NEUE EINFÜHRUNG VON
NIGEL NICOLSON
Das Buch über ihre Persienreise begann Vita Sackville-West mit einer Provokation: »Es gibt keinen größeren Langweiler als den, der uns von seinen Reisen erzählt« – nur um dies durch die anschließende, eigene Reiseerzählung gründlich zu widerlegen. Vita Sackville-Wests Bericht unterscheidet sich denn auch grundlegend von den Diavorträgen, mit denen heimgekehrte Reisende ihren leidgeprüften Freundeskreis quälen. Das Buch macht Vergnügen, weil es Vergnügliches beschreibt, beseelt von dem, was Winifred Holtby in einer zeitgenössischen Besprechung »die leuchtende Klarheit ihrer herrlichen Prosa« nannte.
Die Autorin ist äußerst beredt, wenn es um ihre Abenteuer und Reaktionen geht, und ihre Route ließe sich leicht auf einer Landkarte verfolgen. Im gleichen Maße aber schweigt sie sich in Hinblick auf ihre Person, ihre Gefährten auf verschiedenen Teilen der Reise und den Grund des gesamten Unterfangens aus. Wenn man nicht wüsste, dass das »V« ihres Namens für Victoria steht, von Freunden und Verwandten auf »Vita« verkürzt, wäre man sogar über ihr Geschlecht im Unklaren, bis sie auf der allerletzten Seite gesteht: »Der Zollbeamte an der holländischen Grenze machte mir einen Heiratsantrag.« Es ist klar, dass sie nicht immer allein reiste, aber die andere Hälfte des »Wir« wird nie beim Namen genannt. Sie spricht von Diplomatenpartys, ohne zu erwähnen, dass ihr Ehemann Botschafter seiner Majestät in Teheran war, von Briefwechseln, ohne zu offenbaren, dass die Hauptadressatin ihrer Korrespondenz Virginia Woolf hieß, und von ihrer »Arbeit«, ohne hinzuzufügen, dass sie in Persien ihr Langgedicht The Land vollendete, das bis heute ihr größtes literarisches Vermächtnis ist.
In der Einführung zu einer neuen Ausgabe, die nun mehr als sechzig Jahre nach dem Original erscheint, ist es, wie ich hoffe, legitim, Umstände zu erklären, die zu verschweigen sie sich selbst entschied.
Vitas Ehemann, Harold Nicolson, hatte sich im Auswärtigen Dienst schon früh den Ruf als einer der brillantesten jungen Diplomaten Englands erworben, war zum Liebling der Außenminister Balfour und Curzon avanciert und schrieb gerade Some People, sein bekanntestes Buch. Im November 1925 wurde er zum zweithöchsten Beamten im diplomatischen Team mit Sir Percy Loraine als Botschafter und Gladwyn Jebb als jungem drittem Sekretär an die Gesandtschaft in Teheran berufen. Vita weigerte sich, ihrem Mann nach Teheran zu folgen, wo sie nicht mehr gewesen wäre als eine Diplomatengattin ohne jede weitere Qualifikation (Sie hasste es, Mrs Nicolson zu sein, wenn sie doch Vita Sackville-West sein und in Long Barn im Weald schreiben und gärtnern konnte). Aber sie besuchte ihren Mann zweimal, weil sie ihn liebte und mit Persien reizvolle Vorstellungen der Abgeschiedenheit und Ursprünglichkeit verband. Das erste Mal 1926 im Zuge der Reise, die sie in diesem Buch beschreibt, und ein zweites Mal im Folgejahr, als sie mit ihm über das Bakhtiari-Gebirge wanderte – eine Expedition, die sie in ihrem zweiten Buch Zwölf Tage in Persien. Reise über die Bakthiari-Berge beschreibt.
Vita verließ England am 20. Januar 1926 und kehrte Mitte Mai wieder zurück. Sie reiste mit vielen Umwegen und sehr gemächlich – teilweise gewollt, weil sie noch nie in Indien und im Irak gewesen war, teilweise aber auch unfreiwillig, weil das Reisen im Mittleren Osten zu Wasser und zu Land damals noch fast so beschwerlich wie im Mittelalter war. Bis nach Indien begleitete sie ihre enge Freundin, die Dichterin Dorothy Wellesley. Gemeinsam fuhren sie den Nil hinauf bis nach Luxor, in Indien besuchten sie Agra und Neu-Delhi. Von dort aus fuhr Vita allein weiter, per Schiff den Persischen Golf hinauf, mit der Bahn bis nach Bagdad, wo sie einige Tage bei Gertrude Bell verbrachte, und dann über Land mit einem Auto-Wüstenkonvoi zu den persischen Bergen und weiter nach Teheran.
Es ist erstaunlich, wie viel sie in ihrer Erzählung auslässt. Dorothy Wellesley wird mit keinem Wort erwähnt, was später deren Zorn erregte. Und trotz aller Begeisterung blendet sie völlig aus, was sie zweifelsohne wusste und mit eigenen Augen sah: Howard Carters befand sich mit seinen Arbeiten am Grab von Tutenchamun im dritten Grabungsjahr. Ganz Indien gesteht sie nicht mehr als eine Seite zu – und es missfällt ihr gründlich. »Ein abscheulicher Ort«, schrieb sie an Virginia Woolf, »ohne die Spur irgendeines Werts. Da will ich nie wieder hin.« Und sie hielt Wort.
