2. Statements
2.1 Warum ich in einer LebenPlus-Gruppe mitmache!
(Bernd Helbich)
Nichts Besseres als zwei winzig kleine Auszüge aus dem großen Repertoire der deutschen Geistesgeschichte können für mich als Ingenieur und Soziologe meine Motivation, mein Interesse und meine Begeisterung ausdrücken, sich über einen langen Zeitraum dem Thema LebenPlus in einer Gruppe von gleichgesinnten 50- bis 60jährigen Menschen zuzuwenden, sich auszutauschen und zum Handeln sowohl animieren zu lassen als auch selbst zu animieren. Ingenieure sollen Brücken bauen, unbekanntes Terrain erschließen. Soziologen sollen fragen, warum dies und jenes denn so und nicht anders passiert und wie es sich denn in Zukunft entwickeln möge. Die zwei Auszüge sind einerseits wie zwei Pole, entgegengesetzt bzw. sich gegenüberstehend, sich entfernend, aber andererseits wieder zusammenrückend, sich überlagernd – mit dem Gehalt der Aussagen aber nur für mich existierend mit dem, was sich zwischen ihnen befindet: in mir, meiner Persönlichkeit, meinen Gedanken und Empfindungen, meinen Fähigkeiten, mich auszudrücken und anderen mitzuteilen, andere anzustecken. Manchmal bin ich erstaunt über diese Ideen – von sachlich bis anarchisch, von praktikabel bis utopisch.
Dies alles widerfährt mir nicht als junger Mann aus jugendlicher Aufbruchstimmung heraus, sondern als „alternder Mensch“ in der Lebensphase zwischen dem mittleren und späten Erwachsenenalter. Meine beiden Impulsgeber könnten unterschiedlicher nicht sein, der eine klein und verwachsen, der andere groß und stattlich. Der erste lebte sein Leben im 18. Jahrhundert, der andere im 19. und 20. Jahrhundert. Auf den ersten brachte mich mit Günter ein Mitglied unserer Gruppe, den anderen habe ich mir selbst erlesen. Den ersten haben wir mit seinen Thesen okkupiert. Wir haben seine Aussagen zur Überschrift unserer Festivals gemacht.
Auf diesen Festivals erlebte und erfuhr ich gewissermaßen als Symbiose unserer vielen Diskussionen in der Gruppe ganz praktisch, wie wir und damit auch ich uns künstlerisch kreativ auszudrücken im Stande sind. Und das ist etwas, was sich schleichend wie eine späte Evolution für mich fortgesetzt hat. Es war für mich als Blechbläser eine schöne Erfahrung, mein normales tägliches Leben als Familienvater, leitender Angestellter, Vertreter des Bildungsbürgertums mit einer anderen Facette meiner Persönlichkeit – der musikalischen – zu bereichern. Diese war in meinen Wurzeln und in der Vergangenheit angelegt, jedoch verschüttet. Die Arbeit in der Gruppe hat mir geholfen und mich angeregt und beflügelt, mich ihrer wieder anzunehmen und sie zu leben.
Nutzen gezogen habe ich im Übrigen nicht nur für meine musikalischen Erprobungen, auch für viele andere „Experimente im fortgeschrittenen Lebensalter“, die sich durch viele Themenfelder gezogen haben: Gesundheit, Spiritualität, soziales Engagement, Generationenübergänge, berufliches Handeln. Vieles davon habe ich mit der Gruppe und allein umgesetzt, es hat also den Zustand der Planung, der Vision verlassen, ist damit Bestandteil meines Lebens geworden. Und auch heute greife ich auf diese Bestandteile zurück, denke darüber nach, entwickle sie weiter. Die Essenz: sich selbst bereichern, indem man andere neue Wege geht, etwas ausprobiert, zunächst heimlich und im stillen Kämmerlein, dann mutiger vor verständnisvollem Publikum, welches einem kleine Unzulänglichkeiten gerne verzeiht, weil es selber ins Nachdenken kommt und die kleinen Träumereien nachvollziehen kann. Dies führt zum zweiten Impulsgeber: deutscher Literat, Nobelpreisträger. In seinen (männlichen) Darstellern erkenne ich mich manchmal ein klein wenig wieder.
In seinen Werken, v. a. in den Familiengeschichten, wird dem Leser eindrucksvoll der Blick für vergangenes, historisches, gegenwärtiges und zukünftiges Tun geschärft. Diese Wechsel, die durch den Autor in seinen handelnden Personen angelegt sind, die die Dramaturgie seiner Erzählungen leiten, haben mich angeregt und darin bestärkt, eine ähnliche Perspektive einzunehmen – und das ist die Essenz daraus: nach vorne zu schauen, auf das Leben, das noch kommt und bleibt, aber mit Blick zurück. Was nehme ich mit, worauf besinne ich mich, welche Stärken kann ich ausbauen, welche Schwächen angehen und verbessern, worin liegt Sinn, was macht mich zufriedener? Mir gefällt auch gut, dass ich mir angewöhnt habe – verstärkend seit dem 50. Lebensjahr- meine Ideen für meine Vorhaben aufzuschreiben und die kleinen Erfahrungen meines Lebens in einem Notizbuch als individuelles Tagebuch zu dokumentieren.
