Signorina ist Schriftstellerin
In Olevano Romano finden deutsche Künstler heute noch Inspiration unter Ölbäumen
Die Künstlerin hat Apfelkuchen gebacken, deutschen Apfelkuchen mit einem feinen dünnen Boden, üppigem Belag und einem Hauch Zimt. Er findet begeisterte Abnehmer draußen auf der Terrasse der Villa Serpentara, wo gerade heftig der Ausblick genossen wird. Wie könnte man auch das Spiel aus Licht und Schatten nicht bestaunen, das das Städtchen Olevano Romano mit seiner Burgruine und seinen an den Hang gelehnten Häusern an diesem Abend aussehen lässt wie gemalt. Nur dass der Ausdruck »wie gemalt« für diesen Ort, gelinde gesagt, reichlich abgegriffen erscheint. Weil Olevano Romano, seit der Romantik eine beliebte Künstlerkolonie, in seiner Geschichte tatsächlich sehr oft gemalt wurde, und besonders eifrig von den Deutschen.
Das ist schön, und doch ist es irgendwie auch ein Elend für die, die heute hierherkommen und unter den Ölbäumen Latiums etwas Neues machen wollen. Junge Leute sind es meistens, junge Leute mit einem Kopf voller Ideen und mit einem Stipendium. Die Berliner Akademie der Künste schickt alle paar Monate einen oder eine Auserwählte in die Villa Serpentara. Unten im Ort wohnen zwei Stipendiaten für je ein Vierteljahr in der Casa Baldi. Das Haus gehört zur Villa Massimo in Rom, der Deutschen Akademie, die Schriftstellern, bildenden Künstlern und Komponisten eine Heimat auf Zeit in Italien gibt. Viele von denen, die die deutsche Kultur mitprägten, haben einmal in Olevano Romano gelebt.
Das wissen die Gäste beim kleinen Abschiedsfest der Berliner Künstlerin Ines Hertel im Sommer 2007 und vielleicht rauchen sie deshalb ihre Zigaretten oft schweigend, sprechen dem Apfelkuchen zu und atmen das Panorama ein wie die kühle Luft. Die meisten von ihnen sind aus der Villa Massimo hergefahren, um ihre Künstlerkollegen auf dem Land zu besuchen. Sie wirken noch wie auf einen fremden Planeten geworfen in der Stille, durch die nur ab und zu ein motorino knattert. Hertel dagegen schaut mit verliebten Blicken auf die Ölbäume und Eichen. »Olevano bedeutet für mich: Ruhe und Frieden«, sagt sie. Drei Monate hat sie in dem lichten Haus gewohnt. Drinnen im Wohnzimmer hängen an die Wand gepinnt Dutzende Fotos, die die Künstlerin in dieser Zeit aufgenommen hat: Immer wieder derselbe Blick von der Terrasse. Immer wieder der Himmel. Warum der sie so fasziniert? »Vielleicht, weil er hier besonders groß ist«, sagt Hertel.
Der Mythos von dem malerischen latinischen Städtchen ist offensichtlich nicht totzukriegen, selbst wenn inzwischen unschöne Neubauten am Ortsrand keinen Zweifel daran lassen, dass auch hier die Zeit nicht stehen geblieben ist. Trotzdem sieht es an vielen Ecken noch so aus wie im 19. Jahrhundert, als die Maler in das gastliche Nest vor Bergkulisse strömten. In Scharen pilgerten sie während der Sommermonate aus dem stickigen Rom heraus; rund zweihundert Künstler ließen sich damals von der campagna romana mit ihren Ölbäumen und Schafherden inspirieren. Zuerst kamen die Dänen, ihnen voran der Bildhauer Bertel Thorvaldsen. Dann entdeckte der Tiroler Maler Joseph Anton Koch kurz nach 1800 den Ort und heiratete ein Mädchen aus Olevano. Aber auch Franzosen, Engländer, Ungarn und Russen nahmen in dem Städtchen Quartier. In der Casa Baldi, dem Haus eines Weinhändlers zwischen Ortszentrum und Friedhof, wohnten der schwäbische Dichter Wilhelm Waiblinger, der Schriftsteller Joseph Viktor von Scheffel, der Altertumswissenschaftler Theodor Mommsen und der Historiker Ferdinand Gregorovius. Auch der französische Landschaftsmaler Camille Corot kam vorbei, doch die deutschen romantischen Maler waren die treuesten Fans. Johann Christian Reinhart, Heinrich Reinhold, Franz Horny, Ludwig Richter, Philipp Fohr, Carl Rottmann und Julius Schnorr von Carolsfeld waren in Olevano am Werk. Die abwechslungsreiche Landschaft mit ihren schroffen Bergen und idyllischen Hainen galt als Inbegriff des Pittoresken. In jeder größeren deutschen Gemäldegalerie, die etwas auf sich hält, hängt deshalb eine Ansicht von Olevano Romano, Häuser am Hang, mit Schafen oder ohne.
