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Altsteinzeit

Der Weg der frühen Menschen von Afrika bis in die Mitte Europas

AutorJürgen Richter
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783170344105
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Der Mensch hat seit seiner Entstehung und Entwicklung in Afrika einen langen Weg nach Mitteleuropa hinter sich: Er wanderte mehrmals von Afrika nach Eurasien, überlebte Wärmephasen und Kaltzeiten, breitete sich über einen Großteil der bewohnbaren Welt aus und wurde erst vor kurzer Zeit, um 10 000 v. Chr., sesshaft. Diese abwechslungsreiche und spannende Geschichte des Menschen im Paläolithikum wird anschaulich und anhand zahlreicher interessanter Fundobjekte gekonnt nacherzählt. So wird die Entwicklung von den ersten Menschen über die Neandertaler bis zum Homo Sapiens nachvollziehbar gemacht. Am Ende wird verständlich, warum und wie der Anatomisch Moderne Mensch zum 'Erfolgsmodell' wurde und alle seine engen Verwandten verdrängt hat.

Professor Dr. Jürgen Richter lehrt Prähistorische Archäologie am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln und leitet seit 2009 den Sonderforschungsbereich 806: 'Unser Weg nach Europa' der Universitäten Köln, Bonn und Aachen.

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Leseprobe

1


Einführung: Eine Gebrauchsanleitung für das Buch


 

 

»Paläolithikum« (Ältere Steinzeit oder Altsteinzeit) bezeichnet den ältesten Abschnitt der Menschheitsgeschichte von 2,5 Millionen Jahre vor heute bis etwa 10 000 Jahre vor heute, in dem alle Menschen als wandernde Jäger und Sammler lebten. Bisher gab es im deutschsprachigen Raum noch keine Einführung, die den Fachbegriff »Paläolithikum« im Titel führt, vielleicht klang er doch zu sperrig. Das hat sich aber spätestens seit der Ausbreitung der Paleo-diet-Bewegung1 geändert. Viele Menschen sind seitdem, z. B. auch bei ihrer Suche nach einer gesunden Ernährung, auf das Paläolithikum aufmerksam geworden. Berührungsängste mit dem scheinbar sperrigen Begriff dürften also der Vergangenheit angehören.

Das Buch möchte zur Beschäftigung mit dem Paläolithikum anregen, und es liefert Informationen dazu, die ich sehr subjektiv ausgewählt habe. Dabei ist keine Faktensammlung herausgekommen, die irgendwie vollständig sein könnte. Das Buch von Anfang bis Ende durchzulesen, ist möglich, doch vielleicht nicht ausnahmslos empfehlenswert – es kann auch von hinten nach vorn oder schmökernd genutzt werden. Man kann es sich auch als eine Art Führung durch ein imaginäres Museum vorstellen, das mit seinen Räumen und Gängen den Weg, der im Untertitel angekündigt ist, einigermaßen abbildet. Gleichzeitig soll es auch als Begleitbuch zur Ausstellung 2 Millionen Jahre Migration dienen, die im Mai 2017 im Neanderthal Museum in Mettmann begann.2

Viele der angesprochenen Themen habe ich in den letzten Jahren in Aufsätzen und Buchbeiträgen behandelt, aus denen vieles übernommen und nun in den großen Zusammenhang einer »Erzählung« über die »Wege der frühen Menschen« gestellt wird.3 Der Großteil dieser Erzählung basiert aber auf den Forschungen vieler Kolleginnen und Kollegen, denen ich für ihre Ausgrabungen und Ideen meinen Dank und Respekt aussprechen möchte: es lohnt sich, ihren Forschungen nachzugehen, der Fußnotenteil öffnet hierzu die Tür!

Drei Möglichkeiten, den »Weg« nachzuvollziehen


»Der Weg des Menschen von Afrika bis in die Mitte Europas« ist dabei so zu begreifen, dass den Zielpunkt und den Mittelpunkt des Buches unser Paläolithikum in Mitteleuropa bildet, das auch am ausführlichsten behandelt wird. Mitteleuropa lag aber zumeist ganz am Rande der bewohnbaren Welt, und deshalb ist, wie ich zeigen möchte, unser Paläolithikum nur als Ergebnis zahlreicher Migrationen zu verstehen, und nur unter Einbeziehung der Quellgebiete dieser Wanderungen.

Anders gesagt: Das Buch führt uns räumlich von Afrika nach Mitteleuropa, wobei es das, was auf dem Weg liegt, stärker beleuchtet, und das, was am Wegesrand liegt, zumeist im Dunkeln lässt.

Zeitlich gesehen, erfasst dieses Buch überwiegend die Spanne zwischen der Entstehung des Menschen in Afrika (vor 2,5 Millionen Jahren) und der Ankunft der modernen Menschen in Europa (vor 40 000 Jahren). Das entspricht den Perioden »Altpaläolithikum« und »Mittelpaläolithikum« und dem allerfrühesten Teil des »Jungpaläolithikums«; das weitere »Jungpaläolithikum« und das »Spätpaläolithikum« sind demgegenüber nur kurz abgehandelt.

Neben dem räumlichen Weg und dem zeitlichen Weg soll das Buch noch zusätzlich einen methodischen Weg aufzeigen, der in den afrikanischen Kapiteln mit der Schilderung des Wissensstandes, sozusagen als Sekundärliteratur, beginnt und umso mehr ins Detail geht, je weiter der Weg nach Mitteleuropa führt. Methodische Zielpunkte sind die Kapitel zur Arbeitsschrittanalyse bei Faustkeilen und bei der Abschlagherstellung, die den neuesten methodischen Stand im archäologischen Fachkern der Paläolithforschung wiedergeben. Ich hoffe, damit auch meine Studentinnen und Studenten dafür gewinnen zu können, einmal alle Skalen der archäologischen Erkenntnis zu durchschreiten, von der kontinentalen Skala bis hinunter zum gerade noch mit dem bloßen Auge erkennbaren Retuschiernegativ.