Der Brennstoff für beide Impulse und Antriebe war und ist unsere Gruppe LebenPlus, und damit ist die Gruppe für mich ein im heutigen Sprachgebrauch so genannter „Prozessbegleiter“. Denn manche Dinge (Prozesse) kann man allein erledigen: nachdenken, planen, Neues ausprobieren, etwas schriftlich festhalten etc. Der Mensch ist aber ein soziales Wesen. Viele Dinge entfalten erst ihre ganze Produktivkraft, wenn man sie zusammen tut. Wir haben in unserer Gruppe vielfältige interessante Themen diskutiert, methodisch gearbeitet, uns mit lebens-, alltags- und alterspraktischen Tipps versorgt. Wir haben unseren kulturellen Haushalt angereichert, manches Visionäre durch reale Aktionen in die Tat umgesetzt.
Der wie ich im Fürstentum Lippe geborene und aufgewachsene Lipper redet nicht viel, der mit friesischen Wurzeln ausgestattete Lipper noch weniger. Dies findet aber scheinbar in meiner Gruppe Akzeptanz. In einem moderaten Rahmen bei einem gut bürgerlichen Essen zu träumen, zu handeln und nur, wenn der soziale Gruppendruck zu stark ist (Protokoll schreiben), laut nachzudenken – das ist alles in dieser Gruppe möglich. Darum mache ich mit. Das wäre ein passendes Schlusswort, ist es aber noch mitnichten. Ich bin es meinen beiden verstorbenen Impulsgebern schuldig, dass ich sie zu Wort kommen lasse.
Es schreibt der Erste:
„Es gibt zwei Wege das Leben zu verlängern, erstlich dass man die beiden Punkte geboren und gestorben weiter voneinander bringt und also den Weg länger macht, diesen Weg länger zu machen hat man so viele Maschinen und Dinge erfunden, dass man, wenn man sie allein sähe, unmöglich glauben könnte, dass sie dazu dienen können, einen Weg länger zu machen, in diesem Fache haben einige unter den Ärzten sehr viel geleistet. Die andere Art ist, dass man langsamer geht und die beiden Punkte stehen lässt, wo Gott will, und dieses gehört für die Philosophen, diese haben nun gefunden, dass es am besten ist, dass man zugleich botanisieren geht, Zickzack, hier versucht über einen Graben zu springen und dann wieder herüber, wo es rein ist und es niemand sieht, einen Purzelbaum wagt und so fort.“ Georg Christoph Lichtenberg, 1742 – 1799, Aphorismen
Und es schreibt der Zweite:
„War er ein praktischer Mensch oder ein zärtlicher Träumer? Ach, diese Frage hatte er sich schon tausendmal gestellt, und er hatte sie, in starken und zuversichtlichen Stunden, bald so und – in müden – bald so beantwortet. Aber er war zu scharfsinnig und ehrlich, als dass er sich nicht schließlich die Wahrheit hätte gestehen müssen, dass er ein Gemisch von beiden sei. Zeit seines Lebens hatte er sich bei den Leuten als tätiger Mann präsentiert; aber soweit er mit Recht dafür galt – war er es nicht, mit seinem gern zitierten Goethe`sehen Wahl- und Wahrspruch – aus bewusster Überlegung gewesen? Er hatte ehemals Erfolge zu verzeichnen gehabt ... aber waren sie nicht nur aus dem Enthusiasmus, der Schwungkraft hervorgegangen, die er der Reflexion verdankte?“ Thomas Mann, 1875 – 1955, Buddenbrooks
2.2 Wieso eigentlich LebenPlus?
(Günter Koch)
Habe ich bisher nicht oder nur unterdurchschnittlich gelebt?
Na vielleicht doch besser als „Leben und Mehr“? Nach mehreren Jahren kristallisiert sich die Idee heraus, über unsere Erfahrungen zu berichten. Wie so oft im Leben, stolpert man in so etwas einfach hinein.
Im Mai 2003 fand sich erstmalig ein Kreis von überwiegend in der Personalarbeit engagierten Leuten, die die 50 überschritten hatten, zusammen. Hier wollten und wollen wir uns austauschen, wie man sich auf das Berufsende vorbereitet.
Ich bin der einzige „Unternehmer“ und war durchaus skeptisch, ob hier nicht zu viel „gefaselt“ wird.
Manches ging mir zumindest am Anfang etwas auf den „Keks“. Als es um die Frage ging, ob wir sozusagen vorbestimmte Lebensziele hätten, war ich kurz davor, auszusteigen.
Konkrete Projekte haben geholfen.
Heute bin ich ganz froh, diesen Schritt nicht vollzogen zu haben.
Allmählich habe ich im Austausch mit meinen Mitstreitern gelernt, das Thema „Was machen wir, wenn sich das Berufsleben dem Ende zuneigt?“ von verschiedenen Seiten zu beleuchten.
Da wir unser Familienunternehmen aufgrund der wirtschaftlichen Krise und nach 68 Jahren zum Herbst 2009 aufgegeben haben, gewinnt unser Thema an Bedeutung.
Man hat eine Projektionswand, man schult sich, man beschäftigt sich mit Alternativen.
Wenn auch anfänglich etwas spöttisch als Selbsthilfegruppe (man denkt da gleich an bekannte VHS-Kurse) im Freundeskreis...