Vorwort
»Spontanremission« ist der verschämte Ausdruck der Schulmedizin für jenes unerklärliche Geschehen, das alle anderen Wunder nennen. Wie die Kirche, so will auch die Schulmedizin von Wundern nichts wissen. Daran hat man als »wissenschaftlicher« Mensch nicht zu glauben. Wo sie trotzdem nicht zu leugnen sind, werden sie wenigstens »wissenschaftlich« benannt. Dass es sich bei Schulmedizin wie Kirche um Glaubensgemeinschaften handelt, die bestimmte Glaubensrichtungen vertreten und andere ablehnen, mag bei Ersterer überraschen.
Aber wäre die Medizin – ihrem Anspruch gemäß – tatsächlich eine Naturwissenschaft, könnte es jene Schwachstellen nicht geben, auf die Weil schonungslos den Finger legt. Während Naturwissenschaftler auch ihre bewährtesten Hypothesen neuen Erkenntnissen opfern, ignoriert die Schulmedizin Ausnahmen von ihren Regeln und versucht manchmal geradezu krampfhaft, Lehrmeinungen zu retten. Hier wird eher auf jenem (kindlichen) Niveau gedacht, wo Ausnahmen die Regel bestätigen. Inzwischen müssen allerdings schon so viele Ausnahmen so viele unhaltbar gewordene Regeln bestätigen, dass die Lage für die Schulmedizin ungemütlich wird. Gerade Ärzte wie Weil verstärken mit ihren fundierten und dabei einfachen und klaren Anmerkungen diesen Aufbruchprozess, der die Medizin endlich erfasst hat.
Haben Physiker die Hypothese, alle Schwäne seien weiß, wird die Entdeckung des ersten schwarzen Schwanes diese Hypothese ein für alle Mal erledigen. Anders dagegen bei der Schulmedizin, die in einem solchen Fall dazu neigt, den einen schwarzen Schwan zu übersehen, ja nicht selten sogar seine Existenz abstreitet. Anstatt im wissenschaftlichen Sinne froh über die Enttäuschung zu sein, die immerhin eine Täuschung beendet, wird eher versucht, den Entdecker des schwarzen Schwanes lächerlich zu machen. Um Beispiele zu finden, brauchen wir leider nicht bis zu Semmelweis, dem allseits behinderten Wiederentdecker der Hygiene, zurückzudenken, auch der Weg der modernen Medizin ist mit Beispielen gepflastert. Wo Physiker ihre Fehler zum Anlass nehmen, Theorien zu verbessern und noch fehlende Aspekte einzufügen, lassen sich Mediziner bei der Pflege ihrer Lehrmeinungen ungern stören. Bei diesem Spiel auch noch den Anspruch auf Naturwissenschaftlichkeit aufrechtzuerhalten ist einerseits komisch, andererseits gefährlich. Auf Physiker müsste dieser Anspruch im Übrigen geradezu beleidigend wirken.
Ein konkretes Beispiel mag das Problem veranschaulichen: Solange Krebspatienten tun, was ihnen vorausgesagt wird, nämlich in einem überschaubaren Zeitrahmen zu sterben, sind sie für unsere Schulwissenschaft von großem Interesse, wehe aber, einer stirbt nicht wie vorausgesagt, sondern wird gar – im Rahmen einer Spontanremission – wieder gesund. Anstatt das ganze Interesse der Medizin nun auf sich zu ziehen, kann er sicher sein, dass er von nun an in Ruhe gelassen wird. Ähnlich ergeht es AIDS- und HIV-positiven Patienten, die ihre Lebenserwartung bei Weitem überschritten haben. Sie werden ignoriert, als fürchte die Medizin, ihre »wissenschaftliche« Meinung ihretwegen überdenken zu müssen. Solches Verhalten ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern behindert Fortschritte in der Erkenntnis, die das eigentliche Ziel einer Wissenschaft sein müssten.
Andrew Weil, selbst von der renommiertesten amerikanischen Universität, Harvard, kommend, lässt keinen Zweifel an diesen Schwachstellen moderner Medizin. Zugleich lässt er ihr aber auch ihr Recht, wo sie im Recht ist, und verfällt keineswegs in Schwarz-Weiß-Malerei. Stattdessen entwirft er das Bild einer möglichen zukünftigen Medizin, die, die Schulmedizin einbeziehend, einen weiten Bogen spannt und auch viele Bereiche der Erfahrungsheilkunde mit umfasst. Nichts, was sich als hilfreich erwiesen hat, ist ihm tabu. So beginnt er sein Buch mit einer Fülle von Wunderberichten, ein Vorgehen, das der Medizin mehr als verdächtig ist. Einzelfälle gelten als anekdotisch, unwichtig und jedenfalls nicht aussagekräftig. Weil aber macht ganz deutlich, dass der Patient immer ein Einzelner ist und dass für ihn eine einzige Fallgeschichte, von einem Menschen, der ein ähnliches Krankheitsbild gemeistert hat, von überragender Bedeutung sein kann. Fertig werden mit Aufgabe und Chance, die in jedem Krankheitsbild liegen, ist seine Grundmaxime, und dafür ist ihm alles recht von Pflanzentinkturen über manuelle Therapien bis zu Bilderreisen in innere Seelenlandschaften.
Wenn Weil anregt, Berichte von medizinischen Wundern zu sammeln und Betroffenen verfügbar zu machen, wandelt er auf einer uralten Fährte, die längst in Vergessenheit geraten schien. Das Lesen von Legenden, von Heilsgeschichten, ist heilsam und gibt Hoffnung. Das ist nicht neu, aber immer noch wirksam. Und so bringt er das Prinzip Hoffnung zurück in die Medizin. Eine einzige Heilsgeschichte von jemandem, der etwas bewältigt hat, was einem anderen gerade bevorsteht und schwer zu werden droht, sagt mehr als viele Statistiken, wobei Weil auch den Statistiken durchaus ihr Recht lässt, denn auch sie könnten auf ihre spröde Art noch Hoffnung nähren.
