Vorwort
Dr. Jason Fung ist ein in Toronto ansässiger Arzt, der sich auf die Behandlung von Nierenpatienten spezialisiert hat. Er ist hauptsächlich für die komplexe Betreuung von Patienten verantwortlich, die bereits schwer nierenkrank sind und eine Dialyse benötigen. Das erklärt nicht unbedingt, warum er ein Buch mit dem Titel Die Schlankformel geschrieben hat oder Blogartikel über die strikte Kontrolle der Ernährung bei Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes verfasst. Wir müssen mehr über diesen Mann erfahren, um diese scheinbare Kluft zu verstehen und um zu erkennen, was ihn so besonders macht.
Im Umgang mit schwerkranken Nierenpatienten lernte Dr. Fung zwei wichtige Dinge: Zum einen, dass Typ-2-Diabetes die häufigste Ursache für Nierenversagen ist. Zum anderen, dass eine Dialyse, ganz gleich wie technisch ausgereift und lebensverlängernd sie auch sein mag, im Grunde nur die letzten Symptome einer Krankheit behandelt, die bereits seit zwanzig, dreißig, vierzig oder vielleicht sogar fünfzig Jahren besteht. Mit der Zeit erkannte Dr. Fung, dass er Medizin so praktizierte, wie man es ihm beigebracht hatte: indem er auf die Symptome komplexer Krankheiten reagierte und diese behandelte, statt ihre Ursachen zu begreifen oder gar zu beheben. Ihm wurde klar, dass er jedoch nur dann etwas Positives bei seinen Patienten bewirken konnte, wenn er einer bitteren Wahrheit ins Auge blickte: dass unsere Zunft kein Interesse mehr daran hat, die Ursachen, die überhaupt erst zur Entstehung einer Krankheit geführt haben, zu ergründen. Stattdessen investieren wir eine Menge Zeit und Ressourcen in die Behandlung der Symptome. Er fasste daher den Entschluss, mehr für seine Patienten (und seine Branche) zu tun, indem er sich der Aufgabe verschrieb, die eigentlichen Ursachen der Krankheit zu verstehen.
Vor dem Dezember 2014 sagte mir der Name Dr. Jason Fung nichts. Eines Tages stieß ich auf YouTube aber zufällig auf seine beiden Vorträge »Die beiden großen Lügen über Typ-2-Diabetes« und »Wie man Typ-2-Diabetes auf natürliche Weise rückgängig macht«. Da ich ein besonderes Interesse an Typ-2-Diabetes habe – ich leide nämlich selbst darunter –, wurde ich hellhörig. Ich fragte mich: Wer ist dieser kluge junge Mann? Woher will er wissen, dass sich Typ-2-Diabetes »auf natürliche Weise« rückgängig machen lässt? Und wie kann er den Mut aufbringen, seinen Berufsstand der Lüge zu bezichtigen? Dafür muss er gute Argumente vorlegen, dachte ich mir.
Nach wenigen Minuten war mir klar, dass Dr. Fung nicht nur kompetent war, sondern seinen Standpunkt auch überzeugend zu vertreten wusste. Das Argument, das er vorbrachte, beschäftigte mich selbst schon seit etwa drei Jahren, aber ich war nie in der Lage gewesen, es mit derselben messerscharfen Logik zu sehen oder mit denselben einfachen Worten zu erklären wie Dr. Fung. Am Ende seiner beiden Vorträge wusste ich, dass hier ein junger Meister am Werk gewesen war. Ich begriff endlich, was ich zuvor übersehen hatte. Dr. Fung hatte es in diesen beiden Vorträgen geschafft, den zurzeit gängigen Behandlungsansatz für Typ-2-Diabetes zu demontieren – jenen Ansatz, den all die verschiedenen Diabetesgesellschaften weltweit unterstützen. Mehr noch, er erklärte, warum dieser fehlerhafte Behandlungsansatz der Gesundheit aller Patienten schaden muss, die das Unglück haben, damit in Berührung zu kommen.
Laut Dr. Fung ist im Zusammenhang mit der Behandlung von Typ-2-Diabetes die erste große Lüge, dass es sich um eine chronisch fortschreitende Krankheit handelt, die sich mit der Zeit verschlechtert, selbst bei Patienten, die sich strikt an die besten Behandlungsmethoden halten, die die heutige Medizin zu bieten hat. Dr. Fung wendet ein, dass diese Behauptung schlichtweg nicht stimmt. Die Hälfte der Patienten, die an Dr. Fungs Intensive-Dietary-Management-Programm, kurz IDM-Programm, teilnehmen – das den Konsum von Kohlenhydraten einschränkt und mit einer Form des Fastens kombiniert –, können nach einigen Monaten auf Insulinpräparate verzichten. Warum sind wir also nicht in der Lage, die Wahrheit zu akzeptieren? Dr. Fungs Antwort ist einfach: Wir Ärzte belügen uns selbst. Wenn Typ-2-Diabetes heilbar ist, unsere Behandlungsmethoden aber zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands unserer Patienten führen, müssen wir schlechte Ärzte sein. Und weil wir nicht mit einem so hohen Zeit- und Kostenaufwand studiert haben, um schlechte Ärzte zu werden, kann dieses Scheitern nicht unser Verschulden sein. Stattdessen müssen wir in dem Glauben leben, dass wir das Beste für unsere Patienten tun, die bereits an einer chronischen, progressiven und unheilbaren Krankheit leiden. Wir verbreiten diese Lüge nicht absichtlich, so Dr. Fung, sondern weil wir an kognitiver Dissonanz leiden: Wir rechtfertigen unser Tun, weil es emotional zu belastend für uns wäre, die Wahrheit anzuerkennen.
