Es war an einem ganz normalen Tag in meinem Shop »Back & Snack«, den ich seit circa zwei Jahren betrieb. Seit morgens um zwei Uhr hatte ich Brötchen gebacken, Ware aufgefüllt und schon einige Kaffees, Zigaretten und Lottoscheine an meine Kunden verkauft, als mein Handy klingelte.
»Guten Tag, ich melde mich von Endemol«, sagte eine freundliche Frau.
Ich wusste, dass Endemol eine TV-Produktionsfirma ist, und fragte: »Was kann ich für Sie tun?«
»Sie haben sich bei Wer wird Millionär? beworben«, bekam ich zur Antwort.
»Ja, das habe ich«, sagte ich ziemlich überrascht, denn ich konnte mich nicht an meine Bewerbung erinnern.
Im nächsten Augenblick war die Telefonverbindung unterbrochen.
Mein Backshop war, was das betrifft, eine Art Bunker. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass wir es fertigbekommen, dass Menschen bis zum Mond fliegen können, aber es nicht schaffen, dass wir in einer Stadt wie Berlin überall Handy-Empfang haben.
Eine Sekunde lang war ich deshalb total entsetzt, doch die Frau von Endemol hat mich kurz darauf erneut angerufen. Dafür bin ich ihr bis heute sehr dankbar.
Damit sie nicht dachte, ich hätte bei ihrem ersten Anruf einfach aufgelegt, entschuldigte ich mich für die schlechte Verbindung und rannte während des Telefonats in eine andere Ecke meines Ladens. Nach ein paar Sätzen war unser Gespräch jedoch wieder unterbrochen.
Die junge Frau hat mich vier oder fünf Mal angerufen, um mir schließlich erklären zu können, dass mich der Zufallsgenerator, der unter allen Bewerberinnen und Bewerbern bei Wer wird Millionär? zum Einsatz kommt, auserwählt hatte.
Heute weiß ich, dass sich beinahe unzählige Menschen darum bewerben, in diese Sendung mit Günther Jauch zu gelangen. Ich habe eine Frau kennengelernt, die sich über 300 Mal beworben hat, bis sie endlich diesen ersehnten Anruf aus der Redaktion von Endemol bekam. Ich dagegen hatte mich nur ein Mal beworben, also hatte ich ein solches Glück wie ein Kunde, der in meinem Backshop auf die richtigen Lottozahlen getippt hätte.
Noch dazu hatte ich mich erst drei Tage zuvor als Kandidat bei Wer wird Millionär? beworben.
In einem Urlaub in Lloret de Mar hatte ich Lotte kennengelernt, eine tolle Freundin, mit der ich mich auf Anhieb gut verstand, sehr viel unterhielt und mit der ich bis heute in megagutem Kontakt stehe. Sie erzählte mir unter anderem, dass sie sich bereits mehrmals darum beworben hätte, in Günther Jauchs Sendung auf den berühmten Stuhl zu gelangen, es aber bisher nicht geschafft hätte, dafür überhaupt nur in die engere Auswahl zu kommen.
Ich hatte mir zu dieser Zeit schon länger in den Kopf gesetzt, so schnell wie möglich den Kredit, den ich zwei Jahre zuvor bei einer Bank für meinen Backshop aufgenommen hatte, und außerdem auch das Geld, das mein Bruder in den Laden investiert hatte, zurückzuzahlen, so dass alles auf null wäre. Und so ging mir Lottes Idee, die Chance zu nutzen, bei Wer wird Millionär? Geld zu gewinnen, nicht mehr aus dem Kopf.
Eines Abends traf ich meinen Kumpel Sören, um mit ihm gemeinsam im Fernsehen einen Boxkampf mit Felix Sturm anzusehen. Sören und ich tippten jeweils auf unseren Favoriten und jedes Mal wenn dieser einen Schlag auf die Glocke bekam, mussten wir, der eine oder andere von uns, einen Kurzen trinken.
Ich hatte auf Felix Sturm getippt und war total davon überzeugt, dass ich an diesem Abend fast nüchtern bleiben würde, doch Felix Sturm musste so viele Schläge einstecken, dass er schließlich auch seinen Titel verlor – und ich am Ende des Kampfes total hacke war. (Mich würde interessieren, wer am nächsten Tag von uns den dickeren Schädel hatte – Felix Sturm von den Schlägen oder ich vom Pfefferminzschnaps.) Mein Kumpel Sören hatte auf jeden Fall einen genauso dicken Schädel wie ich.
In sturzbetrunkenem Zustand hatte ich mich also offenbar noch abends von Sörens Sofa aus bei Wer wird Millionär? beworben. Unglaublich, dass ich es noch hinbekommen habe, den Euro, den man dafür per PayPal oder Kreditkarte überweisen muss, zu bezahlen.
Drei Tage später rief mich die Frau von Endemol an. Als sie mit mir endlich die Fragerunde durchgehen wollte, stand ich mit dem Telefon im Hof meines Backshops, damit währenddessen nicht erneut die Verbindung abbrach.
Sechs Fragen stellte sie mir.
Ich war sehr aufgeregt, weshalb ich mich heute nicht mehr an alle Fragen erinnere. Ich sollte zum Beispiel die Titel aller Stieg-Larsson-Romane nennen. Diese kannte ich, denn meine Mutter hatte mich mein Leben lang zum Lesen von Büchern gezwungen. Öfter hatte ich als Kind deshalb Tränen vergossen oder mit meiner Mutter gestritten, doch nun antwortete ich: Verblendung, Vergebung, Vergeltung. (Danke, Mutti!)
