinterfragt wurden. Dem Ganzen nicht genug gab kurz darauf die Personalabteilung die Anweisung an die Abteilungsleiter heraus, in den folgenden Wochen zu prüfen, ob wirklich jeder dieses Kärtchen bei sich trug und dessen Inhalt kannte. Dieser Konzern investierte also eine Menge Zeit und auch Geld, in erster Linie für die Entwicklung dieses Online-Tests, den ein externer Dienstleister durchführte, mit den entsprechenden Lizenzen in sämtlichen Sprachen.
Doch was geschah mit dieser neuen Unternehmenskultur? Es kannten sie zwar fast alle auswendig, jedoch beinahe niemand hielt sich daran. Dabei handelte es sich um durchaus sinnvolle Themen wie beispielsweise Nachhaltigkeit in Umweltfragen oder Vertrauenswürdigkeit gegenüber Kunden, Lieferanten und Kollegen sowie Einhaltung von Sicherheitsrichtlinien. Trotz dieser ziemlich aufwändigen Kampagne scheiterte dieses Projekt bereits kurz nach dessen Einführung. Dieser Fall zeigt für mich symptomatisch auf, wie es in den meisten Betrieben weltweit in Sachen Unternehmenskultur zugeht. Warum ist das der Fall? Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur, doch ich sehe im Wesentlichen drei Punkte für dieses Scheitern als hauptverantwortlich:
- 1. Die Kultur ist schlichtweg zu abgehoben für eine tatsächliche Umsetzung.
- 2. Die Mitarbeiter erkennen keinen Sinn in der Einhaltung dieser Werte oder empfinden diese als hinderlich.
- 3. Weder das Topmanagement, und schon gar nicht die Führungskräfte der nächstfolgenden Ebenen, stehen hinter dieser Unternehmenskultur.
Während bei Punkt 1 ein häufig zu strategischer Ansatz gewählt wurde, der einen starken Fokus auf Unternehmensvisionen legt, fehlt bei Punkt 2 der praktische Ansatz für die Mitarbeiter.
Visionen eignen sich für eine Unternehmenskultur nur in bedingtem Maße, da sie sich für gewöhnlich in einer Art »strategischer Metaebene« befinden und – ehrlich gesagt – kann der »normale« Mitarbeiter damit normalerweise herzlich wenig anfangen.
Was ich also ausdrücken möchte, beschreibe ich an einem abstrakten Beispiel, und zwar anhand eines Projektes der US-Raumfahrtsbehörde NASA, nämlich der bemannte Flug zum Mars.
Ein gutes Beispiel für den ersten Punkt wäre hier die Verabschiedung einer Kultur, wonach alles dafür unternommen werden muss, damit sich bei einem eventuellen Kontakt mit Marsbewohnern diese nicht bedroht fühlen. Beginnend bei einer harmonischen Konstruktion der Raumfähre, bis hin zur Ausarbeitung exakter Verhaltensrichtlinien für die Astronauten. Eine solche Wertedefinition klingt zwar gut und schön, doch momentan ist weder klar, ob überhaupt Leben auf dem Mars existiert, geschweige denn, wie man eigentlich zu diesem Planeten gelangt, da die meisten technischen Aspekte bislang ungeklärt sind. Dieser Wert wäre also viel zu weit von der aktuellen Realität entfernt. Trotzdem setzen viele Unternehmenskulturen dort bereits an und verlieren auf diese Weise sehr schnell ihre Mitarbeiter.
Bei Punkt 2 wäre es so, als müssten die Astronauten nach ihrer Landung auf dem Mars die Kolonialisierung nur unter Berücksichtigung eines späteren Ortsbildes durchführen. Die Dachkonstruktionen sowie die Geschosshöhe sollten folglich in sich harmonisch bleiben. Dieses Beispiel mag vielleicht zu absurd erscheinen, jedoch bekam ich häufig genau diese Rückmeldung von Teilnehmern in Bezug auf die Umsetzung ihrer Unternehmenskultur. Wenn sich – bereits oben erwähnte – Werte wie ein »nachhaltiger Umgang mit der Umwelt« mit der Forderung, »mit dem Firmenwagen mindestens einmal wöchentlich durch die Waschstraße zu fahren«, duellieren, entfernen sich Mitarbeiter sehr schnell von solchen Unternehmenskulturen.
