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Unternehmerisches Wagnis in der stationären Pflege

Rechtslage und Quantifizierung der Vergütung unter besonderer Berücksichtigung der Regelungen des dritten Pflegestärkungsgesetzes

AutorBenjamin Herten, Eva-Maria Hoff, Frierich Detlef, Michael Uhlig, Plantholz, Thomas Neldner
VerlagMedhochzwei
Erscheinungsjahr2018
ReiheGesundheitswesen in der Praxis 
Seitenanzahl112 Seiten
ISBN9783862164349
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis98,99 EUR
Im dritten Pflegestärkungsgesetz hat der Gesetzgeber explizit die Berücksichtigung eines 'angemessenen Unternehmerrisikos' im Rahmen der Pflegevergütung für die Träger der stationären Einrichtungen und ambulanten Pflegedienste verankert. Die Konkretisierung bleibt den Akteuren der Selbstverwaltung auf Landesebene und den Betreibern und Kostenträgern im lokalen Verhandlungsgeschehen überlassen. Hier gehen die Vorstellungen zum Unternehmenswagnis weit auseinander. Den Verhandlungspartnern aber auch den Schiedstellenverantworlichen stellt sich die Frage: Wie ist das das Unternehmenswagnis zu beschreiben und zu quantifizieren? Das IEGUS Institut für Europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft hat im Auftrag des Bundesbandes privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) in Zusammenarbeit mit der contec Unternehmensberatung eine Studie durchgeführt in deren Mittelpunkt - zunächst für die stationäre Pflege - die Definition der Begrifflichkeiten, die notwendige Beschreibung der Kalkulationsmethodik und auch die Quantifizierung steht. Die wesentlichen Risikofaktoren der Branche wurden analysiert und bewertet. Eine Kalkulationsmethodik wurde erarbeitet und eine erste Berechnung des Unternehmerischen Wagnisses vorgenommen. Einbezogen in die Studie wurden die Expertise und die betrieblichen Kennziffern von privaten und freigemeinnützigen Trägern mit insgesamt mehr als 500 Pflegeheimen. Die IEGUS -Studie wurde durch einen Expertenbeirat mit maßgeblichen Vertretern der Wissenschaft, der Unternehmensberatung, finanzierenden Banken und sehr erfahrenen ehemaligen Führungskräften aus Pflegekassen und Verbänden begleitet. Die Studie hat die Zielsetzung in dem heute sehr komplexen Entgeltverhandlungsgeschehen eine (quantifizierte) Orientierung zu geben und auch die Voraussetzungen für Vereinfachungen in diesen Verfahren zu schaffen.

Geschäftsführer des IEGUS Institutes sowie Gründer der contec Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH. Nach Tätigkeit am Max-Planck Institut ist er seit 30 Jahren beratend und forschend in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft aktiv. Mitinitiator der Deutschen Gesellschaft für Controlling in der Sozialwirtschaft (DGCS) sowie der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung (DGIV).

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Leseprobe

1 Zusammenfassung


Alle in einer marktwirtschaftlichen Ordnung agierenden Unternehmen sehen sich in ihrer Tätigkeit mit Risiken konfrontiert. Dies trifft auch auf die Unternehmen der Pflegewirtschaft zu. Die Pflegeversicherung in Deutschland wurde mit einer ausdrücklich wettbewerblichen Ordnung gestaltet, gleichwohl sie von einem hohen Regulierungsgrad gekennzeichnet ist. Auf den Bereich der stationären Pflege wirken derzeit insbesondere die Maßgaben der Pflegestärkungsgesetze (PSG) I bis III.

Zur Frage der (ökonomischen) Unternehmensrisiken ist im Pflegestärkungsgesetz III (mit Wirkung auf § 84 Abs. 2 SGB XI) verankert, dass die Träger der Pflegeeinrichtungen – gemäß Gesetzesbegründung – über einen Anspruch auf die „Deckung der voraussichtlichen Gestehungskosten, unter Zuschlag einer angemessenen Vergütung des Unternehmerrisikos und eines etwaigen zusätzlichen, persönlichen Arbeitseinsatzes (des Unternehmers) sowie einer angemessenen Verzinsung des Eigenkapitals“ verfügen. In der Branche besteht hohe Unsicherheit, wie in diesem Rahmen das ‚Unternehmerrisiko‘, und darin auch die ‚Gewinnerwartung‘, abzugrenzen und zu kalkulieren ist. Der Gesetzgeber hat dies bewusst der regionalen Bestimmung und Aushandlung überlassen. Sowohl in den Selbstverwaltungsgremien auf Landesebene, die die Rahmenbedingungen der Entgeltkalkulationen für die Pflegeeinrichtungen über die Landesrahmenverträge bzw. die Kalkulationsmuster zu definieren haben, als auch in de facto jeder Pflegesatzverhandlung selbst sind diese Fragen zu behandeln.

