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Das Mädchen mit den zwei Blutgruppen

Unglaubliche Fallgeschichten aus der Medizin. Erweiterte Neuausgabe

AutorMartina Frei
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl270 Seiten
ISBN9783732561711
Altersgruppe16 – 99
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Wussten Sie, dass sich eine verrutschte Kunstlinse durch eine Fahrt mit der Achterbahn wieder in die richtige Position bringen lässt? Dass man auch mit einem 30 Zentimeter langen Messer im Rücken meilenweit laufen kann? Dass ein Arzt während einer Notoperation den Patienten vor einer tödlichen Hirnblutung mit dem Kaugummi des Assistenten rettete? Die Ärztin und Wissenschafts-Journalistin Martina Frei hat in diesem Buch die schrägsten und unglaublichsten Fallgeschichten aus der Welt der Medizin gesammelt.Nach der Lektüre werden Sie wissen: Heilung ist möglich. Manchmal sogar ohne Arzt.

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Leseprobe

Überraschende Heilverfahren


Eine Fülle unglaublicher Behandlungsmethoden sind den Ärzten entweder unbekannt, oder sie schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie nur davon hören. Dabei handelt es sich teilweise um Heilverfahren im wahrsten Sinn des Wortes. Wer im Krankheitsfall nicht alles dem Arzt überlassen will und gern selbst Hand anlegt, sei auf die folgenden Methoden verwiesen. (Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.)

Die Pantoffelbehandlung


Wer schlecht sieht, könnte zum Beispiel seinen Partner bitten, einen Schuh zu schmeißen, so wie im Fall eines alten Ehepaares mit Hund in Großbritannien.

Genervt vom Kläffen seines Hundes warf der Ehemann einen Pantoffel nach dem Tier. Dummerweise traf er stattdessen seine Ehefrau am Auge – woraufhin diese besser sah: Ihre Welt war mit einem Mal bunter, die Farben leuchteten stärker, und das Tageslicht blendete sie weniger. Der trübe Schleier vor ihrem Auge hatte sich endlich gelüftet, dank dem beherzten Wurf.

Deshalb sah die 86-Jährige auch zunächst keinen Grund, zum Doktor zu gehen. Als sie nach einer Woche schließlich doch Augenärzte zurate zog, wurde aus dem wundersamen Ereignis eine »traumatische Dislokation der Augenlinse« – die Wucht des fliegenden Pantoffels hatte ihre getrübte Augenlinse aus der Sehachse befördert.

Wie nahezu alle über 65-Jährigen hatte auch die Frau des Pantoffelwerfers Grauen Star. Meist ist die Katarakt, wie der Graue Star im Medizinerlatein heißt, altersbedingt. Das Eintrüben der Linse kann auch Folge von Augenverletzungen sein, von Stoffwechselstörungen wie Diabetes, zu viel Cortison-ähnlichen Medikamenten oder Röntgenstrahlen. Es kommt sogar bei Kindern vor, zum Beispiel wenn sie im Mutterleib eine Rötelninfektion durchgemacht haben.

Eine Behandlungsmethode war bereits im alten Babylon bekannt – wenn auch nicht mit dem Hausschuh, sondern mit einem spitzen Gegenstand. Der »Starstecher« setzte seitlich an der Augenhornhaut einen Schnitt, schob eine spitze Starnadel bis zur Linse vor und drückte diese aus der Sehachse nach unten, in den Glaskörper des Auges. Nach getaner Arbeit machte sich der Operateur tunlichst aus dem Staub, um nicht für die oft folgende Augeninfektion haften zu müssen.

Heute arbeiten die Augenärzte gründlicher: Sie entfernen meist den vorderen Teil der Linsenkapsel und das trübe Linsenmaterial. Weil die Linse eine Brechkraft von etwa 18 Dioptrien hat, wird dem Patienten bei der Operation in der Regel noch eine Kunstlinse eingesetzt, andernfalls wäre er stark weitsichtig.

