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E-Book

Bernhard, Jandl, Jelinek

Österreichische Musikzeitschrift 05/2015

VerlagHollitzer Wissenschaftsverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783990122167
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Auch die neuere österreichische Literatur weist starke Affinitäten zur Musik auf. Drei höchst unterschiedlich gepolte AutorInnen rücken in den Fokus: Thomas Bernhard, der sich im Roman Der Untergeher an Fragen der pianistischen Perfektion abarbeitete und mit Holzfällen dem Tonsetzer Auersberger als »ewigem Webern-Nachfolger« ein paar Liebesgrüße verabreichte - wodurch sich der Komponist Gerhard Lampersberg auf den Schlips getreten fühlte, mit dem Bernhard in jungen Jahren die Kammeroper rosen der einöde konzipiert und ausgearbeitet hatte. Die Spuren, die Ernst Jandl in der Musikgeschichte hinterließ, reichen von der Jazz-Szene bis zu Friedrich Cerha. Dass im literarisch-musikalischen Dreigestirn Elfriede Jelinek aufleuchtet, bedarf vor dem Hintergrund von Clara S., der Klavierspielerin und den Schubert-Huldigungen der Nobelpreisträgerin keiner Begründung.

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THEMA


Hans Wallner: Kalliope, die Muse der epischen Dichtung.

»Die Musik war meine Bestimmung!«


Thomas Bernhard und die Musik


Liesbeth Bloemsaat-Voerknecht


Wer den Namen Thomas Bernhard hört, denkt höchstwahrscheinlich zuallererst an den Nihilisten und Kunstzertrümmerer, den österreichischen Nestbeschmutzer und Skandalautor. Oder an den »Außenseiter«, der sich in seinen Obernathaler Bauernhof oder eines seiner anderen Häuser in Oberösterreich zurückzog. Sowohl seine Prosa- als auch die sagenumwobenen Bühnenwerke haben ihn im In- und Ausland zu einem der bekanntesten Autoren des 20. Jahrhunderts gemacht. Bei Auftritten in der Öffentlichkeit wie z. B. Preisverleihungen kam es mehrfach zu Affronts und heftigen Auseinandersetzungen. Wer die von ihm gewährten Interviews liest, stellt fest, dass Bernhard sich gern recht überheblich gab und seine Gesprächspartner mit Ironie in die Irre führte oder auf den Arm nahm.

Als zwanzigjährige niederländische Germanistik- und Musikstudentin sah ich von Thomas Bernhard zuallererst ein Interview mit Krista Fleischmann und las den Roman Holzfällen. In ihm schneiden die Wiener Künstlerszene, insbesondere ein gewisser Komponist namens Auersberger, hinter dem sich Bernhards Jugendfreund Gerhard L. verbirgt, nicht sonderlich vorteilhaft ab. Über das juristische Verfahren, das L. aufgrund seiner vermeintlichen Ähnlichkeit mit der Romanfigur Auersberger anstrengte, die Beschlagnahmung der Bücher oder auch Bernhards Versuch, die Aufführungen seiner Werke in Österreich zu unterbinden, ließe sich ein voluminöses Buch oder eine Oper schreiben (siehe hierzu: »rosen der einöde«; S. 23ff.). Holzfällen war Zündstoff – die Republik und der Autor haben den »Skandal« überlebt.

Entsetzt und wütend war ich über Bernhards Haltung – und ratlos. Wie sollte ich ein Hauptseminar überstehen und dann auch noch eine größere Hausarbeit über ihn schreiben? Zerreißen würde ich ihn!

