Vorwort
Dieses Buch will Sie als Leser und Leserin in dreifacher Hinsicht beflügeln: Es gibt Ihnen einen profunden Überblick über die Materie Führung und Organisation als professionelle Grundlage, es entfaltet das Professionsfeld Leadership Development zur professionellen Verortung, und es stellt Ihnen – zur professionellen Inspiration – ein von Praktikern entwickeltes Modell für ein innovatives, integriertes Leadership Development vor.
Der erste Teil dieses Buches legt die praxisrelevanten theoretischen Grundlagen und vermittelt Ihnen das Big Picture von Management und Leadership. HR-Profis, die mit Aufgaben der Leadership-Entwicklung betraut sind, finden hier einen wissenschaftlich fundierten Denkrahmen, einen gemeinsamen Sprachvorrat, der sie untereinander anschlussfähig sowie Auftraggebern und Führungskräften gegenüber auskunftsfähig macht.
Welche Definitionen gibt es für Management und Leadership? Mit welchen Herausforderungen und Entwicklungen in Gesellschaft, Wirtschaft, Organisationen hängen sie zusammen? Welche Gurus, welche Standardwerke der Managementliteratur haben das jeweilige Verständnis von Leadership und Führung in einem gegebenen zeitgeistigen Kontext geprägt? Konkret: Wie unterscheiden sich Leadership und Führung im Industriezeitalter, im Konsumzeitalter und im Change-Zeitalter? Was ist der allgemeingültige, kontextübergreifende Kern von Leadership? Welche überkommenen Konzepte stellen die Weichen für das Verständnis von Führung und Organisationen zurück in die Vergangenheit? Was ist im Leadership Development heute Ballast, was unnötiges Gepäck, und was sollte geschultert werden?
Der zweite Teil des Buches legt die Grundlagen für ein zeitgemäßes Leadership Development. Ausgehend von der Prämisse, dass sich Wirtschaft und Organisationen in der Emergenzphase eines tief greifenden Wandels befinden, die auch die Funktion Führung in eine Grauzone zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht verweist, werden die Herausforderungen für Leadership und das Leadership Development benannt: Welche neuen Skills und Kompetenzen sind für die Wegstrecke vom Heute zum Morgen gefragt? Wie verändern sich klassische Gestaltungsfelder wie Mitarbeiterführung und Selbstführung? Welche zusätzlichen Aufgabenfelder ergeben sich, weil die Organisation mit ihrer Verfasstheit und ihren Capabilities mehr denn je ein kritischer Wettbewerbsfaktor sein wird? Was bedeutet der Appell zum postheroischen, verbindenden Management konkret, wie kommt man in Sachen Leadership vom einsamen Wolf zum starken Rudel? Wie lässt sich der genetische Code im Management umschreiben, wie lassen sich Management-Innovationen hervorbringen, um die Basis für nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu legen? Und – auch wenn niemand weiß, wie ein Management 2.0 aussehen wird – was lässt sich tun, um erste Schritte von der Utopie in die Praxis zu tun?
Wie die Funktion Führung, so hat auch die Funktion des Leadership Development ihr Selbstverständnis in den vergangenen 25 Jahren immer wieder tief greifend verändert: vom Seminaranbieter nach dem Modell der Managementinstitute zur Corporate Academy, von der Führungskräfteentwicklung mit dickem Seminarkalender zur Verantwortung für die Ausdifferenzierung und Wartung einer Leadership Brand. Seit Jahren wachsen die Professionsfelder der Personalentwicklung und der Organisationsentwicklung zusammen; in der Service- und Governance-Funktion für ein starkes Leadership Development finden sie einen gemeinsamen Aufgabenkern, in dem sie auf neue Art kollaborieren. Dies bildet einen allgemeinen, empirisch belegten Trend in den Human Relations ab, der die businessrelevanten Erfolgsfaktoren in den Kompetenzfeldern des (Organizational) Capability Buildings und der Integration von HR-Praxisfeldern verortet.
Wie aber kann sich das Professionsfeld des Leadership Development professionell ausrichten angesichts der Ungewissheit und Volatilität in den Umwelten der Organisation, die sich im Aufgabenbereich Leadership niederschlagen? Was soll das Leadership Development tun, wie sollen die Verantwortlichen dort vorgehen, um Führung zwischen Nicht-mehr und Noch-nicht zu entwickeln? Das zweite Kapitel trägt einige anerkannte Fixsterne zusammen, die Profis sich ins Pflichtenheft schreiben können: Führung als Profession, Führung als Funktion bzw. Führungspersonen als Entscheidungsprogramme im Luhmann’schen Sinn, den Mindset-Ansatz, das Modell der Leadership Pipeline, das Modell der Community of Practice und die emergierenden Praktiken zum Aufbau einer Leadership Brand. Damit lässt sich ein Baukasten zusammenstellen für ein Corporate Leadership tbd – to be defined: für die nächste Wegstrecke der eigenen Organisation; ein Leadership, das, wie jede Marke, laufend beobachtet und ‚gepflegt’ werden muss.
