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Lesereise England

Besenflug im Schlossgarten

AutorStefanie Bisping
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2018
ReihePicus Lesereisen 
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783711753625
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Windumtoste Klippen, grüne Hügel, üppige Rosen- und duftende Kräutergärten: England ist Sinnbild traumhafter Landschaften, wilder sowie kunstvoll gezähmter Natur. Was nicht bedeutet, dass es hier nicht auch verträumte Städtchen wie Oxford und vitale Großstädte wie London oder Liverpool gäbe. Am faszinierendsten aber sind die Engländer selbst. Sie lieben ihre Traditionen, ohne sich um Konventionen zu scheren, glauben fest daran, dass ihre Inseln nicht zum europäischen Kontinent gehören, und verbinden milde Exzentrik mit großer Kreativität.Stefanie Bisping begibt sich auf die Spuren der schillernden und schöpferischen Persönlichkeiten, die die Insel hervorgebracht hat. Sie besucht Winston Churchill und Jane Austen, sie wandert durch uralte Parks und moderne Gärten, spricht mit Schlossherren, übt sich im Quidditch und studiert in Stratford die Stücke Shakespeares.

Stefanie Bisping schreibt als Reisejournalistin fu?r Tageszeitungen und Magazine und hat dabei die Welt von Spitzbergen bis nach Tasmanien vermessen. Ihr besonderes Interesse gilt Ku?sten und Inseln. Im Picus Verlag erschienen ihre Lesereisen Obere Adria, Apulien, Australien, Bretagne, Emilia Romagna, England, Estland, Malediven, Nordirland und die Normandie. Stefanie Bisping ist seit 2018 unter den Top Ten »Reisejournalisten des Jahres« und schaffte es mehrmals, zuletzt 2023, auf Platz eins des Rankings. www.stefanie-bisping.de

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Leseprobe

Zeitreise im Rosengarten


Im Südosten der Insel steht ein historisches Haus neben dem anderen. Ihre Interieurs stecken voller Geschichten


Zwei Hofdamen tuscheln in einer Ecke, neben ihnen steht ein elegant gekleideter Höfling. Doch die Gestalten aus der Tudor-Zeit geben ihre Geheimnisse nicht preis: Ihre üppigen Gewänder sind auf Puppen gespannt. Die Krypta unter der zweitältesten Großen Halle Englands, wo einst Vorräte gelagert und Schätze vor Feuer und Feind verborgen wurden, ist heute Aufbewahrungsort für Requisiten und Kostüme – Erinnerungen an zahlreiche Dreharbeiten in Penshurst Place.

Der Film »Die Schwester der Königin« mit Scarlett Johansson als Mary Boleyn entstand zu Teilen hier; bald danach tauchte die BBC-Verfilmung des Bestsellers »Wölfe« den Bau aus dem 14. Jahrhundert neuerlich in Scheinwerferlicht. Die Romanautorin Hilary Mantel erzählt darin die Geschichte des Gattinnenverschleißers Heinrich VIII. aus dem Blickwinkel seines Beraters Thomas Cromwell. Penshurst Place war auch bei dieser Produktion eines von mehreren historischen Häusern, die die Anwesen Heinrichs und seiner Getreuen darstellten.

Denn das Haus, seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der Familie Sidney, hat die Zeit recht ungerührt überstanden. Auch die von Hecken eingefassten Rosen- und Magnoliengärten, der Obsthain und der grauweiße Garten haben sich kaum verändert, seit Heinrichs Tochter Elizabeth I. hier einen Besuch machte. Nur ein paar Ergänzungen wie das große Beet, dessen Blüten einen Union Jack bilden, ein aus Buchs geformter Bär und die Skulptur des Stachelschweins, das auch das Familienwappen der Sidneys ziert, kannte sie noch nicht.

Heute spielen und flanieren hier die Besucher. Im Frühling fotografieren sie ihre Kinder zwischen Fluten blühender Narzissen, bis in den Herbst liegen sie, von keinem Verbotsschild gehindert, auf Rasenflächen und nutzen einen der ältesten erhaltenen Gärten Englands, als wäre es ihr eigener.

