Kapitel 2
Moderne Portfoliotheorie nach Markowitz
Eine hoffentlich verständliche Einführung
Harry Markowitz wurde 1927 in Chicago/USA geboren und studierte an der dortigen Universität Wirtschaftswissenschaften. Bereits im Rahmen seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit mathematischen Modellen zur Optimierung von Portfolios. 1952 erschien sein Artikel »Portfolio Selection« (Portfolioauswahl) im anerkannten Fachmagazin Journal of Finance. 8 Das Ergebnis seiner Überlegungen zur sogenannten Mittelwert-Varianz-Optimierung war ein »effizientes Portfolio«, welches bei einem gegebenen Risiko (Varianz bzw. Volatilität) die bestmögliche Rendite (Mittelwert) erwirtschaften kann, bzw. andersherum formuliert eine erwartete Rendite mit dem geringstmöglichen Risiko erzielt. Jahrzehnte später, nämlich 1990, wurde Markowitz für diese Theorie mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften ehrte Markowitz für seine – Zitat – »Pionierarbeit im Bereich der finanziellen Ökonomie«.
In einer zweidimensionalen Ebene aus Ertrag (X-Achse) und Risiko (Y-Achse) muss es also gemäß der Theorie von Markowitz Punkte geben, die solche effizienten Portfolios beschreiben. Abb. 2.1 zeigt die originale Abbildung aus dem 1952 von Markowitz veröffentlichten Artikel.
Aufgrund dieser Kurve kann man nun also für eine erwartete Rendite (in Abb. 2.1 als »E« für »erwartete Rendite«, engl. »expected return«) das Portfolio wählen, welches das niedrigste Risiko V aufweist (»V« für »Varianz«). Die Varianz (von lateinisch »variantia«, »Verschiedenheit«) ist im mathematischen Sinne eine Angabe, die die Streuung von Datenpunkten beschreibt, d.h. je größer die Varianz einer Datenreihe, desto mehr streuen die Datenpunkte um ihren Mittelwert herum. Die Gaußsche Normalverteilung (»Glockenkurve«) wird auch exakt mit diesen zwei Parametern beschrieben.
In unserem Kontext der Portfolio-Optimierung bedeutet also die Minimierung der Varianz, dass ein Portfolio gefunden werden soll, welches möglichst wenig im Wert schwankt, d.h. wenige Ausreißer nach oben oder unten und damit ein niedriges Risiko aufweist. Die Optimierung des Mittelwerts ist in unserem Kontext dann natürlich die Maximierung der zu erwartenden Rendite. Bei all dem gilt natürlich der grundlegende Zusammenhang, der auch in Abb. 2.1 zu erkennen ist, dass das Risiko (d.h. die Schwankungsbreite bzw. Varianz V) eines Portfolios steigt, wenn auch die angestrebte Rendite E steigen soll. Die Abbildung 2.2. soll dies anhand der täglichen Kursbewegungen des deutschen DAX-Indexes nochmals grafisch erläutern.
Abb. 2.1: Effektive Portfolios in der Rendite-Risiko-Ebene. E = erwartete Rendite, V=Varianz (bzw. Volatilität als Maßzahl des Risikos). Quelle: H. Markowitz 9 .
Abb. 2.2: Tägliche Kursänderungen des DAX zwischen 1987 und 2006. 10
Interpretiert man den DAX als ein Aktienportfolio, welches er ja auch ist, und trägt man die tägliche prozentuale Entwicklung dieses Portfolios in verschiedenen Intervallen ab, so erhält man näherungsweise die dargestellte Normalverteilung. Dies bedeutet, dass es nur wenige Tage gab, an denen der DAX sich um mehr als drei Prozent nach unten entwickelte, oder um mehr als vier Prozent nach oben. Der Mittelwert dieser Verteilung ergibt sich mathematisch zu 0,041 Prozent, d.h. der DAX entwickelte sich im Schnitt jeden Tag um diesen Prozentsatz nach oben. 11 Die Schwankungsbreite hierbei war ca. drei Prozent (d.h. die »Halbwertsbreite« von zwei Standardabweichungen, dies entspricht der Breite der Verteilung bei Anzahl N = 500). Die Portfoliotheorie von Markowitz versucht also die Normalverteilung eines solchen Portfolios bei einem akzeptierten Risiko möglichst weit nach rechts zu verschieben bzw. bei einer definierten Rendite die Schwankungsbreite der Verteilung zu minimieren.
Rebalancing: Periodische Wiederherstellung des effizienten Portfolios
Die tägliche Marktentwicklung erbringt logischerweise ständig eine Verschiebung der Gewichtung der einzelnen Bausteine eines Portfolios, sodass die Renditeerwartung des Portfolios sinkt oder das Risikoprofil steigt. Mit anderen Worten: Die Märkte treiben ein bestehendes Portfolio ständig vom effizienten Portfolio weg, sodass zur Wiederherstellung der ursprünglichen Aufteilung des Portfolios ein sogenanntes »Rebalancing« notwendig wird, um das angestrebte Rendite-Risiko-Profil wiederherzustellen.