Wird die Linse nur in den Augenglaskörper verschoben, wie bei der 86-Jährigen, steigt ziemlich sicher der Druck im Sehorgan oder es kommt zur Entzündung. Das kann ins Auge gehen und zur Erblindung führen, auch wenn die Sehkraft sich kurzfristig bessert. Deshalb rieten die Augenärzte der Seniorin zur Operation.

Der Ehemann der Patientin, der sich ungewollt als Starstecher betätigt hatte, litt übrigens ebenfalls beidseitig am Grauen Star – was vielleicht seine mangelnde Wurfgenauigkeit erklärt.

Therapie mit Nervenkitzel


Sollte die Kunstlinse jemals verrutschen, gibt es eine sehr vergnügliche Behandlung. Entdeckt hat sie vor einigen Jahren ein junger Mann. Normalerweise sah der 19-Jährige die Welt durch gleichmäßig runde Pupillen, damals aber war eine seiner Pupillen schräg schlitzförmig.

Schuld daran war ein Schlag auf das rechte Auge. Dabei wurde seine Kunstlinse aus der Augenkammer hinter der hellblauen Iris vor diese katapultiert. Die künstliche Linse war ihm im Alter von acht Jahren eingesetzt worden, weil seine eigene infolge eines Unfalls eingetrübt war.

Am Zürcher Universitätsspital tröpfelten die Ärzte dem jungen Mann ein Medikament ins Auge, das die Pupille erweiterte. Dadurch, so hofften sie, würde die Linse ihren Weg zurückfinden. Leider glückte das nur bedingt – die diskusförmige Kunstlinse rutschte zur Hälfte wieder an den richtigen Ort. Die andere Hälfte aber war weiterhin in der vorderen Augenkammer zu sehen, und das rechte Auge des Mannes ähnelte nun eher einem Schlangenauge als dem eines Menschen. Also wurde ein Operationstermin anberaumt.

Am Wochenende davor gönnte sich der 19-Jährige in einem Vergnügungspark noch drei Fahrten im Silver Star, eine der größten Achterbahnen Europas. Bis auf eine Höhe von 73 Metern werden die Wagen dort hochgezogen – dann stürzen sie mit fast 130 Kilometer pro Stunde in die Tiefe, um kurz darauf raketengleich wieder nach oben zu jagen. Fliehkräfte von bis zu vier g, der vierfachen Fallbeschleunigung, wirken dabei auf die Passagiere.

Durch den Nervenkitzel weiteten sich bei dem Patienten vermutlich die Pupillen – eine Wirkung des Stresshormons Adrenalin, das in solchen Situationen ausgeschüttet wird. Die enormen Kräfte in der Achterbahn erfassten auch seine Kunstlinse. Einige Stunden nach dem Höllenritt fiel dem 19-Jährigen auf, dass sie wieder am richtigen Ort saß. Dank dem Silver Star war sie in die hintere Augenkammer zurückgedrückt worden. So sparte die Krankenkasse des Patienten viel Geld. Außerdem waren die Fahrten bedeutend schöner als diejenige in den Operationssaal.

Noch ist die Achterbahntherapie allerdings eine Außenseitermethode, fern der offiziellen Anerkennung. Dabei könnten auch andere Patienten davon profitieren, wie die folgende Geschichte zeigt.

Genesen wie im Märchen


Wenn künftig Schwindelkranke auf Jahrmärkte pilgern, können sich die Schausteller bei einem Wissenschaftler in Bayern bedanken. Er hat eine höchst unterhaltsame Behandlungsmethode gegen die lästigen Gleichgewichtsstörungen entdeckt. Und er ist ein Paradebeispiel für eine geradezu märchenhafte Heilung.

Kaum setzte er sich auf, schwindelte dem damals 42-jährigen Mann. Bewegte er den Kopf nach links: Schwindel. So ging das seit rund vier Wochen, und es wurde immer schlimmer. Die Schwindelattacken traten mehrfach täglich auf und dauerten bis zu zehn Minuten. Sogar nachts erwachte er mit Schwindel und Brechreiz.

Auf Anraten eines Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten machte der Patient dreimal täglich eine Übung, bei der er den Kopf zur Seite drehen und sich hinlegen musste. Doch es wurde nur noch schlimmer – bis er einen »Märchenwald« besuchte und dort ein Eichhörnchen ritt.

