1 Warum Pilates heute für uns so gut ist
Pilates ist eine Methode, die im späten 19. Jahrhundert entstand, die Menschen begeistert und bis heute fesselt. Und Pilates kann viel mehr als nur entspannen und für Ausgleich sorgen.
In meinen Stunden frage ich die Teilnehmer von Zeit zu Zeit: »Warum machst du überhaupt Pilates?« Diese Frage stelle ich jetzt auch dir: »Warum machst du Pilates? Warum hast du dir dieses Buch gekauft?« Hier sind einige der Antworten meiner Teilnehmer:
»Mein Arzt hat es mir empfohlen.«
»Ich möchte meinen Körper besser kennenlernen.«
»Ich bekomme dadurch eine gute Figur.«
»Es gibt mir einen Ausgleich. Ich kann meinen Alltag dadurch besser bewältigen.«
»Es tut mir einfach gut.«
Ich könnte jetzt noch einige Beispielaussagen nennen, die sehr bezeichnend sind. Aber ich möchte dir viel lieber sagen, was meine ganz persönliche Antwort ist. Denn auch ich frage mich natürlich immer wieder selbst, warum ich Pilates mache. Meine Antwort: Weil mein Körper ein Bewegungsapparat ist und bewegt werden will. Das mag sich nüchtern anhören, es steckt aber sehr viel mehr dahinter.
In unserer Welt läuft nämlich einiges grundlegend falsch, und das hat Joseph Pilates schon sehr früh erkannt. Die meisten von uns leben zu kopfgesteuert und lassen unserer Seele und unserem Körper kaum noch Platz zum Atmen. Das schadet unserer Gesundheit.
Der Mensch ist im Zuge der Industrialisierung immer mehr dazu übergegangen, mit dem Kopf zu arbeiten. Der Kopf könnte prinzipiell auch eine ganze Zeit lang gut ohne seinen Körper funktionieren. Doch früher oder später wird der Körper sich beim Kopf melden und ihm deutlich machen: »So wie du gerade mit mir umgehst, mache ich das nicht mehr lange mit.«
Und dann wachen viele erst auf. Sie merken, dass mit ihnen tatsächlich irgendetwas nicht mehr stimmt. Sie bekommen Kopf- und Rückenschmerzen oder Konzentrationsschwierigkeiten; lange Autofahrten, die früher kein Problem waren, werden auf einmal beschwerlicher, die Knie machen nicht mehr so richtig mit. Logischerweise fragen wir uns an diesem Punkt: Was nun? Kann ich meinen Beruf überhaupt weiter ausüben? Meine Hobbys? Muss ich in der Freizeit kürzertreten?
Es wird in solchen Situationen immer Menschen geben, die dir raten, Beruf und Alltag so zu gestalten, dass sie weniger Angriffsfläche für Beschwerden bieten. »Mit dem Bandscheibenvorfall weiter Kisten schleppen? Bist du verrückt?« »Du solltest einfach nicht mehr so viel sitzen!« Diese Ratschläge sind gut gemeint, oft sogar nützlich, aber sie zielen nur auf die Bekämpfung von Symptomen ab und lassen die Ursachen der Beschwerden meist außen vor. An diesem Punkt ist es sinnvoll, die Einstellung zu deinem Körper zu ändern. Du solltest verstehen, wie dein Organismus funktioniert.
Eine Glaubensfrage, die zum Nachdenken anregt:
1. Mose 2,15: »Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und bewahre.«
Nun hat die Welt, die wir bebaut haben, nicht mehr viel mit der zu tun, die wir bewahren sollten.
Stelle dir den Garten Eden vor: Dort gab es alles, was wir zum Leben brauchen. Gott – falls du an ihn glaubst – hat also alles perfekt für dich vorbereitet. Wir sind aber der Meinung gewesen, dass wir es besser machen können. Haben wir es besser gemacht? Ich glaube nicht. Christo Foerster, Coach und Autor des Buches »Neo Nature«, bringt das ganz simpel auf den Punkt: »Wir Menschen sind Teil der Natur, doch unser Verhalten ist alles andere als natürlich.« Und ganz ähnlich formulierte es auch Joseph Pilates:
»Wenn die Menschen nur die einfachen Gesetze der Natur kennen und achten würden, so würden eine allgegenwärtige Gesundheit und ein Gesundheitszeitalter folgen.«
(Your Health, 1934, S. 106)
Aber was ist natürlich? Ich bin der Meinung, dass viele von uns vergessen haben, wo Sie eigentlich herkommen.
