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E-Book

Ich dachte, älter werden dauert länger

Ein Überlebenstraining für alle ab 50

AutorHeike Abidi, Lucinde Hutzenlaub
VerlagPenguin Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641222628
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Willkommen im Mittelalter!
Lucinde und Heike sind um die fünfzig. Früher dachten sie, das wäre das Alter, in dem man endlich angekommen ist. Seriös. Souverän. Würdevoll! Jetzt wissen sie es besser: Das Märchen vom In-Würde-Altern haben sie durchschaut. Also beschließen sie, nur noch das zu tun, worauf sie Lust haben - aus der langweiligen Oper abhauen etwa oder auf gängige Schönheitsideale pfeifen und trotzdem Botox ausprobieren. Auf die Gefahr hin, dass ihre Kinder sie irgendwie peinlich finden. Und dass sie womöglich auch mit achtzig noch längst nicht angekommen sein werden ...

Ein augenzwinkernder Erfahrungsbericht über Risiken und Nebenwirkungen des Älterwerdens - mit viel Selbstironie und humorvollen Einsichten.

Lucinde Hutzenlaub wurde in Stuttgart geboren, wo sie nach mehreren Auslandsaufenthalten wieder lebt. Die gefeierte Bestsellerautorin ist Kommunikationsdesignerin, systemische Coach und Heilpraktikerin, sie hat drei Töchter und einen Sohn. Die Fans ihrer DONNA-Kolumne »Lucindes Welt« lieben sie für ihren Witz und ihre Authentizität. Bei Penguin erschienen zuletzt ihr Roman »In Liebe, Deine Paula« sowie, zusammen mit Heike Abidi, »Ich dachte, zu zweit muss man nicht alles selber machen«.

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Leseprobe

Heike

Auf einmal werde ich überall gesiezt …

Genug geheult jetzt! Älterwerden ist kein Grund dazu – es hat nur ein paar nicht ganz so erfreuliche Symptome, aber an denen kann man ja arbeiten.

Ein untrügliches Symptom ist die Sache mit der Siezerei. Das wird jetzt nicht jeden so stören wie mich, es soll ja Leute geben, die es gar nicht leiden können, mit Du angesprochen zu werden. Zu diesen Leuten gehöre ich definitiv nicht.

Mein persönlicher Duz-Siez-Konflikt begann mit einem Purzelbaum. Es war in den Sommerferien, bevor ich in die dritte Klasse kam. Bis dahin hatte ich in einer vom Du dominierten Welt gelebt. Kunststück, hatte ich doch fast ausschließlich mit meinen Eltern, Geschwistern, Großeltern und Freunden zu tun. Lediglich unsere Lehrerin war eine Sie-Person, aber mit ihr hatte ich schließlich nur »beruflich« zu tun, niemals privat.

Doch dann misslang mir im elterlichen Garten dieser blöde Purzelbaum, wobei ich mir vermutlich eine heftige Zerrung zuzog. Allerdings an einer Stelle im Bauch, die auch bei einer Blinddarmentzündung wehgetan hätte. Meine Eltern wollten kein Risiko eingehen, karrten mich ins nächste Krankenhaus, und wenig später lag ich zum ersten Mal im Leben auf einem OP-Tisch.

Im Nachhinein war das mit der Operation wohl maßlos übertrieben, aber das machte mir nichts aus. Und meine Eltern behielten zum Glück ihre Sicher-ist-sicher-Haltung bei, denn als ein paar Jahre später mein jüngerer Bruder sämtliche bekannten Symptome einer Blinddarmentzündung – inklusive Fieber und Erbrechen – aufwies, ignorierten sie die hausärztliche Diagnose »Das Kind simuliert« und verfrachteten auch ihn in die Klinik. In dem Fall keine Sekunde zu spät, denn sein Blinddarm war bereits angerissen, als man ihn entfernte.

Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich nach der Operation erwachte. Ich blinzelte, erblickte eine fremde Umgebung, erkannte einen hässlichen, grellorangefarbenen Vorhang, der eine Zimmerecke mit Waschbecken abtrennen konnte, und war glücklich. Denn mit einem Mal erinnerte ich mich wieder an alles. Und ich wusste, dass eine wunderbare Zeit vor mir lag: eine ganze Woche, in der ich faul im Bett liegen durfte, ohne dass jemand mich dazu ermunterte, ein bisschen an die frische Luft zu gehen und mich womöglich auch noch zu bewegen! (Wohin das führte, hatte ich ja gerade erst schmerzlich erfahren.) Heutzutage wird man ja schon am Tag der OP aus den Laken gezerrt, um den Kreislauf in Schwung zu bringen und eine Thrombose zu verhindern, aber seinerzeit galt zu meinem großen Behagen noch das Bettruhegebot. Was bedeutete, dass ich eine ungestörte Lesewoche vor mir hatte – ja, sogar noch jede Menge Bücher geschenkt bekam, und das ganz ohne Weihnachten oder Geburtstag zu haben. Der Himmel auf Erden!

Ein klein wenig getrübt wurde diese himmlische Situation durch meine Zimmergenossinnen. Denn ganz offensichtlich gab es in diesem Provinzkrankenhaus keine Kinderstation, weshalb man mich in einem Zimmer untergebracht hatte, in dem außer mir noch zwei sehr alte Damen lagen. Ich schätzte sie auf ungefähr hundert. Aber selbst wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass einer Achtjährigen alle über zwanzig geradezu greisenhaft vorkommen, müssen die zwei locker Mitte siebzig gewesen sein.

Praktischerweise hießen meine Zimmergenossinnen beide Margarete Müller. Zu unterscheiden waren sie an ihren jeweiligen Gebrechen: Die eine hatte einen irrwitzig großen Kropf, die andere einen dicken Verband am Bein, und sie wurde nicht müde, in den schillerndsten Farben (vor allem der Farbe Rot) zu schildern, wie ihr eine Ader (oder Vene?) geplatzt und das Blut bis zur Decke gespritzt war.

Ich fand, privater konnte eine Situation kaum sein. Da lagen wir alle drei in unseren Nachthemden und mit unseren Verbänden, verbrachten 24 Stunden am Tag in diesem Krankenzimmer und teilten unsere Leidensgeschichten. Ich wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen, die beiden Margarete Müllers zu siezen!

Ungefähr drei Tage lang ging die Sache gut. Ich fühlte mich langsam besser, nicht nur weil ich ein Buch nach dem anderen inhalierte, sondern weil in Aussicht stand, dass ich bald ein Glas Saft würde trinken dürfen (der lauwarme Krankenhaustee war neben den Schmerzen an der Narbe bis dahin das einzige Haar in der Wellness-Suppe). Doch dann setzten die Margarete Müllers verkniffene Mienen auf und verkündeten, sie müssten mal mit mir reden. Ich sei schließlich weder ihre Enkelin noch ihre Nichte. Von daher fänden sie es nicht angebracht, dass ich sie duzte.

Ich fühlte mich, als hätte man mir eine Ohrfeige verpasst. Und ein bisschen beleidigt war ich natürlich auch. Wenn ich mich recht erinnere, vergoss ich sogar ein paar Wut-Tränen.

Ob ich die Margaretes anschließend mit »Frau Müller« angesprochen oder für den Rest des Aufenthaltes trotzig angeschwiegen habe, weiß ich nicht mehr.

Doch eins weiß ich genau: Meine Unbefangenheit war zwar empfindlich gestört, doch meiner Vorliebe für das familiäre Du tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Ich war und blieb eine überzeugte Duzerin! Weshalb mir auch die Schweden und Niederländer so sympathisch sind, denn die verwenden die Höflichkeitsform ungefähr so ungern wie ich. (Okay, im Englischen gibt es nur eine einzige Anredeform, aber rein grammatikalisch ist das ja eigentlich die Sie-Form, das »thou« ist mehr oder weniger ausgestorben …)

Natürlich lernte ich mit der Zeit, wann das Sie angemessener ist. Was für Lehrkräfte galt, das wandte ich von nun auch gegenüber fremden Erwachsenen an, denn auf einen weiteren Anpfiff der Margarete-Müller’schen Art war ich nicht gerade scharf.

Diese simple Regel geriet ins Wanken, als ich in die Oberstufe kam und unsere Lehrer von einem Tag auf den anderen beschlossen, uns fortan zu siezen. Weil wir doch nun schließlich so gut wie erwachsen wären und uns langsam daran gewöhnen müssten, entsprechend zu kommunizieren.