Seine Kinder durften in dem Freizeitpark bei München nämlich nicht ohne Begleitung Erwachsener Achterbahn fahren. Also opferte sich der Vater für zwei Fahrten in der »Oachkatzelbahn« (Eichkätzchenbahn). Der Erfolg war unmittelbar und dauerhaft: Sein Schwindel war weg.

Die Beschleunigungskräfte der Bahn katapultierten vermutlich kleine Kristalle in seinem Innenohr irgendwohin, wo sie nicht mehr störten. Damit war der »gutartige anfallsweise Lagerungsschwindel«, an dem der Familienvater gelitten hatte, geheilt. Keine andere Schwindelform ist so häufig wie diese.

Schuld daran sind kleine Kalziumkarbonatkristalle, die auf Beschleunigungsrezeptoren im Innenohr sitzen. Das Innenohr besteht (unter anderem) aus drei winzigen, gebogenen Gängen. Sie sind mit Flüssigkeit gefüllt. Bewegt sich der Mensch, bleibt die Flüssigkeit aufgrund ihrer Trägheit zunächst zurück. Feine Sensoren registrieren diese Auslenkung und melden die Beschleunigung dem Hirn.

Bei Erschütterungen (etwa durch einen Kopfball), im Zusammenhang mit manchen Virusinfekten oder auch spontan, können kleine Kristalle abreißen und in der Flüssigkeit schwimmen. Dann gehen die Probleme los.

Bei Bewegungen des Kopfes rutschen die »Ohrsteinchen« mit einer kleinen Verzögerung an die tiefste Stelle in den Bogengängen. Dieses Nachrutschen registrieren die Sensoren, die dem Hirn »Beschleunigung!« melden, wo gar keine (mehr) ist. Gelingt es, die Teilchen in eine Position zu bringen, wo sie nicht mehr stören, ist der Spuk vorüber. Deshalb raten Ärzte zu bestimmten Bewegungsübungen.

Der geheilte Wissenschaftler dagegen schwört auf die Achterbahn. Sicherheitshalber und zur Vorbeugung fährt er noch einmal pro Jahr auf dem Münchner Oktoberfest.

Kaum jedoch hatte er seinen bemerkenswerten Fall in einer Fachzeitschrift bekannt gemacht, meldeten Schwindelexperten aus Berlin Bedenken an. Man könnte nun argwöhnen, sie seien von der Angst um ihre Einnahmen getrieben worden: Was, wenn alle Schwindelpatienten in Zukunft Freizeitparks aufsuchen, anstatt zum Arzt zu gehen? Doch diese Neurologen waren wirklich besorgt.

Sie hatten nämlich genau das Gegenteil gesehen: eine 25-jährige Patientin, die ihren ersten Lagerungsschwindel ausgerechnet durchs Achterbahnfahren bekam. Von dem 50-jährigen Kunstflieger, den sie ebenfalls behandelt hatten, gar nicht zu reden. Just, als er mit dem Flugzeug einen Looping drehte, verwirrten herumschwimmende Ohrsteinchen seinen Gleichgewichtssinn. Selbst »gutartiger« Schwindel kann in so einer Situation ziemlich gefährlich werden.

Rasend schnell kuriert


Überraschend schnelle Heilung winkt in besonderen Fällen auch bei Rückenschmerzen. Für diese Behandlung sind nötig: eine schusselige Krankenschwester, ein abschüssiger Flur und ein Bett auf Rädern. Wer es ganz genau wissen will, frage am besten Frau Hubmann in Köln, die an der Bandscheibe operiert werden sollte.

Die Pflegekraft hatte noch etwas vergessen und parkte deshalb das Klinikbett – mit der Patientin darin – am Rand des leicht abschüssigen Flurs. Dummerweise arretierte sie dieses nicht. Das Bett fing an zu rollen, wurde schneller und schneller, die Patientin kreischte auf – und donnerte am Ende des Gangs in ihrem Bett gegen die Wand. Aber: Ihre Bandscheibenprobleme hatten sich damit erledigt, die Operation wurde abgeblasen.

Orthopäden...

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