Die zweite Lüge ist laut Dr. Fung unsere Überzeugung, dass Typ-2-Diabetes eine Krankheit ist, bei der ein anormal hoher Blutzuckerspiegel vorliegt, den man nur durch eine progressive Erhöhung der Insulindosis fachgerecht behandeln kann. Er hingegen wendet ein, dass sich Typ-2-Diabetes auf eine Insulinresistenz zurückführen lässt, die dadurch entsteht, dass dauerhaft zu viel Insulin ausgeschüttet wird – im Gegensatz zum Typ-1-Diabetes, der sich durch einen Insulinmangel auszeichnet. Es bringt nichts, beide Zustände auf dieselbe Weise – nämlich mit Insulinspritzen – behandeln zu wollen. Seine berechtigte Frage lautet: Warum sollte man einen Insulinüberschuss mit mehr Insulin beheben? Das wäre in etwa so, als würde man versuchen, einen Alkoholiker durch die Verordnung von Alkoholika von seiner Sucht zu heilen.
Dr. Fungs innovativer Beitrag ist seine Einsicht, dass sich die Behandlung von Typ-2-Diabetes auf die Symptome der Krankheit konzentriert – einen erhöhten Blutzuckerspiegel – statt auf die Ursache, nämlich die Insulinresistenz. Und die erste Maßnahme bei Insulinresistenz ist die Einschränkung der Kohlenhydratzufuhr. Wenn man diese einfache biologische Tatsache anerkennt, versteht man plötzlich, warum diese Krankheit in vielen Fällen reversibel ist beziehungsweise warum die zurzeit gängige Behandlung von Typ-2-Diabetes, die die Kohlenhydratzufuhr nicht einschränkt, das Ergebnis verschlechtert.
Doch wie gelangte Dr. Fung zu diesen ungeheuerlichen Schlussfolgerungen? Und wie führten sie zur Entstehung dieses Buchs? Neben der Erkenntnis, dass sich Typ-2-Diabetes über einen langen Zeitraum hinweg entwickelt und seine Symptome unlogisch behandelt statt seine Ursachen beseitigt werden, bemerkte er, beinahe per Zufall, in den frühen 2000er-Jahren die steigende Zahl der Veröffentlichungen, die sich mit den Vorzügen einer kohlenhydratarmen Kost bei Personen befassten, die fettleibig waren und mit diversen Problemen zu kämpfen hatten, die auf eine Insulinresistenz zurückzuführen waren. Da er im Studium gelernt hatte, dass eine kohlenhydratarme, fettreiche Ernährung schädlich sei, war er regelrecht entsetzt, als er feststellte, dass genau das Gegenteil der Fall war: Diese Ernährungsweise wirkt sich in vielerlei Hinsicht sehr positiv auf den Stoffwechsel aus, vor allem bei Personen, die eine besonders hohe Insulinresistenz aufwiesen. Schließlich kam das i-Tüpfelchen: eine Reihe verheimlichter Studien, die zeigten, dass fettleibige (und insulinresistente) Personen mit einer fettreichen Kost mindestens genauso effektiv oder sogar effektiver abnehmen konnten als mit anderen, gängigeren Ernährungsformen.
Schließlich reichte es ihm! Wenn jeder wusste (aber nicht zugeben wollte), dass eine fettarme, kalorienreduzierte Ernährung völlig ungeeignet war, um das Körpergewicht zu steuern oder Fettleibigkeit zu behandeln, war es an der Zeit, die Wahrheit ans Licht zu bringen: dass sich Fettleibigkeit – eine Krankheit der Insulinresistenz und der übermäßigen Insulinproduktion – am besten behandeln und vorbeugen lässt, indem dieselbe kohlenhydratarme, fettreiche Kost verordnet wird, die in der Behandlung von Typ-2-Diabetes als ultimative Folge von Insulinresistenz zum Einsatz kommt. So entstand dieses Buch.
Mit Die Schlankformel hat Dr. Fung das bis dato vielleicht wichtigste populärwissenschaftliche Buch zum Thema Fettleibigkeit verfasst. Es beruht auf unwiderlegbareren biologischen Fakten, die sorgfältig erklärt und aufbereitet werden, und es ist mit der Leichtigkeit und Souveränität eines Routiniers in einer nachvollziehbaren, logischen Reihenfolge geschrieben, sodass die Kapitel systematisch aufeinander aufbauen und Schicht für Schicht ein evidenzbasiertes biologisches Modell der Fettleibigkeit skizzieren, das durch seine logische Einfachheit besticht. Die wissenschaftlichen Zusammenhänge werden skeptische Fachleute überzeugen, ohne Leser abzuschrecken, die vielleicht nicht über dasselbe Hintergrundwissen verfügen. Dies ist eine Meisterleistung, die nur wenigen wissenschaftlichen Autoren gelingt.
Am Ende des Buchs wird der aufmerksame Leser genau verstehen, wie sich die Fettleibigkeit so massiv ausbreiten konnte, warum unsere Versuche, die epidemieartige Verbreitung von Fettleibigkeit und Diabetes zu verhindern, zum Scheitern verurteilt waren, und – wichtiger noch – welche einfachen Schritte all jene unternehmen müssen, die ein Gewichtsproblem haben, um ihre Fettleibigkeit rückgängig zu machen.
Die notwendige Lösung ist diejenige, die Dr. Fung entwickelt hat: »Fettleibigkeit ist … eine multifaktorielle Krankheit. Wir brauchen einen...