Sir John de Pulteney, ein reicher Händler aus London, ließ Penshurst Place 1341 erbauen. Er beauftragte die besten Handwerker seiner Zeit, um die von zwei Flügeln eingefasste Große Halle mit hohen Fenstern und einer aufwändig aus Kastanienholz geschnitzten Decke zum Schmuck- und Renommierstück zu machen. Weil Pulteney seinem König Edward III. viel Geld geliehen hatte, durfte er sich frei unter dessen Baumeistern bedienen. Doch er sollte sich nur acht Jahre lang an seinem Landhaus erfreuen; von einem Tag zum nächsten raffte ihn die Pest dahin.

Nachdem das Anwesen an die Herzöge von Buckingham gefallen war, war es dem dritten Herzog beschieden, wesentliche Eigenschaften des noch nicht dreißigjährigen Königs Heinrich VIII. kennenzulernen: Misstrauen, gepaart mit tödlicher Konsequenz. Anlässlich eines Besuchs seines Königs im Jahr 1519 investierte Buckingham ein Vermögen in dessen Bewirtung. Doch solcher Reichtum, dazu ein hoher Titel, das mochte bedeuten, dass Buckingham sich Hoffnungen auf Heinrichs Thron machte. Vorsichtshalber ließ der König ihn köpfen, Penshurst Place fiel an die Krone.

Heinrich nutzte das Haus fortan als Jagdsitz und überließ es später seiner vierten Gattin, der ungeliebten Anna von Kleve. Heinrichs einziger Sohn Edward schenkte es seinem Tutor Sir William Sidney. Dessen Familie brachte unter anderem den 1554 geborenen Dichter Sir Philip Sidney hervor und gab das Anwesen trotz einiger Erbfolgekrisen – der zweite Earl of Leicester hatte fünfzehn Kinder, von denen drei nacheinander Titel und Anwesen erbten, doch keiner hinterließ einen legitimen Nachkommen – nie mehr her. So ging der Titel des Earls verloren, doch blieb das Haus über eine Nichte in der Familie. Bis heute.

Historische Bausubstanz, Gärten in der Größe mehrerer Fußballfelder und Weide- und Ackerland der herrschaftlichen Anwesen bringen zwar noch immer einiges ein, erfordern zugleich aber auch nahezu unbegrenzte Mittel zu ihrer Erhaltung. Daher sind viele Herrensitze anders als Penshurst Place nicht mehr in Privatbesitz, sondern gehören dem National Trust, einer gemeinnützigen Organisation, die das historische Erbe für die Nation bewahrt. Mancher Aristokrat bewohnt so noch einen Teil des Anwesens seiner Väter, ohne bei jeder Handwerkerrechnung den Bankrott fürchten zu müssen. Zugleich macht der National Trust Schlösser, Adelssitze und Dichterklausen der Öffentlichkeit zugänglich und beschert dem Volk überdies Geschenkboutiquen, in denen von der Orangenmarmelade über Vogelnistkästen bis zu Gartenhandschuhen und praktischen Weinglashaltern für Rasenflächen alles zu kaufen ist, was das Landleben schöner macht – stets zum Wohl der rund fünfhundert historischen Häuser, Gärten, Parks, Monumente und Naturschutzgebiete, in deren Erhalt aller Gewinn fließt.

Besonders viele finden sich im Süden Englands, wo einflussreiche Persönlichkeiten immer schon die Nähe zur Hauptstadt schätzten und eine milde Landschaft aus Hügeln, Wiesen und gepflegten Dörfern Augen und Gemüt beruhigt. Dass dieses Bild sich im Lauf der Zeit nicht dramatisch verändert hat, bedeutet heute auch, dass sich die Blechlawinen des 21. Jahrhunderts über uralte Routen durch die Herzen kleiner Marktstädte pflügen und sich zu Stoßzeiten vor Kreisverkehren kilometerweit zurückstauen. Doch der Lohn solcher Mühen ist reich. Pendler kehren in ein Idyll blühender Gärten und historischer Schänken zurück. Reisende haben es nie weit zum nächsten sehenswerten Herrenhaus.

