1. Männer werden jetzt durchgeschüttelt und ausgebremst
Männer haben weit mehr gemeinsam, als der einzelne Mann es vermuten mag. Und wenn sie dieses Gemeinsame entdecken, dann erkennen sie sehr schnell, auf welche Weise der heutige Zustand ihres Lebens von ihnen selbst erschaffen wurde. Der junge Mann geht gewöhnlich von zu Hause in die Welt hinaus, um »es« zu schaffen. Er stürzt sich in Ausbildung oder Arbeit und klotzt ran. Er will Erfolg haben und gutes Geld verdienen, als Angestellter oder als Selbstständiger. Ein »richtiger« Mann definiert sich und seinen Wert über Erfolg und Geld und stürzt sich ins Machen und Tun.
Dieser einseitig auf Leistung ausgerichtete Weg wird für die meisten Männer zu ihrem Lebens- und Schicksalsweg. Leben heißt für sie, etwas zu leisten, es zu etwas zu bringen. »Haste was, biste was, haste nix, biste nix«, und zwar in den Augen der anderen. Von dieser auf Dauer selbstmörderischen Spur kommen sie so schnell nicht runter. Erst eine Krise des Körpers, der Psyche oder der Partnerschaft, der Verlust der Arbeit oder erst die Rente oder Pensionierung wirft sie aus dieser schmalen und harten Spur. An seiner Arbeit hält sich der Mann fest wie die Table-Tänzerin an ihrer Stange; nimmt man ihm diese Stütze weg, fällt er, und das meist tief. An das, was er tut, und an den Erfolg seiner Arbeit koppelt der Mann für gewöhnlich seine ganze Selbstwertschätzung und Selbstwürde. Verliert er seine Arbeit, geht auch sein Selbstwertgefühl baden, so brüchig es vorher auch schon gewesen sein mag.
Der Mann versteht sich in erster Linie als arbeitender Mann. Hat er keine Aufgabe, dann kann er mit sich selbst oft nichts anfangen. Er weiß einfach nicht, woran er sich festhalten soll, weil er kaum einen Halt in sich selbst hat. Diese Angst, den Halt zu verlieren, treibt gegenwärtig immer mehr Männer um, ihre Zahl nimmt stetig zu. Und wie Männer auf Angst reagieren, das sehen wir täglich in Firmen und Beziehungen: Sie greifen sehr oft verzweifelt zu Pillen und Alkohol, um irgendwie durchzuhalten. Oder sie lenken sich durch extremes, dem Körper gegenüber herzloses Verhalten beim Sport von der inneren Misere ab. Sie werden entweder aggressiv sich selbst oder anderen gegenüber oder antriebslos und versinken in einer Depression. Die Gesichter der heutigen Männer erzählen genau solche Geschichten. Hast du den Mut, dir einmal drei Minuten (also 180 Sekunden) lang in einem Handspiegel in die Augen zu schauen? Wenn dein Verstand dir gerade sagt, das sei dir zu albern, dann steckt dahinter die pure Angst vor dem, was du in deinen Augen entdecken könntest.
Wie sehen die Körper von Männern ab vierzig, spätestens ab fünfzig aus? Der Magen ist übersäuert, der Rücken verspannt, die ersten Bandscheiben sind dahin, das Herz ist angegriffen, das Atmen fällt schwer, die Gelenke schmerzen, die Galle produziert Steine, die Probleme gehen an die Nieren. Viele Nächte werden nicht mehr durchgeschlafen und im Bett macht der Penis immer öfter schlapp. Impotenz oder die Angst davor – höchst schambesetzte Themen – sind weiter verbreitet als allgemein angenommen. Die vielen Millionen Viagra-Nutzer in Europa sind lediglich die Spitze eines Eisberges der Männerprobleme rund um ihre Sexualität.
Die Fixierung auf Arbeit, Leistung, Geld und Erfolg beziehungsweise die Verknüpfung von Selbstwertgefühl und Erfolg hat den Mann an den Rand eines Abgrundes geführt. Nicht wenige verzweifeln und nehmen sich das Leben, es sind dreimal so viele Männer wie Frauen. Und viele andere sterben den langsamen Tod an gebrochenem Herzen oder verfallen in Antriebslosigkeit.
Das alles beruht weder auf Schicksal noch auf der Dummheit von Männern, sondern auf Unbewusstheit und Unwissenheit sowie auf sehr alten, eingefahrenen Mustern des Denkens und Verhaltens, die über viele Männergenerationen weitergereicht wurden und von den meisten bis heute noch nicht infrage gestellt werden. Es sind die »alten Schuhe«, in denen Männer während ihrer Kindheit zu gehen lernten und die ich in meinem Bestseller Raus aus den alten Schuhen ausführlich beschrieben habe.
Wir Männer können heute lernen zu verstehen, warum wir – und die Männer vor uns – diesen Weg gegangen sind und uns in eine tiefe (individuelle wie kollektive) Krise hineinmanövriert haben. Daran ist weder die Wirtschaft schuld noch sind es die Frauen oder unsere Eltern. Niemand hat hier Schuld. Dennoch gibt ein Großteil der Männer sich selbst die Schuld und schämt sich insgeheim, weil sie davon überzeugt sind, versagt und »es nicht geschafft« zu haben. Das heißt, diese Männer haben die eigenen und die Erwartungen anderer nicht erfüllt und meinen kurzum, ihr Leben »versemmelt« zu haben. Und das trotz großer Anstrengungen über so viele Jahre hinweg.