Doch am häufigsten zeigt sich Punkt 3 für das Scheitern einer Kulturentwicklung verantwortlich. Wenn die Einführung einer Kultur nicht unmittelbar mit dem Unternehmenserfolg im Zusammenhang gebracht wird, verlieren Führungskräfte in kurzer Zeit den Fokus darauf. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die meisten Unternehmen messen die Manager an betrieblichen Kennzahlen. Jegliche Werte, die nicht im Einklang mit diesen Vorgaben stehen, büßen schnell an Priorität ein. Die Unternehmenskultur verkommt so zu einem notwendigen Übel.
2V2A-Technik
Selbst wenn alle Mitarbeiter diese Unternehmenskultur verstehen, diese praxisorientiert verfasst wurde und sich durchaus mit der Unternehmensentwicklung im Einklang befindet, stellt sich dadurch immer noch nicht sicher, dass diese neuen Werte tatsächlich umgesetzt werden. Der Grund liegt darin, wie wir mit Veränderungen umgehen, aber auch wie Unternehmen Veränderungsprozesse normalerweise durchführen. Unter diesen Prozessen verstehe ich nicht nur die Einführung einer Unternehmenskultur. Darunter verstehe ich sämtliche »Innovationen« die in Betrieben implementiert werden und deren mangelnde Umsetzung sich mitunter gravierend auswirken kann.
Damit Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, dies künftig nicht passiert, stelle ich Ihnen nun gleich zu Beginn eine Lerntechnik vor, die ich seit inzwischen zwei Jahrzehnten einsetze und in meinen Seminaren vermittle.
Sie stammt von einem Mann namens Napoleon Hill, und er veröffentlichte sie erstmals in seinem berühmten Buch Denke nach und werde reich. Dieser Autor befand sich in seinem Jurastudium und verdiente sich nebenbei als Journalist etwas Geld dazu, als ihm im Alter von etwa zwanzig Jahren einer der damals reichsten Amerikaner, der Stahl-Baron Andrew Carnegie, einen interessanten Auftrag unterbreitete: Hill sollte untersuchen, ob bestimmte Erfolgsfaktoren existierten. Also Faktoren, an denen man Lebenserfolg festmachen konnte. Das Ganze spielte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ab, und Napoleon Hill interviewte daraufhin die 500 erfolgreichsten Amerikaner, darunter Personen aus Wirtschaft, Industrie, Politik, Sport und Öffentlichkeit. Daraus entwickelte er, in zwölf Regeln, seine Thesen zum Erfolg im Leben. Sein wohl berühmtestes Werk, das den eingangs erwähnten deutschen Titel Denke nach und werde reich trägt, veröffentlichte Napoleon Hill erst im Jahre 1937. Dieses Buch wird heute noch gedruckt und es verkaufte sich weltweit etwa sechzig Millionen Mal. 3
Die Lerntechnik, die Hill aus seinen Recherchen entwickelte, lautet in ihrer deutschen Übersetzung »2V2A-Technik«, wobei die Bezeichnung für die jeweiligen Anfangsbuchstaben der einzelnen Schritte dieser Technik steht.
»Verstehen« lautet der erste Begriff daraus. Erst wenn wir etwas – einen Zusammenhang – verstehen, können wir sinnvolle Tätigkeiten ableiten. Naturgemäß neigen die meisten Menschen jedoch dazu, neues Wissen oder Anwendungen erstmal abzulehnen, sobald dadurch Bisheriges in Frage gestellt wird. Wir verhalten uns also lieber ein wenig misstrauischer, bevor wir vielleicht einen Fehler machen, der uns schaden könnte. Doch diese Einstellung muss nicht immer hilfreich sein und »Verstehen« hilft uns, diese Hürde zu überwinden.
Ehe wir demnach etwas ablehnen, sollten wir versuchen zu...