Mit der vorliegenden Studie werden die wesentlichen Risikofaktoren der Branche zusammengetragen, die Fragen der Qualifizierung und Quantifizierung des Risikoaspektes überblickhaft bearbeitet und Empfehlungen abgeleitet. Für ‚Risiko‘ wird im Folgenden zumeist der Begriff des Wagnisses verwendet, da er definitorisch in höherem Maße dem hier gegenständlichen Klassifizierungsansatz gerecht wird.

Für die parallele Sicherung von Wissenschaftlichkeit, Praxisnähe und Ergebnisreflektion wurde die Bearbeitung der Studienthematik von je einem Experten- und einem Arbeitsgremium mit Vertretern von Unternehmen unterschiedlicher Trägergruppen, der Kostenträgerebene, Juristen, Vertretern von Bankinstituten und Wissenschaftlern begleitet.

Die Ableitungen und Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Aus der Aufarbeitung der in Rechtsprechung sowie betriebswirtschaftlicher Literatur nicht immer stringenten Begriffsdefinition folgte für die Thematik dieser Studie die Entscheidung, ‚unternehmerisches Wagnis‘ als Oberbegriff für die Gesamtheit der zu betrachtenden Wagnisse bzw. Risiken zu wählen. Darin wird wiederum unterschieden zwischen ‚allgemeinem unternehmerischen Wagnis‘, das sich aus einer branchenunabhängigen und einer branchenspezifischen Komponente zusammensetzt sowie betrieblich-spezifischen Einzelwagnissen als Elementen der Kalkulation der voraussichtlichen prospektiven Gestehungskosten. ‚Wagnisse‘ spiegeln dabei den inhaltlich treffenden betriebswirtschaftlichen Begriff wider, der die relevanten ‚Risiken‘ immer einschließt.

Wichtige Einflussfaktoren der im Folgenden kurz dargelegten Ergebnisse der Qualifizierung und Quantifizierung der Wagnisse wurden im Zuge einer spezifisch ausgewählten Methodik der Risikoaggregation1 hergeleitet. Die Herausarbeitung der Einflussfaktoren verdeutlicht dabei aktuell ein – im Vergleich zur Perspektive eines angenommenen branchenfremden Unternehmertums in Deutschland – leicht überdurchschnittliches Wagnis, als Unternehmer im Sektor der stationären Altenhilfe tätig zu sein.

Im Einzelnen:

