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Palästina - Hundert Jahre leere Versprechen

Geschichte eines Weltkonflikts

AutorLudwig W, Miko Peled, Omar Barghouti, Rashid Khalidi, Richard Falk, Roger Heacock, Salah Abdel-Shafi
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783853718575
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Am 2. November 1917 erklärte der britische Außenminister Arthur James Balfour, in Palästina eine Heimstätte für das jüdische Volk errichten zu wollen. Er nahm damit einen genau 20 Jahre zuvor auf dem zionistischen Weltkongress in Basel entwickelten Vorschlag auf. Die Balfour-Erklärung ist eine bedeutsame weltpolitische Zäsur, die den Nahen Osten seither nicht zur Ruhe kommen lässt und darüber hinaus ein Paradebeispiel des britischen Imperialismus darstellt. Denn zum Zeitpunkt der Erklärung war Palästina eine osmanische Provinz, die erst erobert werden musste. Den 100. Jahrestag dieser Verbindung aus britischem Weltmachtstreben und Zionismus nimmt der Herausgeber Fritz Edlinger zum Anlass, einerseits die gegebenen Versprechen und die vergebenen Chancen der seither verstrichenen Jahrzehnte zu analysieren und andererseits aktuelle Lösungsmodelle für den israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt zu präsentieren. Erinnerungspunkte, die im Buch behandelt werden, sind der UN-Teilungsplan von 1947, der eine Wirtschaftsunion zwischen Palästina und Israel vorsah, der 50. Jahrestag der Besatzung 1967, als Israel im Sechs-Tage-Krieg die Westbank, Ostjerusalem, Gaza, Golan und die später an Ägypten zurückgegebene Sinai-Halbinsel eroberte, sowie der 'Krieg der Steine', wie die erste Intifada von 1987 genannt wird.

Fritz Edlinger, geboren 1948 in Wien, ist Generalsekretär der 'Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen'. Im Promedia Verlag sind unter seiner Herausgeberschaft zuletzt erschienen: 'Mit Pinsel und Spraydose gegen die Besatzung. Graffiti in Palästina' (2016) und 'Der Nahe Osten brennt. Zwischen syrischem Bürgerkrieg und Weltkrieg' (2016).

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Leseprobe

Vom Basler Kongress 1897 bis zur Balfour-Deklaration 1917: Die Anfänge des Zionismus


Petra Wild


Der Zionismus entstand Ende des 19. Jahrhunderts im europäischen jüdischen Kleinbürgertum. Er war nicht nur eine Reaktion auf den zunehmenden Antisemitismus, sondern auch die Verkörperung der damals vorherrschenden kolonialistischen, rassistischen und nationalistischen Strömungen. Ab 1882 brachen in Russland Gruppen von Juden auf, um sich in Palästina anzusiedeln, das damals zum Osmanischen Reich gehörte und etwa eine halbe Million Einwohner zählte, darunter 4% Juden. Die Einwanderung nach Palästina wurde von der Organisation »Hovevei Zion« geleitet, und schon diese frühen Siedler verstanden sich als Kolonialisten. Baron Edmund de Rothschild, der in den Aufbau eines Plantagenkolonialismus in Palästina investierte, förderte das jüdische Siedlungsprojekt. Während der ersten Einwanderungswelle (1. Aliya) von 1882 bis 1903 kamen 20.000 bis 30.000 zionistische Siedler ins Land.

Zu einer erfolgreichen Kolonialbewegung wurde der Zionismus jedoch erst mit der Gründung der Zionistischen Organisation (zo) im August 1897 in Basel, die sich später in Zionistische Weltorganisation (wzo) umbenannte. Auf dem Gründungskongress anwesend waren 204 Delegierte, von denen etwa ein Drittel aus Russland stammte. Im Basler Programm, das auf dem Kongress verabschiedet wurde, heißt es: »Der Zionismus erstrebt die Erwerbung einer sicheren Zuflucht für das Volk Israel in Eretz Israel durch eine öffentliche Entscheidung.« Weiters setzte sich die zo zum Ziel: »… die Förderung … der Kolonisierung Palästinas durch jüdische landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter.« Außerdem wurde die Notwendigkeit betont, »die Juden in allen Ländern der Diaspora zu vereinen, ihr nationales jüdisches Bewusstsein zu stärken und eine politische Aktion zu organisieren, um die Unterstützung von Regierungen für die zionistischen Pläne zu erlangen.«11