Letztlich sind die Lebenswege von Männern und die Ursachen, die sie so häufig in Sackgassen führen, sehr leicht zu verstehen. Nur, welcher Mann will das eigentlich? Wie viele von hundert Männern machen sich wirklich auf den Weg, sich selbst zu verstehen? Schon der Versuch passt für viele nicht zu einem »normalen« männlichen Verhalten. Eher interessieren sich die Frauen dafür, was denn mit ihren Männern los ist und ob da noch was zu retten ist. Wie ist das für dich, den Mann, der gerade dieses Buch hier liest? Hast du diese Frage nach dir selbst auf dem Schirm? Bist du die Ausnahme und hast du dir schon einmal innerlich vorgenommen: »Ja, ich bin an mir selbst, an meinem Innenleben interessiert. Ich will verstehen, wer ich bin und wie ich ticke«?
Bis ein Mann wirklich beginnt, an seinem unbefriedigenden Leben etwas zu ändern, muss in der Regel schon viel passieren. Es braucht gehörige »Einschläge«, Krisen und Verlusterlebnisse. Denn erstens hat er gelernt, dass Durchhalten und Aushalten zum Mann gehören wie das Rasieren am Morgen, und zweitens sieht er oft einfach keine Alternative zu seinem einmal eingeschlagenen Weg. Die Rechnungen wollen bezahlt, die Kreditschulden abgetragen, die Erwartungen von Frau und Kind/Kindern, Eltern und Schwiegereltern erfüllt werden. Und der innere Antreiber ruft ihm ständig zu: »Das kannst du besser machen! Streng dich noch etwas mehr an!« Wie soll man(n) von diesem fahrenden Zug abspringen, wie diese Spur verlassen? Der »normale« Mann versucht, die Spur so lange wie irgend möglich zu halten, weil sie ihm Orientierung, Halt und eine Sicherheit bietet, die sich erst später im Krisenfall als Scheinsicherheit entpuppt.
Langsam dämmert es mehr und mehr Männern, dass sie kein Einzelfall sind, wenn sie die Orientierung im Leben verloren haben und sich fragen, wozu dieser ganze Kampf und Krampf gut sein soll. Jetzt geht es um das grundlegende Thema des Mannes und dies betrifft alle Männer. Es geht um die Klärung von Fragen wie:
- •Wer bin ich als Mann? Und was bedeutet es für mich, ein Mann zu sein?
- •Wozu bin ich auf der Welt? Gibt es für mich eine zentrale Aufgabe, eine Mission oder etwas Ähnliches?
- •Wann und wodurch habe ich mich selbst (wie so viele) verloren?
- •Wie finde ich mich wieder, und wie kann ich zu einem glücklichen Mann werden?
Für diese und ähnliche Fragen öffnet sich in dieser Zeit des großen Umbruchs eine wachsende Zahl von Männern, auch wenn es noch eine Minderheit ist. Nachdem viele Frauen oft schon seit zehn oder zwanzig Jahren auf dem Weg zu einem bewussteren Frau-Sein sind, Selbstfindungsseminare besuchen, Yoga oder Ähnliches praktizieren, meditieren und Frauenbücher lesen, macht sich auch der Mann jetzt allmählich zu sich selbst auf. Natürlich hat es immer schon ein paar wenige Exotenmänner gegeben, die sich in Tantra-, Meditations- oder Männergruppen getroffen haben. Aber in diesen Jahren wachen immer mehr »ganz normale« Männer auf, solche, die es noch vor Kurzem für unmöglich gehalten hätten, sich mit anderen Männern über solche Fragen rund ums Mann-Sein zu unterhalten. Der Mann ist jetzt an einer T-Kreuzung der Zeit angelangt, an der es nicht mehr geradeaus weitergeht wie bisher, sondern an der er gezwungen ist, sich bewusst zu entscheiden, welchen Weg er mit sich selbst in Zukunft gehen will.
Meist ist es sein Körper, der ihm schmerzhaft klarmacht, dass er etwas ändern muss und dass Energydrinks, Pillen und Durchhalten keine Lösung sind. Oder seine Partnerin zeigt es ihm, indem sie ihn nach zehn, zwanzig oder dreißig Jahren verlässt und damit aus einer erstarrten, leeren und langweiligen Beziehung ausbricht. Oder es sind der steigende Druck und die Veränderungen am Arbeitsplatz oder eine plötzliche Entlassung, die ihn zusammenbrechen lassen und ihn dadurch aus seinem tiefen »Dornröschenschlaf« aufwecken. Der Mann begreift zunehmend, dass er für seinen bisherigen einseitigen Weg über Leistung nicht mehr belohnt wird und dass sich dieser Weg letztlich nicht auszahlt. Denn selbst wenn die Kohle stimmt und das Geld gut angelegt scheint – was nützt es dem Fünfzigjährigen, wenn er mit sich selbst nicht viel anfangen kann, wenn die Frau ihn nicht versteht oder verlässt, wenn Sohn oder Tochter ihre eigenen Wege gehen und nichts von ihrem Vater wissen wollen, der eh nie Zeit für sie hatte, oder wenn der...