  • a) Für die Höhe des Anspruches auf Anerkennung eines allgemeinen – branchenunabhängigen – unternehmerischen Wagnisses wird eine Orientierung auf einen Wert von 4 % als Zuschlag auf das zu verhandelnde Gesamtbudget für Pflegesätze sowie die Beträge für Unterkunft und Verpflegung vorgeschlagen. Die Quantifizierung erfolgt mit Blick auf die mittlere Umsatzrendite deutscher Unternehmen in einem hinreichend langen, retrospektiv betrachteten Zeitraum. Maßgebliche Grundlage sind repräsentativ gewählte Unternehmensdatenanalysen der Deutschen Bundesbank. Damit wird das generelle Wagnis, als Unternehmer in Deutschland zu agieren und mittel- und langfristigen Anforderungen präventiv begegnen, für „externe Schocks“ gewappnet sein, Investitionen tätigen und Innovationen gestalten zu müssen, abgebildet. Eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitaleinsatzes ist hier insoweit zu berücksichtigen, als ein Unternehmer zwar die Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg im Blick hat, gleichzeitig aber auch für das Verlustrisiko einzutreten hat.
  • b) Des Weiteren ist nach dem branchenspezifischen (Wagnis-) Faktor für die allgemeinen Umfeldrisiken des Unternehmertums im Sektor der ‚stationären Altenhilfe‘ zu fragen. Ermittelt wurde ein Zuschlag in Höhe von 0,84 bis 1,62 % auf das allgemeine unternehmerische Wagnis, hergeleitet nach einem Verfahren der Risikoaggregation, das insgesamt 50 Branchenrisiken in den Blick nimmt und dabei auch Chancen inkludiert. Das allgemeine unternehmerische Wagnis aus a) aggregiert sich somit zu 4,84 bis 5,62 %. Die Herleitung – inklusive der Differenzierung, die regionale Spezifika abbildet – erfolgt in den Feldern ‚Demografische Entwicklung‘, ‚Politische Rahmenbedingungen‘ (Politik und Recht), ‚Marktumfeld‘ (inhaltlich dominant: Arbeitsmarkt; weiterhin: Beschaffungsmarkt, Kapitalmarkt, Leistungsangebot) und ‚Innovation und Technik‘ sowie ‚Ökologische Aspekte‘. Jeder einzelne der 50 Risikofaktoren wurde herausgearbeitet und fließt im Zuge der Risikoaggregation über einen Erwartungswert, gebildet aus voraussichtlicher Ausprägung und Eintrittswahrscheinlichkeit, in die Ermittlung ein. Abschnitt 5 zeigt die konkreten Ergebnisse des zu berücksichtigenden Wagnisses inkl. der branchenspezifischen Perspektive. Ergebnistreibend sind die (aktuelle und perspektivisch erwartete) Situation auf dem Pflege- und Führungskräfte-Arbeitsmarkt sowie Teile der gesetzlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, deren Wirkung nicht durch die Chancen wie insbesondere die demografische Entwicklung als hohes Nachfragepotenzial oder die Verlässlichkeit von Institution (Kostenträger) als wichtige Träger der Leistungen kompensiert werden können.
  • c) Dieses allgemeine unternehmerische Wagnis ist im Verhältnis zu den detaillierten Kalkulationsgrundlagen für die – in der Regel jährliche – Herleitung des Budgets für die Bestimmung der Vergütungssätze abzugrenzen. Bei dieser Herleitung der Budgets handelt es sich um eine Preiskalkulation, deren Bestandteile auch von operativen Unsicherheiten bei der prospektiven Planung der einfließenden ‚Gestehungskosten‘ gekennzeichnet ist. Die Bearbeitung erfolgt entlang der Leistungs-, Erlös- und Kostenarten der Pflegeeinrichtungsbetriebe und findet jeweils Eingang in die Kalkulation im Zuge des Pflegesatzverfahrens nach § 85 SGB XI. Die Studie enthält Hinweise mit Empfehlungscharakter zum Vorgehen in diesen Kalkulationsprozessen, die allerdings nicht vollständig die vom Gesetzgeber gewollte spezifische Abbildung der Konstellation der einzelnen Pflegeeinrichtung ersetzen können. Aufgrund der konzeptionellen und strukturellen Unterschiede zwischen den Pflegeeinrichtungen sind die Hinweise zur einrichtungsindividuellen Quantifizierung der unsicheren Komponenten (betrieblich-spezifische Einzelwagnisse) in der Kalkulation der prospektiven Gestehungskosten (als Grundlage der Herleitung der Entgelte) vor allem als Checkliste der relevanten Punkte der Kalkulation zu sehen. Es wird verdeutlicht, dass sich Wagnisse aus operativ regelhaft auftretenden Risikoarten ergeben, die nicht hinreichend genau durch Leistungs-, Erlös- und Kostenentwicklungen prognostizierbar sind. Diese Komponenten enthalten keine Gewinnerwartungen und können nicht durch das allgemeine unternehmerische Wagnis abgedeckt werden. Dies ist für die adäquate Methodik einer Preiskalkulation, auch auf einem teilregulierten Markt, erforderlich und unternehmerisch selbstverständlich.
  • d) Die vorgenommene Klassifizierung von insgesamt 50 Branchenrisiken und die Ableitung der Auswirkungen (Sensitivität) dieser Risiken auf das wirtschaftliche Ergebnis sowie die Empfehlungen zum Umgang mit den unsicheren Faktoren bei der Herleitung der prospektiven Gestehungskosten, wurden auf dem Wege eines Mix aus Verwertung von branchenrelevanten Studien und einer Unternehmensbefragung mit Erhebung betrieblicher Daten vorgenommen. Zur Entwicklung der Quantifizierungsansätze dieser Studie wurden eine Vielzahl der zugänglichen Daten und Studien zur Branche verwertet und zudem spezifisch erhobene Unternehmensdaten von insgesamt 541 Pflegeeinrichtungen im Sinne einer Ersterfassung für die gegenständliche Thematik herangezogen.2
  • e) Es wird empfohlen, die Ableitungen der Studie, insbesondere mit ihren orientierenden Aussagen zur Quantifizierung, in einem Zeitraum von zwei Jahren zu evaluieren. Verschiedene Prognoseannahmen für die prospektive Kostenkalkulation (inklusive Betrachtung spezifisch operativer Risiken) sind jährlich zu überprüfen. Bei maßgeblicher Änderung in den gesetzlichen Rahmenbedingungen ist unmittelbar die Anpassung zu prüfen.
    Als roter Faden zieht sich das Bild der sehr hohen Komplexität, starken regionalen Differenziertheit und Detailtiefe der Wege zur Ermittlung der Vergütungssätze für stationäre Pflegeeinrichtungen durch die gesamte Studie. Für die Aufgabenstellung war es notwendig,...
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