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E-Book

Verhaltensforschung im Wirtschaftsleben

AutorGünter Schmölders
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783688102440
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Ein Kontrastprogramm zur abstrakten Wirtschaftstheorie: ? Verhaltensforschung zur Erklärung wirtschaftlicher und sozialer Prozesse ? Verhaltensforschung zur Dokumentation struktureller Wandlungen ? Verhaltensforschung zwecks Wirtschaftsprognose

Günter Schmölders (1903-1991) war ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler, Finanzwissenschaftler, Finanzsoziologe und Sozialökonom.

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1. Einleitung: Ein Kontrastprogramm zur Rationaltheorie


Die im Vorwort erwähnte Entartung der heutigen Wirtschaftstheorie, die zwar weltweit zu beobachten ist, im deutschen Sprachraum jedoch ihre skurrilsten Blüten treibt, hat natürlich ihre Ursachen und geistigen Grundlagen. Eine dieser Ursachen liegt sicherlich in der willkürlich engen und nicht selten geradezu doktrinären Abgrenzung und Einhegung des Bereichs «Wirtschaft» als Gegenstand politischer Gestaltung und theoretischer Forschung. Während jedoch die Macht der Tatsachen die Wirtschaftspolitik längst dazu gezwungen hat, diese engen Grenzen zu überschreiten und abwechselnd und nebeneinander in die Gefilde der Außen-, Innen-, Sozial-, Rechts- und Kulturpolitik überzuwechseln, verharrt die Wirtschaftstheorie auf dem abgesteckten Spielfeld des «Ökonomischen» im engsten Sinne, um hier nach immer weiter verfeinerten Regeln den Spielball von Ursache und Wirkung im Kreise herumzutreiben. Diese «Reine Theorie» ist abstrakt und unabhängig von Zeit und Raum; Zeit und Raum gehören aber gerade zu den primären Gegebenheiten, mit denen sich die konkrete Gestaltungsaufgabe des Politikers auseinanderzusetzen hat. Zwei der grundlegenden Prämissen, von denen früher die Theorie auszugehen pflegte, nämlich die Annahme einer praktisch unendlich großen Anpassungsgeschwindigkeit und die «ceteris-paribus»-Hypothese, treffen in der wirtschaftspolitischen Wirklichkeit niemals auch nur annäherungsweise zu; gerade das Zeitmoment und die wechselnden Umstände, Gegen- und Nebenwirkungen bilden vielmehr das eigentliche Element aller politischen und damit auch aller wirtschaftspolitischen Erfolgschancen und Risiken.

Sowohl der verzögerten Anpassung als auch den mannigfaltigen Umweltfaktoren, die das Funktionieren der «ceteris-paribus»-Beziehung vereiteln, sollte daher die besondere Aufmerksamkeit einer für das Leben, nicht für sich selbst arbeitenden Wirtschaftsforschung gelten; beide sind in erster Linie Äußerungsformen menschlichen Verhaltens im weitesten Sinne. Was der Wirtschaftstheorie, auch der dynamischen Verlaufsanalyse, die das Zeitmoment berücksichtigt, fehlt, sind in erster Linie Erkenntnisse über das Verhalten der Menschen, die aktiv oder passiv Subjekte und Substrate der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik sind. Der Weg dazu besteht in der Ergänzung der jenseits von Raum und Zeit am theoretischen Modell einer abstrakten Wirtschaftsgesellschaft gewonnenen Erkenntnis durch die wirklichkeitsnahe, das Menschlich-Allzumenschliche in den Datenkranz der Wirtschaftsforschung einbeziehende sozialökonomische Verhaltensforschung.

Der Ausdruck «Verhaltensforschung» könnte mißverstanden und mit der seinerzeit in den Vereinigten Staaten aufgetretenen Schule des «Behaviorismus» verwechselt werden. Es empfiehlt sich daher, von vornherein klarzustellen, daß unsere «Verhaltensforschung» grundsätzlich die Gesamtheit der anthropologischen Wissenschaften zur Auskunft über die Antriebe des wirtschaftlichen oder wirtschaftlich relevanten menschlichen Handelns heranziehen will, von der Psychologie des Bewußten und Unbewußten (einschließlich der behavioristischen) über die Biologie bis zur Hirnforschung einerseits, von der Soziologie und Geschichtswissenschaft über die Sozialanthropologie bis hinüber zur Sprachwissenschaft und zur vergleichenden Tierethologie und -soziologie andererseits. Der Nutzen dieser erweiterten Fragestellung liegt gerade in der Aufgeschlossenheit gegenüber Ergebnissen und Ansätzen anderer Fachwissenschaften vom Menschen; ihre Grundlage ist die Erkenntnis, daß Wirtschaften menschliches Handeln, menschliches Handeln aber keineswegs nur das Wirtschaften ist, so daß es absurd wäre, es lediglich mit wirtschaftlichen Kategorien erklären oder auf den Bereich der «Wirtschaft» beschränken zu wollen.

