1. KAPITEL
MEILENSTEINE
Der VfB Stuttgart zählt zu den größten und erfolgreichsten Traditionsvereinen im deutschen Fußball. Die Meilensteine zeigen einige wesentliche Entwicklungsschritte in der nun 125-jährigen Geschichte des Klubs auf.
| Warum der Kronen-Club und der Fussballverein Stuttgart fusioniert haben |
Eine vorausschauende Kaderplanung und eine gute Infrastruktur sind heute ein Muss für jeden Profi-Klub. Doch schon bei der Gründung des VfB Stuttgart sollten diese beiden Faktoren eine bedeutende Rolle einnehmen. Denn Ende des 19. Jahrhunderts erlebte auch Stuttgart einen ersten Fußball-Hype. Im Osten der Stadt erblickte am 9. September 1893 der Fussballverein Stuttgart das Licht der Öffentlichkeit. 20 Mitglieder versammelten sich im Gasthaus »Zum Becher« in der Kernerstraße 8, um den neuen Klub ins Leben zu rufen.
Zunächst war der FV Stuttgart vor allem im Rugby erfolgreich – 1909 wurde die deutsche Vize-Meisterschaft errungen. Einzig im Finale unterlag die Mannschaft dem FC Hannover 1897 mit 3:6.
Auch der Fußball selbst wurde zum Steckenpferd des Klubs. Allerdings: Der FV besaß ein infrastrukturelles Problem: Er konnte nicht regelmäßig auf einem ordentlichen Platz Fußball trainieren und spielen. Die heutige Vereinsseite des VfB Stuttgart listet das damalige Problem chronologisch auf: Zunächst spielte der FV auf der Eisbahn am Stöckach, dann ging es zum Cannstatter Wasen weiter. Doch die Behörden untersagten kurze Zeit später den Spielbetrieb auf dem Wasen. Unter anderem brauchte das Militär Platz zum Exerzieren. Es ging wieder zurück auf den etwas verschönerten, aber dennoch schiefen Platz in Stöckach. 1907 fand der Klub eine neue Spielstätte, den »Rugby-Platz« am Karl-Olga-Krankenhaus.
Insgesamt waren die Rahmenbedingungen für den FV nicht zufriedenstellend, obwohl es sportlich immer besser lief. 1912 hatte der Fussballverein Stuttgart die große Chance, durch Relegationsspiele in die Südkreisliga aufzusteigen, die damals höchste Liga.
Einige Monate zuvor brachte die Klubführung den Gedanken ins Spiel, womöglich mit einem benachbarten Klub zu fusionieren: dem im September 1897 gegründeten Cannstatter Kronen-Klub. Denn der Kronen-Klub wiederum besaß eine Top-Spielstätte in Stuttgart-Münster (heute: Neckartalstraße 261) und war mit einigen guten Spielern bestückt, auch wenn der Verein selbst gerade keinen sportlichen Erfolg verbuchen konnte.
Zu ersten Gesprächen der Vereinsvertreter kam es im Spätsommer 1911 im Hotel Concordia, es folgte ein gemeinsames Freundschaftsspiel gegen Inter Mailand – und in der Folge schlossen sich am 2. April 1912 der Cannstatter Kronen-Klub und der FV Stuttgart zum Verein für Bewegungsspiele (VfB) Stuttgart zusammen. Das Gründungsdatum des FV wurde für den VfB beibehalten: 9. September 1893.
Im September 1912 setzte sich der VfB durch einen Treffer in der Schlussphase gegen den FC Mühlburg (einen Vorläuferklub des Karlsruher SC) mit 1:0 durch und machte den Aufstieg in die neue Südkreisliga, die höchste deutsche Spielklasse, perfekt.
| 2014: Der VfB arbeitet seine Rolle in der Nazi-Zeit intensiv auf |
Fußballvereine und Verbände in Deutschland haben meist erst im neuen Jahrtausend damit begonnen, ihre jeweilige Rolle in der Nazi-Zeit intensiv aufzuarbeiten. 2014 engagierte der VfB auf professioneller Basis den Historiker Florian Gauß, um die Rolle des VfB in der Zeit zwischen 1933 und 1945 intensiv zu beleuchten. Gauß wiederum hat 2016 einen externen Historiker mit ins Boot geholt, um das Geschehen weiter wissenschaftlich exakt darzulegen.
Einen Anstoß zur Diskussion lieferte das 2005 von dem Historiker Nils Havemann veröffentlichte Buch Fußball unterm Hakenkreuz (Campus Verlag). Sein Urteil lautete: Der VfB habe neben dem FC Schalke 04, Werder Bremen und dem TSV 1860 München zu den vier nationalsozialistischen Vorzeigevereinen gezählt.
Unter anderem übernahm Hans Kiener 1931 die Führung des VfB. Kiener war damals, zwei Jahre vor der Machtergreifung Hitlers, bereits überzeugtes NSDAP-Mitglied. 1932 stellte er den vereinseigenen Cannstatter »Platz bei den drei Pappeln« für eine Nazi-Großveranstaltung zur Verfügung, und auch die Arisierung des Klubs, also die Verbannung aller Juden aus dem Verein, ging beim VfB besonders schnell vonstatten. Kiener blieb bis 1944/45 formal Klubchef und wurde später in den Ältestenrat des Vereins berufen.
Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben: 1932/33 traten zahlreiche Mitglieder freiwillig aus, was nahelegen könnte, dass ein Teil der VfB-Mitglieder damit seinen Protest gegen das radikale Vorgehen der Vereinsführung ausdrücken wollte. Weitere Forschungsergebnisse in den kommenden Jahren sollten darüber noch mehr Aufschluss geben.
Jedenfalls erlebte der VfB in den 1930er-Jahren seine erste sportliche Blütephase: 1933 gewann das Team den Süddeutschen Pokal, 1935 erreichte es das Finale um die deutsche Meisterschaft in Köln (4:6-Niederlage gegen Schalke), und 1937 langte es zum Sieg im kleinen Finale und zu Platz drei.
| Erfolg hat einen Namen: Fritz Walter |
Stuttgart lag nach Kriegsende 1945 in Trümmern, doch Funktionäre, Spieler und Freunde des VfB Stuttgart packten ab Mitte 1945 schnell und geschickt mit an, um das Vereinsleben wieder in Gang zu setzen. Wesentlichen Anteil am Aufschwung des VfB in der Nachkriegszeit hatte Fritz Walter. Nein, nicht jener deutsche WM-Held von 1954, auch nicht jener Torjäger, der 1992 den VfB zur Meisterschaft schoss, sondern jener Fritz Walter, der am 15. März 1900 in Cannstatt geboren wurde, dem VfB 1919 als Mitglied beitrat, promovierte, als Lehrer arbeitete und den Verein von 1944 bis 1968 als Klub-Präsident führte.
Walter, genannt »der Doktor«, kümmerte sich nicht nur um den VfB Stuttgart, er nahm nach 1945 auch schnell Kontakt zur Politik auf und trieb die Gründung einer neuen Fußball-Eliteliga voran. Der VfB zählte zu den Gründungsmitgliedern der süddeutschen Oberliga und schloss die erste Saison auf Platz eins ab. Auch dank des strategischen Geschicks von Walter blieb der VfB fortan ein Top-Klub in Deutschland.
So sollte unter seiner Ägide der Klub den Titeln nach seine erfolgreichste Zeit erleben: 1950 gewann der VfB Stuttgart vor 96 000 Zuschauern in Berlin seine erste deutsche Meisterschaft (2:1 gegen Kickers Offenbach). Die Stadtbevölkerung feierte die Spieler bei ihrer Rückkehr frenetisch. Der Meistertitel 1952 und die Final-Teilnahme 1953 folgten. Hinzu kamen die Pokalsiege 1954 und 1958.
Auch von Bedeutung: Mit den konstanten Erfolgen hatte der VfB die Stuttgarter Kickers als Fußballklub Nummer eins in der Stadt abgelöst.
Dennoch bleibt das Ende der Ära Walter tragisch. Der VfB Stuttgart zählte 1963 zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga, doch der vom Erfolg verwöhnte Klub erreichte meist nur einen Platz im Tabellen-Mittelfeld. Walter weigerte sich, den Klub zu professionalisieren und mehr Geld für Spieler auszugeben.
1968 übernahm deshalb der Verleger Hans Weitpert das Amt, doch auch eine höhere Ausgabenpolitik sollte den fast stetigen Abstieg des VfB nicht stoppen können: 1975 rutschte der VfB erstmals in die zweite Bundesliga ab, Weitpert hatte kurz zuvor den Posten als Klubchef geräumt.
| »Patriarch« Mayer-Vorfelder führt den VfB an die Spitze zurück |
Als Gerhard Mayer-Vorfelder 1975 das Amt des Präsidenten übernahm, glaubte wohl kaum einer, dass er ein Vierteljahrhundert lang den Verein entscheidend prägen würde. Mayer-Vorfelder legte einen Fehlstart hin und konnte 1975 den VfB nicht mehr vor dem Abstieg in die zweite Liga retten.
Auch der sofortige Wiederaufstieg wurde verfehlt: Stuttgart belegte 1976 nur Platz elf in der Tabelle der zweite Liga und von einem Zuschauermagnet VfB konnte ebenfalls keine Rede sein. Am 35. Spieltag beim 2:3 gegen den SSV Reutlingen kamen nur 2500 Zuschauer in das Neckarstadion.
Die zwischenzeitliche 2:1-Führung erzielte übrigens Ottmar Hitzfeld, der später als Trainer in Dortmund (1997) und München (2001) die Champions League gewinnen sollte.
Zur Saison 1976/77 verpflichtete Mayer-Vorfelder Jürgen Sundermann als neuen Trainer – und sollte damit einen Glücksgriff landen. Stuttgart erzielte 100 Tore in 38 Spielen und stieg als Meister der Südstaffel in die Bundesliga auf.
In fünf der darauffolgenden sechs Saisons erreichte Stuttgart einen Platz unter den Top Vier der Tabelle. 1984 gewann der VfB seine erste Meisterschaft im Bundesliga-Modus. Nach einem kurzen Tief etablierte sich Stuttgart ab 1987/88 erneut als Top-Team – und unter Christoph Daum holten die Schwaben 1992 ihren vierten Meistertitel.
Mitte der...