»Ich finde die romantische Malerei scheußlich, und ich habe einen Horror vor diesen steinernen Häuschen«, sagt Christina Zück. Die Künstlerin aus Berlin hat in der Casa Baldi überwintert. Sie präsentiert an diesem Abend einen Videofilm, in dem sie die Landschaft um Olevano und immer wieder den Eichenwald hinter der Villa Serpentara eingefangen hat. Der Lieblingsplatz der Maler, der Gustave Doré zu seinen Illustrationen für Dantes »Göttliche Komödie« inspirierte, wäre 1873 fast für immer zerstört worden; aus den Eichen sollten Bahnschwellen gemacht werden. Der Maler Edmund Kanoldt kaufte daraufhin das Gelände und schenkte es dem deutschen Kaiser, sodass die Stipendiaten heute noch im raschelnden Laub spazieren gehen können. Natürlich, sagt Zück, habe sie sich in Olevano mit der Tradition der Landschaftsdarstellung auseinandergesetzt, »das ist ja auch unvermeidlich, wenn man auf dem Berg sitzt«. Aber die Tradition sei für sie ein ausgetretener Pfad. Und Silke Scheuermann, die Frankfurter Schriftstellerin, die gerade noch in einem Sessel im Atelier der Casa Baldi römische Gedichte aus einem ihrer Lyrikbände vorgelesen hat, sagt, dass es schwer sei, heute noch über Italien zu schreiben. Aber morgens bei Sonnenaufgang war sie oft mit Mozart im Kopfhörer spazieren. Und da strahlt Scheuermann übers ganze Gesicht und sagt sehr nachdrücklich: »So eine schöne Landschaft.«
Da ist es irgendwie lustig, dass italienische Reiseführer Olevano Romano nicht einmal erwähnen, vielleicht weil für Italiener Häuschen am Hang und Ölbäume und Berge nichts besonderes sind und Burgen auch nicht, all das gibt es schließlich andernorts genauso. Manche Leute in Olevano Romano ärgert das, Leute wie Domenico Riccardi, einen pensionierten Gymnasiallehrer, der an einem dreibändigen Werk über die ausländischen Maler in Olevano schreibt. »Wir haben doch die Pflicht, diese Geschichte zu dokumentieren«, sagt er und rüttelt mit dem Schlüssel im Eingangsportal der Villa De Pisa. Dort, in einem rot getünchten alten palazzo am Ortseingang, haben Riccardi und seine Freunde vom Verein Associazione Amici del Museo 1989 ein Museum gegründet. Mehr als vierhundert Exponate zählt es inzwischen, die allermeisten sind Geschenke deutscher Künstler, Galerien oder Antiquariate. Geld für eigene Ankäufe hat der Verein nicht, das Museum öffnet nur am Wochenende oder auf Anfrage, schließlich organisieren die Freiwilligen alles selbst. Und es sei schon ein Glück, dass die Stadt ihnen das Haus zur Verfügung gestellt habe, findet Riccardi, der mit Hut auf dem Kopf und Schal um den Hals selbst wirkt, als würde er gleich mit der Staffelei unterm Arm in Wiesen und Felder hinausziehen. Voller Enthusiasmus führt er durch die Räume, an deren Wänden Bilder von Heinrich Dreber hängen und von Rudolf Englert, von Jürgen Möbius, Robert Reiter und Heinz Hindorf. Der ganze Stolz des Vereins ist aber eine Serie von Radierungen von Joseph Anton Koch, die die campagna romana mit hübschen jungen Damen beim Erntetanz, mit Schäfern und frommen Prozessionen zeigt. »Koch hat überhaupt nichts idealisiert, so war das in Olevano wirklich«, erklärt der Museumschef und lässt durchblicken, dass die Skizzen für ihn wahre Kunst sind. Die deutschen Stipendiaten heute, na ja, die würden viel Videokunst machen, aber hin und wieder auch hübsche Sachen, doch. Dann macht Riccardi sein Museum wieder zu wie ein Einmachglas, von dem jemand kurz den Deckel gehoben hat. Drinnen ist die Kunst von gestern.
Die Einwohner von Olevano Romano sind aber noch lange nicht fertig mit der Kunst. Die Münsteraner Malerin Helga Rensing, eine ehemalige Stipendiatin der Casa Baldi, haben sie den Sitzungssaal im Rathaus ausmalen lassen und sie zur Ehrenbürgerin gemacht. Sie haben eine Städtepartnerschaft mit Michelstadt, der Heimatstadt des Malers Heinz Hindorf, und am Gymnasium wird Deutsch gelernt, was nicht selbstverständlich ist in der römischen Provinz. Guido Milana, der ehemalige Bürgermeister von Olevano, der heute Abgeordneter im Europäischen Parlament ist, pflegte zu sagen, er würde lieber eine Straße weniger bauen, wenn er dafür den kulturellen Austausch mit Deutschland fördern könne. Und seine Nachfolgerin Guglielmina Ranaldi, eine adrette rothaarige Dame, die ebenfalls zum Fest in der Villa Serpentara erschienen ist, erklärt mit Verve, sie wolle, dass die Geschichte der ausländischen Künstler in Olevano Romano nie ende. Und sie glaube auch nicht, dass sie jemals enden werde. Denn: »Wir sind sehr gastfreundlich, und der Begriff des Fremden existiert hier nicht.«
Nein, fremd muss sich in Olevano Romano niemand fühlen. Obwohl das Städtchen fern von allen Touristenströmen liegt, wundert sich niemand, wenn ein Ausländer nach dem Weg fragt oder sich verzweifelt nach einem Parkplatz erkundigt. Die freundliche runde signora in der Bar nahe...