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Herzensangelegenheiten

Bruno Reichart, unsere Mutter und die Geschichte der Herztransplantation

AutorAndreas Lebert, Bruno Reichart, Elke Reichart, Stephan Lebert
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783104904719
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
***Medizingeschichte - so spannend wie ein Krimi*** Am 16. Mai 1997 wird Ursula Lebert, der Mutter der Autoren Andreas und Stephan Lebert, das Herz herausgeschnitten und durch ein fremdes ersetzt. Diese Transplantation schenkt der bekannten Journalistin ein zweites Leben. Der Mann, der diese Operation ausführte, ist der Herzchirurg Bruno Reichart. Der berühmte Transplantationsmediziner übernahm in Südafrika die Nachfolge von Christiaan Barnard und sorgte in den schwierigen Zeiten des Apartheidregimes für atemberaubende Fortschritte in der Herzchirurgie. Bis heute kämpft Bruno Reichart mit Leidenschaft um neue, bahnbrechende Methoden in der Transplantationsmedizin, gemäß seinem Credo als Arzt, keinen Menschen verloren zu geben. Dieses Buch verwebt die Geschichte der Transplantationsmedizin mit einem sehr persönlichen Schicksal, dem Kampf zweier Söhne um das Leben ihrer Mutter.

Andreas Lebert war Gründungs-Chefredakteur des Magazins der Süddeutschen Zeitung, arbeitete beim Stern, bei der ZEIT, und er war Chefredakteur von BRIGITTE. Seit 2013 leitet er das Magazin ZEITWISSEN.

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Leseprobe

Die Akteure


Zurück zu den vier Chirurgen, die als Akteure im Umfeld der ersten Herzverpflanzung auftraten.

In deren ersten Karrierejahren, Ende der 1950er Jahre, war die Herzchirurgie noch eine sehr junge Disziplin, gerade erst erfunden und noch weit entfernt von den späteren Erfolgen. Letalitäten, Sterberaten von vierzig bis fünfzig Prozent bei den Eingriffen waren keine Seltenheit – was Clarence Walton Lillehei gegenüber Kritikern und Zweiflern zu dem berühmt gewordenen Satz veranlasste: »Wenn du in die Wildnis gehst, kannst du nicht erwarten, dass die Wege gepflastert sind.« Lillehei, ein amerikanischer Chirurg in Minnesota (1918 bis 1999), führte in den 1950er Jahren nahezu im Alleingang mit einer selbstentworfenen Herz-Lungen-Maschine bahnbrechende Operationen am offenen Herzen durch, seine Patienten waren in der Mehrzahl Kinder mit angeborenen Fehlern, selten Erwachsene. Ein weiterer Merksatz Lilleheis, der noch Generationen von Nachfolgern Mut machen sollte: »Anything is possible.« Alles schien möglich in diesen spannenden Aufbruchsjahren der Herzchirurgie.

 

Norman Shumway (1923 bis 2006) promovierte 1956 an der University of Minnesota, er war unter den zahlreichen jungen Chirurgen, die hier ausgebildet wurden, einer der begabtesten. Er war Chef der Herzchirurgie in Stanford, und er war ein hochintelligenter, introvertierter, dennoch unglaublich schlagfertiger, humorvoller und oft auch – zum Kummer derjenigen, die seine Zielscheiben waren – zynischer Mann, der immer ganz genau im Bilde war über alles, was um ihn herum passierte. Man traf ihn auf dem Gang, er blickte zu Boden, offenbar in Gedanken versunken. Doch später konnte er genau repetieren, wer mit wem und warum und über wen gesprochen hatte, die überraschten Gesichter der Ertappten bereiteten ihm diabolische Freude.

Eine weitere Marotte: Shumway schätzte sitzende Mitarbeiter nicht, er hielt sie für faul. Vielleicht einer der Gründe, warum er Bruno Reichart, der immer am Herumrennen war, mochte.