Stellen Sie sich z.B. ein einfaches Portfolio mit 50 Prozent Aktien und 50 Prozent Anleihen vor. Steigen die Aktien nun um 50 Prozent im Wert und bleiben die Anleihen im Wert konstant, verschiebt sich die Gewichtung der Bausteine auf 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen. Damit ist das Depot natürlich mehr von der weiteren Aktienentwicklung abhängig geworden, womit das Risiko klar gestiegen ist. Um dieses Risiko wieder zu senken und um das Portfolio wieder effizient zu machen, müssen also ein Sechstel der Aktien verkauft und hierfür neue Anleihen gekauft werden, womit die alte Aufteilung 50:50 wiederhergestellt wäre. Die Literatur sieht das Rebalancing also primär als Instrument zur Risikokontrolle, weniger zur Optimierung von Renditen. Es ist jedoch empirisch belegbar, dass über längere Zeiträume das Rebalancing auch einen deutlichen Mehrgewinn erbringt.
Ein weiterer Gesichtspunkt, der das beschriebene Rebalancing attraktiv macht, ist das zum Automatismus gewordene antizyklische Handeln. Wir alle wissen zwar, dass man Werte billig kaufen und teuer verkaufen sollte. Diese Binsenweisheit wird jedoch, wie wir später noch sehen werden, von den meisten Privatinvestoren leider ins genaue Gegenteil verkehrt, d.h. immer wieder wird prozyklisch gehandelt. Um es vielleicht überspitzt zu formulieren: In steigende Kurse hinein wird euphorisch gekauft und bei sinkenden Kursen wird angstvoll verkauft. Das Rebalancing zwingt den Investor zum genauen Gegenteil: In steigende Kurse hinein wird verkauft, bei sinkenden Kursen wird gekauft.
Ich möchte Ihnen noch ein sehr plakatives Beispiel für das Rebalancing zwischen einzelnen Anlageklassen geben. Betrachten wir hierfür den marktbreiten amerikanischen S&P-500-Aktienindex und die Entwicklung des Goldpreises im Zeitraum zwischen Anfang der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre. Der S&P-500-Index lag Anfang 1971 bei ungefähr 700 Punkten, während Gold noch bei 35 US$ fixiert war (Verhältnis S&P zu Gold = 20). Nachdem Präsident Nixon im August 1971 die Bindung des Dollars an Gold gelöst hatte, stieg dieses bis Anfang 1980 auf über 850 Dollar die Unze an, während sich der S&P 500 in dieser Zeit halbierte (Ratio 0,4). Hätte also der effiziente Anleger in dieser Zeit seine Goldgewinne regelmäßig in Aktien getauscht, wären erstens die Goldgewinne realisiert worden und wäre man zweitens zu Beginn der langjährigen Aktienhausse ebenfalls positioniert gewesen, um dann dort die Gewinne wieder mitzunehmen. Mit dem umgekehrten Automatismus (Verkauf der steigenden Aktien und Kauf des sinkenden Goldes) wäre unser intelligenter Investor dann auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder gut in Gold investiert, um die noch heute laufende Edelmetallhausse für sich nutzen zu können (aktuelle Ratio S&P zu Gold = 1,4).
Eine wichtige Frage ist, wie oft man das Rebalancing durchführen sollte. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten, wobei die Literatur keine Möglichkeit explizit bevorzugt. Wohl spielt auch die Größe des Gesamtportfolios eine wichtige Rolle dafür, wie oft ein Rebalancing sinnvoll durchgeführt werden kann. Für 100 Euro Aktien zu verkaufen und Gold zu kaufen würde sicherlich aufgrund der anfallenden Transaktionsgebühren bzw. Aufgelder keinen Sinn ergeben.
Die erste Möglichkeit für die Durchführung eines Rebalancings ist, eine fixe Zeitdauer zu wählen, nach der das Portfolio bewertet und wieder ins prozentuale Gleichgewicht gebracht wird. Der ARERO-Fonds von Prof. Weber 12 rejustiert seine drei Bausteine Aktien, Renten und Rohstoffe z.B. im Februar eines jeden Jahres. Andere Quellen sprechen von zwei Jahren.
Die zweite Möglichkeit ist, ein Bewegungsband festzulegen, innerhalb dessen die Depotbausteine sich im Wert bewegen dürfen, ohne dass eine Aktion eintritt. Verlässt eine Anlageklasse das tolerierte Band, d.h. verschiebt sich das Risiko eines Portfolios allzu sehr zu einer Anlageklasse hin, findet ein Rebalancing statt. Hierzu wiederum ein Beispiel: Die drei Bausteine eines effizienten Portfolios haben zu Beginn eines Betrachtungszeitraums die exakt gleiche Gewichtung von 33,3 Prozent. Das tolerierte Preisband wird mit 15 Prozent nach oben und unten festgelegt. 15 Prozent von 33,3 Prozent sind fünf Prozent, d.h. jede Anlageklasse darf im Portfolio eine Gewichtung zwischen 28,3 und 38,3 Prozent aufweisen, ohne dass eine Aktion durchgeführt wird (33,3 % " 5 %). Steigt eine Anlageklasse so stark im Wert, dass ihr Gewicht in unserem Portfolio mehr als 38,3 Prozent beträgt, wird reagiert und das ursprüngliche Verhältnis von jeweils einem Drittel wiederhergestellt.
Abb. 2.3: Blockdiagramm einer Portfolio-Optimierung nach Markowitz. Quelle: Dr. H. Peterreins 13
Wie kann solch eine Rejustierung der Depotbausteine in der Praxis aussehen? Da ein Ver- und Ankauf immer Handelsmargen, Transaktionskosten und ggf. Steuern nach sich zieht, ist es vorteilhafter, wenn möglich eine Rejustierung in der Aufbauphase eines Depots über neue,...