Je religiöser ein Mensch ist, desto mehr glaubt er; je mehr er glaubt, desto weniger denkt er; je weniger er denkt, desto dümmer ist er; desto dümmer er ist, desto leichter kann er beherrscht werden. Das gilt für Sektenmitglieder ebenso wie für die Anhänger der großen Weltreligionen mit gewalttätigem „Wahrheits“-Anspruch. Dagegen hilft, auf Dauer, nur Aufklärung.
Adolf Holl, Theologe
3 Erklärungsversuche für Unerklärliches
Glauben bedeutet zunächst einmal nichts anderes, als nichts zu wissen und vielleicht auch wenig oder gar nichts zu verstehen. Das Entscheidende ist aber, dass sich auch jeder Glaube vorrangig an der Realität und Naturgesetzen zu orientieren hat, mittels Erkenntnistheorie oder schlichtem Denken. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, kann man zum Glauben wechseln. Wenn feststeht, dass ein Papst das Datum von Weihnachten fast willkürlich festgelegt hat, dann sollte das Anlass genug sein, das Datum nicht weiterhin wörtlich zu nehmen. Wenn jemand trotzdem glauben will, dass dies der wahre Tag der Geburt Christi sei, dann hat das mit intellektueller Redlichkeit nichts mehr zu tun und erübrigt jede weitere Diskussion. Aber es gibt auch Menschen, die neugierig werden, wenn sie erst einmal entdecken, dass das Geglaubte einer sachlichen Kritik nicht standhält. Erst dann kann die Suche nach der Wahrheit ernsthaft beginnen.
Manchmal hilft dabei, wenn man zunächst überlegt, auf welche Weise man überhaupt zu seinem Glauben gekommen ist. Dabei zeigt sich das Dilemma, vor dem alle Aufklärungsabsichten stehen: Kann man mit Vernunft gegen etwas angehen, zu dem jemand unvernünftig gebracht wurde? In aller Regel ist der Glaube das Ergebnis einer Sozialisation, das Ergebnis der Erziehung und des sozialen Umfelds. Im Gegensatz zu Kindermärchen oder magischen Überzeugungen werden religiöse Denkmuster sehr häufig gerade nicht mit zunehmendem Alter hinterfragt. Es ist ganz im Gegenteil festzustellen, dass diese Prägung als Teil der eigenen Persönlichkeit empfunden und deshalb bedenkenlos ohne konkretes Wissen vehement und emotional verteidigt wird. Der Glaube wurde erfolgreich implantiert.
Doch glauben dürfen heißt nicht glauben müssen. Zur Selbstprüfung unserer Überzeugungen hat uns die Evolution den Verstand gegeben und dieser sollte in einer zukunftsorientierten Gesellschaft auch genutzt werden. Erkennen und Verstehen an sich ist schon etwas Schönes, es ist aber auch erforderlich, um Ängste abzubauen. Furcht lähmt bekanntlich, vor allem vor dem Unbekannten. Je weniger man versteht und durchschaut, desto bedrohlicher muss demnach jedes sich verändernde Szenario wirken. Nicht zuletzt die Angst vor dem Tod ist es, die Menschen unsicher und zu Anhängern von Religion macht.
Wenn man sich mit christlicher Religion beschäftigt, muss der Blick zwangsläufig rund 2.000 Jahre zu seinen Anfängen zurückschweifen. Auch der folgende Ablauf und die sich kontinuierlich ändernden Bedingung sollten reflektiert werden. Sehr vieles, was heute als Bestandteil des Christentums angesehen wird, hat sich erst im Laufe der Geschichte herauskristallisiert.
Eine unübertroffene Prüfmethode auf der Suche nach besseren Arbeitshypothesen ist das sogenannte „Ockham'sche Rasiermesser“. Dieses Sparsamkeitsprinzip entwickelte der englische Philosoph und Mönch William of Ockham (1288 – 1347), der sich um Rationalität bemühte. Er war überzeugt, dass bei mehreren denkbaren Lösungen immer die These die größte Wahrscheinlichkeit aufweise, die mit den wenigsten Hypothesen auskommt. Das Einfachste, das alles erklärt, ist somit auch immer das Wahrscheinlichste. Ockham lieferte übrigens das Vorbild für William of Baskerville, den von Sean Connery gespielten analytischen Ermittler im Film Im Namen der Rose nach Umberto Ecos berühmtem Roman.
Doch nun zu meinem Untersuchungsgegenstand, der Entstehung des Christentums. Wie hat alles angefangen? Ich will dies hier zunächst so erzählen, wie es nach bisheriger Vorstellung und von vielen Autoren präsentiert wird.