Den ärztlich-wissenschaftlichen Pessimismus brandmarkt der Autor als eine Art Verhexung der Patienten und zieht den Vergleich zu dunklen Voodookünsten. Er verweist darauf, wie fatal Lehrmeinungen, insbesondere die der absoluten Spezialisten, wirken können und wie offen die Patienten in ihrer Angst dafür sind. Durch ihre Krankheit hellhörig geworden, hören sie vieles heraus und interpretieren einiges hinein. Wenn der Patient mit Nierenkrebs fragt, ob er das Rauchen aufgeben solle, und der Urologe antwortet, in diesem Stadium könne er sich das sparen, hört der Patient heraus: »Du stirbst sowieso bald, da ist schon alles gleich.« Er erlebt den vielleicht sogar nett gemeinten Rat als Verdammung.
Dagegen setzt Weil seine Heilsgeschichten, Erfahrungsberichte geheilter Patienten, die es aus eigener Kraft geschafft haben und mit der Herausforderung fertig wurden. Diese Geschichten machen Mut, Lebensmut, der zum Gesunden unverzichtbar ist. Den Kräften, die zu solchen und eigentlich allen Heilungen führen, setzt er sich hartnäckig auf die Spur und findet aus seinem durchaus wissenschaftlichen Denken, was Paracelsus in seinem analogen Weltbild schon wusste: dass es die innere Natur ist, die heilt, und nicht die Medizin. So, wie Weil uns das nahebringt, können wir es allerdings viel leichter annehmen, da er es auf dem Stand des neuesten Wissens begründet. Er erläutert etwa, wie auf der Ebene der Erbsubstanz bereits gut untersuchte Selbstheilungssysteme jede Sekunde zehn Millionen defekte Zellen ersetzen, wie in Zellmembranen ein dauernder regenerativer Austausch stattfindet und wie die Schleimhäute, unsere inneren Grenzen, sich in einem fort umbauen zur Erhaltung ihrer einwandfreien Funktion. Die Wundheilung auf Gewebeebene bietet ebenfalls ein eindrucksvolles und für jedermann nachvollziehbares Heilungsbeispiel. Unsere Leber, ein wahres Wunder an Regenerationsfähigkeit, kann den Verlust von 80 Prozent ihrer Zellen in Stunden kompensieren und in kurzer Zeit den größten Teil ihres eigenen Gewebes erneuern. Nach einem Ausflug in die Welt der körperlichen Heilsysteme widmet sich der Autor auch den geistig-seelischen Heilgesetzen, deren Ergebnisse zwar bekannt sind und in Placeboeffekt und dem Ausdruck »Droge Arzt« sogar Namen haben, die aber kaum erforscht werden, da hier kein Geld zu verdienen ist.
Bei allem Verpflichtetsein gegenüber der eigenen wissenschaftlichen Herkunft ist es vor allem Weils Menschlichkeit, die anspricht. In Harvard, der Krone der amerikanischen Medizin, ausgebildet, bewegt ihn am Ende seines Studiums statt Stolz das Gefühl, im Krankheitsfall nicht so behandelt werden zu wollen, wie er gelernt hat, seine Patienten zu behandeln. Dieses Gefühl teilt er mit vielen Kollegen, wie Umfragen belegen, nur fügt er sich nicht in das scheinbar Unabdingliche, sondern beginnt eine lange Suche. Es spricht für ihn, dass er dabei neben neuen eigenen Erkenntnissen vor allem die alten Wurzeln der Medizin wiederentdeckt, um sie uns nun mit modernen Worten nahezubringen.
Er durchschaut den Kriegscharakter der Schulmedizin, die gegen alles immer nur Waffen entwickelt, ohne auch nur einen Versuch zu machen, das Wesen des jeweiligen Gegners zu verstehen. Das Arsenal der Schulmedizin ist Ausdruck einer Antimedizin: Antibiotika, Antiarrhythmika, Antihypertensiva, Antitussiva, Anticholinergika, Antihistaminika, Antidepressiva, Antipyretika, Antiallergika, Antikoagulanzien und schließlich noch die Blocker: Beta-Blocker, Säureblocker, Ca-Antagonisten, H2-Rezeptoren-Antagonisten. Wir kämpfen Kriege gegen Krebs und Drogen, AIDS und viele mehr oder weniger gefährliche Symptome. Kriege und Waffen aber sind grundsätzlich gefährlich und können es auch für die Anwender selbst werden. Die Verluste durch sogenanntes freundliches Feuer waren zum Beispiel im Golfkrieg hoch. Die Verluste durch das freundlich gedachte Feuer der Schulmedizin werden zwar von offizieller Seite nicht gezählt, dürften aber inzwischen ein schreckliches Ausmaß angenommen haben. Noch bei jedem Ärztestreik ging die Sterblichkeit der Bevölkerung spürbar zurück. Waffen provozieren darüber hinaus die Angreifer zu größeren Anstrengungen, was wir an der zunehmenden Resistenz von Erregern zu spüren bekommen. Selbst Schulmediziner erkennen inzwischen mit Grauen, dass wir in manchen Bereichen der Medizin mittlerweile schlechter dran sind als vor der Anti(biotika)-Ära.
Obwohl Weil der Homöopathie nicht allzu viel zutraut, hat sich sein Denken doch bereits weitgehend vom allopathischen Dagegen zum homöopathischen Damit gewandelt. Im Einklang mit ihren Selbstheilungskräften lehrt er...