»Du wirst in diese Welt geboren mit einem perfekt angepassten Körper und Geist.« – Ist das wirklich so? Nein. Weil die Welt, die für uns geschaffen wurde, so nicht mehr existiert. Wir haben uns eine eigene Welt gebaut und versuchen uns nun an diese anzupassen. Und das gelingt uns nicht. Ich untermauere das mit einem weiteren Auszug aus dem Buch »Neo Nature«:
»Wir leben in einer Welt, an die wir biologisch gesehen nicht angepasst sind. Und wir versuchen, diese Lücke zu schließen, indem wir immer kopfgesteuerter leben, und verlieren dadurch den Zugang zu unserem Körper und damit zu einem entscheidenden Teil unseres Systems.«
(Neo Nature, S. 17)
Ein Tier hingegen lebt im Einklang mit Körper und Geist. Schon Joseph Pilates hat sich viel von den Tieren abgeschaut und ihre Verhaltensweisen beschrieben. Für ihn begann die körperliche und geistige Erziehung schon im Kindesalter:
»Wie viel mehr gesunden Menschenverstand und natürlichen Instinkt die stummen Tiere doch besitzen? Wie vollkommen verschieden ist doch die Art, auf die sie ihre Jungen großziehen? Wie viel Spaß wir haben können, wenn wir einfach nur einer Tiermutter, besonders einer Katzenmutter, dabei zusehen, wie sie ihren Nachkommen Körperkultur beibringt. Welch’ Lehre sie uns Menschen doch lehren kann!«
(Your Health, 1934, S. 129)
Tiere sind in der Regel perfekt an den Lebensraum angepasst, in dem sie leben. Und wenn sie sich weiter anpassen müssen, dann werden sie das tun, allerdings in einem sehr langwierigen Prozess, den wir Evolution nennen. Im Grunde sind auch wir nichts anderes als Tiere. Allerdings hat sich unser Lebensraum so rasant verändert, dass wir damit überhaupt nicht mithalten können und wir natürlich selbst dazu beitragen, dass unser Leben immer mehr an Natürlichkeit verliert. Das liegt auch daran, dass wir unseren natürlichen Instinkten zu wenig Raum geben. Wir fangen oft schon damit an, kleine Kinder in ihrem natürlichen Bewegungsdrang zu bremsen. Das ist vielen Eltern gar nicht bewusst, wenn sie sagen: »Bleib still sitzen beim Essen« oder »Lauf nicht so schnell, du fällst sonst noch hin«. Das Kind hat gar keine Chance, eigene Erfahrungen zu machen, sich also auf die eigenen natürlichen Instinkte zu verlassen.
Joseph Pilates wusste, wie wichtig der Einklang von Körper und Geist ist – gerade in unserer heutigen Zeit gewinnt diese Erkenntnis an Bedeutung.
(I.C. Rapoport, Kalifornien)
Der Mensch in den industrialisierten Ländern passt sich gerade nicht an die Natur an, sondern an die von ihm bebaute, sich unglaublich schnell verändernde urbane Welt. Und da liegt der Fehler. Das, was die Natur in einem sehr langwierigen Prozess regelt und wozu sie in der Lage ist, versuchen wir in kürzester Zeit zu erreichen. Und das funktioniert nicht.
Wir leben in einer Zeit, in der Mega-Rechner immer mehr Informationen speichern und auswerten und auch unsere Köpfe und Gehirne werden von immer mehr und mehr Informationen überflutet, die es auszuwerten gilt. Und da kommen wir zum Kern: Du entwickelst dich immer mehr zu einer funktionierenden Maschine, bekommst immer mehr Informationen, die du auswerten musst. Meiner Meinung nach – und damit bin ich nicht alleine, schon der massive Anstieg der psychischen Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten spricht für sich – überfordert uns das.
Eventuell kannst du dich nicht mehr an die Zeit erinnern, als man noch zur Bibliothek laufen musste, um an Informationen zu kommen. Heute im Zeitalter der Suchmaschinen kommst du mit wenigen Klicks an unzählige Informationen. Allerdings bekommst du auf eine Frage vielleicht hundert Antworten – und woher weißt du, welche die richtige ist? Dein Kopf wird sich schon für eine entscheiden. Was ich damit sagen will:
Wir leben in einer extrem kopf- bzw. wissensgesteuerten Welt und haben verlernt, auf unseren Körper zu hören. Die meisten von uns geben auf und vertrauen dem Gesundheitssystem, doch schon Joseph Pilates war das ein Dorn im Auge und er brachte das auch so zu Papier.
»Dass nicht einmal die Medizin als Wissenschaft die Naturgesetze des Lebens in Bezug auf das tägliche Leben versteht, begründet den Misserfolg, wenn sie der Bevölkerung durch richtige Lehren der Gesundheitskontrollen zu nützen versuchen.«
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