Was sind nun die Gestaltungsfelder für ein zukunftgerichtetes Leadership Development? Zum einen wird es nach wie vor um die Qualifizierung und Sozialisation von Führungspersonen auf ihre Rollen in ihrer Organisation gehen. Um aber ein postheroisches, verbindendes Leadership zu entwickeln, soll Leadership als Wirkung überall und hierarchieunabhängig in der Organisation effektiv sein. Wesentliche weitere Handlungsfelder eines Leadership Development bestehen also in der Förderung der Leadership-Wirkung von Teams und in der Gestaltung von Entwicklungsräumen und Sprachanschlüssen für eine Leadership Community im Unternehmen, die in Schwingung zu versetzen ist. Vorgeschaltet ist ein normativer Rahmen zu setzen, was die zu entwickelnden Schlüsselkompetenzen für Leadership im abzusteckenden Entwicklungsfenster sein sollen. Zugeschaltet ist ein Prozess zu organisieren, der die Pflege und Weiterentwicklung der Corporate Leadership Brand leisten kann.
Der dritte Teil des Buches stellt das Modell der Fünf Wetten auf eine Leadership Brand vor, das Martina Eissing und Kurt Stettler in Zusammenarbeit mit vielen Führungsverantwortlichen, Kollegen und Experten entwickelt haben, als sie 2014 den Auftrag zu einem Neudesign der Swisscom AG Leadership Academy bekamen. Ganz bewusst ist – auch im Diskurs der Führungskräfte untereinander – von Wetten die Rede, wenn es um Zukunft geht, nicht von Thesen. Denn bei einer Wette ist man sich – anders als bei einer These – bei aller Überzeugung doch einer Rest-Ungewissheit bewusst. Je mehr man auf eine Wette setzt, mit desto größerer Spannung wird man die Entwicklungen verfolgen und den Ausgang der Wette überprüfen.
Der dritte Teil des Buches stellt Ihnen das methodische Vorgehen zur Entwicklung eines integrierten Leadership-Development-Systems vor: Wie sich auf der Ebene der Mysterien ein normativer Rahmen und ein Führungsverständnis explizieren lassen, wie sich auf Ebene der Heuristiken programmatische Vorgehensweisen ableiten lassen, und wie sich auf Ebene der Algorithmen die Stellgrößen für die Umsetzung in konkrete Angebotsportfolien, Lernmixes und Spielregeln definieren lassen.
Dann werden die fünf Wetten einzeln vorgestellt, jeweils mit ihren Funktionen für ein integriertes Leadership Development, ihrem Beitrag zur Bildung einer Leadership Brand, mit ihren konstitutiven Bausteinen und Portfolien und mit den sie unterstützenden Workbooks und Arbeitstemplates.
Die erste Wette betrifft das Verständnis von Leadership als einer spezifischen Verantwortung, für die es im gegenwärtigen Entwicklungsfenster der Organisation spezifische Schlüsselfähigkeiten benötigt. Diese werden im Leadership Canvas formalisiert und legen die normative Basis für alle Aktivitäten des Leadership Development.
Die zweite Wette betrifft den Lern- und Erfahrungsraum des Personal Lab, mit seinen Entwicklungsangeboten – Basisausbildung, Evergreens und Transformationsthemen – für die Führungsperson. Die Prinzipien der Eigenverantwortung und des offenen Zugangs manifestieren sich u. a. in Selbstlernangeboten durch E-Learning-Angebote, Workbooks usw. Peer-to-Peer-Lernen und der Ansatz des Leaders develop Leaders sollen im Tun die Weichen für ein neues Führungsverständnis neu stellen.
Die dritte Wette geht davon aus, dass ein wirkungsorientiertes Leadership Development die Führungs-Kraft von Teams unterschiedlichster Provenienz gezielt stärken wird. Im Team Lab werden neben Evergreens der Teamentwicklung Transformationsthemen – das sind Themen, die Ziele, Rollen, Skills, Kommunikations- und Zusammenarbeitsmuster von Teams verändern –, und längere Team-Begleitungsprozesse angeboten. Der Team Space gibt Teams Entwicklungsraum im wörtlichen Sinn und hält Ressourcen für einen Push-Ansatz bereit, wenn das Unternehmen Top-down Teams in standardisierten Formaten erreichen will.
Die vierte Wette zielt auf die Entwicklung einer Leadership Community durch das Community Lab ab. Es geht hier um Experimentier- und Laborsituationen, in denen Führung sich mit sich selbst und mit entwicklungskritischen Fragen der Organisation beschäftigt. In geeigneten Kommunikationsräumen werden Praxiserfahrungen ausgetauscht, die gelebte Führungspraxis expliziert und reflektiert und frühzeitig Impulse aus der Managementwelt eingespielt und gesoundet. Ziele des Community Labs sind, eine gemeinsame Leadership-Sprache nach innen und außen zu finden, erfolgskritische Aspekte der Leadership Brand zu benennen, Foren für wechselseitige Sozialisation auf die Profession Führung zu bieten und vor allem: eine Gemeinschaft, ins Schwingen zu bringen, die sich für Führung in Verantwortung sieht.
Die fünfte Wette hat das Ziel, den Leadership Evolution Process selbst in Gang zu halten. Zum einen geht es in einem klassischen Evaluierungsansatz darum, einzuschätzen, wie...