Zum ersten Vorsitzenden der Zionistischen Organisation wurde Theodor Herzl gewählt, der bereits 1896 in seiner programmatischen Schrift »Der Judenstaat« die Vision der aufkommenden zionistischen Kolonialbewegung dargelegt hatte. Da die Zionisten die Prämisse der Antisemiten übernommen hatten, dass Juden und Nicht-Juden nicht zusammenleben können, sahen sie die Lösung der Probleme in der Gründung eines jüdischen Nationalstaates außerhalb Europas. Voraussetzung dafür war, dass die Religionsgemeinschaft der Juden unter dem Einfluss der damals vorherrschenden nationalistischen Ideologien als Nation oder Volk – und zeitweise auch als »Rasse« – umdefiniert wurde.12

In den ersten Jahren ihrer Existenz legte die zo die organisatorischen Grundlagen, suchte nach einer internationalen Schutzmacht und begann sich mit siedlerkolonialistischen Modellen auseinanderzusetzen, die für ihr Siedlungsprojekt in Palästina geeignet sein könnten. Zu den ersten Körperschaften, die gegründet wurden, gehörten der »Jüdische Kolonialtrust« 1902 und der »Jüdische Nationalfonds (jnf)« 1901, dessen Aufgabe der Erwerb von Land war. Da die zionistische Bewegung in der ersten Phase ihrer Existenz weder über politische noch militärische Macht verfügte, war sie zunächst darauf angewiesen, sich das Land in Palästina mittels Landkauf anzueignen.

In den ersten Jahren ihrer Existenz gab es innerhalb der zionistischen Kolonialbewegung zwei miteinander in Widerstreit stehende Ansätze. Eine Fraktion – verkörpert von »Hovevei Zion« – verfolgte die Linie der praktischen Kolonisierung Palästinas. 1882 gründete sie mit Petach Tikva die erste landwirtschaftliche Siedlung in Palästina. Die andere Fraktion, angeführt von Theodor Herzl, drang darauf, das Kolonisierungsprojekt erst nach der Erlangung internationaler Garantien in die Praxis umzusetzen. Herzl machte sich über den »Kleinkolonialismus« von »Hovevei Zion« lustig. Seine Vorstellung war, die jüdische Bevölkerung Europas nach der Erlangung einer internationalen Charta in großer Zahl nach Palästina zu bringen. So konzentrierte sich die wzo zunächst auf die Suche nach einem starken Bündnispartner. Theodor Herzl sprach beim deutschen Kaiser und im russischen Zarenreich vor und verhandelte mit dem osmanischen Sultan, unter dessen Kontrolle Palästina damals stand. Herzl bot den Großmächten Vorpostendienste für europäische Interessen an. In »Der Judenstaat« heißt es: »Für Europa würden wir dort ein Stück des Walls gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst gegen die Barbarei besorgen.«13 Das einzige Angebot einer Charta kam 1903 von der britischen Krone und galt für das fruchtbare Hochplateau von Kenia (der sogenannte Uganda-Vorschlag), dessen Kolonisierung Großbritannien beabsichtigte. Doch nach heftigen Debatten setzten sich in der wzo die Palästina-Zentristen durch.

