Montag
So warte ich beim Bahnhof Rapperswil gespannt auf Joe Black, meinen hoffentlich kritischen Gesprächsgast-Schreiberling.
Christian «Hallo Joe!»
Joe «Hallo Christian, schon da? Ist verdammt kalt … Hast du die Heizung eingeschaltet?»
Christian «Klar doch, zudem haben wir noch eine Standheizung. Zuerst fahren wir jetzt mal in die Berge.»
So ziehen wir los an diesem arschkalten Montagmorgen.
Joe «Christian, schön, wieder mit dir an Bord zu sein, äh … in der Kabine, wir sind ja nicht mehr auf dem Schiff wie letztes Mal.»
Christian «Aber, Joe, wir wollen trotz Spass mit dem Hippie-Bus der Weltbevölkerung etwas Spannendes erzählen von dieser anderen, mystischen Welt. Hast du wieder viele Fragen bereit?»
Joe «Ja, habe ich, du kennst mich ja. Nur, auf unser Mail von letzter Woche an deine Klienten haben wir noch nicht so viele Fragen bekommen. Doch das wird auch noch kommen, warte es mal ab, wir sind ja erst gerade gestartet auf diese 7-Tage-Reise. Wohin geht es heute überhaupt?»
Christian «Wir fahren dorthin, wo ich eine höhere Schulbildung genoss, auf den Hirzel, wo ich aufgewachsen bin. Okay, es sind nicht gerade die Berge, von denen ich dir erzählt habe, aber es ist eine sehr schöne Moränenhügellandschaft oberhalb des Zürichsees. Sehr oft zog es mich dort hinauf zur grossen alten Linde auf der Fahrenweid.»
Joe «Wieso gerade dorthin? Und wieso höhere Schulbildung? Ich dachte, du seist in die ganz normale Schule gegangen. Hat der Hirzel ein Gymnasium oder so?»
Christian «Joe, das Schulhaus steht auf 700 m über dem Meeresspiegel, ist doch voll krass hoch, oder nicht? Und ich fahre dorthin, weil dies für mich immer ein Ort ist, um nach Wegen und Lösungen zu suchen, wenn ich vor einer scheinbar unlösbaren Herausforderung stehe. Doch nicht nur das … sehr oft halt auch einfach zum Auftanken. Die grosse Linde dort oben auf dem Hügel ist wie meine persönliche Tankstelle. So, schau, da bei der Kirche geht es jetzt noch ein Stück hinauf zur Fahrenweid. Ach ja, hier musst du noch nach rechts schauen, da ist das Johanna-Spyri-Museum. Das war einst das erste Schulhaus im Dorf, erbaut im Jahr 1660. Hier ging die kleine Johanna Louise Heusser, geboren im Juni 1827 im elterlichen Doktorhaus, zur Schule. Bis zur Heirat 1852 mit dem Juristen und späteren Zürcher Stadtschreiber Bernhard Spyri verbrachte sie eine glückliche Kindheit und Jugendzeit auf dem Hirzel. Und hier richtete der Hirzel seiner grossen Mitbürgerin 1981 das Johanna-Spyri-Museum ein. Da habe ich übrigens vor zwei Jahren geheiratet. Es war eine sehr schöne Zeremonie im ältesten Hirzler Schulhaus, zwischen den alten Holzbänken.»
Joe «Christian, du bist hier oben aufgewachsen, was verbindet dich heute sonst noch mit dem Hirzel?»
Christian «Ach, so vieles. Ich erlebte einerseits hier oben bei wunderbarer Voralpenluft eine wunderschöne Schulzeit. Obwohl es oft alles andere als leicht war. Doch wir hatten noch einen langen Schulweg, wo viele Streiche über die Bühne gingen, und im Winter konnten wir noch mit Holzschlitten oder Skiern zur Schule gehen – so war die Schulzeit gar nicht so schlimm. Ach, der Schulweg, der ist heute leider nicht mehr so toll da oben … Vor dem Schulhaus stehen heute jeden Morgen, Mittag und Abend die Familien- und Geländewagen besorgter Mütter, die ihren Kindern den Schulweg rauben … Dabei ist es überhaupt nicht gefährlich hier oben. Der Weg führt fast überall übers Land, und wo die Hauptstrasse den Weg kreuzt, gibt es eine Unterführung. Aber, tja, die besorgten, unausgefüllten Mutterseelen von heute sind wieder ein anderes Kapitel.»
Joe «Christian, hattest du damals schon deine Fähigkeiten? Wann hat das Ganze angefangen?»
Christian «Hm, gute Frage … Also, ich erinnere mich eigentlich nicht mehr daran. Ja, scheinbar habe ich schon immer viel gewusst, was ich nicht wissen konnte oder sollte. Und so wurde ich langsam, aber sicher mundtot gemacht. Sicher wusste ich von vielen Einwohnern viele Dinge, doch ich dachte immer, das sehen die anderen Menschlein auch. Nie war mir bewusst, dass ich Dinge sah, die sonst niemand sah. Doch es gehörte zu mir, obwohl es mir in dem Sinne überhaupt nicht bewusst war. Wer denkt denn schon so in diesem Alter? Ich sah in Familien hinein und schwieg. Ich sah in meine Familie hinein und schwieg. Wir waren sehr arm, doch durfte niemand wissen, dass es so war. Da kommt mir gerade eine Episode von damals in den Sinn. Ich sagte als Kind immer, dass es schön war, dass wir in der Familie noch einen Berner Sennenhund gehabt hatten. Er war schön und gross und total gutmütig gewesen. Da sagte meine Mutter einmal: «Chrigi, du hast das ja gar nie erlebt! Als du zur Welt gekommen bist, hatten wir ihn schon gar nicht mehr. Er ist kurz vorher gestorben.» … Doch das wollte ich nicht glauben, denn ich erinnerte mich deutlich an Bilder: Als ich aus dem Schlafzimmerfenster schaute, lag unten auf dem Vorplatz unser Berner Sennenhund. Ich habe diese Bilder heute noch, kann sie nur abrufen. Ja, ich stellte erst viele Jahre später fest, dass meine Seele die Familie bereits besucht hatte, bevor ich zur Welt gekommen war. Schliesslich suchen wir unsere Familie selbst aus, und scheinbar gefiel es mir dort … So kam ich dann später inkarniert als kleiner Bengel Christian – Chrigi, wie meine Mutter immer sagte – auf diese Erdkugel zurück.»
