Ingonda Hannesschläger
Salzburg und Venedig – Netzwerkstrukturen als Basis des kulturellen und künstlerischen Austauschs. Elia Castello und Vincenzo Scamozzi
Mit der Bezeichnung Salzburgs als „Rom des Nordens“1 wurde das Bild einer durch römische Kultur, Kunst und Persönlichkeiten geprägten Stadt gezeichnet, das vorherrschend blieb. Mit der Fokussierung der Tagung auf den kulturellen und wirtschaftlichen Transfer zwischen Venedig und Salzburg soll der Versuch unternommen werden, einen erweiterten Blick auf die Einflüsse und den gegenseitigen Austausch zu richten. Ziel des Beitrags ist es, eine aktualisierte Zusammenführung unterschiedlicher Aspekte zu bieten, wobei die miteinander in Verbindung stehenden Netzwerkstrukturen betreffend Kunst und Kommunikation näher beleuchtet werden sollen.2
Der lange vernachlässigte Hinweis von Erich Hubala3 auf die Widmung von Francesco Sansovinos4 1604 in Venedig gedruckter Ausgabe der Beschreibung der Stadt Venetia città nobilissima5 an Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau (1587–1612) bietet diesbezüglich neue Sichtweisen. Bisher waren es vor allem Wolf Dietrichs Beziehungen zu Rom, die wiederholt als zentrales Argument für die politische und kulturelle Erneuerung der Stadt angeführt wurden.6 Welche Bedeutung hatte jedoch im Vergleich dazu Venedig als herausragende Kunstmetropole im Norden Italiens, als traditioneller Umschlagplatz der Kulturen und beherrschende Handelsmacht Mitteleuropas für Salzburg?
Das Bild der Vernetzungen ist dichter als bisher dargestellt. Salzburg als Wirkstätte oberitalienischer Künstlerfamilien, der „Maestri Comacini“, trat im Rahmen der Forschungen zur Salzburger fürsterzbischöflichen Residenz erneut ins Zentrum des Interesses, wobei erstmals Hinweise auf direkte Beziehungen zu Venedig formuliert wurden.7 Dies verwundert nicht, war doch Venedig nach dem Sacco di Roma 1527 zur neuen Heimat vieler geflohener Künstler geworden; so kam auch Jacopo Sansovino (1486–1570) in die prosperierende Stadt. Andere Zentren boten sich in Italien kaum an, weder in Turin noch Mailand gab es vergleichbar viele Auftraggeber mit Aussicht auf lukrative Aufträge. Der nach wie vor florierende Handel Venedigs wirkte sich auch positiv auf Bauaufgaben und Werkstätten aus.8 Ein Grund mehr für Fürsterzbischof Wolf Dietrich, sein Interesse auf Venedig zu lenken, da Rom zudem weit entfernt war.
Die Stellung der Salzburger Händler am Fondaco dei Tedeschi in Venedig als eine der führenden Kräfte neben Nürnberg und Augsburg verdeutlichte ein Referat zur Tagung von Sibylle Backmann.9 Details zu Akteuren und Mechanismen der Handelsbeziehungen müssten noch erforscht werden, um den regelmäßigen und engen Informationsaustausch genauer zu belegen. Transferströme haben nicht allein für Salzburg Geltung, sondern sind im größeren Verbund zu sehen. Das System des Transfers präsentiert sich jedenfalls als dichtes Netzwerk, bei dem intensive beidseitige Kenntnis, Wahrnehmung und Wertschätzung deutlich zum Ausdruck kommen.
Große Projekte wie urbane Neuplanungen, die Gestaltung von Verwaltungs- und Repräsentationsbauten und nicht zuletzt die nördlich der Alpen einzigartige Herausforderung eines Domneubaus bedurften eines intensiven Informations- und Erfahrungsaustauschs.
Die Stabilität bietende Regierung der Fürsterzbischöfe auch in Krisenzeiten trug entscheidend zur Entwicklung des modernen Verwaltungsstaates, zur Ausprägung von Stadt- und Polizeiordnungen sowie zu Neuregelungen des Wirtschaftslebens bei und schuf gleichzeitig die notwendige Basis für die kulturelle Entwicklung der Stadt Salzburg.10 Dies wurde unterstützt durch das ausgeprägte wirtschaftliche Engagement der Bürger und ermöglichte eine in Maßen positive wirtschaftliche Entwicklung trotz des Dreißigjährigen Krieges bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, wobei der Handel durch den Warenverkehr über die Salzburger Tauernpässe schon um 1600 einen Höhepunkt erreicht hatte.