Ein besonders schmales Sträßchen führt nach Standen, dem bei East Grinstead gelegenen einstigen Landhaus von James Beale und seiner Frau Margaret. Der Vater von sieben Kindern hatte sein Vermögen als Anwalt der Eisenbahngesellschaft Midland Railways gemacht. Mit fünfzig Jahren wünschte Beale sich ein Traumhaus. Es sollte Symbol seines Erfolgs, behaglicher Wochenendsitz und Rückzugsort fern von Lärm und Enge der Metropole sein. Er beauftragte Philip Webb und William Morris mit dem Bau: den führenden Architekten der Zeit und einen der kreativsten Köpfe des 19. Jahrhunderts. Auf Gelände und Gebäuden der Farmen Great Hollybush und Standen entstand ab 1891 über einem Tal mit Blick über das Sussex Weald und die Hügel der South Downs ein Haus, das vor allem aufgrund des Wirkens des vielseitig begabten Morris seinen Reiz bis heute bewahrt hat.

Der 1834 geborene William Morris war Architekt und Sozialist, arbeitete als Übersetzer und Verleger, kam als Maler, Dichter und Begründer des Arts and Crafts Movement zu Ruhm und wird bis heute für seine filigranen Muster und Ornamente geliebt. Er ersetzte Schwere und Dunkelheit viktorianischer Interieurs durch Licht, Leichtigkeit und zarte Farben und legte zugleich größten Wert auf Solidität von Material, Form und Handwerk. Auch Webbs Stil war neu, sogar visionär. Er schonte den Baumbestand, zerstörte keines der alten Gebäude, platzierte das Haus in geschützter Lage über die Aussicht und bediente sich bei den Baumaterialien in nächster Nachbarschaft. Der Steinbruch neben dem Haus wurde später zum Felsengarten.

Bis auf einige Zimmer der Bediensteten sind alle Räume Standens fürs Publikum geöffnet. Die Besucher bewundern das Lesezimmer mit Kamin, gemusterten Teppichen, kleinen Tischen und Sesseln; das Billardzimmer mit dem riesigen Tisch darin und dem in einen Alkoven eingelassenen Sofa für Zuschauer, die eingebauten Bücherschränke und die hellen Schlafzimmer im ersten Stock. Wer Schubladen auszieht, findet Muster von Morris’ mit Blüten und Ornamenten geschmückten Stoffen und Tapeten, die sich bis heute gut verkaufen. Und auch über schönes Wohnen ist hier einiges zu lernen. »Habt nichts in euren Häusern, von dem ihr nicht sicher wisst, dass es nützlich oder von dem ihr nicht glaubt, dass es schön ist«, so lautete Morris’ Doktrin, die die Zeit so mühelos überdauert hat wie seine Designs.

In Terrassen senkt sich der Garten, bis hinter Wiesen und Weiden der Weirwood-See das Tal beschließt. Besucher können auf den Rasenflächen picknicken, die von den Beales 1907 von einer Japanreise mitgebrachten Ahornbäume bewundern, auf Spielplätzen toben und in die Landschaft hinauswandern. Die Gatter an den Weiden sollen nur Kühe aufhalten. Zweibeiner dürfen hinüberklettern.

Man kann sich leicht vorstellen, dass die Beales mit ihren Sprösslingen jeden Sommer und alle Weihnachtsfeste in Standen verbrachten, auch nach dem Tod von Mutter Margaret im Jahr 1936. Sie hinterließ die Verantwortung für das in eine Familienstiftung übergegangene Anwesen den Töchtern Helen und Maggie. Erst nach Helens Tod 1972 gelangte Standen in den Besitz des National Trust – nachdem private Sponsoren Helens Erbe so aufgestockt hatten, dass die finanziellen Mittel der Stiftung als ausreichend für den Unterhalt erschienen.

Während man in Standen sofort einziehen wollte, verströmt das stolze Petworth House eine...

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