Dann aber las ich seine autobiographischen Werke, 1 eine Selbstdarstellung, in der sich Realitätserfahrung und Stilisierung mischen – und ich verschlang Der Untergeher. Mein Bernhardherz schlug auf einmal ganz anders: Die Sprache fesselte, der Mensch faszinierte mich. Auch die anderen Werke waren – thematisch wie auch sprachlich – voller Musik. Die Texte schienen von einem Thema zum anderen zu »modulieren«… und ich war nicht die einzige, die ihn beim Lesen rhythmisch, fugenartig und opernhaft zu hören glaubte. Thomas Bernhard und Musik sollte der Titel der besagten Hausarbeit sein; sie wuchs zur Diplomarbeit und schließlich zur Dissertation. Im Grunde aber bedarf es keiner tiefschürfenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit Bernhards Texten, um ein Sensorium dafür zu entwickeln, dass Musikalität eine ihrer hervorstechenden Eigenschaften ist.2

Thomas Bernhard Foto: Andrej Reiser. Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags.

Aversionen und Kunstfehler


Viele Protagonisten der Texte Bernhards beschäftigen sich in irgendeiner Weise mit Musik – manche sind »beinahe jeden Tag im Konzert oder in der Oper«, lauschen ihren Lieblingskapellmeistern wie Fritz Busch, Carl Schuricht oder einem anderen Künstler aus Bernhards Plattenschrank, 3 manche arbeiten an musikwissenschaftlichen Schriften, so zum Beispiel Konrad in Das Kalkwerk (1970), der an einer Studie über das Gehör forscht, quälerische Experimente mit Schürf- und Kratzgeräuschen an seiner verkrüppelten Ehefrau durchführt und »die Aufnahmefähigkeit ihres Gehörs für Zwölftontechnik« testet. Und Beton (1982) berichtet von dem vergeblichen Versuch, eine »alles bisher […] weit zurück- und unter sich lassende […] Arbeit über Mendelssohn Bartholdy zu verfassen«. Einige Protagonisten Bernhards machen »dilettantische« Hausmusik, wieder andere sind Berufsmusiker, wie etwa die Sängerin in Der Ignorant und der Wahnsinnige (1972), die die Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte 222 Mal singt und schließlich daran zugrunde geht. Aber auch real existierende Künstler erscheinen in Bernhards Werken, so in Die Berühmten oder in Der Untergeher. Hier erinnert sich der Erzähler an die 28 Jahre zurückliegende Begegnung mit seinen Pianistenkollegen Wertheimer und Glenn Gould bei einem Meisterkurs von Horowitz. Sowohl der Erzähler als auch Wertheimer müssen, als sie Gould die Goldbergvariationen Bachs spielen hören, erkennen, dass sie sein Niveau nie erreichen werden, und geben ihre Karrieren auf. Der Weg Wertheimers endet dann sogar mit Suizid.

Woher rührte Bernhards Faible für Musik? Wie verlief seine Musikbiographie?4

In seiner Jugend erlernte Bernhard, allerdings nur mit erheblichem Widerwillen, das Geigenspiel, während sein Großvater mütterlicherseits, Johannes Freumbichler, der für den unehelich Geborenen die Vaterrolle übernahm, in dem Jungen einen Geigenvirtuosen zu erblicken meinte und ihn stets zum Üben anspornte. Geradezu zynisch hat Bernhard diese Erfahrung des »zwanghaften« Musizierens in seinem Theaterstück Die Macht der Gewohnheit (1974) in Szene gesetzt (siehe auch S. 29ff). Hier quält der Zirkusdirektor Caribaldi seine Mitarbeiter seit 22 Jahren, indem er sie täglich zum Spielen von Schuberts Forellenquintett zwingt, nur um das Stück einmal »als Kunstwerk / zu Ende zu bringen«. Seine Opfer, »nicht Menschen / Instrumente« ihrerseits widersetzen sich und führen die Probe immer wieder ins Chaos.

Allerdings ergab sich aus der mühseligen Beschäftigung mit der Geige doch auch ein gewisser Nutzen, wie Bernhard in seinem autobiographischen Band Die Ursache. Eine Andeutung, der in einem nationalsozialistisch geführten Salzburger Internat spielt, beschreibt: »Das Geigenspiel und der tägliche Ševčík [eine Violinschule; Anm. d. Red.] waren ihm in dem Bewußtsein, es auf der Geige niemals zu etwas Großem zu bringen, ein willkommenes Alibi für das Alleinsein und Mitsichselbstsein in der Schuhkammer, in die während seiner Übungszeit kein Mensch Zutritt hatte; an der Außenseite der Tür hing ein von der Frau Grünkranz beschriftetes Schild mit der Aufschrift: Kein Zutritt, Musikübung. […] Er hatte auf der Geige seine eigene, seinem Selbstmorddenken entgegenkommende Musik gemacht, die virtuoseste Musik, die mit der im Ševčík vorgeschriebenen Musik aber nicht das geringste zu tun hatte«.

