1 Einleitung
Alle Unternehmen suchen nach Wegen, wie sie ihre Organisation effizient und flexibel gestalten und die Kompetenzen und Potenziale ihrer Mitarbeiter optimal nutzen können. Zudem sollen Maßnahmen zur Organisationsveränderung möglichst ohne größere Störungen umgesetzt werden. An der Tagesordnung sind aber regelmäßig Effizienzverluste, Schnittstellenprobleme und Versäumnisse bei der Nutzung der Potenziale der Mitarbeiter. Und die Versuche einer Organisationsveränderung stoßen auf Skepsis, Akzeptanzprobleme oder sogar Widerstand.
Daran haben auch die immer neuen zentral aufgelegten Changeprogramme in Unternehmen nicht viel ändern können, unter welcher Flagge sie auch segelten: Weder Programme zur „Gruppenarbeit“, zum „Total Quality Management“, zur „Standardisierung“, zum „Kontinuierlichen Verbesserungsprozess“, zu „Six Sigma“ oder zu „Ganzheitlichen Produktionssystemen“ haben bisher das Verhalten der Mitarbeiter nachhaltig beeinflussen können. Das Problem ist in den Unternehmen bislang weitgehend ungelöst, wie alle großen Changeprogramme der vergangenen Jahre zeigen.
Seit den 1990er-Jahren beobachten wir, dass mit immer neuen Management- und Organisationskonzepten versucht wird, die Fähigkeiten der Mitarbeiter intensiver zu nutzen und weiterzuentwickeln sowie einen ständigen Optimierungsprozess zu implementieren, der von den Mitarbeitern getragen wird. Keiner dieser Lösungsansätze hat allerdings nachhaltige Wirkung gezeigt. Nach vorübergehendem Strohfeuer werden diejenigen frustriert zurückgelassen, die sich begeistern ließen. Andere sehen sich bald in ihrer Skepsis bestätigt, dass die neuen Konzepte „sowieso nichts bringen“ und man nur abwarten muss, bis ein neuer Ansatz folgt. Denn an unterschiedlichen, konkurrierenden Aktivitäten mangelt es i. d. R. ja nicht. Jede Abteilung (Produktion, Qualitätssicherung, Personal, Organisation, Arbeitssicherheit usw.) hat ihre speziellen Werkzeuge und besonderen Maßnahmenbündel, die von operativen Bereichen angewendet werden müssen.
In großen Unternehmen laufen die Initiativen oftmals ohne interne Abstimmung und Kenntnis voneinander parallel. Sie verfolgen konkurrierende Ansätze und setzen widersprüchliche Signale. Diese Vielfalt kann in den operativen Bereichen weder vollständig verstanden noch sinnvoll verarbeitet werden. Bei vielen Führungskräften und Mitarbeitern ist mit der Zeit der Eindruck entstanden, die Changekonzepte seien nur noch Mittel zum Zweck: des Machterhalts, der Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Funktionsbereichen und Abteilungen oder der individuellen Karriereförderung. Der Unterschied zwischen hehren Zielen und nüchterner, enttäuschender Praxis wird als Gegensatz von Sagen und Tun empfunden – ein Gegensatz, der die Bereitschaft, eine Maßnahme oder ein Programm ernst zu nehmen, drastisch reduziert.
Wie kann man es besser machen? Wie kann in Bereichen eines Unternehmens ein integriertes Managementkonzept eingeführt werden, das die Mitarbeiter- und Leistungspotenziale optimal nutzt? Wie können hocheffiziente und flexible Prozesse implementiert werden, die ständig optimiert und von den Mitarbeitern getragen werden? Wie kann sichergestellt werden, dass eine wirklich nachhaltige Verankerung neuer Organisationsstrukturen gelingt? Das waren die Fragen, die uns umgetrieben haben und die nach vielen Umsetzungsprojekten in den 1990er-Jahren, in denen noch Gruppenarbeit im Zentrum der Arbeitsgestaltung zumindest im Produktionsbereich stand, schließlich zur Entwicklung des Konzepts „Prozess- und teamorientierte Arbeitsformen“ (PTA) geführt haben. Unter dem Begriff PTA wurde 2004 eine Reihe von Gestaltungsprojekten auf den Weg gebracht. Heute nach über 50 Umsetzungsprojekten und einer langen Zeit der Wirkung des PTA-Konzepts in verschiedenen Dienstleistungs-, Logistik- und Produktionsbereichen können wir eine Zwischenbewertung vornehmen.
Wir haben erfreut erfahren dürfen, dass eine nachhaltige Umsetzung gelungen ist, insofern Arbeitsbereiche ein höheres Maß an Selbststeuerung erreicht haben, Mitarbeiter sich weiterhin an der ständigen Verbesserung der Prozesse beteiligen und dem notwendigen Wandel gegenüber sehr aufgeschlossen sind, weil sie das Vertrauen haben, dass ihre Interessen angemessen berücksichtigt werden. Das Besondere von PTA besteht offenbar darin, dass die Führungskräfte und Mitarbeiter gerne an der Ausgestaltung mitwirken, dass sie sich das Konzept zu eigen gemacht haben, sich damit identifizieren. Daher erreicht PTA, dass die Potenziale aller Mitarbeitergruppen intensiver für betriebliche Ziele genutzt werden und ein hohes Maß an Vertrauen aufgebaut wird: Vertrauen als Basis für die nachhaltige Verankerung des Konzepts und für einen langfristig orientierten Entwicklungsprozess.
