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E-Book

Grenzen im Leben

Ein sozialkritischer Bericht

AutorRoswitha Soechtig
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl108 Seiten
ISBN9783744812009
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,49 EUR
Roswitha Soechtig (geb. 1946) hat im Leben viele Grenzen erlebt, die das Leben zu einem Positiven verändert haben. Das Erleben mancher Situationen war nicht einfach, weil RS stetig mit struktureller Gewalt konfrontiert war. So spielten die illegitime Geburt und das kleine Gefängnis eine Rolle. Das erste Klassenzimmer war zum Lernen da, doch auch dort wurden Grenzen aufgebrochen. Das schlimmste Erlebnis war die bittere Armut gepaart mit der staatlichen Fürsorge. Erst das Abitur auf dem Abendgymnasium hat den späteren Weg geebnet, obwohl es in bildungspolitischen Einrichtungen Mobbing gab. Das Erleben des rot-weißen Schlagbaums war eine Erinnerung an die Ostund die Westzone. Der Blick zum Brocken hat den Wunsch zum Bergsteigen gefördert. Doch auf dem Weg zum Bergsteigen nach Südtirol trat der primitive Mafioso in den Weg und am Bahnhof Zoo in Berlin war mal eine prickelnde Arena. Auch bei Grenzübergangen in fernen Ländern kann man etwas erleben. Grenzen im Leben sind auch unerwartete Behinderungen. Leben, das ist die Symbiose von Geburt und Tod, der mit dem angezählten Lebensende konfrontiert. Eine bestimmte Grenzsituation ist die Konfrontation mit dem Sterben. Doch das Leben zeichnet die Bilder in Regenbogenfarben, so auch in der blauen Farbe des Abschlussfadens. XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX

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Leseprobe

Die illegitime Geburt


Die Geburt ist der komplette Austritt eines Körpers aus dem Geburtskanal, normal beginnt damit die Rechtsfähigkeit des Menschen. Nur in Ausnahmesituationen (z. B.: Erbrecht) ist die Rechtsfähigkeit schon vor der Geburt gegeben. Innerhalb einer Woche ist die Geburt eines Menschen anzuzeigen. Mit der Eintragung in das Geburtsregister ist das Leben eines Kindes beurkundet (s. WIKIPEDIA).

Mit der Geburt des Kindes, dessen Eltern nicht miteinander verheiratet sind, ist das Kind unehelich (neben außerehelichen und adoptierten Kindern).

So wird auch heute noch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 6 unterschieden zwischen

»(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. …

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für die leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.«

Nach der neueren deutschen Rechtsgebung unterscheidet man begrifflich seit dem 1.7.1998 nicht mehr zwischen legitimen und illegitimen Kindern und hat »Besondere Vorschriften für das Kind und seine nicht miteinander verheirateten Eltern« im Bürgerlichen Gesetzbuch veröffentlicht. Damit will man die Begriffe »ehelich« und »unehelich/nicht ehelich« nicht weiter unterscheiden (s. Unehelichkeit – Wikipedia).

Zwischen der Familie und jeder Mutter mit unehelichen Kindern bestehen schon im Grundgesetz Unterschiede. Es wird differenziert zwischen »dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung« bei Familien und dem »Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft«. Für die unehelichen Kinder sind »die gleichen Bedingungen für die leibliche und seelische Entwicklung« zu schaffen. An eine geistige Entwicklung wurde bei unehelichen Kindern nicht gedacht. So unterscheidet das Grundgesetz fast 70 Jahre nach Erscheinen immer noch zwischen Familien und Müttern und auch zwischen Kindern und unehelichen Kindern. Bei Kindern, die nicht bei den leiblichen Eltern aufwachsen, schaltet sich das Jugendamt ein, so auch bei unvollständigen Familien.