Das Erscheinungsbild der Stadt Salzburg im 15. Jahrhundert war geprägt durch die Tradition einer wichtigen Handelsstadt am Fluss. Die Ufer waren teils unbebaut, die Häuser standen direkt am Wasser, Handelsstraßen verliefen hinter den ersten Häuserzeilen, wie die Steingasse für den Handel aus dem Süden. Für die Zulieferung der Waren verfügten die Häuser über Arkadenöffnungen zum Fluss hin, wofür als architektonische Modelle einerseits auf Venedig verwiesen wurde11, andererseits auf eine typische lokal entwickelte Bauform, die in den Orten an Salzach und Inn nachweisbar ist. Der schon von Donin festgestellte stilistische Einfluss in der Gestaltung des Portals des Hauses Steingasse 46 aus dem Jahr 1585 erklärt sich erst aus der Tatsache, dass dies das Wohnhaus der einheimischen Großhandelsdynastie Stainhauser war.12
Der Übergang von der Steingasse zum Zentrum der Stadt war lediglich über eine einzige Holzbrücke möglich. Auf ihr war der fürstliche Brückenzoll neben einigen Verkaufsbuden, vor allem Metzgerläden und sogenannten Sudelküchen, eingerichtet. Brände und Hochwässer beschädigten die Brücke wiederholt, 1598 kam es zum Einsturz, wodurch in den folgenden Jahrzehnten mehrere Neuerrichtungen in Angriff genommen wurden. Der Bau der durch Wolf Dietrich 1609/10 begonnenen Steinbrücke konnte nicht vollendet werden. Der Fürsterzbischof hatte sich in einem von ihm verfassten Traktat „über die Wassergebew“ mit derart spezifischen architektonischen Fragen intensiv befasst.13 Straßen und Märkte in der Stadt Salzburg waren geprägt vom Handel, ihre Zuweisung und Benennung von Getreide- über Fisch-, Gemüsemarkt etc. zeigt, dass sich diese in direkter Verbindung zu den Lieferwegen entwickelt hatten.14
Mit der Ankunft Wolf Dietrichs setzte ein Kulturwandel ein, der sich als Transformation der städtischen und regionalen Identität hin zu einem neuen Eigen- und Fremdbild beschreiben lässt, eine Transformation hin zu frühneuzeitlichen Standards einer repräsentativen Residenzstadt. Der unter Wolf Dietrich eingeleitete Paradigmenwechsel schuf in vielerlei Hinsicht die Grundlagen für ein Auftragsniveau, an dem kein Nachfolger mehr vorbeikam.
Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau setzte konkrete Maßnahmen zur Modernisierung der Stadt, wofür er zunächst auch wirtschaftliche und politische Maßnahmen setzte.
Schon zu Lebzeiten bekannt – wie noch erläutert wird – wurde der Fürsterzbischof durch seine völlige Umplanung des historischen Stadtkerns. Dom, Domkloster, Residenz und die angrenzenden Plätze wurden radikal neu gestaltet, die Elemente kommunaler Identität ebenso drastisch zurückgedrängt. Wolf Dietrich ließ keinen Zweifel daran, dass er die Stadt nach ‚seinen‘ Vorstellungen und ohne allzu große Rücksicht auf lokale Gegebenheiten umzugestalten dachte.
Die Umsetzung dieser Maßnahmen übertrug er den in Salzburg und weit darüber hinaus berühmten Maestri Comacini aus Oberitalien, die als Bauleute und Stuckateure auf eine lange Tradition zurückblicken konnten und in Familienverbänden wirkten. Andrea Bertoletto und dessen Sohn eröffneten die lange Reihe dieser Meister aus dem Intelvi-Tal, die für die nächsten Generationen in Salzburg arbeiten sollten. An dieser Stelle sollen nicht die einzelnen Werke der Künstler im Fokus stehen, sondern ihre Herkunft, die Netzwerke sowie Wandertätigkeit und Ausbildung, um nach bisher kaum beachteten Verbindungen mit Venedig zu suchen. Von ebensolcher Relevanz ist das wirtschaftliche Gefüge, da diese Werkstätten einen nicht unbedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellten, der in enger Verbindung mit dem Handel und Materialtransport über die Alpen zu sehen ist.
Die Forschungslage zu diesen Künstlerfamilien und deren Wandertätigkeit ist in vielen Belangen noch lückenhaft und schwer fassbar, wenn auch zunehmende Einzelforschungen in Internetportalen zusammengeführt werden.15
Bereits 1588 hatte Wolf Dietrich seinen ersten großen Prestigebau, das Neugebäude der Residenz begonnen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit seinem Hofbaumeister Johann Baptist Ninguarda ließ er sich über seinen Vizedom in Graz 1591 Andrea Bertoletto (1595 Testament, † 1596) als Nachfolger empfehlen, der aus Verna am Comer See stammte.16 Dieser legte in Salzburg die Basis für ein starkes Netzwerk, dem sein Sohn Giacomo Bertoletto, aber auch der spätere Hofbaumeister Santino Solari (Verna 1576 – Salzburg 1646) zuzurechnen sind.17 Im Amt des Hofbaumeisters folgte ihm jedoch zuerst ab 1598 Elia Castello aus dem in der Nähe von Verna, ebenso im Intelvi-Tal gelegenen Melide. Auch dieser arbeitete im Familienverband. Vater Quirico Castello und die Brüder Elias, Pietro (bis 1612 nachgewiesen) und Antonio (bis 1634 nachgewiesen) waren in Salzburg, aber auch in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in ihrem Heimatort in Melide tätig.18 In der Zeit der wesentlichsten Baumaßnahmen war in Salzburg somit von 1598 bis 1608 nur Elia Castello mit einem sehr hohen Gehalt von 35 Gulden als Hofbaumeister fassbar, der durch die Tätigkeit seiner Verwandten über direkte Verbindungen zu anderen Höfen und aktuellen Bauvorhaben von Süd bis Nord verfügte. Er selbst verstarb im Jahr 1608, erst 30-jährig, in Salzburg19, seine Brüder blieben noch bis circa 1612 in der Stadt und vollendeten begonnene Arbeiten.20 Zum Zeitpunkt von Elias Tod waren die Erweiterungsbauten der beiden Höfe der fürsterzbischöflichen Residenz nördlich der Franziskanerkirche weitgehend abgeschlossen, den Umbau des alten Bischofshofs, 1606 begonnen, führte Fürsterzbischof Marcus Sitticus weiter.21
Aus den erhaltenen Besoldungslisten lässt sich nach...