Vom Plantagenkolonialismus zum reinen Siedlerkolonialismus


Da es zunächst nicht gelang, eine Charta für Palästina zu erlangen, setzten sich in der Folgezeit innerhalb der wzo die praktischen Zionisten durch. 1903 wurde eine Kommission eingesetzt, die die Möglichkeiten der praktischen Kolonisierung Palästinas prüfen sollte. Auf dem 8. Zionistischen Kongress 1907 sprach sich Chaim Weizman für die Verknüpfung von praktischem und politischem Zionismus aus. Dieser Ansatz wurde in der Folgezeit als »synthetischer Zionismus« oder »allgemeiner Zionismus« zur Leitlinie der Organisation. 1908 eröffnete die Zionistische Weltorganisation (wzo) in Jaffa das Palästina-Büro, dessen Aufgabe der Erwerb von Land und die Ansiedlung von zionistischen Kolonialisten war. Doch die wzo wollte weder eine »Kleinkolonisation« im Stile von »Hovevei Zion« noch eine Wiederbelebung des gescheiterten Plantagenkolonialismus, mit dem zwischen 1882 bis 1900 von Baron Edmund de Rothschild und der 1891 gegründeten »Jewish Colonial Association (jca)« experimentiert worden war. Stattdessen begann sie zwischen 1903 und 1909 eine Theorie des reinen Siedlerkolonialismus für Palästina zu entwickeln. Eine wesentliche Rolle spielte dabei der einflussreiche Leiter des Palästina-Büros, Arthur Ruppin. Er ließ sich in seiner Arbeit von zwei Prinzipien leiten, die dem reinen Siedlerkolonialismus entsprechen: der Schaffung zusammenhängender zionistischer Siedlungsblöcke und dem kompromisslosen Bestehen darauf, dass ausschließlich zionistische Siedler in diesen Siedlungen arbeiten durften. Ruppin orientierte sich am Modell der preußischen Ostmark-Kolonisierung, das durch Bevölkerungsaustausch die Polen verdrängen und sich deren Land aneignen sollte. »Ruppins explizite Verwendung des deutschen Kolonisierungsprojekts in der Ostmark als Modell hätte nicht klarer die dem reinen Siedlerkolonialismus entsprechende Denkungsart zeigen können. Der Zweck des deutschen Projekts war die Transformation der Ostmark durch die Enteignung der Polen – sprich ihnen das Land abzuringen – und die Schaffung von Gemeinschaften, die rein deutsch waren und in denen es nur deutsche Arbeit geben würde,« erklärte der israelische Zionismus-Forscher Gabriel Piterberg.14 Die wzo machte sich das Modell zur Siedlerkolonisierung der Ostmark ab 1904 zu Eigen. Mit der Zeit wurde das Profitmotiv des Plantagenkolonialismus ersetzt durch das demographische Interesse, jüdische Bevölkerungsmehrheiten zu schaffen und so die Kolonisierung Palästinas als nationales jüdisches Projekt zu erreichen.

Die Hinwendung zum reinen Siedlerkolonialismus war eine Folge des Scheiterns des Plantagenkolonialismus in Palästina. Dieser hatte sich am französischen Kolonialmodell in Algerien orientiert und war darauf angelegt gewesen, Profite zu machen. Deswegen wurden viele billige einheimische palästinensische Arbeitskräfte auf den jüdischen Plantagen und Farmen beschäftigt. Das hatte zur Folge, dass die eingewanderten Siedler nur wenig Arbeit fanden und wenn, dann war sie schlecht bezahlt. Zudem stellte Rothschild im Jahr 1900 seine kolonialen Aktivitäten in Palästina ein. Die »Jewish Colonial Association« (jca), die in dessen Fußstapfen trat, war dem Profit­motiv noch stärker verpflichtet als Rothschild, der kolonialistische mit philantropischen Aktivitäten zugunsten der zionistischen Siedler verbunden hatte. Von der daraus folgenden Krise besonders stark betroffen waren die Kolonialisten der 2. Einwanderungswelle, die 1904–1914 nach Palästina kamen.

Diese Krise führte zu einer Transformation der zionistischen Bewegung. Wenn das Ziel der Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina mittels fortgesetzter Kolonisierung des Landes erreicht werden sollte, dann mussten andere Formen der Kolonisierung gefunden werden. Die praktischen Kolonialisten der 2. Einwanderungswelle gaben den Slogan »Eroberung der Arbeit« bzw. »hebräische Arbeit« aus und versuchten durch Aktionen, die jüdischen Farmbesitzer dazu zu zwingen, jüdische statt arabische Arbeiter zu beschäftigen. Doch das scheiterte. Gerettet wurden sie durch die Hinwendung der wzo zur praktischen Kolonisierung. Sie gingen ein Bündnis mit der wzo ein und vereinigten so die bis dahin getrennten Wege der praktischen und der politischen Zionisten. Die »Arbeiterzionisten« begannen sich zunehmend von der »Eroberung der Arbeit« auf die »Eroberung des Landes« zu verlegen und die wzo wurde fortan die dominante jüdische Kolonialorganisation in Palästina.15

Die 2. Einwanderungswelle, mit der 35.000 bis 40.000 Zionisten nach Palästina kamen, wurde prägend für...

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