Joe «Christian, hm … Du sprichst jetzt von der Seele – was ist denn die Seele überhaupt?»
Christian «Ach, Joe, jetzt kommst du bereits am Montag mit einer so schwierigen Frage auf mich zu … Denkst du, dass ich dir das heute erklären kann? Okay, wir haben den Benzintank gefüllt, die Standheizung hat also genug Material zum Verheizen. Aber wenn du schon mal angefangen hast zu fragen: Also, die Seele … die Seele ist eigentlich unser höchstes Selbst. In der Seele sind sämtliche Daten von uns gespeichert, von all unseren Leben. Also auch aus früheren Leben.»
Joe «Aber, Christian … Du sagtest, auch von früheren Leben. Gibt es denn wirklich diese Reinkarnation? Wenn ich dir so zuhöre, wie du das mit einer völligen Selbstverständlichkeit sagst, ist das alles voll logisch, und es klingt so einfach, wie wenn du mir erklären würdest, wie du am Morgen einen feinen Espresso machst.»
Christian «Ja, Joe, jetzt kommt mir gerade in den Sinn, die Kaffeemaschine fehlt immer noch in unserer Ausrüstung! Dodo trank scheinbar nur Tee, oder er bediente sich im Kühlschrank … Hoffentlich kriege ich das mit der Kaffeemaschine für unsere weiteren Fahrten hin, sonst werde ich dann etwas unerträglich, wenn der Kaffee fehlt.
Aber, sorry, um auf deine Frage zurückzukommen: Sicher sind wir, auch du, Joe, schon etliche Male in neuen Inkarnationen auf diese wunderbare Erdkugel gekommen. Wenn jemand jetzt eine andere Meinung hat, lasse ich diese so gelten. Aber für mich ist es völlig klar. Schliesslich arbeite ich ja auch mit der Seele und eben deren gespeicherten Daten. Die Seele ist lebensübergreifend. Es kommt also nicht wieder in jedem Leben eine neue Seele, sondern es ist immer dieselbe.»
Joe «Aber was hat denn die Seele für eine Funktion?»
Christian «Sie bestimmt eigentlich alles, sie ist der Chef in all unseren Leben und speichert auch immer wieder alles ab.»
Joe «Also ist sie eigentlich unser TomTom, unser Navigationsgerät. Wenn es in unserem Leben eine Baustelle oder einen grösseren Stau gibt, führt uns die Seele darum herum, auf anderen Strassen und Wegen.»
Ich muss lachen.
Christian «Nein, Joe, wobei, okay, sie ist schon irgendwie unser TomTom, jedoch mit einer längerfristigen Navigation, für das ganze Leben, die Baustellen sind da zum Lernen, zum Erfahren. Wir erleben im Leben ja etwas, wir erfahren das Leben. Sind wir zum Beispiel im letzten Leben mit einer schweren Krankheit konfrontiert worden und haben sogar jemanden aus der Familie verloren, weil er zum Beispiel an Krebs erkrankte, kann sich die Seele sagen, das will ich in meinem nächsten Leben auch erfahren.»
Joe «Aber Christian, jetzt bist du irgendwie etwas wirr im Kopf … Du kannst doch nicht sagen, dass jemand das freiwillig und von sich aus erleben, erfahren will! Aber sorry… Spinnst du?» Wieder muss ich lachen.
Christian «Joe, ich bin weder wirr im Kopf noch krank … Doch ich verstehe deine Gedanken. Ich nehme es dir auch nicht übel, wenn du über mich so denkst – ich kann das verkraften. Wird es mir dann zu bunt und schiebe ich eine Krise, kann ich immer noch zur Beruhigung einen Appenzeller Kräuterschnaps zu mir nehmen. Dodo hat mir – nebst dem Nagellack – noch welchen im Kühlschrank gelassen … Nur, wenn du mich zu wütend machst, wenn meine Krise zu gross wird … und ich dann die Flasche leere, dann müsstest halt du nach Hause fahren … weil ich zu viel Appenzeller gekippt hätte …»
Joe «Christian, lass diesen Scheiss-Scherz, du weisst, ich habe meinen Ausweis in der Wäsche, also … Ich wiederhole nochmals … Ich darf nicht fahren!»
Christan «Okay, Joe, nimm’s locker, war nicht böse gemeint. Wir haben doch abgemacht, dass wir, trotz aller Ernsthaftigkeit, auch Spass haben wollen. Willst jetzt du einen Appenzeller Kräuterschnaps? Also, vergiss den Schnaps, ich mag ihn ja eh nicht, und er würde mir nur den Schliessmuskel zusammenziehen und den Darm rumoren lassen, so dass nicht nur ein Furz, sondern ungewollt mehr herauskäme.
Kommen wir wieder auf deine Frage zurück, respektive deinen Einwand, dass wir uns doch nicht Krebs oder sonst eine schlimme Krankheit wünschen. Ja, Joe, viele Menschen in dieser Situation stellen sich diese Frage. Warum? Und warum gerade ich? Die Seele hat immer ein Ziel, sie...