Shumway im Operationssaal zu erleben war für Reichart ein großes Erlebnis. Er war auf dem ersten Blick kein herausragender Chirurg, aber er operierte ohne Schnörkel, sauber, antizipierend, stets beherrscht. Er erhob niemals die Stimme, auch in kritischen Situationen im Operationssaal blieb er ruhig, anders als bei vielen Kollegen gab es bei ihm kein Schreien und Toben. Er hätte das als unnötigen Energieverlust betrachtet. Wenn er etwas hasste, dann war es Bluten. Die grünen Tücher, mit denen er die OP-Einschnitte abdeckte, waren immer makellos. Seine Nahtreihen waren perfekt, er musste fast nie nachstechen. Nachbessern sah er als Makel an – nicht nur bei sich, auch bei anderen Chirurgen.

Shumway war der überragende Innovator, auch ein guter Lehrer, der von sich selbst sagte: »Ich bin kein brillanter Chirurg, aber der beste Assistent der Welt.« Bei ihm schafften es nur die Besten der Besten, stets gelang es ihm, die begabtesten Assistenten herauszusuchen. Wie er das machte, war sein Geheimnis. Er gab ihnen den Merksatz mit: »Der beste Weg, die Zukunft zu bewältigen, ist, sie zu gestalten.«

 

Mit dem amerikanischen Chirurgen Richard Lower (1929 bis 2008) arbeitete Shumway in den Jahren 1959 bis 1965 in Stanford zusammen. Die beiden verband nicht nur das bedingungslose Interesse und Engagement für ihre Arbeit, sondern auch großer gegenseitiger Respekt.

Wie Shumway war Lower extrem ruhig und beherrscht – dieses Verhalten, zusammen mit lässigem, typisch kalifornischem Auftreten und sarkastischem Humor, wurde bald zum Markenzeichen der selbstbewussten Stanford-Herzchirurgen-Truppe. »Surgery must be fun« – Operieren muss Spaß machen. Nur keine Hektik, keinen Stress. Nur die Ruhe.

Und natürlich hatte auch Lower für seine Assistenten, Kollegen und Zuschauer einen Merksatz parat, mit dem er in schwierigen Situationen aufwartete: »Wo Tod ist, ist auch Hoffnung.«

Richard Lower war das, was man – um den vielzitierten Ausdruck noch einmal zu bemühen – einen brillanten Chirurgen nennt. Er konnte Hundeherzen so transplantieren, dass die Tiere überraschende Überlebenszeiten aufwiesen. Sein Trick: Er war schnell, präzise und nahm zum Einnähen der Organe kleine Nadeln, denn kleine Nadeln machen kleine Löcher. Und außerdem nutzte er Shumways Hypothermie, die Kühlschrank-Technik: Den Körper oder Organe in einen Zustand der Unterkühlung zu versetzen bedeutet, dass sie weniger Sauerstoff verbrauchen und damit resistenter gegen die sogenannte Ischämie werden. Zum Transplantieren von Herzen zum Beispiel braucht es eine Zeit von etwa einer Stunde, in der sie ischämisch, also nicht durchblutet und nicht mit Sauerstoff versorgt sind.

Um sich klarzumachen, auf welchem schwierigen Gelände sich diese Pioniere der Herzchirurgie seinerzeit bewegten, muss man sich erinnern, was es Ende der 1950er Jahre alles noch nicht gab. Es gab zum Beispiel keinen Herzklappenersatz mit Prothesen, keine Koronarchirurgie, also keine Eingriffe an den Herzkranzgefäßen mit dem Ziel, die Blutversorgung des Herzens wieder zu normalisieren. Diese Techniken kamen erst Mitte bis Ende der 1960er Jahre hinzu.

In den Anfangsjahren der Herzchirurgie ging es vor allem darum, wie schon erwähnt, Kinder mit angeborenen Herzfehlern zu operieren. Mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine musste für ein blutleeres Feld gesorgt werden, das Herz wurde aufgemacht, damit Defekte korrigiert, Flicken eingesetzt und Engen erweitert werden konnten. Blutleer heißt: Die Aorta und die beiden Hohlvenen sind abgeklemmt, das Herz ist nicht durchströmt und liegt ruhig vor dem Operateur, der nun bei Normaltemperatur von 37 Grad Celsius eine Spanne von vielleicht fünfzehn bis zwanzig Minuten für seinen Eingriff hat. Um sich mehr Zeit zu verschaffen, musste man Wege finden, um die Temperatur des Herzens abzusenken.