Gegen die damit provozierte Miteinbeziehung des in den Lehrbüchern meist ausdrücklich oder stillschweigend ausgeklammerten «menschlichen Elements» in den Kreis der ökonomischen Forschungsgegenstände besteht in der Wirtschaftswissenschaft bisher noch überwiegend ein ausgesprochenes Vorurteil. Die Verfechter einer angeblich «exakten» ökonomischen Theorie lassen sich nur zu leicht dazu verleiten, das psychologische Gebiet überheblich als «happy hunting ground of the charlatan and the quack» abzutun oder es den «minds averse to the effort of exact thought» zu überlassen. Zum mindesten beherrscht bewußt oder unbewußt die Grundkonzeption des rational handelnden «homo oeconomicus» die Theorie noch so weit, daß sie es der Zukunft zuschiebt, andere als die rationalen Handlungsweisen zu erforschen, «when the technique of economic analysis will be sufficiently advanced to analyse the results of neuroses and confused thinking». Auf der anderen Seite führt jedes Modell des Wirtschaftsablaufs unter bewußt abstrakt gehaltenen Voraussetzungen zu einem Punkt, an dem sich dieser Voraussetzungskreis als zu eng erweist. Die determinierende Rolle des menschlichen Verhaltens und, in der tieferen Schicht, der Determinanten eben dieses Verhaltens sind in der Wirtschaftswissenschaft allzulange vernachlässigt worden. Wer «reine» Wirtschaftstheorie formuliert, versucht wie Alice im Wunderland ohne fixierte Punkte Krocket zu spielen; die festen Punkte, die uns dabei fehlen, sind die «Gesetze der menschlichen Natur», m.a.W. die Konstanten des Verhaltens der wirtschaftenden Menschen, um die sich die Verhaltensforschung bemühen muß.

Die ablehnende Haltung der modernen Wirtschaftstheorie gegen die Einbeziehung des «menschlichen Elements» ist um so verwunderlicher, als am Anfang der Nationalökonomie eine sehr entschiedene Neigung zu «psychologischen» Hypothesen bestand. Adam Smith hielt bekanntlich seine Theorie der ethischen Gefühle für wesentlich bedeutender als sein späteres wirtschaftswissenschaftliches Werk; Ricardos Vorstellung vom wirtschaftenden Menschen fußte auf der handfesten utilitaristischen Psychologie Benthams, und noch lange hat der Hedonismus zu einer Zeit, als er in der Philosophie und Psychologie längst überwunden war, die Auffassungen der Ökonomen vom menschlichen Handeln maßgebend bestimmt. So baute Jevons die Grenznutzenlehre noch ganz auf den alten hedonistischen Grundvorstellungen auf, die, wie bei Ricardo, darin gipfeln, daß das größte Gesamtwohl erreicht wird, wenn jedes Individuum einem Maximum an Lust oder doch einem Minimum an Unlust zustrebt. O. Morgenstern hat darauf hingewiesen, daß es an der Sache nichts ändert, wenn man «Lust» mit «Nutzen» oder «Nutzen» mit «Ophelimität» (Pareto) oder die «Nutzenrechnung» schlechthin mit «Rechnung» bezeichnet; Alfred Marshall, der die Nationalökonomie sogar allen Ernstes als einen Sonderzweig der Psychologie ansah, ersetzte freilich in seinen «Principles» lediglich das Wort «pleasure» durch «satisfaction», «as if such verbal changes cleaned his skirts of hedonism».

Spätere Generationen von Nationalökonomen haben den Versuch gemacht, die Psychologie, die der subjektiven Wertlehre zugrunde lag, aus der Wirtschaftstheorie hinauszukomplimentieren und sie durch eine angeblich rein objektive Theorie der «Wahlhandlungen» zu ersetzen; neben J.R. Hicks ist hier vor allem H.v.Stackelberg zu erwähnen. «Nicht mehr die in der menschlichen Psyche unmittelbar wahrgenommene Empfindung, sondern der äußerlich sichtbare wirtschaftliche Wahlakt steht am Anfang der Werttheorie. Auf die Erklärung, warum der Mensch so und nicht anders wählt, wird verzichtet. Das Indifferenzkurvenschema bringt nur zum Ausdruck, daß in einer bestimmten Weise gewählt wird … Nicht nur Bedürfnisse im alten Sinne, sondern alle denkbaren Zwecke des Menschen und der menschlichen Gesamtheiten können die Basis für die Bewertung der verschiedenen Mittelkombinationen abgeben. Die Werttheorie weitet sich zur reinen Theorie der Zweckmittelbeziehung aus. Sie ist abstrakt, farblos, fast möchte man sagen ‹gläsern› geworden; aber ihre Leistungsfähigkeit ist zugleich auf den denkbar höchsten Stand gebracht.»

Die Wertlehre, die dadurch zu einer abstrakten Theorie der Wahlhandlungen wird, verzichtet also bewußt auf eine vollständige Erklärung des wirtschaftlichen Handelns; sie überläßt diese Erklärung ausdrücklich der Psychologie: «Gewiß ist ein Wahlakt wie der obige eine Erscheinung, die der Erklärung bedarf. Es gibt überhaupt keine Erscheinung, die keiner Erklärung bedürfen würde. Um eine Erklärung zu erhalten, müßte man im Einzelfalle genau untersuchen, aus welchen bewußten oder unbewußten Motiven der betreffende Mensch in der Lage, in der er sich gerade befand, die Möglichkeit A der Möglichkeit B vorgezogen hat. Diese Erklärung würde bestimmt manchen interessanten Aufschluß vermitteln. Sie hat jedoch mit der wirtschaftlichen Theorie nichts mehr zu tun. Sie gehört vielmehr in das Gebiet anderer Disziplinen, vor allem der Psychologie.»8,

Diese Resignation der Werttheorie gegenüber den den Wertvorstellungen zugrundeliegenden Motivationen leitete Wesley C. Mitchell von der Erkenntnis her, daß der Hedonismus eine unbrauchbare Psychologie sei, so daß die Wertlehre versuchen mußte, ohne Psychologie auszukommen, wollte sie nicht auf die klassische und auf die Grenznutzenanalyse des Wertes überhaupt verzichten; statt die unbrauchbare Psychologie der Grenznutzenschule durch eine bessere zu ersetzen, eliminierte die moderne Wertlehre die Psychologie durch den Rückzug auf eine bloße Theorie der Wahlakte. Dadurch gelangte diese Lehre dazu, sich nicht so sehr darüber Rechenschaft zu geben, wie sich die Menschen wirklich...

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