»Auf beiden Seiten des Zuges Dschungel«, erklärte sie Virginia, »Felsen wie mittelalterliche Schlösser; Pfauen, die im Dorfteich planschen. Vom Zugfenster aus sehe ich in den Staub gefahrene Straßen. Niemand weiß, wohin sie führen. Ein Schakal starrt aus dem Gestrüpp. Ein englischer General. Das Taj Mahal als reine, plötzliche Lyrik. Und überall Elend, Elend, Elend. Kinderaugen, schwarz vor Fliegen. Männer mit offenen Wunden. Räudige Hunde. Dreckige Hütten, die keines Schweines würdig wären. Und eine Brücke, ein einziges Gedränge aus Menschen, Tieren und Karren, alle schoben, drängelten und schrien, als unser Wagen sich wie ein Schneepflug seinen Weg durch die Menge bahnte. Lärm und Elend, Elend und Lärm, überall.«
Das Treffen mit ihrem Freund Edwin Lutyens an der Baustelle seines erst halb fertig gestellten, vizeköniglichen Palasts in Neu-Delhi ist ihr nur eine halbe Zeile wert. Und sie verschweigt dem Leser ihr unvergessenes Wiedersehen mit Harold in Kermānschāh, wo er sie (laut seiner Tagebucheintragung) »in einem furchtbaren Zustand aus Ungeduld, Angst und Aufregung« erwartete, während Vita nach einer viertägigen, von Straßenräubern bedrohten Fahrt über die persischen Berge ganz aufgeräumt eintraf, einen Saluki-Hund auf den Knien.
In ihrem Bericht erwähnt sie nicht, dass sie im Haus des Botschafters auf dem Gelände der britischen Gesandtschaft wohnten – genau dort, wo Harold 1886 zur Welt gekommen war, als sein Vater als Diplomat in Teheran gearbeitet hatte. Nach persischen Maßstäben war es recht komfortabel. Vier Diener, ein Stall voller Pferde und die kleine Flotte der botschaftseigenen Ford-Automobile standen ihnen zu Diensten. Vita konnte an den meisten Tagen einige Zeit nach ihren Wünschen verbringen, in den Basaren stöbern oder in der die Stadt umgebenden Wüste nach wilden Blumen suchen. Aber sie tat ebenso, wenn auch ungern, ihre Pflicht als Diplomatengattin, besuchte Partys, auf denen versucht wurde, in der fremdartigen Atmosphäre Zentralasiens die diplomatischen Gepflogenheiten westlicher Hauptstädte nachzuahmen – und all das langweilte sie zutiefst. Mehr Harold als seinen Kollegen zuliebe ließ sie nichts davon in ihr Buch, wohl aber in ihre Briefe an Virginia einfließen.
»Auf dem Botschaftsgelände zu wohnen heißt, dass um 8 Uhr morgens der zehnjährige Sohn des Konsuls seine Spiel-Fahrzeughupe ertönen lässt; dass um 9 Uhr jemand kommt und fragt, ob ich etwa das ganze Wasser aus dem Tank gelassen hätte; dass um 10 Uhr die Frau des Militärattachés herüberspaziert und sich erkundigt, wie es meinen Ritterspornen ginge; dass um 11 Uhr Lady Lorraine erscheint und fragt, ob ich es nicht auch scheußlich fände, wie die Frau des russischen Botschafters am Abend zuvor die Frau des polnischen Chargé d’Affaires geschnitten hätte; dass um 12 Uhr ein Schuss losgeht und die Muezzine von Teheran mit großem Geschrei ihren Gebetsruf anstimmen; dass es um 13 Uhr Zeit zum Mittagessen ist und Vita von ihrer Arbeit noch absolut gar nichts geschafft hat.«
Am meisten machte ihr die Gleichgültigkeit der entwurzelten Europäer gegenüber Persien zu schaffen. Sie sahen alles Unzulängliche und Unangenehme, waren aber blind für die Schönheit des Landes, die Sanftheit der Menschen, die Gärten, die Literatur, die Kunst. Seit Curzon hatte Persien keinen aufmerksameren und verständnisvolleren britischen Besucher mehr gehabt als Vita. Sind die Perser grausam zu Tieren, erklärt sie uns, dies läge daran, dass sie »unkundig sind, was das Leid betrifft«. Hat sie einmal Heimweh, setzt sie sich »auf einen Felsen, umgeben von gelb blühenden Tulpen« und schaut einer kleinen Ziegenherde zu, »wie sie von den Berghängen in die Ebene heruntergezogen kommt«, und schon verweilt sie: »mit einer neuen Intensität bei meinen Freunden«. Bezeichnet jemand das persische Hochland als öde und kahl, tröstet sich Vita mit »dem Licht und der Weite und den Farben, die wie ein sanftes Erröten über ein stolzes Antlitz ziehen«. Für alle, die sich die Mühe machen, danach Ausschau zu halten, ist Persien aus ihrer Sicht voller Leben, »oft winzig, fein und scheu, dem in die Weite gerichteten Blick entzogen«, und sie denkt dabei nicht nur an einen im Schatten eines Felsens versteckten Enzian. Die schier endlosen Ebenen erträgt sie mit dem Gleichmut des einfachen, gemächlich darüber hinwegziehenden Ziegenhirten – oder gar der...