Shumway war einer der beiden Erfinder der Hypothermie. (Der andere, W.G. Bigelow, operierte in Toronto vor allem Kinder.) Bei seinen Hunde-Versuchen hatte der Kalifornier zusammen mit Lower deren Thorax geöffnet, die Tiere an die Herz-Lungen-Maschine genommen, die Aorta abgeklemmt und das Herz mit Hilfe seines »Shumway-Brunnens« gekühlt: Das Organ, das offen im Herzbeutel lag, wurde ständig mit eiskalter Kochsalzlösung beträufelt und diese Lösung dann wieder abgesaugt. Eigentlich ganz simpel. Aber genial. Die Hunde überlebten, selbst wenn diese Prozedur eine Stunde dauerte.

Shumway war zu jener Zeit noch sehr weit davon entfernt, der große Herzchirurg der späteren Jahre zu sein. Ganz im Gegenteil. Man hatte ihm in Stanford für nur dreitausend Dollar im Jahr eine Stelle in der Dependance in San Francisco angeboten, bei der er Nierenpatienten im Endstadium mit der Hämodialyse betreute. Da diese Geräte damals noch sehr rar waren, musste er die Nachtschichten übernehmen, zusammen mit Richard Lower. Tagsüber nutzen die beiden die gewonnenen Stunden für ihre Hundeversuche.

Wenn man Ende der 1950er Jahre Herzchirurgie machen wollte, musste man eine gehörige Portion Verrücktheit aufweisen. Sich auf keinen Fall Gedanken um die eigene Zukunft machen. Geschlafen wurde selten, vier Stunden reichten in der Regel – diese Aussage trifft übrigens auf viele Pioniere zu.

 

Shumway und Lower wurde es langweilig, während die Hypothermie-Stunde verstrich und der Zeiger der Uhr nur langsam voranschritt – sie nutzten die Zeit und dachten sich etwas Neues aus. Sie schnitten das Herz des Hundes heraus, setzten es wieder ein und achteten darauf, dass sie dafür nicht länger als eine Stunde brauchten. Die erste Autotransplantation, man schrieb das Jahr 1959.

Die beiden stellten schnell fest, dass es mühsam war, ein Herz herauszuschneiden und im gleichen Tier wieder einzunähen, das Gewebeumfeld war durch die Organentnahme nicht mehr optimal. Sie brauchten einen »Saum«, also genug Gewebe, um sicher nähen zu können. Und daher entschieden Shumway und Lower sich dafür, das Herz des Hundes in einen anderen zu transplantieren, weil sie dort nach der Entnahme des Organs mehr Gewebe, also den besseren »Saum« vorfanden.

Die Technik, die sie verwendeten, hatten sie bei Russell Claude Brock, Baron Brock of Wimbledon (1903 bis 1980) nachgeschlagen, einem frühen englischen Pionier der Herzchirurgie, der für seine Erkenntnisse 1954 zum Ritter geschlagen worden war. Bruno Reichart hatte die Ehre, als Student in den 1960er Jahren an einer Vorlesung des Lords in München teilnehmen zu dürfen – und hat ihn als extrem skurril und exzentrisch in Erinnerung. Er demonstrierte zum Beispiel das Röntgenbild eines großen Lungentumors, der sich im Seitenbild dann als eine Orange hinter dem Rücken des Patienten herausstellte. Was er damit sagen wollte: In der Medizin muss man oft die Dinge von mehreren Seiten betrachten.

Die Hunde des Lords waren seinerzeit auf dem Operationstisch geblieben, deswegen verfeinerten die beiden Amerikaner seine Methoden – mit Erfolg, auch weil sie sauberer arbeiteten und durch die Hypothermie mehr Zeit zum Einsetzen des Spenderorgans hatten.

Alles was die beiden Forscher in ihrem kalifornischen Labor nun noch brauchten für die klinische Reife, war, wie sich Shumway erinnerte, »ein Hund, der smart genug ist, das Spenderherz nicht als fremd zu erkennen und abzustoßen«. Denn die heute verwendeten Immunsuppressiva, also die Medikamente zur Unterdrückung der...

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