Beendet wird das Geigenlerndrama durch einen der Bombenangriffe auf Salzburg, bei dem »sein kostbares Melancholieinstrument« zu Bruch geht. Vier inhaltliche wie auch formale Aspekte fallen in der Passage, die sich über acht Seiten erstreckt, auf: der Widerwille gegen das auferlegte Musizieren, aber auch die daraus sich ergebende willkommene Rückzugsmöglichkeit, die Selbstmordgedanken, die er vom Großvater übernommen hat, und – auf struktureller Ebene – die Endlossätze, die jeweils um ein spezielles Sujet kreisen. All diese Themen durchziehen das Werk Bernhards.

Verschiedene Ausgaben von Bernhards Beton.

Bernhard entwickelte Aversionen gegen die Geige, nicht aber gegen die Musik. Er verließ vorzeitig ohne Abschluss das Gymnasium und arbeitete, um die Familie finanziell zu unterstützen, als Kaufmannslehrling beim Kolonialwarenhändler Podlaha (einem verhinderten Musiker und Opernnarren) in einem der ärmsten Viertel Salzburgs, der Scherzhauserfeldsiedlung. Zur großen Freude seines musikverliebten Großvaters, der übrigens auch Zeit seines Lebens – allerdings erfolglos – schriftstellerische Ambitionen hegte, begann Bernhard zu dieser Zeit seine Singstimme zu entdecken. Unter dem Stichwort Schaljapin inserierte er und fand so zur bekannten Sängerin Maria Keldorfer, deren Mann Theodor W. Werner ihn in Musiktheorie und Musikästhetik unterrichtete. »Daß Lernen, Studieren, sich Bilden eine reine Freude sein« können, war für Bernhard eine neue, glücksbringende Erfahrung. »Diese drei, Gesang, Musikwissenschaft und kaufmännische Lehre, hatten aus mir plötzlich einen ununterbrochen in größter Anspannung existierenden, tatsächlich völlig ausgelasteten Menschen gemacht und mir einen Idealzustand in Kopf und Körper ermöglicht«. Er erlernt den Kaufmannsberuf und studiert die Musik gleichermaßen »mit der größten Entschiedenheit […]. Freiwillig, darauf war es angekommen« (Der Keller. Eine Entziehung).

Diese Art der überschwänglichen Begeisterung artikuliert Bernhard immer wieder und zwar ausschließlich beim Thema Musik! Seinen musikalischen Enthusiasmus überträgt der Autor auch auf seine Figuren, so etwa auf den depressiven Rudolf, der in Beton die entscheidende Studie über Mendelssohn Bartholdy verfassen möchte, jedoch von Schreibhemmungen geplagt wird. Auch für ihn ist es die Musik, die ihn »im wahrsten Sinne des Wortes begeistert« und der er sich »kopfüber ausgeliefert« hat.

Bernhards Traum von einer Karriere als Sänger wurde jäh gedämpft, als er sich im Herbst 1948 schwer erkältete und nur halb erholt wieder zur Arbeit ging. Er musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, wo man ihm eine nasse Rippenfell- und Lungenentzündung attestierte. Die Ärzte gaben ihn auf, Bernhard erhielt die Sterbesakramente und kam ins Sterbezimmer. Doch an den Tod wollte er noch nicht denken: »Ich hatte schon wieder meine Pläne im Kopf. Ich dachte schon wieder an die Musik. Ich hörte schon wieder Musik in meinem Eckbett, Mozart, Schubert, ich hatte schon wieder die Fähigkeit, aus mir...

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