Alle Theologen sind sich dem Grund nach einig, dass vor rund 2.000 Jahren eine Endzeiterwartung unter den Juden in Palästina um sich griff. Nach einer kurzen Zeit der Selbstständigkeit gerieten Judäa, Samarien und Galiläa unter römische Herrschaft. Mit dem Einmarsch des Pompejus und seiner römischen Legionen 63 vor Beginn unserer Zeitrechnung (v. u.Z.) endete die jüdische Selbstständigkeit. Unter dem idumäischen Herrscher Herodes gab es in Palästina mit Judäa als Zentrum zunächst noch weitgehend Frieden, aber die Sehnsucht nach einem Messias, der die Herrschaft Gottes herstellen und die Juden befreien würde, wuchs kontinuierlich. Doch noch entrichteten die Juden ihre Steuern nicht direkt an die römischen Heiden, sondern an Herodes. 4 v. u.Z. folgte ihm dessen Sohn Fürst Archeläus auf den Thron Judäas und Idumäas. Wegen seiner Unfähigkeit fiel er jedoch im Jahr 6 u.Z. in Ungnade und die Römer übernahmen selbst die Verwaltung. Nun forderten die Römer in diesem Gebiet von den Juden direkt den Tribut. Dazu wurde in diesem Herrschaftsgebiet eine Steuerzahlung angeordnet. Das jedoch war mit den religiösen Vorstellungen der Juden unvereinbar, da sie nach ihrer Religion keinem Nichtjuden Steuern zahlen durften. Diese Steuerzahlung war vermutlich das, was bei dem Evangelisten Lukas in die Zeit der Geburt Jesu verlegt wurde. Aber in seiner Geschichte stimmen weder Personen, noch Zeit noch Ort. Diese Steuererfassung galt nur für Judäa und gerade nicht für Galiläa, sodass es auch keinen Grund einer Reise für einen Josef und seine hochschwangere Frau Maria nach Bethlehem geben konnte. Der Herrscher in Galiläa war Herodes Antipas, ein anderer Sohn des verblichenen Herodes des Großen. Für die Juden in seinem Herrschaftsgebiet Galiläa hatte sich durch die Absetzung seines Bruders nichts geändert.
Zudem hätte eine derartige Reisewelle zu Orten, wo vor tausend Jahren einmal ein Vorfahre gelebte hatte, keinerlei Sinn. Die Textkonstruktion dieser Reise diente lediglich dazu, einen Bezug zum angeblichen Vorfahren König David herzustellen. Dies ist allein dem Glauben geschuldet, dass der erwartete Messias aus der Heimatstadt Davids kommen müsse. Die Verfasser des Lukas- und des Matthäus-Evangeliums gestalteten so ihre jeweiligen messianischen Geburtsgeschichten.
Das Geburtsjahr Jesu wird seit längerem unter Bezug auf die Weihnachtsgeschichte und den Tod des Herodes auf ca. 4 v. u.Z. datiert. Das Datum war aber sicherlich nicht der 25. Dezember. Zu dieser Zeit waren weder Hirten auf dem Feld noch gab es Lämmer, wie die Evangelisten behaupten. Lämmer werden im Frühjahr geboren. Wie es zu dieser falschen Datierung kam, ist nicht ganz geklärt. Man nimmt jedoch an, dass Kaiser Aurelian den 25. Dezember 274 u.Z. als reichsweiten Festtag für den Sol Invictus (der unbesiegbare Gott des Mithras-Kultes) festgelegt hatte und dieses Datum erst danach christlich übernommen wurde. Doch dies sollte nur der Anfang von zahllosen Übernahmen heidnischer Gebräuche und Kultstätten sein. Und das geschah alles durchaus nicht immer so friedlich, wie es die klerikale Geschichtsschreibung gerne darstellt.
Zur Manifestation eines Gottes gehörte schon immer auch entsprechendes Anhimmeln. Die Anbetung sogar durch fremde Könige war in der Antike ein beliebtes Motiv, um die Überlegenheit des Angebeteten zu unterstreichen. Anzahl und Namen dieser Könige entnahm man im Fall von Jesu Geburt bezeichnenderweise apokryphen (= verborgenen) und kirchlich gerade nicht anerkannten Quellen. So ist weder von einem Balthasar noch von Myrrhe in den Evangelien die Rede. Das gilt auch für andere Zutaten der Geburtsszene wie Stall und Esel.
Ein Einschub zu meiner Darstellungsweise: Da niemand innerhalb der üblichen Theologie angeben kann, wer sich hinter den Autoren namens Markus, Lukas, Matthäus oder Johannes verbirgt, und da es sich somit um anonyme Autoren handelt, deren Evangelien von der Kirche mit diesen Namen versehen wurden, werde ich, um diesen fiktionalen Charakter deutlich zu machen und dem Leser eine Zuordnung zu ermöglichen, von einem „Markus-Verfasser“ (Abkürzung künftig: Mk-Vf), „Matthäus-Verfasser“ (Mt-Vf), „Lukas- (Lk-Vf) und einem „Johannes-Verfasser“ (Joh-Vf) sprechen. Nach der hier vertretenen These handelt es sich bei den Verfassern der synoptischen Evangelien um Schreiber der von mir so benannten „römischen Schreibstube“. Ich verzichte außerdem bei der Nennung des Namens „Jesus“ auf klarstellende Formulierungen wie „vermeintlich“, „erfunden“ oder „in den Mund gelegte Worte“. Wenn ich von „Jesus“ spreche, dann immer nur in seiner Erscheinung als Mythos und in Bezug auf das Erörterte.
Weiter im Text: Der Mk-Vf schweigt gänzlich zur Geburtsgeschichte. Bei ihm gelangt erst der durch Johannes Getaufte seine Göttlichkeit. Der Lk-Vf will natürlich bei seiner heidnischen Leserschaft, die in göttlichen Geburten nichts Besonderes sieht, zumindest gleichziehen. Und zwar von Anfang...