Schockschwerenot!

Nie zuvor hatte ich daran gedacht, eines Tages selbst eine Sie-Person zu sein. Dabei war ich doch erst sechzehn …

Die meisten Lehrer ließen sich erweichen und kehrten mit der Zeit wieder zum gewohnten Du zurück, vor allem diejenigen, die uns schon seit Jahren kannten. Nur unser Mathelehrer (der mir übrigens nach dem Abitur verkündete, ich sei diejenige, die sich von all seinen Schülerinnen am meisten zum Negativen entwickelt habe – danke auch, Dr. C., das war eine pädagogische Meisterleistung) bestand auf der dritten Person. Mir war diese Siezerei ungefähr so zuwider wie Wahrscheinlichkeitsrechnung und Dr. C. selbst, aber es half nichts. Wohl oder übel war ich gezwungen, mich an die Höflichkeitsanrede zu gewöhnen. Warum ich sie nicht mochte? Keine Ahnung. Vermutlich weil es ein erstes Altersanzeichen war. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich früher oder später selbst zu einer Margarete Müller mutieren – und das durfte nicht passieren!

Nun ja – ich lernte, mit dem Sie umzugehen. Langsam. Zum Glück wurde ich während des Studiums allerhöchstens von den Professoren gesiezt, und nicht mal von allen – ein paar Altachtundsechziger waren darunter, die selbst lieber geduzt werden wollten.

Und als ich nach meinem Abschluss als Texterin in einer Werbeagentur anfing, ging es munter mit dem Du weiter. Mit Kunden, die natürlich gesiezt werden mussten, hatte ich ja nicht allzu viel zu tun – schließlich war ich Teil des Kreativteams, nicht Kontakterin.

Noch heute, als freie Texterin und Autorin, bevorzuge ich im Umgang mit Menschen, mit denen ich zusammenarbeite (im Unterschied zu denen, für die ich arbeite), das Du. Was bedeutet, ich duze selbstverständlich meine Netzwerk-Kolleginnen und -Kollegen, meine Agentin und sehr gern auch meine Lektorinnen.

Allerdings kam es immer seltener vor, dass mir jemand das Du anbot. Was mich einigermaßen verwirrte. Ich fragte mich, ob es in der Verlagswelt wohl so viel förmlicher zugeht als in der Werbebranche. Andererseits war die Zusammenarbeit mit den Verlagslektorinnen immer sehr nett, intensiv und produktiv. Ich begriff einfach nicht, warum sie an diesem blöden Sie festhielten! Der Groschen fiel, als ich eine meiner Lieblingslektorinnen auf der Buchmesse traf. Urplötzlich wurde mir bewusst, wie blutjung sie war! Noch keine dreißig. Während ich zu diesem Zeitpunkt schon Ende vierzig war.

Da wurde mir klar, dass ich diejenige war, die ihr das Du anbieten musste – und nicht umgekehrt.

Die Erkenntnis war so bestürzend wie tröstlich. Nein, die Verlagswelt ist keineswegs verknöchert und steif, sondern ich war einfach nur alt. Jedenfalls kam ich mir alt vor mit dieser Siezerei. Weshalb ich diesem Unwesen schnell ein Ende machte.

Inzwischen schlage ich den Lektorinnen, mit denen ich regelmäßig zu tun habe, meist ziemlich bald das Du vor. Und schwupps – komme ich mir so viel jünger vor! Es sei denn, es fällt ihnen so schwer, dass sie es einfach nicht über die Lippen bringen und mich trotz allem weitersiezen. Das ist wirklich, wirklich fies. Bitte nicht machen!

Schlimmer geht immer:

Ihrzen, Erzen & Co.

Heute ist die Sie-Form gängige Höflichkeitsanrede. Das war nicht immer so. Früher galten andere Varianten als besonders ehrerbietig, die einem heute allerdings nur noch albern vorkommen:

  • Die Ihr-Anrede: »Seid Ihr zufrieden, Gnädigste?« Ich wette, wenn das ein Kellner zu Lucinde sagen würde, würde sie vor Lachen vom Stuhl...
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