"Der Vater und seine Tochter (S. 115-116)
Und was ist mit denTöchtern?Vermutlich sind Sie schon gespannt, was ich dazu zu sagen habe. Im Vergleich zu meinen vier Jungs sind sie bei uns in der Familie in der Überzahl: Ich habe nämlich neun. Inzwischen sind sie alle erwachsen, diemeisten sind verheiratet, haben selbst schon Kinder, und ich kann meine Studien an den Enkelkindern fortsetzen.
Mädchenmachen dieAbenteuer der Jungen gerne mit,manchmal nicht ganz so intensiv. Die meisten unserer Unternehmungen haben wir mit Jungen und Mädchen gemeinsam gestaltet. »Männertage « waren lediglich die besonderen Extras, hauptsächlich der ungestörten Gespräche von Mann zu Mann wegen. Claudia hat ebenso wie ich manches auch allein mit unseren Töchtern unternommen.
Wasmachen kleineMädchen gern? Ich habe inmeinem Leben unzählige Zirkusvorstellungen, Tierdressuren, Ballettvorstellungen, Musikvorführungen und Einladungen ins »Kinderrestaurant « mit nicht schwindender Begeisterung mitgemacht. Auch sportlich haben Mädchen einiges zu bieten. Bei meinen Waldläufen begleitete mich fast immer eine Amazone (bis ihr durch die eintretende Pubertät plötzlich die Ausdauer schwand). Auf unserem gepflasterten Hof sind schon einige Basketballturniere ausgefochten worden. Und es soll niemand behaupten, dassMädchen technisch nichts drauf hätten: Esther führte die Filmkamera meisterhaft und durchschaute die Computerfinessen besser als ich.
Mädchen lassen sich sehr gern von ihrem Vater ins Eiscafé einladen und, wenn sie älter sind, auch ins Restaurant. Dann genießen sie es, von ihm hofiert zu werden, himmeln ihn an, kichern und erzählen, erzählen, erzählen…Das sind die schönsten Stunden für einen Vater, wenn er das Vertrauen und die Liebe seiner heranwachsenden Tochter spürt. Ein fehlender Vater wirkt sich auf die Entwicklung der Tochter ähnlich dramatisch aus wie auf die Entwicklung des Sohnes.
Die Mutter ist zwar noch als Identifikationsfigur für das Frausein ihrer Tochter vorhanden, durch die »Rollenverschiebung« kann sie jedoch schwerer ein klares Vorbild abgeben. Eine alleinerziehende Mutter steht noch dazu stark unter Druck: Sie muss den Verlust ihres Ehepartners, die folgende Veränderung oder den Abbruch verwandtschaftlicher, freundschaftlicher, vielleicht auch gemeindlicher Beziehungen verarbeiten. Sie muss sich um alles allein kümmern, vielfach den Unterhalt verdienen und kann ihrer Tochter deshalb nicht immer die Aufmerksamkeit schenken und die Beziehung bieten, die sie bräuchte.
Eine Tochter, die von ihrem Vater verlassen wurde, trägt eine Reihe von negativen Gefühlen in ihr Erwachsensein hinein. Ihr fehlt die Erfahrung, wie man als Frau mit einem Mann umgeht. Meist hat das zur Folge, dass sie sich in der Beziehung zumanderen Geschlecht unsicher oder auch unwohl fühlt. Das wiederum kann Einfluss auf ihre spätere Partnerwahl und dieDauer von Beziehungen haben. Sie trägt vielleicht die unverarbeitete Wut darüber in sich, dass ihr Vater sie verlassen hat.
Dieser Vertrauensbruch färbt ihre Beziehung zu anderen Männern. Dieses Mädchen möchte einenMann in ihrem Leben, ist aber unsicher, ob sie ihm vertrauen kann. JedenVertrauensbruch durch einenMann interpretiert sie als einenweiterenBeweis,dassmansichaufeinenMannnichtverlassen kann.Man weiß, dass eine Tochter zu einemgroßen Teil ihr Selbstbild über den Vater bezieht. Er gibt ihr das Gefühl, wichtig zu sein, indemer ihr Aufmerksamkeit schenkt und Ermutigung ausspricht, oder unwichtig zu sein, wenn er sich nicht umsie kümmert."