In einer Gesellschaft mit demokratischen Grundregeln gehört solch eine Regelung abgeschafft. Sie ist ein Schlag in das Gesicht aller alleinerziehenden Mütter und deren Kinder, sowie ein Zeichen mehr oder weniger starker struktureller Gewalt. Der Anteil der Kinder, die in vollständigen Familien leben, sinkt jährlich und betrug 2015 ca. 72 Prozent, Kinder die bei nur einem Elternteil leben, liegt bei ca. 18 %, ca. 10 % leben bei Familien ohne Trauschein und ca. 2 % leben komplett getrennt von den leiblichen Eltern (vgl. MÜNSTERMANN, 2017)

Zu Zeiten von J.H. Pestalozzi, einem Schweizer Pädagogen, wurden Frauen des Dorfes verwiesen, wenn sie ein »Bündel« hatten. Oftmals haben jene jungen Mütter das Kind getötet, um einen Verbleib im Ort zu sichern. Langzeitlich war das kein Ausweg; denn nach Bekanntwerden einer illegitimen Geburt mit Tötung des Kindes drohte eine Verurteilung wegen Mordes. Heute noch liest man häufig über Babymorde nach der Geburt – in jedem Land. So wurden auch in alten Brunnen von Klöstern Babyleichen gehoben. Der Vatikan zahlt auch heute zumindest für Kindern von Priestern. Was nicht ist, das nicht sein darf, aber es ist.

Auch hat man während der frühen Neuzeit Frauen gefoltert, von denen man meinte, sie stünden mit dem Teufel im Bunde. Unter der Folter gestanden jene Frauen, dass sie ein Liebesverhältnis mit dem Teufel hatten. Aus der Verbindung sei ein Kind entstanden. Nach der Geburt wurde das Kind der Frau weggenommen. Ein Scheiterhaufen wurde errichtet und die Frau unter dem Gegröle anderer verbrannt. 2/3 der ca. 60.000 Opfer waren Frauen. Mich würden gern Menschen als Hexe verbrennen.

Denn im Vinschgau nennen mich viele Menschen Wetterhexe, die in ihrer Suppenküche mögliche Unwetter und Naturkatastrophen zusammenbrauen (vgl.: DAHL, 1996). So hat Martin Luther 1522 Hexen als Teufelshuren bezeichnet, die Wetter machen, Lebensmittel klauen, Kinder martern, auf Böcken und Besen reiten usw. (vgl.: LUTHER, 1996). Auch in Märchen symbolisieren Hexen ein Übel. Rollenklischees über Hexen unterstützen das. In Australien habe ich einst mit Teufelsmurmeln gespielt bei meiner Radreise von Darwin nach Adelaide. Aber am meisten hätten mich Pädagogen als Hexe verbrannt. Zum Glück wurden Hexenverbrennungen in Deutschland abgeschafft. Die letzte Hexenverbrennung war 1775 in Kempten. Sehr oft waren es mutige, einfallsreiche, gewitzte und intelligente Frauen, die ihre Freiheit lebten. Dafür wurden sie hingerichtet. Ich bin immer rechtzeitig aus dem Feld gegangen.

Kennzeichen der illegitimen Geburt waren beim Hochadel zu finden. Seit dem 15. Jahrhundert wurden die Wappen der nicht-ehelichen Kinder mit einem Bastardfaden gekennzeichnet. »Die Sichtbarmachung einer unehelichen Geburt erfolgt meist durch einen Schräglinksfaden (sog. Bastardfaden). Er wird über das gesamte Schildbild gelegt. … Er muß in seiner Tinktur keine Rücksicht auf die vorhandenen Farben nehmen. … Er ist traditionell ein Schräglinksfaden. … Die Verwendung des Bastardfadens für den Bastard ist keine Pflicht, aber ein häufiger Usus.« (PETER; online abgerufen 2017). Der Bastardfaden war eine Abwertung der Person und ging auch auf die ehelichen Kinder des Bastards über. So siegelte z. B. Johann v. Broich (unehelicher Sohn Herzogs Wilhelm I. v. Jülich) 1361 mit dem Jülicher Löwen und einem grünen Bastardfaden (vgl. PETER; 2017).