Eine weitere Frage war: »Von wem hat sich Johnny Depp getrennt?«
»Vanessa Paradis!« Das wusste ich ebenfalls, weil ich in meinem Backshop viele dieser Zeitschriften verkaufte, die über die Trennungen prominenter Paare berichten, und sich auch meine Stammkunden in meinem Laden gern über den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Promiwelt unterhielten. (Danke, Backshop!)
»Welche Boyband kommt demnächst zurück?«, fragte die Frau von Endemol.
»Take That« war meine richtige Antwort. (Danke, Backshop!)
»Eine tierische Bezeichnung für einen Fußgängerüberweg?«
Das war einfach: »Zebrastreifen.«
Und: »Die Hauptstadt von Australien?«
Meine Mama hatte mir mal erklärt, dass viele Leute meinen, dies sei Sydney, und nicht wissen, dass es Canberra ist.
Ich antwortete: »Canberra!«
Richtig! (Danke, Mutti!)
Dass ich richtig antwortete, habe ich also nur meiner Mutter zu verdanken. Sie ist immer viel mit uns gereist, weil sie uns vier Kinder sehr weltoffen erziehen wollte, was ihr auch gut gelungen ist. In jedem unserer Kinderzimmer hing eine Weltkarte an der Wand, auch deshalb wusste ich einfach, dass Canberra Australiens Hauptstadt ist.
Ich habe auch schon öfter mal das Wissen meiner Kumpels mit der Frage nach der Hauptstadt Australiens getestet. Sören wettete mit mir um zehn Euro, dass es Sydney sei. Ich hielt dagegen. Und ich gewann. (Liebe Leserinnen und Leser, ich würde mich sehr freuen, wenn es euch gelingen sollte, mit der Frage »Ist Sydney Australiens Hauptstadt?« den Betrag zu erwetten, den ihr für den Kauf dieses Buches benötigt habt!)
Die Frau von Endemol bedankte sich schließlich für unser Telefonat und sagte: »Wenn es für Sie bei uns weitergehen sollte, dann melden wir uns wieder!«
Aussagen wie »Wir melden uns wieder« finde ich Horror. Sie bedeuten kein Ja oder Nein, man weiß einfach nicht, woran man ist. Manche Damen (ich nenne Frauen, an denen mir sehr viel liegt, Damen) äußern sich ebenfalls gern so. Man fragt sie, ob man sie wiedersehen darf. Sie antworten nicht mit Ja oder Nein, sondern sagen: »Ich melde mich.«
Also wartet man ab.
Gerade neulich habe ich eine Dame gedatet, die auch einen YouTube-Kanal betreibt. Wir trafen uns mehrmals, und zunächst schien es so, als wenn es zwischen uns eine ernste Sache werden könnte. Doch sie ließ alles noch sehr offen, um mir dann nach längerer Zeit mitzuteilen, dass sie inzwischen einen anderen hätte. Horror!
Aber so etwas passiert nun mal im Leben, ich bin auch überhaupt nicht nachtragend. (Ich hoffe, sie wird mit ihrem Freund sehr glücklich … Und ich wünsche den beiden von ganzem Herzen, dass sie mal einen schönen Urlaub in Afrika und dort eine Safari machen. Und dass sie dabei von einem Rudel Löwen gefressen werden … Das meine ich nur aus Spaß, denn eine tödliche Elefantenattacke würde ich viel spektakulärer finden.)
Das Thema »Damen« ist ein Kapitel für sich bei mir.
Wenn mir Leute in meinem Alter zum Beispiel erzählen, dass sie seit acht Jahren glücklich vergeben sind, dann irritiert mich das. Wenn ich all die Jahre, in denen ich Beziehungen hatte, mit drei multipliziere und plus vier rechne, dann komme ich auf weniger als acht Jahre, in denen ich vergeben war. Pfiffige Leserinnen oder Leser werden sich ausrechnen können, dass meine längste Beziehung ein Jahr andauerte. Und dies auch nur aufgerundet und bloß deshalb, weil es eine Fernbeziehung war.
Ich werde niemals meinen ersten Besuch in der Wohnung einer Dame in Köln vergessen. Immer wenn ich beruflich in der Stadt zu tun hatte, gingen wir gemeinsam essen. Eines Tages bat die Dame mich, mit zu ihr nach Hause zu kommen, um eine DVD anzuschauen. Auf dem Weg zu ihr erzählte sie mir, dass sie drei Hunde habe. Ich sah darin kein Problem, denn ich liebe Hunde. Doch dann »beichtete« sie mir, dass zwei ihrer drei Hunde bissig seien und es vor allem auf fremde Leute abgesehen hätten.
Nachdem wir die Wohnung betreten hatten, verschwand die Dame im Badezimmer. Ich stand allein im Flur. Ein kleiner weißbrauner Hund kam auf mich zugerannt. In Cristiano-Ronaldo-Manier bezog ich Stellung – bereit zum Freistoß. Nicht allzu hart, aber gut platziert traf ich den Hintern des Hundes. Er machte sofort kehrt. Ich freute mich und hoffte, er würde seinem anderen bissigen Kollegen berichten, dass ich der neue Sheriff in der Stadt oder wenigstens in dieser Wohnung sei.
Als die Dame aus dem Badezimmer kam, führte sie mich ins Wohnzimmer. Dort lagen die zwei anderen Hunde auf dem Sofa.
»Das sind übrigens die zwei Rabauken, die gern zubeißen!«, warnte mich die Dame. Nur der weiß-braune Hund laufe immer auf alle zu, um sie freudig zu begrüßen. Während der ganzen Beziehung begrüßte mich der Weiß-Braune nun kein einziges Mal mehr, dafür kam ich...