Wir erklären uns diese nachhaltige Wirkung „Prozess- und teamorientierter Arbeitsformen“ damit, dass es sich um ein integriertes Managementkonzept handelt, bei dem alle Gestaltungselemente sinnvoll aufeinander bezogen werden, so dass sie eine kohärente Gesamtlösung bewirken. Dabei ist dasselbe Konzept flexibel auf unterschiedliche Unternehmensbereiche anwendbar. Den Ansatz, verschiedene Methoden und Werkzeuge in ein ganzheitliches Konzept zu integrieren, haben auch andere unter dem Begriff „Ganzheitliche Produktionssysteme“ (vgl. Feggeler/Neuhaus 2002) realisiert. Da auch diese Konzepte nicht nur in Produktionsbereichen anwendbar sind, sprechen wir bei PTA lieber von einem „integrierten Managementsystem“.
Der zentrale Unterschied von PTA gegenüber anderen ganzheitlichen Produktionssystemen besteht darin, dass nicht nur auf die Methodensammlung geachtet wird: Das heißt, die einzelnen Gestaltungselemente sind integrativ aufeinander bezogen, um ein kohärentes Gesamtsystem zu erhalten. Darüber hinaus sorgen wir durch die Art und Weise, wie diese Gestaltungselemente im Einführungsprozess gemeinsam mit Führungskräften und Mitarbeitern entwickelt und umgesetzt werden, für die Kohärenz und Verankerung des Konzepts. Zudem entsteht auch eine neue, nachhaltig wirksame Arbeitskultur, weil die Mitarbeiter ernst genommen und in einem Prozess des organisationalen Lernens mitgenommen werden. Dabei lernen sie, die Gestaltung ihrer Organisation zu verstehen und die Regeln mitzubestimmen und zu akzeptieren, die ihnen eine hocheffiziente, bereichsübergreifende, teamorientierte Form der Zusammenarbeit künftig abverlangt.
Am Anfang des Umsetzungsprozesses steht Vertrauen: Vertrauen in die Fähigkeiten und den Willen der Mitarbeiter, sich für ihre Aufgaben zu engagieren, Verantwortung zu übernehmen und sich für die ständige Verbesserung der Prozesse einzusetzen, Vertrauen darin, dass sie gerne etwas für den Erfolg ihres Unternehmens beitragen wollen und auch offen für weitere Veränderungen sind. Das Besondere an Prozess- und teamorientierten Arbeitsformen ist die sehr enge Verknüpfung von vertrauensbasiertem, mitarbeitergetragenem Einführungsprozess mit neun Elementen der integrierten, ganzheitlichen Gestaltung. Diese Verknüpfung ermöglicht eine Nachhaltigkeit der Verankerung des Arbeitssystems, indem eine Arbeitskultur entwickelt wird, die auf Vertrauen und Selbstorganisation beruht und die Wandlungsfähigkeit des Arbeitssystems ermöglicht.
Dieses Buch stellt das Konzept PTA ausführlich vor und beschreibt, wie wir den Organisationswandel gestalten, um eine nachhaltige Verankerung eines modernen, ganzheitlichen Managementkonzepts zu erreichen. Es ist so aufgebaut, dass wir im Kapitel 2 zunächst über die mit der Umsetzung von Prozess- und teamorientierten Arbeitsformen erzielten Ergebnisse berichten. Da seit 2004 mit dem Konzept Umsetzungsprojekte realisiert worden sind, können wir auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken. Die Frage stellt sich, was rückblickend betrachtet die Besonderheiten dieses Ansatzes eines ganzheitlichen Managementsystems sind. Dabei springt die Nachhaltigkeit der Umsetzung des Konzepts ins Auge. Mehr als zehn Jahre später verstehen sich die Einheiten als PTA-Betrieb, sie verwenden die PTA-Werkzeuge weiter und suchen die Stärken des Konzepts zu wahren. Deshalb überlegen wir in Kapitel 3, unter welchen Bedingungen eine Arbeitsorganisation das Kriterium der Nachhaltigkeit erfüllen kann und wodurch die Prozess- und teamorientierten Arbeitsformen nachhaltig geworden sind. Unter Rückgriff auf die Diskussion zu „Ganzheitlichen Produktionssystemen“ arbeiten wir den Stellenwert von Methoden und Werkzeugen sowie den Einführungsprozess heraus und beschreiben die Besonderheit von PTA näher, Gestaltungselemente und Einführungsprozess in besonderer Weise zu verknüpfen, wie wir es bislang von anderen Managementansätzen nicht kennen. Das Kapitel endet mit einer Beschreibung von sieben Schlüsseldimensionen zu Gestaltung der Nachhaltigkeit, die den Ansatz von Prozess- und teamorientierten Arbeitsformen generell charakterisieren.
In Kapitel 4 schauen wir uns den Einführungsprozess einer neuen Arbeitsorganisation genauer an. Ausgangspunkt war die persönliche Erfahrung der Autorin, dass Vertrauen im Sinne einer echten Mitarbeiterorientierung und getragen von Wertschätzung und Respekt den Schlüssel für eine nachhaltige Umsetzung bedeutet. Unter Rückgriff auf jüngere wissenschaftliche Literatur zum Thema Vertrauen können wir die Anforderungen und Bedingungen für Vertrauen in Unternehmen näher bestimmen. Ein Einführungsprozess, der von Anfang an auf Vertrauen setzt, kann nur erfolgreich sein, wenn er sich an bestimmten Prinzipien für die Gestaltung des Einführungsprozesses orientiert. Dann folgt eine genaue Darstellung der konkreten Arbeitsschritte der Einführung von Prozess- und teamorientierten Arbeitsformen in...