Auf dem »Weg« des Buches liegen also Räume, Zeiten und Methoden. Im Hintergrund steht zugleich die Migrationsdebatte, die Europa seit einigen Jahren so kontrovers beschäftigt. Die Archäologie kann dazu beitragen, unser Wertesystem zum Thema »Migration« zu hinterfragen und zu ergänzen.

Migrationen als ein Motor der Menschheitsgeschichte


Migration ist ein entscheidender Faktor in der Menschwerdung (Abb. 1.1): Unsere Vorfahren wurden vor etwa 2,5 Millionen Jahren zu huftierverzehrenden Steppenläufern, die gelegentlich Werkzeuge gebrauchten. Die Konzentration auf die überwiegend karnivore (auf Fleischverzehr basierende) Ernährung begünstigte ihre stärkere Unabhängigkeit von der jeweiligen lokalen Vegetation und damit ihre höhere Mobilität: Homo habilis war deshalb in der Lage, aus Afrika auszuwandern und das menschliche Habitat bis zum Kaukasus auszudehnen. Der Mensch war also von Anfang an ein Homo migrans, ein wandernder Mensch. Unsere weitere Verwandtschaft blieb demgegenüber relativ immobil (Australopithecinen und andere Hominini) und ist heute ausgestorben. Nationalstaaten, die mit ihren künstlichen Grenzen ursprünglich auf der Vorstellung von genetisch, ethnisch, sprachlich und kulturell weitgehend deckungsgleichen »Völkern« aufbauten, passen deshalb nicht zum Menschenbild des Archäologen, der die Migrationsfähigkeit des Menschen als ein Überlebensmoment ansehen muss.

Abb. 1.1: Die Gestalt der Erdoberfläche bestimmte die bevorzugten Wanderungsrouten menschlicher Populationen. Meerengen wirkten selten als Hindernisse, Wüsten und Hochgebirge dagegen umso häufiger.

Homo migrans verbrachte 95 % seines Daseins als Jäger und Sammler und wurde erst vor 10 000 Jahren sesshaft. Ohne Auswanderung und Rückwanderung hätten die Menschen die zahlreichen tiefgreifenden Klimaveränderungen nicht überleben können, seien es Jahrtausende lange Trockenzeiten in Afrika oder ebenso lange Perioden der Eisbedeckung im Norden Eurasiens. Die großen Vereisungen stehen uns in Kürze wieder bevor: In wenigen 1000 Jahren beginnt die nächste Kaltzeit, falls wir den Rhythmus des Erdklimas zuvor nicht durcheinanderbringen. Mehrere 100 Meter mächtige Eisschilde werden sich dann auf dem eurasischen Kontinent ausbreiten und nach einigen Jahrzehntausenden von Norden her bis Hamburg oder Düsseldorf und von Süden her bis nahe an München vordringen. Als Jäger und Sammler konnte die Gattung Homo diese Klimakatastrophen einige Male überleben, aber ob eine Industriegesellschaft damit fertig werden wird, bleibt ein Experiment. Ganz sicher werden Migrationen dabei eine Hauptrolle spielen.

Die Karnivorie führte dazu, dass Humanpopulationen in ein direktes Verhältnis zur Verfügbarkeit von steppenbewohnenden Huftierpopulationen traten, deren Verbreitung das potenzielle Habitat des Menschen bezeichnete. Die erste Migration der Gattung Homo, die um 1,8 Millionen Jahre vor heute abgeschlossen war, führte daher zu einem mehr oder weniger zusammenhängenden Siedlungsgebiet des Menschen zwischen dem südafrikanischen Kap der Guten Hoffnung und dem russischen Kaukasus, das allerdings die Regenwaldzone ausschloss. Der Übergang von der gemischten Ernährung (Omnivorie), die eigentlich unserer biologischen Ausstattung entspricht, zur Karnivorie war bereits eine sozio-kulturell gesteuerte Wahl und setzte die Nutzung von Werkzeugen offensichtlich voraus. Die Ausbreitung der Menschen, die damit einherging, folgte also der Ausdehnung der Habitate. Anders sieht es vielleicht bei der oben erwähnten, für uns Europäer noch wichtigeren Migration um 60 000 bis 40 000 Jahre vor heute aus. Wenn hier das Niltal tatsächlich die entscheidende Route war, kann es sich dabei nur um sehr kleine, stark linear und wohl auch relativ schnell wandernde Populationen gehandelt haben. Hierzu gibt es aber auch alternative Hypothesen, die auf verschiedenen möglichen Habitaten basieren (Ostsahara, ägyptische Ostwüste, arabische Halbinsel).

Diese Ausbreitung des modernen Menschen und der naturräumliche Kontext dazu ist das Thema eines Sonderforschungsbereiches der Universitäten Köln, Bonn und Aachen (SFB 806 Our Way to Europe), der seit 2009 die Regionen, die in diesem Buch vorkommen, mit rund 80 Mitarbeitern in etwa 20 verschiedenen Arbeitsgruppen aus Geologie, Geographie, Geoarchäologie, Archäologie, Ethnologie und Philosophie erforscht.4

Praktische Hinweise


Die...

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