Für mich bedeutet das ganz einfach: »Gefickt wurde immer, gefickt wurde in jeder Schicht, d.h. vom höchsten Adel bis zum niedrigsten Pöbel.« Auch in meiner Familie war die Verbindung zweier Linien angesagt. So war es schon mehrere Generationen üblich, einen Bastard zu zeugen. Doch weil die Familien Quidde/Söchtig nicht zum Adel gehörten, hatten wir keinen Bastardfaden. Traditionell gab es schon während des zugeknöpften Viktorianischen Zeitalters (Königin Viktorias Geburt 1819, Thronbesteigung war 1837, Tod 1901) die Illegitimität. Ein Witz für diese Zeit ist: »Eine Mutter sagt zu ihrer Tochter: ‚Bei allen Dingen, die in der Hochzeitsnacht passieren, mein Kind, schließe die Augen und denke an England‘.« In meiner Familie hat man traditionell wohl nicht an England gedacht, sondern die Lust genossen und nötigenfalls das unausweichliche Schicksal einer illegitimen Geburt gepflegt.

So hatte meine Großtante Käthe Quidde, die Schwester meiner Großmutter, eine nicht eheliche Tochter. Nur auf Grund der guten Beziehungen meiner Urgroßmutter Henriette Quidde, Ehefrau von Sergeant Quidde, wurde die Tochter getauft. Es war zu jener Zeit nicht üblich, illegitime Kinder zu taufen.

Mein Großvater war ein geborener Rautmann, der erst nach der Verehelichung seiner Eltern getauft wurde und danach den familiären Namen Hermann Söchtig bekam. Eigentlich hätte es heißen müssen Hermann Söchtig geb. Rautmann. Doch bei Männern ist dann alles okay. Der Makel bleibt bei den Frauen.

Das erste uneheliche Kind meiner Mutter war mein Bruder Rolf, den man auf Grund seiner Herrlichkeit ja noch in der früheren Dorfgemeinschaft anerkannt hat. Bei mir als zweites uneheliches Kind war alles anders.

Abtreibung war nur auf dem Friedhof ein Gespräch; denn auf dem Friedhof in Klein Vahlberg gab es einige Gräber, wo die Frauen bei einer versuchten Abtreibung mit der Stricknadel gestorben sind. Darüber wurde selbstverständlich nicht getratscht, es war ein offenes Geheimnis. Aber in unserer Familie wurde kein Geheimnis daraus gemacht. Nichts wurde mit dem Mantel der Liebe zugedeckt. Wir haben uns die Schweinereien genüsslich angesehen. Meine Großmutter war eine weise, würdige, spritzige und witzige alte Dame, die die Familie mit Stolz regierte.

Natürlich kann ich mich an meine Geburt nicht erinnern. Aber meine Mutter hat mir viel darüber erzählt. Gezeugt wurde ich am Geburtstag meiner Mutter, die während des Krieges bei der Reichsbahn arbeitete, dort meinen ½ Genspender kennenlernte (Lokführer). Nach Beendigung des Krieges wurden Frauen sofort entlassen. Für die Kriegsveteranen brauchte man Arbeitsplätze, Frauen wurden abgeschoben in eine schlecht bezahlte Ecke (wie noch heute). So arbeitete Elli von früh bis spät bei einem Bauern. Eigentlich wollte sie kein zweites Kind. Sie versuchte alles, um mich loszuwerden. Auch Sprünge aus höchster Höhe halfen nicht. Wat sitt, dat sitt. Und ich habe fest gesessen. Kein Sprung, kein Jammern brachte mich vorzeitig an die frische Luft. Erst an meinem Geburtstag erblickte ich das Licht der Welt, es war ein Donnerstagabend gegen 22.10 Uhr und dunkel.

Ich weiß nicht, was für ein Donnerstagabend es gewesen ist. Aber vermutlich war das Wetter nicht schön; denn meine Mutter wartete und wartete auf das Taxi, das sie nach Braunschweig fuhr. Unterwegs sagte die Taxifahrerin Lotte Behrens, ein Schöppenstedter Original, immer zu meiner Mutter: »Mäken, halt die Beene...

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